Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.06.2015, Az. 8 AZN 881/14

8. Senat | REWIS RS 2015, 9472

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Gegenstand

Ordnungswidrige Besetzung des Gerichts - Abordnung eines Richters


Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. August 2014 - 7 [X.] - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

3. Der Wert des [X.] wird auf 188.838,20 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat das Urteil des [X.]s abgeändert und der Klage stattgegeben. An der mündlichen Verhandlung des [X.] vom 1. August 2014 hat [X.] am [X.] als ständiger Vertreter des Direktors T als Vorsitzender mitgewirkt, der das anzufechtende Urteil auch unterschrieben hat. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das [X.]. Sie hat ua. gerügt, es liege der [X.] der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Ihr Recht aus Art. 101 Abs. 1 GG auf den gesetzlichen [X.] sei verletzt. Die Mitwirkung des [X.]s am [X.] als ständiger Vertreter des Direktors T in der erkennenden Kammer des [X.]s führe zu deren ordnungswidriger Besetzung, da seine Abordnung nicht den in der Rechtsprechung vorgegebenen Grenzen gerecht werde. Die Abordnung sei weder zur Erprobung erfolgt noch wegen einer nicht vorhersehbaren Überlastung des [X.]s.

2

II. Die Besetzungsrüge ist begründet. Der geltend gemachte absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des [X.] liegt vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Dies führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

3

1. Die Verfahrensrüge ist zulässig. Die Beklagte hat die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des [X.]s, die sie bereits ohne Erfolg vor dem [X.] gerügt hatte, innerhalb der Begründungsfrist der Nichtzulassungsbeschwerde unter Darlegung der entsprechenden Tatsachen ordnungsgemäß erhoben. Einer Darlegung, dass das Berufungsurteil auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht, bedurfte es nicht, weil das Gesetz davon ausgeht, dass in einem solchen Fall die Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend angesehen wird (§ 547 Nr. 1 ZPO).

4

2. Die Verfahrensrüge ist begründet.

5

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.] 13. November 1997 - 2 [X.] -; 23. Januar 1996 - 1 BvR 1551/95 -; 8. Juli 1992 - 2 [X.], 2 [X.] 31/91 - zu [X.] 2 a der Gründe mwN, [X.]E 87, 68; 3. Juli 1962 - 2 [X.], 2 [X.] - zu [X.] der Gründe, BVerGE 14, 156), des [X.] (ua. [X.] 16. März 2005 - [X.] (R) 2/04 - zu II 2 b der Gründe, [X.]Z 162, 333; 13. Juli 1995 - V ZB 6/94 - zu III 1 b aa der Gründe, [X.]Z 130, 304; 5. Juni 1985 - [X.]/84 - zu II 2 der Gründe, [X.]Z 95, 22; 15. November 1956 - III ZR 84/55 - [X.]Z 22, 142, 145), des [X.] (BVerwG 23. August 1996 - 8 [X.] 19.95 - BVerwGE 102, 7) und des [X.] ([X.] 6. Juni 2007 - 4 [X.] - Rn. 34, [X.]E 123, 46; 25. März 1971 - 2 [X.] -) sehen das Grundgesetz und die Gerichtsverfassung im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der [X.] vor, dass ihr Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten [X.]n ausgeübt wird. [X.] sind nach Art. 97 Abs. 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 2 GG institutionell gesichert. Auch Art. 92 GG setzt als Normalfall [X.] voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind ([X.] 3. Juli 1962 - 2 [X.], 2 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 14, 156).

6

Der Einsatz von nicht planmäßigen [X.]n bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken. Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen [X.]n zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln. Das Grundgesetz beschränkt eine solche Verwendung auf das zwingend gebotene Maß ([X.] 3. Juli 1962 - 2 [X.], 2 [X.] - zu B I der Gründe, [X.]E 14, 156).

