Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21.11.2023, Az. 2 AZN 153/23

2. Senat | REWIS RS 2023, 8064

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Gegenstand

Absoluter Revisionsgrund - gesetzlicher Richter - Abordnung des Kammervorsitzenden


Tenor

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

3. Der Wert des [X.] wird auf 11.623,38 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die zulässige [X.]eschwerde ist begründet. Die [X.]eklagte hat die Voraussetzungen des [X.] aus § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG iVm. § 547 Nr. 1 ZPO dargelegt. Das Urteil des [X.] ist aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen, bei der das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Dies führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]erufungsgericht.

2

I. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO vor.

3

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.] 10. November 2022 - 1 [X.]vR 1623/17 - Rn. 11 ff. [X.]) sind die Gerichte wegen der [X.]edeutung der richterlichen Unabhängigkeit für deren [X.] und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten [X.]n zu besetzen. Die Verwendung von [X.]n ohne diese Garantie der persönlichen Unabhängigkeit muss die Ausnahme bleiben. Das Grundgesetz setzt als Normalfall den [X.] voraus, der unversetzbar und unabsetzbar ist. Haben bei einer Entscheidung ohne zwingende Gründe [X.] mitgewirkt, die nicht hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt sind, so ist das Recht auf den gesetzlichen [X.] gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt (vgl. [X.] 22. März 2018 - 2 [X.]vR 780/16 - Rn. 66, [X.]E 148, 69).

4

2. Der Senat hat - trotz entsprechender Aufklärungsbemühungen - keine zwingenden Gründe feststellen können, die eine Abordnung des [X.]s am [X.] an das [X.] unter Übertragung des Vorsitzes der dortigen Kammer 4 rechtfertigen könnten.

5

a) Die vom Senat und der [X.]eklagten in diesem Zusammenhang eingeholten Auskünfte sind teils widersprüchlich, teils unergiebig.

6

aa) Das [X.], [X.] und Gleichstellung hat die [X.]eklagte mit Schreiben vom 12. April 2023 dahin beschieden, dass sie keinen Anspruch auf die von ihr erbetenen Auskünfte über den Verlauf von [X.] von Vorsitzenden [X.]/-innen beim [X.] habe.

7

bb) Der Präsident des [X.] hat in einer von der [X.]eklagten eingeholten Auskunft mit Schreiben vom 6. April 2023 mitgeteilt, die Abordnung des [X.]s am [X.] vom 1. November 2021 bis zum 30. April 2023 an das [X.] sei wegen eines [X.] erforderlich gewesen, nachdem mehrere Vorsitzende [X.] des [X.] mit Erreichen der Regelaltersgrenze in den Ruhestand gegangen und ferner die [X.] gestiegen seien. Weder sei der Erfolg einer einstweiligen Anordnung im Rahmen einer Konkurrentenklage absehbar gewesen noch der Umstand, dass die [X.]eurteilungsrichtlinien des Freistaats in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren als teilweise unwirksam eingestuft wurden. Dies habe die [X.]esetzungsverfahren um mehrere Jahre verzögert.

8

cc) In einer vom Senat eingeholten Auskunft zur [X.]esetzung der Kammer 4 mit dem [X.] am [X.] hat sich der Präsident des Sächsischen [X.] mit Schreiben vom 10. August 2023 auf den [X.] einer dringend erforderlichen Vertretung wegen nicht besetzter Planstellen der in den Ruhestand gegangenen [X.] bezogen. Erstmals wird in diesem Schreiben ausgeführt, dass die Abordnung des [X.]s am [X.] an das [X.] - auch - zur Erprobung erfolgt sei.

9

dd) Der Senat hat den Präsidenten des Sächsischen [X.] mit Schreiben vom 17. August 2023 darauf hingewiesen, dass er sich nun erstmals auf den [X.] einer Erprobung beziehe, was - zumal während des laufenden [X.]s - näherer Erläuterung und Klarstellung bedürfe, weshalb auch um die Vorlage einer Kopie der Verwaltungsvorgänge in [X.]ezug auf die Abordnung gebeten werde. In seinem Schreiben vom 4. September 2023 beruft sich der Präsident des Sächsischen [X.] dessen ungeachtet sowohl auf den [X.] der erforderlichen Vertretung als auch auf den [X.] der Erprobung. Als Verwaltungs-vorgang wird dem Schreiben vom 4. September 2023 lediglich die Kopie einer E-Mail vom 30. September 2021 an verschiedene Angehörige des [X.] beigefügt, in dem auf die beabsichtigte Abordnung des [X.]s am [X.] hingewiesen wird. Ein Grund für die Abordnung wird in diesem Schreiben ebenso wenig genannt, wie in einer weiter vorgelegten E-Mail vom selben Tag an den [X.] am [X.], wo neben organisatorischen Fragen der Abordnung mehrmals auf eine „Einarbeitung“ [X.]ezug genommen wird. In der ebenfalls beigefügten Abordnungsverfügung des [X.] wird dem [X.] am [X.] nur mitgeteilt, dass er mit seinem Einverständnis in der [X.] vom 1. November 2021 bis 30. April 2023 an das [X.] abgeordnet werde, ohne den Grund oder Zweck für diese Maßnahme anzugeben.

