Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.02.2013, Az. 2 AZR 433/12

2. Senat | REWIS RS 2013, 7955

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Gegenstand

Außerordentliche Kündigung - Zeitpunkt der Anhörung des Personalrats


Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Februar 2012 - 4 [X.]/10 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war bei dem Beklagten - einer [X.] Gemeinde - seit 1998 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Er hatte die Funktion des Leiters der EDV inne. Auf sein Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst ([X.]) Anwendung. Laut Arbeitsvertrag war er zunächst in Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1a zum [X.] eingruppiert.

3

Im Juni 2009 hörte der Beklagte den Kläger erstmals zu einem Verdacht auf [X.] an. Am 29. Juni 2009 beschloss der Gemeinderat, dem Kläger den Abschluss eines Aufhebungsvertrags anzubieten. Da der Kläger das Angebot nicht annahm, führte der Beklagte weitere Ermittlungen durch. Zu deren Ergebnissen wurde der Kläger am 11. November 2009 angehört. Er nahm am 19. November 2009 zu den Vorwürfen Stellung.

4

Auf der Tagesordnung der nächsten Sitzung des Gemeinderats des Beklagten am 2. Dezember 2009 hieß es unter Punkt 3.3:

        

„[Name des Klägers]: Beratung und ggf. Beschlussfassung über arbeitsrechtliche Konsequenzen.“

5

Am Sitzungstag beschloss der Gemeinderat gegen Mitternacht, die Beratung und Beschlussfassung über die den Kläger betreffende Angelegenheit auf den 8. Dezember 2009 zu vertagen. In dieser Sitzung informierte der erste Bürgermeister den Gemeinderat über die nach Abschluss der Ermittlungen gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe. Der Gemeinderat beschloss daraufhin, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich zu kündigen.

6

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 hörte der erste Bürgermeister den Personalrat unter Schilderung der Vorwürfe zu dieser Absicht an. Der Personalrat verweigerte mit Schreiben vom 17. Dezember 2009 die Zustimmung. Er rügte, dass er nicht vor der endgültigen Entscheidung des Gemeinderats beteiligt worden sei, und vertrat die Auffassung, die vom Beklagten vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Es beständen zudem „erhebliche rechtliche Bedenken am Zeitpunkt“ des Kündigungsausspruchs.

7

Am 18. Dezember 2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des [X.] außerordentlich fristlos.

8

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Er habe seine Arbeitszeit stets korrekt erfasst. Zudem sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden. Der Beklagte habe schon die Ermittlungen zu zögerlich durchgeführt. Spätestens am 2. Dezember 2009 aber sei die Frist in Lauf gesetzt worden, weil die Angelegenheit an diesem Tag sogar auf der Tagesordnung gestanden habe. Auch sei die Beteiligung des Personalrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Sie hätte vor und nicht erst nach einer endgültigen Beschlussfassung des Gemeinderats durchgeführt werden müssen.

9

Der Kläger hat, soweit für die Revision von Belang, beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18. Dezember 2009 nicht beendet worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, der Kläger habe im Zeitraum von August 2008 bis Mai 2009 in mindestens zwölf Fällen etwa zehn bis fünfzehn Minuten vor dem Betreten des Dienstgebäudes telefonische „Kommt-Buchungen“ vorgenommen und dadurch die Erfassung seiner Arbeitszeit manipuliert. Um den im Juni 2009 entstandenen Anfangsverdacht belegen zu können, habe es umfangreicher Ermittlungen bedurft, welche erst im November 2009 abgeschlossen gewesen seien. Die Angelegenheit sei sodann auf die Tagesordnung der nächsten Gemeinderatssitzung gesetzt worden. Um Mitternacht sei es für keinen der Beteiligten mehr zumutbar gewesen, auch die Angelegenheit des [X.] noch zu behandeln. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Erst nachdem seine Stellungnahme vorgelegen habe, habe der erste Bürgermeister die Kündigung ausgesprochen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das [X.] die außerordentliche Kündigung nicht als unwirksam ansehen. Seine Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Sache war an das [X.] zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der [X.] kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

I. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil der erste Bürgermeister des [X.]n den [X.] nicht selbst gefasst, sondern einen Beschluss des Gemeinderats ausgeführt hat. Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass der Gemeinderat gem. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] für den Ausspruch der Kündigung zuständig war. Der Kläger gehört als ursprünglich in Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1a zum [X.] eingruppierter Arbeitnehmer mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zur Gruppe der „Arbeitnehmer ab [X.] 9 [X.]“ iSd. Vorschrift.