7

Ein zwingender Grund für den Einsatz planmäßiger [X.] unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte ist die Eignungserprobung ([X.] 22. Juni 2006 - 2 BvR 957/05 - Rn. 7 mwN; 3. Juli 1962 - 2 [X.], 2 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, [X.]E 14, 156). Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher [X.] an ein Gericht, die nicht planmäßige [X.] dieses Gerichts sind ([X.] 22. Juni 2006 - 2 BvR 957/05 - Rn. 7 mwN; 13. November 1997 - 2 [X.] -; 23. Januar 1996 - 1 BvR 1551/95 -; 9. November 1955 - 1 [X.] 13/52, 1 [X.] 21/52 - zu IV 2 b der Gründe, [X.]E 4, 331).

8

Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger [X.] an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige [X.], deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen [X.]n nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen ([X.] 3. Juli 1962 - 2 [X.], 2 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, [X.]E 14, 156).

9

b) Danach war, wie sich aus der vom Revisionsgericht eingeholten dienstlichen Auskunft des Sächsischen [X.]s ergibt, die Kammer 7 des [X.]s im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 1. August 2014 sowie im [X.] am 29. August 2014, in dem das anzufechtende Urteil ergangen ist, nicht ordnungsgemäß besetzt.

aa) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen [X.]s geht hervor, dass das Sächsische [X.] grundsätzlich nach den Berechnungen des Personalbedarfsberechnungssystems (PEBB§Y) mit sieben Vorsitzenden einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten ausreichend besetzt ist. Die Geschäftsverteilungspläne 2007 bis 2014 weisen dementsprechend bei neun Kammern jeweils mindestens sieben als planmäßig mit Vorsitzenden [X.]n/[X.]innen besetzte Kammern aus. Danach spricht nichts dafür, dass die Arbeitslast des [X.]s im Geschäftsverteilungszeitraum 2014 wegen fehlender oder offener Planstellen nicht bewältigt werden konnte und die hier zu beurteilende Abordnung vor dem Hintergrund eines derartigen Mangels aufzufassen wäre.

bb) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen [X.]s geht weiter hervor, dass [X.] am [X.] als ständiger Vertreter des Direktors T vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2013 mit seiner vollen Arbeitskraft (1,0 [X.]) an das Sächsische [X.] abgeordnet war. Seine Abordnung wurde zum 1. Januar 2014 zunächst bis zum 31. Dezember 2014 mit seiner halben Arbeitskraft (0,5 [X.]) verlängert. Im Übrigen (0,5 [X.]) nimmt er seine Aufgaben als ständiger Vertreter des Direktors beim [X.] [X.] wahr. Aus dem Geschäftsverteilungsplan 2015 ergibt sich, dass eine weitere Verlängerung mit halber Arbeitskraft (0,5 [X.]) bis zum 31. Dezember 2015 erfolgt ist.

[X.] am [X.] als ständiger Vertreter des Direktors T war nach den jährlichen Geschäftsverteilungsplänen 2013 bis 2014 und den dazu ergangenen Änderungsbeschlüssen zunächst der Kammer 7 zugeordnet, mit Wirkung vom 6. September 2013 (auch) der Kammer 8, in den Jahren 2014 und 2015 der Kammer 7.

In der dienstlichen Auskunft des Sächsischen [X.]s heißt es: „Die Reduzierung der Arbeitsanteile des [X.]s am [X.] als ständiger Vertreter des Direktors T zum 1. Januar 2014 erfolgte, um zeitgleich auch der [X.]in am [X.] M eine Erprobungsabordnung zu ermöglichen.“ Die Abordnung der [X.]in am [X.] M zur Erprobung erfolgte laut der dienstlichen Auskunft für den Zeitraum 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2015. Weiter heißt es in der dienstlichen Auskunft: „Die Abordnung des [X.] erfolgte ebenfalls zur Erprobung. Jedenfalls ab Juli 2014 bestand sie auch aufgrund einer befürchteten vorübergehenden Überlastung des Sächsischen [X.]s, so dass [X.] Abordnung zum Sächsischen [X.] zu 0,5 [X.] nochmals verlängert wurde.“ Dazu heißt es, ab April 2014 habe sich eine unvorhergesehene Überbelastung des Sächsischen [X.]s abgezeichnet, weil zwei Vorsitzende krankheitsbedingt auszufallen drohten, was bei nur sieben Vorsitzenden [X.]stellen nicht durch die Vertreter ausgeglichen werden könne. Vor diesem Hintergrund sei die „weitere Abordnung des [X.] unabdingbar gewesen“. Allerdings hätten sich die Befürchtungen längerfristiger Ausfälle der beiden Kollegen bis zum Jahresende 2014 als unbegründet erwiesen. An anderer Stelle heißt es, [X.], der aufgrund seiner positiven Entwicklung für eine Stelle als Vorsitzender [X.] am [X.] in Betracht komme, „sollte die Möglichkeit der Erprobung, insbesondere einer weiteren Bewährung in der zweiten Instanz gegeben werden.“

