Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2014, Az. 1 AZR 807/12

1. Senat | REWIS RS 2014, 7006

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Gegenstand

Dienstvereinbarung - Schriftform - Bekanntgabe


Leitsatz

Das Schriftformerfordernis des Art. 73 Abs. 2 Satz 2 BayPVG ist gewahrt, wenn Dienststelle und Personalrat in einer Dienstvereinbarung auf eine bereits abgeschlossene Vereinbarung verweisen und diese bei Abschluss der Dienstvereinbarung in schriftlicher Form vorliegt und eindeutig bezeichnet wird.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 31. Juli 2012 - 6 [X.] 1138/11 - aufgehoben.

Die [X.]che wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung.

2

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Juli 1999 bis zum 31. Dezember 2010 beschäftigt. Nach dem von den Parteien im Oktober 2009 vereinbarten Aufhebungsvertrag endete das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung der Beklagten aus betriebsbedingten Gründen.

3

Die Beklagte schloss am 19. November 2009 mit ihrem Gesamtpersonalrat eine „Vereinbarung zur Umstellung der betrieblichen Altersversorgung“ (VO Umstellung). Nach deren [X.] sollte ab dem 1. Januar 2010 eine neue Altersversorgungsregelung in [X.] treten. [X.]I VO Umstellung lautet:

        

III. 

Anwartschaften gegenüber der Versorgungskasse

                 

Vor dem 01.01.2002 eingetretene Beschäftigte können ihre Anwartschaft gegenüber der Versorgungskasse nach Maßgabe der folgenden Regelungen in die [X.] überführen. Ausgenommen hiervon sind Beschäftigte, die nach der Vereinbarung ‚Strategie der [X.] - Personelle Veränderungsprozesse - vom 01.02.2008‘ - (Instrumentarium zum Personalabbau) eine Beendigungsvereinbarung abgeschlossen haben oder auf dieser Grundlage abschließen werden.

                 

…“    

4

Die in [X.]I Satz 2 VO Umstellung genannte Vereinbarung (Strategiepapier) ist zwischen der Beklagten und ihrem Personalrat abgeschlossen worden.

5

Den Wunsch des [X.], seine Anwartschaft in die neue Versorgungsordnung zu überführen, lehnte die Beklagte ab.

6

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er könne trotz des Aufhebungsvertrags den Wechsel in das neue Versorgungssystem beanspruchen. Der in [X.]I Satz 2 VO Umstellung enthaltene Ausschluss sei sachlich nicht gerechtfertigt. Die Bestimmung sei nicht [X.] vereinbart. Das dort in Bezug genommene Strategiepapier sei nie veröffentlicht oder den Mitarbeitern zugänglich gemacht worden.

7

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, die bis zum 31. Dezember 2010 erdienten Anwartschaften des Klägers in der betrieblichen Altersversorgung ab dem 1. Januar 2010 nach den Regelungen der „Versorgungsordnung 2010“ gemäß Dienstvereinbarung vom 19. November 2009 zu behandeln;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger so zu stellen, als ob er einem Angebot zum Wechsel des Versorgungssystems gemäß Nr. III. 2. fristgemäß zugestimmt hätte;

                 

hilfsweise

                 

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger anzubieten, seine Versorgungsanwartschaften - rückwirkend zum 1. Januar 2010 in die „Versorgungsordnung 2010“ gemäß Dienstvereinbarung vom 19. November 2009 - zu überführen.

8

Die Beklagte hat die Abweisung der Anträge beantragt.

9

Das Arbeitsgericht hat die erstinstanzlich noch anders formulierten Anträge abgewiesen. Das [X.] hat nach Auslegung der neu formulierten Anträge die Beklagte zur Annahme eines vom Kläger abgegebenen Angebots verurteilt, seine bis zum 31. Dezember 2009 erworbenen Versorgungsansprüche gemäß Dienstvereinbarung vom 19. November 2009 in die Versorgungsordnung 2010 zu überführen und ihn ab 1. Januar 2010 nach dieser Versorgungsordnung zu versichern. Mit der Revision beantragt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.] ist begründet. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung kann der Klage nicht entsprochen werden. In der vom Berufungsgericht tenorierten Fassung ist der Hauptantrag zwar zulässig. Das [X.] hat allerdings zu Unrecht die Regelung in Nr. III Satz 2 [X.] Umstellung für unwirksam gehalten. Der [X.] kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des [X.]s nicht entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf Annahme seines Angebots auf Überführung seiner Anwartschaft in das neu geschaffene Versorgungssystem hat. Dies führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz.

I. Entgegen der Auffassung der Revision hat das [X.] bei der Auslegung der Klageanträge nicht § 308 Abs. 1 ZPO verletzt. Der [X.] im angefochtenen Urteil betrifft keinen anderen Streitgegenstand als den vom Kläger zur Entscheidung gestellten.

1. Nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist ein Gericht nicht befugt, einer [X.] etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Umgekehrt darf die beklagte [X.] nicht zu etwas anderem verurteilt werden als zu dem, worauf sie ihre Verteidigung einrichten musste. Das Gericht darf und muss aber ein Weniger zuerkennen, wenn ein solches Begehren im jeweiligen Sachantrag enthalten ist. Etwas anderes gilt, wenn es sich nicht um ein Weniger, sondern um ein Aliud handelt. Ob dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen und Ansprüchen sowie dem erkennbaren Begehren des Klägers ab ([X.] 14. März 2012 - 7 [X.] - Rn. 22). Diesem steht das Recht zu, den Streitgegenstand durch seinen Antrag zu bestimmen. Entscheidend sind nicht allein die wörtlichen Formulierungen von Antrag und Urteilsausspruch, sondern deren - ggf. durch Auslegung zu ermittelnden - streitgegenständlichen Inhalte. Dazu sind die Anträge möglichst so auszulegen, dass sie die von der klagenden [X.] erstrebte Sachentscheidung zulassen (vgl. [X.] 17. September 2013 - 1 [X.] - Rn. 10).

2. Danach liegt ein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vor.

Die ursprünglichen [X.] waren zwar wegen fehlender Vollstreckbarkeit nicht hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das [X.] war aber entsprechend dem vom Kläger schriftsätzlich beschriebenen Klageziel zur Auslegung seiner Anträge berechtigt und auch verpflichtet (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dieser wollte die Überführung seiner Anwartschaft in das neue Versorgungssystem erreichen. Dazu hatte er die Beklagte vorprozessual um die Abgabe eines entsprechenden Angebots gebeten, was die Beklagte jedoch abgelehnt hat. Anders als von der Revision angenommen, wollte der Kläger neben diesem Klageziel nicht noch die gesonderte Feststellung erreichen, dass er beim Wechsel in das neue Versorgungssystem eine Prämie beanspruchen kann. Dies hat der Kläger in der Berufungsinstanz ausdrücklich klargestellt. Das [X.] konnte seine Ausführungen in der Klageschrift als ein für die Überführung notwendiges Angebot ansehen, dessen Annahme er von der [X.] verlangt. Es ist auch weder ersichtlich noch von der [X.] dargetan, dass deren Rechtsverteidigung gegen den erhobenen Anspruch durch die vom [X.] vorgenommene Auslegung verkürzt wird.

II. Entgegen der Auffassung des [X.]s ist Nr. III Satz 2 [X.] Umstellung nicht nach § 125 Satz 1 BGB nichtig.

1. Dienststellenleitung und Gesamtpersonalrat haben bei Abschluss der [X.] Umstellung das Schriftformerfordernis des Art. 73 Abs. 2 Satz 2 [X.] gewahrt.

a) Nach § 126 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB muss die Urkunde, wenn durch Gesetz die schriftliche Form vorgeschrieben ist, vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden. Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der [X.]en auf derselben Urkunde erfolgen, die das gesamte formbedürftige Rechtsgeschäft enthalten muss. Bezugnahmen sind unzulässig, wenn sich Angaben, die für den Vertragsinhalt wesentlich sind, ausschließlich aus Umständen außerhalb der Urkunde ergeben. Diese sich aus dem Übereilungsschutz von Verträgen ergebenden Anforderungen finden auf das Schriftformgebot des Art. 73 Abs. 2 Satz 2 [X.] jedoch keine Anwendung. Beim Abschluss von Dienstvereinbarungen soll die Schriftform Zweifel über den Inhalt der vereinbarten Normen ausschließen. Die [X.] müssen aus der Verweisung nur erkennen können, welchen Inhalt die abgeschlossene Dienstvereinbarung hat. Dies erfordert, dass das Bezugsobjekt bei Abschluss der Dienstvereinbarung in schriftlicher Form vorliegt und von einem darauf bezogenen Verweis in eindeutiger Form bezeichnet wird (vgl. [X.] 3. Juni 1997 - 3 [X.] - zu II 1 b aa der Gründe).

b) Diesen Anforderungen genügt die [X.] Umstellung.

aa) Die Vertragsurkunde ist gemäß Art. 73 Abs. 2 Satz 2 [X.] von dem Dienststellenleiter und dem Gesamtpersonalratsvorsitzenden unterzeichnet worden. Das Formerfordernis ist auch in Bezug auf das von der [X.] und ihrem Personalrat unterzeichnete Strategiepapier erfüllt, das Gegenstand der in Nr. III Satz 2 [X.] Umstellung enthaltenen Verweisung ist. Von der Bezugnahme umfasst ist der gesamte Inhalt des Strategiepapiers. Dienststellenleiter und Gesamtpersonalrat haben sich nicht darauf beschränkt, nur einen Teil des Strategiepapiers in die [X.] Umstellung einzubeziehen. Dessen Inhalt musste zur Wahrung des Formerfordernisses allerdings weder in der [X.] Umstellung wiederholt noch musste ein unterzeichnetes Exemplar des Strategiepapiers mit der [X.] Umstellung körperlich verbunden werden. Die in deren Nr. III Satz 2 enthaltene Bezeichnung des Strategiepapiers sorgt für ausreichende Rechtssicherheit. Die von der [X.] Umstellung erfassten Beschäftigten können erkennen, welchem Personenkreis die [X.] die Überführung von Anwartschaften in das neu geschaffene Versorgungssystem ermöglicht haben.