II. Die Kündigung ist nicht wegen unzureichender Anhörung des Personalrats unwirksam (Art. 77 Abs. 3, Abs. 4 [X.]). Entgegen der Auffassung des [X.]s musste diese gem. Art. 77 Abs. 3 [X.] zwar vor Ausspruch der Kündigung, nicht aber entsprechend Art. 70 Abs. 1 Satz 4, Satz 5 [X.] schon vor dem endgültigen [X.] des Gemeinderats erfolgen. Es kann deshalb dahinstehen, ob ein Verstoß gegen diese Vorschrift zur Fehlerhaftigkeit der Personalratsanhörung und Unwirksamkeit der Kündigung führen würde.

1. Gem. Art. 77 Abs. 3 [X.] ist der Personalrat vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen.

2. Eine bestimmte zeitliche Reihenfolge von Anhörung des Personalrats und Beschlussfassung des Gemeinderats ist gesetzlich nicht vorgesehen.

a) Allerdings soll nach Art. 70 Abs. 1 Satz 4 [X.] bei Gemeinden die Mitbestimmung erfolgen, bevor das zuständige Organ endgültig entscheidet. Der Beschluss des Personalrats ist dem zuständigen Organ zur Kenntnis zu bringen. Diese Regelung gilt gem. Art. 72 Abs. 1 Satz 3 [X.] entsprechend für Maßnahmen, an denen der Personalrat - wie bei der ordentlichen Kündigung (Art. 77 Abs. 1 Satz 1 [X.]) - mitwirkt.

b) Dagegen wird für das in Art. 77 Abs. 3 [X.] geregelte Verfahren der Anhörung vor außerordentlichen Kündigungen nicht auf die Bestimmung des Art. 70 Abs. 1 Satz 4 [X.] verwiesen. Die Notwendigkeit einer Anhörung des Personalrats vor der Beschlussfassung des Gemeinderats lässt sich deshalb - anders als offenbar das [X.] angenommen hat - nicht unmittelbar aus einer gesetzlich gebotenen Anwendung von Art. 70 Abs. 1 Satz 4 [X.] ableiten.

c) Für eine analoge Anwendung der in Fällen der Mitwirkung des Personalrats geltenden Verweisungsregelung des Art. 72 Abs. 1 Satz 3 [X.] auf die Fälle der Anhörung des Personalrats iSv. Art. 75 Abs. 3 [X.] ist kein Raum.

aa) Auch wenn der Wortsinn des Gesetzes die Grenze der Auslegung markiert, ist er für die Rechtsanwendung durch die Gerichte keine unübersteigbare Grenze. Der [X.] hat nicht zwingend am Wortsinn einer Norm haltzumachen ([X.] 14. Februar 1973 - 1 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, [X.]E 34, 269). Sowohl seitens der Methodenlehre als auch von [X.] wegen kann es für ihn wegen der Bindung an Gesetz „und Recht“ nach Art. 20 Abs. 3 GG geboten sein, das vom Gesetz Gewollte gegen das im Gesetz Gesagte zur Geltung zu bringen. Zur [X.] Gesetzesanwendung durch Analogie oder wortsinnunterschreitenden Nichtanwendung des Gesetzes durch teleologische Reduktion bedarf es dabei einer besonderen Legitimation. Analoge Gesetzesanwendung setzt voraus, dass der [X.] nicht erfasste, dh. gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von [X.]n nach der gleichen Rechtsfolge verlangt, wie die [X.] erfassten Fälle. [X.] Reduktion setzt umgekehrt voraus, dass der [X.] erfasste, dh. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um [X.] zu vermeiden ([X.] 14. Februar 2007 - 7 [X.] - Rn. 55, [X.]E 121, 212; 29. September 2004 - 1 [X.] [X.] 2 b der Gründe, [X.]E 112, 100).

