Bundespatentgericht, Urteil vom 14.06.2022, Az. 6 Ni 17/20 (EP)

6. Senat | REWIS RS 2022, 5026

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Gegenstand

Patentnichtigkeitssache - "Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut" – Neuheit – erfinderische Tätigkeit


Tenor

betreffend das europäische Patent EP 1 618 915 ([X.] 50 2004 002 831)

hat der 6. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2022 durch die Vorsitzende Richterin [X.] sowie [X.], Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer, Dr.-Ing.[X.] und Dr. Söchtig

für Recht erkannt:

[X.] Die Klage wird abgewiesen.

I[X.] Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II[X.] [X.] ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die [X.] in [X.] Verfahrenssprache erteilten, [X.] Patents 1 618 915 (im Folgenden: „Streitpatent“) mit der Bezeichnung „Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut“. Das Streitpatent, das am 21. Juli 2004 angemeldet und dessen Erteilung am 31. Januar 2007 veröffentlicht worden ist, nimmt keine Priorität in Anspruch und wird beim [X.] unter dem Aktenzeichen [X.] 2004 002 831.4 geführt. Eine korrigierte Fassung des Streitpatents ist am 3. November 2021 als [X.] veröffentlicht worden.

2

In seiner für das Hoheitsgebiet der [X.] geltenden Fassung umfasst das Streitpatent, welches von der Klägerin vollumfänglich angegriffen wird, insgesamt neun Patentansprüche. Der unabhängige Patentanspruch 1 beansprucht Schutz für eine Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos. Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 8 sind mittelbar oder unmittelbar auf diesen Anspruch rückbezogen. Der ebenfalls auf einen der vorhergehenden Ansprüche rückbezogene [X.] betrifft die Verwendung einer Vorrichtung zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos auf eine Haut.

3

Patentanspruch 1 lautet in der maßgeblichen [X.] Sprachfassung:

4

Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos, mit:

5

 - einem Gehäuse (1),

6

- einer in dem Gehäuse (1) geführten Nadel (2), die zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar ist, und

7

- einer Membran (12) aus einem elastisch dehnbaren Material, wobei mit Hilfe der Membran (12) in dem Gehäuse (1) ein vorderseitiger Raum (1a) auf einer Vorderseite der Membran (12) und ein rückseitiger Raum (1b) auf einer Rückseite der Membran (12) getrennt sind,

8

wobei mit Hilfe eines Kopplungsmechanismus die Nadel (2) und die Membran (12) für eine Rückbewegung der Nadel (2) in Richtung der eingefahrenen Stellung fest miteinander gekoppelt sind und wobei über den Kopplungsmechanismus eine von der Membran (12) erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel (2) in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel (2) eingeleitet wird,

9

dadurch gekennzeichnet, dass

die Membran (12) dehnbare Abschnitte (14) aufweist, die in einer nicht gedehnten Grundform der Membran (12) im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel (2) gebildet sind.

Patentanspruch 9 hat folgenden Wortlaut:

Verwendung einer Vorrichtung nach einem der vorangehenden Ansprüche zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos auf eine Haut.

Wegen des Wortlauts der erteilten [X.] 2 bis 8 wird auf die [X.] [X.] Bezug genommen.

Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des Streitpatents in vollem Umfang. Sie macht den [X.] der fehlenden Patentfähigkeit geltend, wobei sie sich auf mangelnde Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit beruft, Artikel II § 6 Absatz Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Absatz 1 Buchst. a, Art. 54, 56 EPÜ.

Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Unterlagen:

[X.] [X.] 356 645 [X.], veröffentlicht am 1. Mai 2000;

[X.]a Übersetzung der [X.] 356 645 [X.];

[X.]b Figurengegenüberstellung der Figur 1 der [X.] und der Figur 1 der Streitpatentschrift;

[X.] [X.] 299 19 199 [X.], veröffentlicht am 20. Januar 2000;

[X.] [X.] 5,616,132, veröffentlicht am 1. April 1997;

[X.] Auszug aus „Schüler [X.] – [X.]“ (1974) zum Begriff „elastisch“;

[X.] [X.] 103 43 590 [X.], veröffentlicht am 21. April 2005.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 9 in ihrer geltenden Fassung seien durch jeweils eine der Druckschriften [X.], [X.] oder [X.] neuheitsschädlich vorweggenommen. Außerdem seien die Gegenstände der Patentansprüche 1, 4 bis 6 und 8 gegenüber der Druckschrift [X.] nicht neu. Zudem beruhten die jeweiligen Gegenstände der geltenden Patentansprüche ausgehend von den Druckschriften [X.], [X.] oder [X.] in Verbindung mit dem Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Auch die Unteransprüche enthielten nichts Patentfähiges.