bb) Entgegen der Auffassung des [X.]s ist das Schriftformerfordernis des Art. 73 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht von der Bekanntgabe der in Bezug genommenen Regelung abhängig. Das Publikationserfordernis setzt vielmehr eine unter Wahrung des Schriftformerfordernisses vereinbarte Dienstvereinbarung voraus. Für die Einhaltung des [X.] ist es daher ohne Bedeutung, ob auch die in Bezug genommene Dienstvereinbarung in der Dienststelle in geeigneter Form vollständig oder nur in Teilen bekannt gemacht worden ist. Die für den Abschluss einer Dienstvereinbarung notwendige Willensübereinstimmung zwischen Dienststellenleiter und Personalrat ist ausreichend dokumentiert, wenn die Bezugnahme auf das außerhalb der Urkunde bestehende Schriftstück von den Unterschriften der unterzeichnenden Personen umfasst ist.

2. Die [X.] Umstellung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil das in deren Nr. III Satz 2 in Bezug genommene Strategiepapier nicht vollständig in der Dienststelle bekannt gemacht worden ist.

a) Dienstvereinbarungen nach Art. 73 [X.] bedürfen zu ihrer Wirksamkeit keiner gesonderten Bekanntmachung. Nach dessen Abs. 2 Satz 2 sind sie von beiden Seiten zu unterzeichnen und in geeigneter Weise bekanntzumachen. Bei dem so normierten [X.] handelt es sich nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Dienstvereinbarung (zur gleichlautenden Vorschrift in § 74 [X.] BE: BVerwG 9. März 2012 - 6 P 27/10 - Rn. 11), sondern um eine aus dem personalvertretungsrechtlichen Rechtsverhältnis ergebende Pflicht der Dienststelle. Nicht dem Personalrat, sondern dem Dienststellenleiter obliegt es, die in der Dienststelle Beschäftigten über die mit dem Personalrat gemeinsam beschlossene Dienstvereinbarung in geeigneter Weise zu informieren. Anders als gesetzliche Regelungen oder solche in einer Rechtsverordnung unterliegt die Bekanntmachung von Rechtsnormen einer Dienstvereinbarung wegen ihrer auf die Dienststelle beschränkten Wirkung nicht dem [X.], sondern nur einer hierfür geeigneten Bekanntmachung in der Dienststelle. Durch Art. 73 Abs. 2 Satz 2 [X.] ist sichergestellt, dass die [X.] aufgrund der Bekanntmachung durch den Dienststellenleiter von den sich aus der Dienstvereinbarung für sie ergebenden Rechten und Pflichten Kenntnis erlangen können. Dies genügt den für [X.] geltenden rechtsstaatlichen Anforderungen und entspricht der für Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG geltenden Rechtslage ([X.] 17. April 2012 - 3 [X.] - Rn. 40).

b) Zwar hat die Beklagte ihre sich aus Art. 73 Abs. 2 Satz 2 [X.] ergebende Pflicht nur ungenügend erfüllt. Aufgrund der Verweisung in Nr. III Satz 2 [X.] Umstellung war sie nicht nur zu deren Bekanntmachung, sondern auch zu der des Strategiepapiers verpflichtet. Diese Pflichtverletzung lässt die Wirksamkeit der [X.] Umstellung jedoch unberührt, weil deren Gültigkeit nicht von einem besonderen [X.] abhängt.

III. Das Urteil des [X.]s ist insgesamt aufzuheben und der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Der [X.] kann über den mit der Klage erhobenen Anspruch wegen der unzureichenden Feststellungen des Berufungsgerichts zum Inhalt des Strategiepapiers nicht in der Sache entscheiden. Darüber hinaus muss der Kläger Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen zu dem ihm gegenwärtig noch nicht vollständig bekannten Strategiepapier erhalten. Die Beklagte hat dieses bisher nur in Auszügen vorgelegt. Dies ist wegen der in Nr. III Satz 2 [X.] Umstellung enthaltenen Bezugnahme auf das gesamte Strategiepapier nicht ausreichend. Der Inhalt von betrieblichen Normen ist nach § 293 Satz 2 ZPO als Bestandteil des auf den Sachverhalt anzuwendenden Rechts in Gänze zu ermitteln und daraufhin zu überprüfen, ob er den erhobenen Anspruch betrifft.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    [X.]    

        

    M. Seyboth    

                 

Meta

1 AZR 807/12

18.03.2014

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 28. September 2011, Az: 19 Ca 3630/11, Urteil

Art 73 Abs 2 S 2 PersVG BY 1986, § 126 BGB, § 77 Abs 2 S 1 BetrVG, § 77 Abs 2 S 3 BetrVG, § 308 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2014, Az. 1 AZR 807/12 (REWIS RS 2014, 7006)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7006

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1 ABR 6/18

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