bb) Hier ist eine analoge Anwendung von Art. 72 Abs. 1 Satz 3, Art. 70 Abs. 1 Satz 4 [X.] auf die Fälle der Anhörung des Personalrats nach Art. 75 Abs. 3 [X.] nicht geboten. Die Sachverhalte von Mitbestimmung/Mitwirkung auf der einen und bloßer Anhörung des Personalrats auf der anderen Seite sind zu verschieden, als dass sie nach einer gleichen Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens verlangten. In den Fällen der Mitbestimmung und der Mitwirkung sehen Art. 70 bzw. Art. 72 [X.] mehrstufige Verständigungsverfahren zwischen Dienststellenleiter und Personalrat vor, wenn dieser der beabsichtigten Maßnahme seine Zustimmung versagt bzw. Einwendungen gegen sie erhebt. Der Dienststellenleiter kann die beabsichtigte Maßnahme nicht wirksam durchführen, wenn er das betreffende weitere Verfahren nicht einhält. Bei seiner endgültigen Entscheidung soll das zuständige Gemeindeorgan deshalb mögliche Verweigerungsgründe bzw. Einwendungen des Personalrats kennen, um angesichts ihrer beurteilen zu können, ob es an der beabsichtigten Maßnahme trotz ihrer zumindest vorläufigen Undurchführbarkeit und der Notwendigkeit eines Verständigungsverfahrens nach Art. 70 bzw. Art. 72 [X.] festhalten will. Diese wegen Art. 77 Abs. 1 [X.] für die ordentliche Kündigung gegebene Situation liegt bei außerordentlichen Kündigungen nicht vor. Auch wenn der Personalrat im Rahmen der Anhörung nach Art. 77 Abs. 3 [X.] Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung erhebt, ist der Dienststellenleiter nicht gehalten, vor Ausspruch der Kündigung das Verfahren nach Art. 72 Abs. 3, Abs. 4 [X.] einzuhalten. Er kann die Kündigung vielmehr - wie der Arbeitgeber nach § 102 [X.] - trotz der Bedenken des Personalrats erklären, ohne weitere verfahrensrechtliche Vorgaben beachten zu müssen. Damit wiederum verlangen Gleichheitssatz und gesetzliche Wertungskonsistenz nicht danach, Art. 70 Abs. 1 Satz 4 [X.] über das geschriebene Gesetz hinaus auf die Fälle einer Anhörung des Personalrats nach Art. 77 Abs. 3 [X.] entsprechend anzuwenden.

cc) Eine analoge Anwendung ist auch nicht deshalb geboten, weil nur so Sinn und Zweck einer Anhörung des Personalrats gewahrt und erreicht werden könnten. Zwar soll die Anhörung den Arbeitgeber dazu veranlassen, eine geplante Kündigung zu überdenken, sich mit den Argumenten des Personalrats auseinanderzusetzen und ggf. von der Kündigung Abstand zu nehmen (vgl. [X.] 27. November 2008 - 2 [X.]/07 - Rn. 36, [X.] 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4; zu § 102 [X.] [X.]/[X.] 10. Aufl. § 102 [X.] Rn. 8). Dieser Zweck wird jedoch auch dann nicht verfehlt, wenn dem Gemeinderat in den Fällen der außerordentlichen Kündigung die Stellungnahme des Personalrats bei seiner Beschlussfassung noch nicht bekannt ist. Dem Schutzzweck der Personalratsbeteiligung ist vielmehr durch die Bestimmungen der [X.] Gemeindeordnung hinreichend Rechnung getragen. Der erste Bürgermeister führt nicht nur den Vorsitz im Gemeinderat und vollzieht als ausführendes Organ dessen Beschlüsse (Art. 36 [X.]). Der Gesetzgeber hat ihm auch die Funktion des [X.] iSv. Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 [X.] und in Art. 43 Abs. 3 [X.] die des Dienstvorgesetzten der Beamten und Angestellten der Gemeinde übertragen. Im Rahmen dieser Funktionen gehört die eigenständige Durchführung der Personalratsanhörung zu seinen gesetzlichen Aufgaben. Damit hat ihm der Gesetzgeber eine - wenn auch nicht stets das Kündigungsrecht als solches umfassende - partielle Personalkompetenz zugewiesen. In deren Rahmen hat er die Pflicht zur sachlichen Beurteilung. Sie verlangt von ihm, die Stellungnahme des Personalrats gewissenhaft inhaltlich zu prüfen und die Angelegenheit dem Gemeinderat für den Fall, dass die Stellungnahme zu Bedenken an der Berechtigung des [X.] Anlass gibt, erneut zuzuleiten.

d) Die [X.]srechtsprechung steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Nach der Entscheidung vom 18. Mai 1994 (- 2 [X.] - zu III 1 b der Gründe, [X.] BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6) ist zwar umgekehrt die Personalratsanhörung nicht deshalb fehlerhaft, weil sie ohne Vorliegen eines [X.] des zuständigen Gremiums durchgeführt wurde, um dieses erst anschließend und unter Vorlage der Stellungnahme des Personalrats mit der Angelegenheit zu befassen. Das bedeutet aber nicht, dass die hier eingeschlagene Vorgehensweise rechtswidrig wäre.

