Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.08.2015, Az. 4 B 15/15

4. Senat | REWIS RS 2015, 6698

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Gegenstand

Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren


Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Das [X.]eschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache zuzulassen wäre.

3

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der [X.]eschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des [X.]undesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; so bereits [X.], [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91>; siehe auch [X.]eschluss vom 1. Februar 2011 - 7 [X.] - juris Rn. 15). Diesen Anforderungen genügt die [X.]eschwerde nicht. Sie formuliert zwar eine Rechtsfrage, die sie für grundsätzlich klärungsbedürftig hält ([X.]eschwerdebegründung S. 5), legt aber weder dar, dass und inwieweit diese Frage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig noch warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Vielmehr wendet sie sich im Stile einer [X.]erufungsbegründung gegen die Auslegung der Ziffer 6 des zwischen den [X.]eteiligten am 13. Mai 2009 geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs durch das Oberverwaltungsgericht. Das wird den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht.

4

2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es ohne mündliche Verhandlung nach § 130a VwGO entschieden hat, das Recht der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht verletzt.

5

Gemäß § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die [X.]erufung durch [X.]eschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die [X.]eteiligten sind vorher zu hören (§ 130a Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die Anhörung muss dabei erkennen lassen, dass ohne mündliche Verhandlung durch [X.]eschluss entschieden werden soll und ob das Gericht die [X.]erufung für begründet oder für unbegründet hält ([X.], Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 39.99 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 49 = juris Rn. 12). Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass sich die [X.]eteiligten zu dem beabsichtigten Verfahren äußern können ([X.], Urteil vom 21. August 1981 - 4 C 6.81 - [X.] 312 [X.] Nr. 21 = juris Rn. 11). Die - vor der [X.] nur vorläufigen - Gründe für die in [X.]etracht gezogene Sachentscheidung müssen jedoch in der Anhörungsmitteilung nicht angegeben werden ([X.], [X.]eschlüsse vom 13. Dezember 1983 - 9 [X.] 1387.82 - [X.] 312 [X.] Nr. 34 = juris Rn. 5, vom 25. September 2007 - 5 [X.] 53.07 - juris Rn. 16, vom 4. Oktober 2010 - 9 [X.] 17.10 - juris Rn. 6 und vom 28. Januar 2014 - 4 [X.] 50.13 - juris Rn. 7). Diese (formellen) Vorgaben hat das Oberverwaltungsgericht beachtet. Es hat mit Schreiben vom 12. Juni 2014 die [X.]eteiligten zur Absicht, die [X.]erufung ohne mündliche Verhandlung als unbegründet abzuweisen, angehört und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Dass die Kläger einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung widersprochen haben, macht das Verfahren nach § 130a VwGO nicht fehlerhaft ([X.], [X.]eschluss vom 11. Dezember 1997 - 2 [X.] 117.97 - juris Rn. 1 m.w.N.).

6

Werden die Voraussetzungen des § 130a VwGO beachtet, kann das [X.]erufungsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen über die [X.]erufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden. [X.]ei seiner Ermessensentscheidung kann das Gericht unterschiedliche Gesichtspunkte erwägen. Dazu gehört auch die rechtliche oder tatsächliche Komplexität des Streitfalles (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 12. März 1999 - 4 [X.] 112.98 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 35 S. 5 und vom 11. Dezember 2003 - 6 [X.] 60.03 - [X.] 442.066 § 43 TKG Nr. 3 = juris Rn. 20); das [X.]erufungsgericht ist bei Ausübung seines Ermessens nach § 130a VwGO verpflichtet, Art. 6 Abs. 1 [X.] mit dem Inhalt, den die Vorschrift in der Entscheidungspraxis des [X.] ([X.]) gefunden hat, vorrangig zu beachten (vgl. [X.], Urteil vom 16. Dezember 1999 - 4 CN 9.98 - [X.]E 110, 203 <210 ff.>; [X.]eschlüsse vom 25. September 2003 - 4 [X.] 68.03 - [X.] 140 Art. 6 [X.] Nr. 9, vom 4. August 2005 - 4 [X.] 42.05 - [X.] 140 Art. 6 [X.] Nr. 10 und vom 25. September 2007 - 5 [X.] 53.07 - juris Rn. 16). Gemessen an diesen Grundsätzen ist auch die Ermessensentscheidung des [X.] nicht zu beanstanden. Das [X.]erufungsgericht hat dargelegt, aus welchen Gründen es nach § 130a VwGO entschieden hat ([X.]). Dass diese Entscheidung auf sachfremden Erwägungen oder auf groben Fehleinschätzungen beruht (vgl. zu diesem Maßstab etwa [X.], [X.]eschluss vom 3. Februar 1999 - 4 [X.] 4.99 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 33 S. 2 m.w.N.), ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Die Kläger rügen zwar, das Oberverwaltungsgericht habe ihre [X.]erufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zugelassen; dass dann die [X.]erufung im [X.]eschlusswege ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen werde, stelle ein Novum dar, zumal unklar gewesen sei, welche Gesichtspunkte für das plötzliche Umschwenken des Senats maßgeblich gewesen seien. Damit ist ein Ermessensfehler aber nicht dargetan. Im ersten Anhörungsschreiben vom 12. Juni 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die [X.]eteiligten nicht nur zur beabsichtigten Entscheidung nach § 130a VwGO angehört, sondern auch ausgeführt, dass es die in der [X.]erufungserwiderung der [X.]eklagten vorgetragenen Argumente - nach vorläufiger Einschätzung - für überzeugend halte und deshalb beabsichtige, die [X.]erufung zurückzuweisen (GA [X.]l. 236). Im Schreiben des Gerichts vom 22. Juli 2014, das die [X.]evollmächtigten der Kläger ausweislich des [X.] am 28. Juli 2014 erhalten haben (GA [X.]l. 244, 245), hat das Oberverwaltungsgericht zusätzlich dargelegt, inwiefern im Rahmen der Zulassung der [X.]erufung Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestanden hätten. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Vorwurf der Kläger als haltlos.

