Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.01.2019, Az. XII ZR 95/17

12. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 11169

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde: Beschwer bei Verurteilung zur Räumung und Herausgabe eines Gewerbeobjekts


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 22. Zivilsenats des [X.] vom 31. August 2017 zugelassen.

Auf die Revision des Beklagten wird das vorgenannte Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 7.771 €

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den [X.] zur Räumung und Herausgabe einer gemieteten Gewerbefläche verurteilt. Die Widerklage des [X.] hatte keinen Erfolg, soweit der Kläger auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten für die Abwehr einer Kündigung vom 20. Juli 2013 in Anspruch genommen ist. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen und den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 6.571,44 € festgesetzt. In dem vom [X.] mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Berufungsurteil hat das [X.] gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO von der Wiedergabe des Sachverhalts abgesehen und hinsichtlich der Begründung auf die protokollierten Hinweise in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

2

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die zugelassene Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

3

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist gemäß § 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO iVm § 26 Nr. 8 EGZPO statthaft. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts übersteigt der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 €.

4

Den Wert der Beschwer hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Es ist dabei weder an die Streitwertangaben der Parteien noch an die Festsetzung des Berufungsgerichts gebunden (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - [X.]/05 - juris Rn. 5 mwN).

5

Dem Berufungsurteil lässt sich zwar nicht entnehmen, was der [X.] als Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat. Aus der Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung in Verbindung mit den gestellten Anträgen ergibt sich indes, dass er die Abweisung der [X.] und eine Verurteilung des [X.] zur Zahlung von 571,44 € begehrt hat.

6

Der Wert der Beschwer der Räumungs- und Herausgabeverurteilung richtet sich gemäß § 8 ZPO vorliegend nach dem Betrag der auf die gesamte streitige [X.] entfallenden Miete, maximal nach dem 25fachen Betrag des einjährigen Entgelts. Beruft sich ein Nutzungsberechtigter gegenüber einer Kündigung auf Schutzregeln, die das Kündigungsrecht einschränken und ihm ein Recht zur Fortsetzung der Nutzung geben, so dauert die streitige [X.] im Sinne des § 8 ZPO vom [X.] bis zu dem [X.]punkt, den derjenige, der sich auf ein Nutzungsrecht beruft, als den für ihn günstigsten Beendigungszeitpunkt des Nutzungsvertrags in Anspruch nimmt. Nur wenn der Beendigungszeitpunkt ungewiss ist oder sich die streitige [X.] nicht ermitteln lässt, ist § 9 ZPO für die Bemessung der Beschwer entsprechend anwendbar und der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Entgelts anzusetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - [X.] - [X.], 724 mwN und [X.] Beschluss vom 3. April 2014 - [X.] - [X.], 353, 354 mwN).

7

Der [X.] hält die vom Kläger ausgesprochenen Kündigungen für unwirksam und beruft sich auf den 1. August 2020 als den für ihn günstigsten Beendigungszeitpunkt. Mangels tatbestandlicher Feststellungen im Berufungsurteil, das entgegen § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch keine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil enthält, ist insoweit allein von den Angaben in der Beschwerdebegründung auszugehen (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - [X.]/05 - juris Rn. 9 mwN). Als streitige [X.] im Sinne des § 8 ZPO ist daher der [X.]raum vom 29. März 2014 ([X.]) bis zum 1. August 2020 anzusehen. Der [X.] schuldete ausweislich des geschlossenen Mietvertrags bis zum 31. Juli 2014 eine Monatsmiete von 500 € und ab dem 1. August 2014 eine solche von 600 €, so dass auf die streitige [X.] eine Gesamtmiete in Höhe von 45.200 € (500 € x 4 + 600 € x 72) entfällt (vgl. [X.]/[X.] 5. Aufl. § 8 Rn. 16). Daraus ergibt sich zusammen mit dem [X.] der erfolglosen Widerklage eine die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO übersteigende Beschwer des [X.] in Höhe von insgesamt 45.771,44 €.

8

2. Die auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Der [X.] beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Die zugelassene Revision führt daher gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

9

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (Senatsbeschlüsse vom 27. September 2017 - [X.]/16 - NJW-RR 2018, 74 Rn. 7 und vom 7. September 2011 - [X.] - [X.] 2012, 268 Rn. 9 mwN).

b) Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung, nach deren Schluss es das angefochtene Urteil verkündet hat, darauf hingewiesen, dass es die Berufung für erfolglos halte und das [X.] der Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht stattgegeben habe. Zwar bestehe - entgegen der Ansicht des [X.]s - kein ordentliches Kündigungsrecht zum 11. August 2015, aber das Verhalten des [X.] reiche aus, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Aus dem Mietvertrag sei nicht erkennbar, dass der [X.] berechtigt gewesen sei, das [X.] vollständig einzuzäunen. Selbst wenn eine Zufahrt zu den nachträglich in der Nähe der Mietfläche errichteten Garagen des [X.] nur unter Verletzung des Mietrechts des [X.] möglich gewesen sein sollte, "wäre es aus [X.] beiden Parteien zuzumuten gewesen", in gewisser Weise eine Erreichbarkeit der Garagen sicherzustellen. Der [X.] hätte "insoweit auf die komplette Durchführung des Mietrechts" verzichten und der Kläger eine nicht ganz so breite Zufahrt akzeptieren müssen. Infolge der Kündigung sei der [X.] zur Räumung und Herausgabe verpflichtet, während die [X.] unbegründet sei, weil der [X.] sich nicht gegen eine unberechtigte Kündigung zur Wehr gesetzt habe.