3. Danach ist die Anhörung des Personalrats ordnungsgemäß erfolgt. Dieser ist am 14. Dezember 2009 unter Schilderung des aus Sicht des [X.]n kündigungsrelevanten Sachverhalts über die beabsichtigte Kündigung unterrichtet worden. Der Kläger hat die inhaltliche Richtigkeit der Information nicht gerügt. Der Personalrat hat binnen dreier Tage unter Angabe formaler und inhaltlicher Gründe erklärt, seine Zustimmung zur Kündigung zu verweigern. Damit war das Anhörungsverfahren nach Maßgabe von Art. 77 Abs. 3 [X.] am 17. Dezember 2009 - also vor Ausspruch der Kündigung - ordnungsgemäß abgeschlossen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Stellungnahme des Personalrats dem ersten Bürgermeister Anlass dafür hätte sein müssen, den Gemeinderat vor der Ausführung des [X.]es erneut mit der Sache zu befassen.

III. Die Entscheidung des [X.]s erweist sich derzeit nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend. Die außerordentliche Kündigung ist nach den bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil der [X.] die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hätte.

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen.

a) Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der [X.] von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der [X.] eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände ([X.] 22. November 2012 - 2 [X.] - Rn. 30; 27. Januar 2011 - 2 [X.] - Rn. 15, [X.]E 137, 54). Der [X.], der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - [X.] BGB § 626 Nr. 231 = EzA BPersVG § 108 Nr. 5; 17. März 2005 - 2 [X.] [X.] der Gründe, [X.] BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9). Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. [X.] ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren ([X.] 25. November 2010 - 2 [X.] - aaO; 5. Dezember 2002 - 2 [X.] - zu [X.] c bb (1) der Gründe, [X.] BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1).

b) Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den [X.]n auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern [X.] übertragen worden sind ([X.] 23. Oktober 2008 - 2 [X.] - Rn. 21, [X.] BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 26. November 1987 - 2 [X.] - [X.] 6g Nr. 13). Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach [X.] und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der [X.] ohne weitere eigene Nachforschungen seine ([X.] abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers ([X.] 23. Oktober 2008 - 2 [X.] - Rn. 22, aaO; 18. Mai 1994 - 2 [X.] - zu II 3 a der Gründe, [X.] BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6; [X.]/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 355 mwN; [X.]/Preis 10. Aufl. Rn. 810). Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht ([X.] 23. Oktober 2008 - 2 [X.] - Rn. 22, aaO; 18. Mai 1994 - 2 [X.] - aaO; [X.]/Fischermeier § 626 BGB Rn. 355).

2. Danach hat der [X.] die Erklärungsfrist gewahrt.

a) Maßgebend für den Beginn der Frist ist im Streitfall die Kenntnis des Gemeinderats als des gem. Art. 43 [X.] kündigungsberechtigten Organs. Dieser hatte erst aufgrund der Erörterungen in der Sitzung vom 8. Dezember 2009 Kenntnis von den aus seiner Sicht eine außerordentliche Kündigung begründenden Tatsachen erlangt. Diese waren ihm weder mit der Ladung noch in der Sitzung vom 2. Dezember 2009 mitgeteilt worden. Zwar war der Gemeinderat bereits am 29. Juni 2009 mit Vorwürfen gegen den Kläger befasst. An diesem Tag wurde jedoch lediglich beschlossen, dem Kläger einen Aufhebungsvertrag anzubieten. Falls er diesen nicht annähme, sollten weitere Ermittlungen durchgeführt werden. Der Gemeinderat besaß zu diesem Zeitpunkt noch keine aus seiner Sicht hinreichenden, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Kenntnisse.