7

Ferner tragen die Kläger vor, jedenfalls nach der Antragsumstellung vom ursprünglichen Feststellungsantrag auf eine allgemeine Leistungsklage mit Hilfsantrag sei es unzulässig gewesen, ohne mündliche Verhandlung nach § 130a VwGO zu entscheiden. Wie die [X.]egründung des [X.]eschlusses zeige, habe das [X.]erufungsgericht eine völlig neue rechtliche [X.]etrachtung der streitgegenständlichen Vereinbarung der [X.]eteiligten vorgenommen. Die Änderung der Klageanträge und der Umstand, dass Auslegungen solcher Art von der Vorinstanz nicht angestellt worden seien, führe dazu, dass das Oberverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung hätte durchführen müssen, in welcher es die beabsichtigte Auslegung hätte darlegen können, womit die Kläger Gelegenheit gehabt hätten, zu den einzelnen Auslegungskriterien und Ergebnissen konkret Stellung zu nehmen. Auch diese Ausführungen führen nicht auf einen Verfahrensfehler. Für die Frage, ob im Falle einer Antragsänderung im [X.]erufungsverfahren eine mündliche Verhandlung erforderlich ist oder gleichwohl nach § 130a VwGO verfahren werden kann, kommt es - im Lichte des Art. 6 Abs. 1 [X.] - maßgeblich darauf an, ob hierdurch neue, im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht relevante Rechtsfragen oder Tatsachen entscheidungserheblich werden ([X.], [X.]eschluss vom 18. Dezember 2014 - 8 [X.] 47.14 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 85 = juris Rn. 7). Ist das der Fall, dann müssen die [X.]eteiligten die Gelegenheit erhalten, sich zu den neuen entscheidungserheblichen Fragen in einer mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht zu äußern (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 10. September 1998 - 8 [X.] 102.98 - [X.] 401.9 [X.]eiträge Nr. 40 = juris Rn. 7; [X.]/[X.], VwGO, 21. Auflage 2015, § 130a Rn. 2 m.w.N.). Das gilt für neue Rechtsfragen ebenso wie für neue Tatsachenfragen, weil zu beidem rechtliches Gehör in [X.] Form zu gewähren ist. Für die [X.]eurteilung der Entscheidungserheblichkeit muss ebenso wie bei der Prüfung sonstiger Verfahrensmängel von der materiellrechtlichen Rechtsauffassung des [X.]erufungsgerichts ausgegangen werden ([X.], [X.]eschluss vom 18. Dezember 2014 a.a.[X.]). Gemessen hieran konnte das Oberverwaltungsgericht von einer mündlichen Verhandlung absehen. Kernpunkt des vorliegenden Verfahrens war sowohl in der ersten (vgl. [X.] und 4) als auch in der zweiten Instanz Wirksamkeit und Auslegung der Ziffer 6 des zwischen den [X.]eteiligten am 13. Mai 2009 geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs. Hieran änderte die Antragsumstellung mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2014 nichts, denn die Kläger trugen damit allein dem Umstand Rechnung, dass die [X.]auarbeiten am [X.] seit Mai 2014/September 2014 abgeschlossen waren und damit eine auf den Zeitraum vor [X.]eginn der Ausbaumaßnahmen bezogene Feststellungsklage ersichtlich keinen Sinn mehr machte. Sowohl vor als auch nach der Antragsumstellung ging es jedoch stets um die Frage, ob die Kläger den von ihnen behaupteten Anspruch gegen die [X.]eklagte aus Ziffer 6 des zwischen ihnen geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs herleiten können. Damit haben sich trotz Antragsumstellung weder die Tatsachengrundlagen noch die Rechtsfragen geändert. Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (vgl. [X.]) und das räumen letztlich auch die Kläger ein, in dem sie in ihrem Schriftsatz vom 1. Oktober 2014 (GA [X.]l. 250) selbst ausführen, dass die "Sache im Wesentlichen ausgeschrieben" sei. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht Ziffer 6 des Vergleichs nicht selbst ausgelegt hat, sondern der klägerischen Auslegung gefolgt ist, weil es die Regelung für nichtig hielt, zwingt zu keiner anderen [X.]eurteilung.

8

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 15/15

13.08.2015

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 18. Dezember 2014, Az: 2 L 78/12, Beschluss

§ 130a S 1 VwGO, Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.08.2015, Az. 4 B 15/15 (REWIS RS 2015, 6698)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6698

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Zur Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung nach Antragsänderung im Berufungsverfahren; Präjudizinteresse bei Anerkenntnis der Rechtswidrigkeit eines …


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