ee) Der Senat hat den Präsidenten des Sächsischen [X.] mit Schreiben vom 15. September 2023 darauf hingewiesen, dass er davon ausgehen müsse, dass weder der [X.]ehördenleitung noch den Präsidiumsmitgliedern des Gerichts bei der Entscheidung über eine Übertragung des Kammervorsitzes Unterlagen über den Zweck der Abordnung von Herrn [X.] am [X.] vorgelegen haben und zur Kenntnis genommen werde, dass auch eine Auflösung des inhaltlichen Spannungsverhältnisses in seinen Ausführungen über den [X.] nicht erfolgt sei. Von einer weiteren Stellungnahme hat der Präsident des Sächsischen [X.] abgesehen.

ff) Weitere [X.] stehen dem Senat nicht zur Verfügung.

b) Angesichts dieser sich in Teilen widersprechenden, lückenhaften und wechselnden Auskünfte kann nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, ob und welcher (zwingende) Grund für die Abordnung des [X.]s am [X.] an das [X.] und die Übertragung des Vorsitzes der Kammer 4 vorlag. Nach der Aktenlage ist offenbar weder dem Präsidium noch dem abgeordneten [X.] selbst vom [X.], [X.] und Gleichstellung der Grund für die Maßnahme eröffnet worden. Aufgrund der [X.]eteiligung des [X.]s am [X.] war die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2022 nicht ordnungsgemäß besetzt, weshalb die Voraussetzungen des absoluten Revisionsgrundes aus § 547 Nr. 1 ZPO vorliegen.

3. Die [X.]eklagte hat nicht auf die Rüge des absoluten Revisionsgrundes des § 547 Nr. 1 ZPO verzichtet, weil sie die nicht vorschriftsmäßige [X.]esetzung des erkennenden Gerichts nicht bereits in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2022 gerügt, sondern sich eingelassen und [X.] gestellt hat. Auf die [X.]eachtung der Vorschriften über die [X.]esetzung des Gerichts kann nicht nach § 295 ZPO wirksam verzichtet werden (vgl. [X.] 25. August 1983 - 6 [X.] - zu III der Gründe, [X.]E 43, 258; [X.]FH 30. Juni 2023 - V [X.] 13/22 - Rn. 22, [X.], 425; [X.]SG 6. Juni 2023 - [X.] 4 AS 133/22 [X.] - Rn. 5; [X.]GH 21. April 1993 - [X.]Lw 40/92 - zu II 2 a der Gründe; [X.]/[X.] ZPO 35. Aufl. § 295 Rn. 4; aA für den Fall einer Übertragung der Entscheidung vom Senat auf die Einzelrichterin ohne Zustimmung der klagenden [X.] [X.]VerwG 6. September 2021 - 1 [X.] 39.21 - Rn. 4 f.).

4. Die [X.]eschwerde musste auch die Entscheidungserheblichkeit der nicht vorschriftsmäßigen [X.]esetzung des erkennenden Gerichts nicht aufzeigen. Das Gesetz stellt mit der Einordnung einer Verletzung der vorschriftsmäßigen [X.]esetzung des Gerichts als absoluten Revisionsgrund eine unwiderlegbare Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung auf (vgl. [X.] 2. März 2022 - 2 [X.] 629/21 - Rn. 13, [X.]E 177, 233; 22. September 2016 - 6 [X.] 376/16 - Rn. 20).

II. Angesichts des Vorliegens eines absoluten Revisionsgrundes bedurfte es keiner [X.]efassung mit den von der [X.]eklagten außerdem geltend gemachten [X.] nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 Alt. 2 ArbGG.

III. Zur [X.]eschleunigung des Verfahrens hat der Senat den Rechtsstreit analog § 72a Abs. 7 ArbGG (vgl. [X.] 2. März 2022 - 2 [X.] 629/21 - Rn. 15, [X.]E 177, 233; 5. Juni 2014 - 6 [X.] 267/14 - Rn. 35 ff., [X.]E 148, 206) an das [X.]erufungsgericht zurückverwiesen.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Nielebock    

        

    Niebler    

                 

Meta

2 AZN 153/23

21.11.2023

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Leipzig, 11. März 2022, Az: 9 Ca 2364/21, Urteil

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 547 Nr 1 ZPO, § 72 Abs 2 Nr 3 Alt 1 ArbGG, § 295 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21.11.2023, Az. 2 AZN 153/23 (REWIS RS 2023, 8064)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8064

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