b) Der [X.] muss sich die schon länger währende Kenntnis seines ersten Bürgermeisters von den dem [X.] zugrunde liegenden Umständen nicht zurechnen lassen. Der erste Bürgermeister hat zwar als Vorgesetzter der Gemeindebediensteten und Vorsitzender des Gemeinderats eine herausgehobene Stellung (vgl. [X.] 18. Mai 1994 - 2 [X.] - zu II 3 b der Gründe, [X.] BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6). Die Tatsache, dass der Gemeinderat erst am 8. Dezember 2009 von den aus seiner Sicht kündigungsrelevanten Tatsachen Kenntnis erlangt hat, beruht aber nicht auf einem Organisationsverschulden.

aa) Es stellt kein solches Verschulden dar, dass der Gemeinderat seine turnusgemäßen Sitzungen im Abstand von mehreren Wochen abhält. Der Gemeinderat muss nicht im Vorhinein mit Blick auf mögliche, nur im Ausnahmefall notwendig werdende außerordentliche Kündigungen einen engeren Sitzungsrhythmus einplanen. Nach dem Schutzzweck des § 626 Abs. 2 BGB ist es unbedenklich, eine außerordentliche Kündigung in der turnusmäßig nächsten Sitzung eines Gemeinderats zu beraten. Für den Arbeitnehmer iSv. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] ist erkennbar, dass der erste Bürgermeister auch bei eigener Kenntnis der aus seiner Sicht eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Umstände eines Beschlusses des Gemeinderats bedarf und dieser in der Regel erst in der nächsten Sitzung herbeigeführt werden kann ([X.] 18. Mai 1994 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.] BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6).

bb) Es kann nicht als Organisationsmangel angesehen werden, dass der erste Bürgermeister keine Sondersitzung des Gemeinderats einberufen hat. Mit Blick auf die Größe des Gremiums und die einzuhaltenden [X.] hätte dies einen nicht gerechtfertigten Aufwand verursacht (vgl. [X.] 18. Mai 1994 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.] BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6).

cc) Es ist dem [X.]n nicht anzulasten, dass der Gemeinderat die Beratung über eine Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger nicht mehr - nach Mitternacht - in der Sitzung vom 2. Dezember 2009 erörtert, sondern diesen Tagesordnungspunkt um sechs Tage auf die Sitzung vom 8. Dezember 2009 vertagt hat. Dies erscheint mit Blick auf die Belange der Gemeinderatsmitglieder und die Interessen des [X.], der einen Anspruch auf sorgfältige Beratung der ihn betreffenden personellen Angelegenheit hat, als vertretbare Verzögerung. Der Gemeinderat hat - anders als der Kläger gemeint hat - personelle Maßnahmen in der Sitzung am 2. Dezember 2009 nicht vorrangig behandeln müssen. Dem Gemeinderat steht in Bezug auf die Reihenfolge der Beratungen ein Beurteilungsspielraum zu. Den hat er im Streitfall nicht überschritten. Es ist nicht unsachlich oder willkürlich, die Tagesordnungspunkte in der vom Vorsitzenden in der Einladung vorgegebenen Reihenfolge abzuhandeln. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - nicht von vornherein mit der Vertagung eines oder mehrerer Tagesordnungspunkte zu rechnen ist.

IV. Das [X.] hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB gegeben war. Ebenso wenig ist es dem Vortrag des [X.] nachgegangen, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei aufgrund der zögerlichen Durchführung der Ermittlungen bereits vor dem 2. Dezember 2009 verstrichen gewesen. Über beides vermag der [X.] mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht selbst zu entscheiden.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

        

        

    Söller    

        

    B. Schipp    

                 

Meta

2 AZR 433/12

21.02.2013

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Nürnberg, 6. Juli 2010, Az: 13 Ca 127/10, Urteil

Art 77 Abs 3 PersVG BY 1986, Art 77 Abs 1 S 4 PersVG BY 1986, Art 77 Abs 1 S 5 PersVG BY 1986, Art 72 Abs 1 S 3 PersVG BY 1986, Art 75 Abs 3 PersVG BY 1986, § 626 Abs 2 S 1 BGB, § 626 Abs 2 S 2 BGB, Art 43 Abs 1 S 1 Nr 2 GemO BY

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.02.2013, Az. 2 AZR 433/12 (REWIS RS 2013, 7955)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7955

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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