Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.10.2023, Az. 10 C 4/22

10. Senat | REWIS RS 2023, 7276

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Begründete Besorgnis der Befangenheit wegen Vertrauensverhältnis zu Prozessvertreter eines Beteiligten


Tenor

Der von [X.] am [X.] ... mit dienstlicher Erklärung vom 19. September 2023 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

I

1

Der Kläger begehrt Einsicht in Gruß- und Glückwunschschreiben des [X.]undespräsidenten.

2

Das [X.] am [X.] ... hat mit dienstlicher Erklärung vom 19. September 2023 mitgeteilt, er sei mit dem Leiter des Referats ... Herrn P., der - wie ... kürzlich bekannt geworden sei - die [X.]eklagte in der mündlichen Verhandlung am 9. November 2023 vertreten werde, seit ca. 30 Jahren eng befreundet und stehe in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu ihm. Die Freundschaft erstrecke sich auch auf die jeweiligen Familien und umfasse regelmäßige wechselseitige [X.]esuche. Nach seiner Einschätzung könnten diese Umstände seine Ablehnung rechtfertigen.

3

Die [X.]eteiligten hatten Gelegenheit, zu der dienstlichen Erklärung Stellung zu nehmen. Die [X.]eklagte hat vorgetragen, gegen deren Inhalt sei nichts zu erinnern. Der Kläger sieht durch das angezeigte Vertrauensverhältnis Zweifel an der Unparteilichkeit des [X.]s am [X.] ... gerechtfertigt und lehnt ihn ab.

II

4

Der Senat entscheidet anlässlich der dienstlichen Erklärung eines Senatsmitglieds über dessen [X.]efangenheit und dessen Ablehnung durch einen [X.]eteiligten gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 48, 42, § 45 Abs. 1 ZPO ohne Mitwirkung des betreffenden [X.]s in der bei [X.]eschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung vorgesehenen [X.]esetzung von drei [X.]n (§ 10 Abs. 3 VwGO).

5

Wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit ist ein [X.] an der Mitwirkung und Entscheidung eines Streitfalls gehindert, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO). Danach ist es nicht notwendig, dass der [X.] tatsächlich befangen ist. Andererseits reicht die rein subjektive Vorstellung eines [X.]eteiligten, der [X.] werde seine Entscheidung an persönlichen Motiven orientieren, nicht aus, wenn bei objektiver Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund für die [X.]efürchtung ersichtlich ist. Die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit ist gerechtfertigt, wenn aus der Sicht des [X.]eteiligten hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln ([X.]VerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - 6 C 129.74 - [X.]VerwGE 50, 36 <38 f.>; [X.]eschlüsse vom 14. November 2012 - 2 KSt 1.11 - NVwZ 2013, 225 Rn. 4, vom 29. Januar 2014 - 7 C 13.13 - [X.] 310 § 54 VwGO Nr. 76 Rn. 16, vom 30. September 2015 - 2 AV 2.15 - [X.] 310 § 54 VwGO Nr. 79 Rn. 7, vom 29. Juni 2016 - 2 [X.] 18.15 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 77 Rn. 37 und vom 18. Juli 2019 - 2 C 35.18 - [X.] 310 § 54 VwGO Nr. 87 Rn. 5).

6

Nahe persönliche [X.]eziehungen eines [X.]s zu einer [X.] oder ihrem [X.] können die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit begründen. Ob die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit mit Rücksicht auf freundschaftliche [X.]eziehungen gerechtfertigt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgebend ist, ob nach Art und Gegenstand des Verfahrens und der sich daraus ergebenden Interessenlage vernünftigerweise befürchtet werden muss, der [X.] stehe aufgrund seiner persönlichen [X.]eziehung zu einem [X.]eteiligten oder dessen [X.] der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Im Regelfall reicht etwa eine bloße [X.]ekanntschaft oder auch eine lockere Freundschaft nicht aus, um aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei vernünftiger Würdigung an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln; dagegen können über das übliche Maß persönlicher oder kollegialer [X.]ekanntschaft hinausgehende freundschaftliche [X.]eziehungen oder gar eine enge Freundschaft zwischen [X.] und [X.] Umstände sein, die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des [X.]s begründen können. An die Qualität und Intensität eines als Ablehnungsgrund in [X.]etracht kommenden Freundschaftsverhältnisses zu dem [X.] einer [X.] sind höhere Anforderungen zu stellen als an ein solches Näheverhältnis zu einer [X.] selbst (vgl. [X.]VerfG, [X.] vom 29. Juni 2004 - 1 [X.]vR 336/04 - [X.]VerfGK 3, 297 <298 ff.> m. w. N.; [X.]GH, [X.]eschluss vom 2. Dezember 2015 - [X.] (R) 1/15 - HFR 2016, 417 Rn. 3 m. w. N.; [X.]FH, [X.]eschluss vom 5. September 2018 - [X.]/17 - [X.]FH/NV 2019, 37 Rn. 12 m. w. N.; [X.], [X.]eschluss vom 15. Mai 2012 - [X.]/12 - NJW-RR 2012, 1209 <1209> m. w. N.; [X.], [X.]eschluss vom 29. November 2018 - 28 W 1782/18 - juris Rn. 15; [X.], ZPO, 34. Aufl. 2022, § 42 Rn. 13).

7

Die in der dienstlichen Erklärung im vorliegenden Fall mitgeteilten Umstände einer seit mehreren Jahrzehnten bestehenden engen Freundschaft und des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen dem anzeigenden Mitglied des Senats mit dem [X.] der [X.]eklagten unter Einschluss der beiderseitigen Familien begründen nach diesen Grundsätzen die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit.

Meta

10 C 4/22

12.10.2023

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 25. August 2022, Az: OVG 12 B 25/20, Urteil

§ 54 VwGO, § 42 ZPO, § 45 Abs 1 ZPO, § 48 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.10.2023, Az. 10 C 4/22 (REWIS RS 2023, 7276)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7276

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Selbstablehnung von Richtern am BGH: Besorgnis der Befangenheit wegen Mitwirkung an einer Festschrift für den …


Referenzen
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Zitiert

2 BvE 4/13

2 BvE 2/09

1 BvR 1978/13

28 W 1782/18

XI R 45/17

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