Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2023, Az. 1 BvR 2353/22

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2023, 2261

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung des Elternrechts (Art 6 Abs 2 S 1 GG) durch längerfristiger Umgangsausschluss wegen erheblichen sexuellen Kindesmissbrauchs - § 159 Abs 2 Nr 1 FamFG gilt auch in der Beschwerdeinstanz


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsgründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den längerfristigen Ausschluss des Umgangsrechts.

I.

2

Der Beschwerdeführer ist Vater von drei im Oktober 2010, im März 2012 sowie im Dezember 2017 geborenen Kindern, die aus der mittlerweile geschiedenen Ehe mit deren Mutter hervorgegangen sind.

3

Ende März 2019 hatte der Beschwerdeführer sein ältestes, damals 9-jähriges Kind erheblich sexuell missbraucht. Das auf eine Selbstanzeige des Beschwerdeführers eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, weil nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit (vgl. § 20 StGB) des Beschwerdeführers bei Begehung der Tat nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Mutter verließ nach der Tat mit den Kindern den Beschwerdeführer. Seitdem hat er keinen Kontakt mehr zu diesen.

4

Im hier zugrundeliegenden Ausgangsverfahren hatte das Familiengericht den Umgang des Beschwerdeführers mit seinen beiden älteren Kindern bis zum 31. Juli 2023 ausgeschlossen und für das jüngste Kind eine befristete Umgangspflegschaft sowie einen monatlich stattfindenden zweistündigen Umgang des Beschwerdeführers in Anwesenheit der Umgangspflegerin angeordnet. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers, der Mutter und der für die Kinder bestellten [X.] hin änderte das [X.] die amtsgerichtliche Entscheidung unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen mit angegriffenem Beschluss vom 22. November 2022 ab und schloss den Umgang des Beschwerdeführers mit allen drei Kindern auf der Grundlage von § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB bis zum 31. Dezember 2024 aus. Ohne den Ausschluss wäre die geistig-seelische Entwicklung der Kinder konkret gefährdet. Für die beiden älteren Kinder ergebe sich dies vor allem daraus, dass sie seit längerer Zeit Umgangskontakte nachhaltig ablehnten. Der entsprechende Wille sei auch beachtlich. Insbesondere bei dem ältesten Kind sei angesichts dessen mit der Person des Beschwerdeführers verbundener Traumafolgenstörung besonders wichtig, selbst über Kontakte entscheiden zu können, weil anderenfalls Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle drohten. Für das jüngste Kind würden allein von ihm wahrzunehmende Umgangskontakte bei vehementer Ablehnung solcher durch die älteren Geschwister eine sehr schwierige Situation herbeiführen. Es sei zu erwarten, dass er die von seinen Geschwistern kommunizierten Ängste vor Umgängen mit dem Beschwerdeführer übernehmen und dadurch ganz erheblich belastet würde. Da die beiden älteren Kinder zudem auch Umgänge des jüngsten Kindes mit dem Beschwerdeführer ablehnten und deren eventuelle Durchführung bei ihnen große Ängste und Sorgen verursache, wirkten sich solche Umgänge auch auf ihr Wohl erheblich nachteilig aus.

5

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angegriffenen Beschluss in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

II.

6

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] (§ 93a Abs. 2 [X.]) liegen nicht vor.

7

Der angeordnete längerfristige Umgangsausschluss hält trotz des bereits seit Ende März 2019 fehlenden Kontakts des Beschwerdeführers zu seinen Kindern den verfassungsrechtlichen Anforderungen (zu diesen [X.], Beschlüsse der [X.] des [X.] vom 16. Juni 2021 - 1 BvR 709/21 -, Rn. 9 f. und vom 25. Mai 2022 - 1 BvR 326/22 -, Rn. 13; Beschlüsse der [X.] des [X.] vom 27. Dezember 2022 - 1 BvR 1943/22 -, Rn. 13 ff. und vom 20. Januar 2023 - 1 BvR 2345/22 -, Rn. 10 jeweils m.w.[X.]) auch unter Berücksichtigung der aus Art. 8 Abs. 1 [X.] folgenden Gewährleistungen (vgl. dazu [X.], [X.], Entscheidung vom 17. Mai 2011, Nr. 9732/10, §§ 27 ff.) noch stand. Der Beschwerdeführer ist nicht in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

8

Ausgehend von den dem Verfassungsrecht entsprechenden Voraussetzungen von § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. Mai 2022 - 1 BvR 326/22 -, Rn. 13) hat das [X.] den längerfristigen Umgangsausschluss auf eine bei Durchführung von Umgängen eintretende Gefährdung des Wohls aller drei Kinder gestützt. Die drohenden [X.] hat es dabei zwischen den Kindern differenzierend nach Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit noch hinreichend konkret benannt. Für die entsprechenden Feststellungen kann es sich vor allem mit dem bereits durch das Familiengericht eingeholten psychologischen Sachverständigengutachten, der mündlichen Erläuterung dieses Gutachtens vor dem [X.] selbst sowie der Anhörung der [X.] und des Jugendamtes auf eine hinreichend zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung stützen (vgl. [X.]E 55, 171 <182>).

9

Die Ausgestaltung des fachgerichtlichen Verfahrens durch das [X.] lässt auch ansonsten keine Mängel erkennen, die an der Eignung und Angemessenheit zur wirkungsvollen Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen (vgl. [X.]E 84, 34 <49>) zweifeln ließen und insoweit zu einer Verletzung des Elternrechts des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG führen könnten. So dürfte bereits fachrechtlich nicht grundsätzlich zu beanstanden sein, dass das [X.] unter Berufung auf § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG von einer Anhörung der betroffenen Kinder im Beschwerdeverfahren abgesehen hat. Die Vorschrift gilt auch dort (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Oktober 2018 - [X.] 411/18 -, Rn. 15). Seine Anwendung ist nach zum Fachrecht vertretener Auffassung nicht durch § 68 Abs. 5 FamFG ausgeschlossen, vielmehr ist es Aufgabe des [X.], das Vorliegen der Voraussetzungen von § 159 Abs. 2 FamFG in der Beschwerdeinstanz zu beurteilen (vgl. [X.], FamRZ 2021, S. 1510 <1512>). Ob das [X.] fachrechtlich ohne Rechtsfehler von einer eigenen Anhörung der Kinder aus § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG abgesehen hat, ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht zu entscheiden. Wegen der erstinstanzlich durchgeführten und dokumentierten Kindesanhörungen sowie der vom [X.] selbst vorgenommenen Sachverhaltsaufklärung einschließlich der Anhörung der Sachverständigen stand dem Gericht eine zuverlässige Tatsachengrundlage für die nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB maßgebliche Beurteilung von [X.] zur Verfügung. Damit ist den aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Anforderungen an die Verfahrensgestaltung genügt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Februar 2022 - 1 BvR 1655/21 -, Rn. 11; Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Juli 2022 - 1 BvR 580/22 -, Rn. 19 jeweils m.w.[X.]).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2353/22

03.04.2023

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 22. November 2022, Az: 8 UF 110/22, Beschluss

Art 6 Abs 2 S 1 GG, § 90 BVerfGG, § 1684 Abs 4 S 2 BGB, § 68 Abs 5 FamFG, § 159 Abs 2 Nr 1 FamFG, Art 8 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2023, Az. 1 BvR 2353/22 (REWIS RS 2023, 2261)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2261

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