cc) Zwingende Gründe für einen Einsatz des [X.]s am [X.] als ständiger Vertreter des Direktors T am Sächsischen [X.] ab dem 1. Januar 2014 sind nicht dargelegt worden.

(1) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen [X.]s geht für die Verlängerung ab dem 1. Januar 2014 der zuvor bereits ein Jahr in Vollzeit zur Erprobung erfolgten Abordnung nicht hervor, dass auch sie zur Erprobung erfolgt ist. Bezogen auf den Verlängerungszeitraum reicht allein ein „auch“ (jedenfalls „ab Juli 2014 bestand sie auch aufgrund einer befürchteten vorübergehenden Überlastung“) nicht aus, um mit der gebotenen Eindeutigkeit von einer Eignungserprobung ausgehen zu können. Auch sind tatsächliche Umstände dafür nicht aufgezeigt worden. Eine „weitere Bewährung in der zweiten Instanz“, für die ebenfalls keine tatsächlichen Umstände angeführt worden sind, kann nicht als zwingender Grund iSd. Vorgaben angesehen werden.

(2) Auch ein anderer zwingender Grund ist für die Verlängerung ab dem 1. Januar 2014 nicht erkennbar.

(a) Eine Erprobungsabordnung eines anderen [X.]s, auch wenn diese in Teilzeitbeschäftigung erfolgt, ist an sich kein zwingender Grund, der eine Besetzung in Abordnung der anderen Hälfte der [X.] tragen kann.

(b) Allein die Befürchtung, es werde vermutlich zu einem vorübergehenden Ausfall planmäßiger [X.] kommen, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern dann neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden könnte, reicht nicht aus. Abgesehen davon, dass sich eine solche Situation nach der dienstlichen Auskunft (erst) ab April 2014 abzeichnete, während der Geschäftsverteilungsplan für 2014 mit der durchgängigen Besetzung der Kammer 7 durch [X.] am [X.] als ständiger Vertreter des Direktors T bereits im Dezember 2013 beschlossen worden ist, ist allein die Befürchtung eines durch die regelmäßige Vertretung nicht auffangbaren Ausfalls planmäßiger [X.] kein zwingender Grund, sondern erst eine solcherart eingetretene Situation.

(c) Ein aufzuarbeitender - also bereits tatsächlich bestehender - zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall ist nicht dargelegt worden.

dd) Auf den mit der Beschwerde gerügten Gesichtspunkt der Teilabordnung kommt es nach allem nicht mehr an.

III. Wegen der im Jahre 2015 fortbestehenden Abordnung des [X.]s am [X.] als ständiger Vertreter des Direktors T, für die ein zwingender Abordnungsgrund nicht erkennbar ist, macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung an eine andere Kammer des [X.]s Gebrauch.

        

    Hauck    

        

    Breinlinger    

        

    Winter    

        

        

        

    Eimer    

        

    [X.]. Gothe    

                 

Meta

8 AZN 881/14

18.06.2015

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Dresden, 5. Februar 2014, Az: 3 Ca 1600/13, Urteil

§ 547 Nr 1 ZPO, § 72 Abs 2 Nr 3 Alt 1 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.06.2015, Az. 8 AZN 881/14 (REWIS RS 2015, 9472)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 9472

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4 AZN 540/16

B 13 R 107/17 B

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