c) Der [X.] rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht entscheidungserheblichen Vortrag des [X.] entweder nicht zur Kenntnis genommen oder zumindest nicht erwogen hat.

aa) Den protokollierten Hinweisen lässt sich zwar nicht ausdrücklich entnehmen, welche der zahlreichen Kündigungen des [X.] nach Ansicht des Berufungsgerichts zum Erfolg geführt hat. Allerdings kommt deutlich zum Ausdruck, dass ein Kündigungsrecht des [X.] ausschließlich wegen der vom [X.] vorgenommenen Einzäunung bejaht wurde. Somit kann nur diesbezügliches Verteidigungsvorbringen des [X.] übergangen worden sein.

bb) Das Berufungsgericht hat in seinen Hinweisen keine Rechtsgrundlage für die von ihm als wirksam erachtete Kündigung benannt, sondern eingangs die Auffassung geäußert, das Verhalten des [X.] reiche aus, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Im Folgenden hat es die Berechtigung des [X.] geprüft, die Mietfläche einzuzäunen. Gestützt hat sich das Berufungsgericht "insoweit auf § 313 BGB, wonach es dem [X.] nicht gestattet war, durch die Zaunerrichtung den Zugang zur Garage vollständig zu verhindern". Das Berufungsgericht scheint also von einer gestörten Geschäftsgrundlage ausgegangen zu sein, ohne dass ersichtlich wäre, ob es den Kläger dadurch zu einer fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB berechtigt gesehen oder die Kündigungsvoraussetzungen des § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB für gegeben erachtet hat. Nicht einmal ansatzweise erkennbar ist, welche Umstände zur Grundlage des Vertrags geworden sein mögen und ob bzw. wie diese sich schwerwiegend verändert haben sollen. Daher ist auch nicht nachzuvollziehen, welche Aspekte bei der Begründung der Geschäftsgrundlage bzw. deren Störung und welche bei der gebotenen Einzelfallwürdigung im Rahmen der Unzumutbarkeit (entweder des Festhaltens am unveränderten Vertrag nach § 313 Abs. 1 BGB oder der Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum vereinbarten Vertragsende nach § 543 Abs. 1 BGB) Berücksichtigung gefunden haben.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Mietvertrag sei nicht zu entnehmen, dass der [X.] berechtigt gewesen sei, das [X.] einzuzäunen. Der [X.] hat insoweit allerdings vorgetragen, er habe die von ihm angemietete Fläche, "wie mit dem Kläger bei Beginn des Mietverhältnisses besprochen", einzäunen lassen. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde hat er geltend gemacht, der Kläger habe die behauptete Vereinbarung auch zugestanden und lediglich gerügt, dass die Umzäunung zum Teil außerhalb der Mietfläche erfolgt sei. Ob das Berufungsgericht diesen Vortrag des [X.] bei seiner Entscheidung hinreichend berücksichtigt hat, kann indes nicht beurteilt werden. Dass die angefochtene Entscheidung insoweit auf einer unzureichenden Würdigung des [X.]vortrags beruht, ist mangels tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil nicht von vornherein ausgeschlossen und aufgrund des Vortrags des [X.] zu unterstellen (vgl. [X.] Beschluss vom 16. Mai 2017 - [X.]/16 - NJW 2017, 2561 Rn. 10; Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - [X.]/05 - juris Rn. 26 mwN). Der übergangene Vortrag betrifft einen entscheidungserheblichen Punkt (§ 544 Abs. 7 ZPO), da nicht auszuschließen ist, dass das Berufungsgericht bei Vorliegen der behaupteten Vereinbarung hinsichtlich der Geschäftsgrundlage, deren Störung oder der Unzumutbarkeit zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

cc) Darüber hinaus hat der [X.] vorgetragen, er habe die Umzäunung bereits wenige Wochen nach Vertragsschluss im Jahr 2010 und nicht (wie vom Kläger behauptet) erst im Juli 2013 errichtet, weshalb ein etwaiges Kündigungsrecht des [X.] jedenfalls verwirkt sei. Dass die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt auf einer unzureichenden Würdigung des [X.]vortrags beruht, ist auch insoweit mangels tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil nicht von vornherein ausgeschlossen und aufgrund des Vortrags des [X.] zu unterstellen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Vortrags eine Verwirkung des Kündigungsrechts angenommen hätte, wenn der Zaun bereits rund drei Jahre vor der Kündigung aufgestellt worden wäre (vgl. zur Verwirkung eines außerordentlichen Kündigungsrechts [X.] Urteil vom 13. Juli 2016 - [X.] - NJW 2016, 3720 Rn. 20 mwN). Im Falle einer Verwirkung wäre die Kündigung im Ergebnis nicht wirksam gewesen.

Dose     

        

Günter     

        

Nedden-Boeger

        

Guhling     

        

Krüger     

        

Meta

XII ZR 95/17

23.01.2019

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 31. August 2017, Az: 22 U 38/16

§ 26 Nr 8 ZPOEG, § 8 ZPO, § 9 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.01.2019, Az. XII ZR 95/17 (REWIS RS 2019, 11169)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11169

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