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 1 618 915 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in seiner Fassung gemäß Hilfsantrag 1 vom 1. Juni 2022 richtet.

Die Fassung des [X.] vom 1. Juni 2022 entspricht dem Gegenstand des Streitpatents in seiner geltenden Fassung, wobei lediglich im unabhängigen Patentanspruch 1 das Wort „insbesondere“ gestrichen ist.

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent in seiner geltenden Fassung, zumindest aber in der Fassung gemäß Hilfsantrag 1 für patentfähig.

Die Klägerin widerspricht dem und bezieht sich zur mangelnden Patentfähigkeit des Patentanspruchs 1 in seiner Fassung nach Hilfsantrag 1 auf ihre zur geltenden Fassung ausgeführte Begründung.

Der Senat hat den Parteien am 13. April 2022 einen frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Absatz 1 [X.] zukommen lassen und im Termin vom 14. Juni 2022 einen ergänzenden rechtlichen Hinweis erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2022 sowie auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der geltend gemachte [X.] der mangelnden Patentfähigkeit, Art. II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Absatz 1 lit. a EPÜ i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ, liegt nicht vor. Das Streitpatent erweist sich in seiner erteilten Fassung als neu, erfinderisch und mithin als rechtsbeständig.

1. Die Erfindung betrifft eine Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos (vgl. [X.], Absatz [0001]).

In der Beschreibung wird ausgeführt, dass eine solche Vorrichtung beispielsweise aus der [X.] Patentschrift [X.] 505 530 [X.] bekannt sei. Bei der aus dem Stand der Technik bekannten Vorrichtung werde zum Aufbringen eines Tattoos eine Nadel wiederholt in die Haut gestochen, sodass Farbstoff in flüssiger Form in die Haut eindringen könne. Der Antrieb der Nadel erfolge dabei mit Hilfe eines [X.]. Um das Vordringen von Flüssigkeiten – sowohl Farbstoff als auch Körperflüssigkeiten – in den Bereich der Antriebseinrichtung zu verhindern, sei bei der bekannten Vorrichtung in dem Gehäuse eine [X.] aus einem elastisch dehnbaren Material angeordnet. Diese [X.] trenne einen vorderseitigen Gehäuseteil von einem rückseitigen Gehäuseteil dicht ab. Dabei werde die Nadel durch einen Durchbruch in der [X.] geführt und von einer Dichtlippe umgriffen, die im Betrieb auf der Nadel gleite. Die Nadel werde dabei mit Hilfe der von der Antriebseinrichtung erzeugten Antriebskraft in ihre ausgefahrene Stellung gebracht. Das Zurückholen der Nadel in die eingefahrene Stellung erfolge mit Hilfe einer in dem Gehäuse angeordneten [X.]iralfeder (vgl. [X.], Absatz [0002] bis [0004]).

Dem Streitpatent liegt daher die Aufgabe zugrunde, eine verbesserte Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos, anzugeben, die über einen vereinfachten mechanischen Aufbau verfügt (vgl. [X.], Absatz [0007]).

2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent (EP 1 618 915 [X.]) in Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

 1.1 Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut, insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos, mit:

 1.2 - einem Gehäuse (1),

- einer in dem Gehäuse (1) geführten Nadel (2), die zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar ist, und

1.3 - einer [X.] (12) aus einem elastisch dehnbaren Material, wobei mit Hilfe der [X.] (12) in dem Gehäuse (1) ein vorderseitiger Raum (1a) auf einer Vorderseite der [X.] (12) und ein rückseitiger Raum (1b) auf einer Rückseite der [X.] (12) getrennt sind,

1.4 wobei mit Hilfe eines Kopplungsmechanismus die Nadel (2) und die [X.] (12) für eine Rückbewegung der Nadel (2) in Richtung der eingefahrenen Stellung fest miteinander gekoppelt sind und
1.5 wobei über den Kopplungsmechanismus eine von der [X.] (12) erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel (2) in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel (2) eingeleitet wird,

 dadurch gekennzeichnet, dass

 1.6 die [X.] (12) dehnbare Abschnitte (14) aufweist, die in einer nicht gedehnten Grundform der [X.] (12) im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel (2) gebildet sind.

3. Zuständiger Fachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents und für den Vergleich mit dem Stand der Technik ankommt, ist ein Ingenieur mit Hochschulabschluss in der Fachrichtung Maschinenbau oder Feinwerktechnik, der eine mehrjährige Erfahrung in der Produktentwicklung für apparative Kosmetik aufweist.

4. Dieser Fachmann geht bei den Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 von folgendem Verständnis aus:

Patentanspruch 1 betrifft eine Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut (Merkmal 1.1). Diese Vorrichtung muss dazu geeignet sein, die Haut mehrfach hintereinander so aufzustechen, dass sie zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos zum Einsatz kommen kann. Die Angabe innerhalb des Merkmals 1.1 „insbesondere zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos“ beschreibt, dass die in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Vorrichtung räumlich-gegenständlich so ausgestaltet sein muss, dass sie diesen Einsatzzweck zu erfüllen vermag (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 20. August 2019, [X.], veröffentlicht in juris, Rdnr. 33, 34, 93 u. 94 - Patentfähigkeit einer Datenkommunikation für autonome Fahrzeuge).

Absatz [0021] der [X.] weist darauf hin, dass die Vorrichtung bestimmungsgemäß noch zu einem zusätzlichen Einsatzzweck Verwendung finden kann. Dort ist alternativ zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos das „Applizieren eines Wirkstoffs“ genannt. Nachdem das „Applizieren eines Wirkstoffs“ jedoch keinen Eingang in den [X.] gefunden hat, ist eine Vorrichtung, die sich nicht zum Tätowieren und nicht zum Aufbringen von permanentem Make-up eignet, nicht anspruchsgemäß.

In Absatz [0019] der [X.] ist zudem beschrieben, dass die beanspruchte Vorrichtung die mit der Erfindung verbundenen Vorteile bei der Verwendung zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos auf der Haut entfaltet.

Dieser Auslegung entsprechen die in der [X.] geschilderten Ausführungsbeispiele. Insbesondere die dort dargestellte erste Ausführungsform geht von einer Eignung zu diesem Einsatzzweck aus, indem sie voraussetzt, dass die Vorwärts- und Rückwärtsbewegung der Nadel 2 mit hoher Frequenz wiederholt wird (vgl. [X.], Absatz [0022], Zeile 53, [X.]ur 1).

Abbildung

Das Gehäuse 1 mit der darin geführten Nadel 2 kann beispielsweise als Einwegmodul ausgeführt sein, welches lösbar an ein – in [X.]ur 1 nicht dargestelltes – [X.] angekoppelt wird (vgl. [X.], [X.]ur 1, Absatz [0003] u. [0018] sowie Ansprüche 7 u. 8). Das [X.] ist nicht Gegenstand des Patentanspruchs 1.

Zur Überzeugung des Senats widerspricht eine Auslegung, wonach die Vorrichtung im Sinne des Merkmals 1.1 dazu geeignet sein muss, die Haut mehrfach hintereinander aufzustechen, nicht dem Gegenstand des abhängigen Patentanspruchs 8. Patentanspruch 8 sieht vor, dass das Gehäuse 1 als ein „Einwegmodul“ ausgeführt ist. Entgegen einer in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht ist der Begriff „Einweg“ dabei nicht so zu verstehen, dass die Nadel nur einmal einen Weg mache, wie dies beispielsweise bei einem [X.] zum Applizieren eines Arzneimittels der Fall ist. Der Begriff „Einwegmodul“ ist vielmehr im Sinne eines Einmalprodukts zu verstehen, welches aufgrund der hygienischen Anforderungen nur zur Anwendung an einer einzigen Person für eine einzige Anwendung verwendet wird.

Gemäß Merkmal 1.2 soll die Nadel 2 zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar sein. Der Patentanspruch 1 legt nicht fest, ob die Nadelspitze 3 der Nadel 2 bei der zurückgefahrenen Stellung vollständig vom Gehäuse 1 umgeben sein soll, wie dies in [X.]ur 1 dargestellt ist. Mit Patentanspruch 1 sind damit auch Ausführungsformen umfasst, bei denen die Nadelspitze 3 der Nadel 2 in der eingefahrenen Stellung aus dem Gehäuse übersteht (vgl. [X.], Absatz [0021]).

[X.] des Streitpatentgegenstands liegt in der Ausgestaltung der [X.] 12.

Gemäß Merkmal 1.3 umfasst die Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut eine [X.] 12 aus einem elastisch dehnbaren Material, wobei mit Hilfe der [X.] 12 in dem Gehäuse 1 ein vorderseitiger Raum 1a auf einer Vorderseite der [X.] 12 und ein rückseitiger Raum 1b auf einer Rückseite der [X.] 12 getrennt sind.

Nach Merkmal 1.4 ist die [X.] 12 mit Hilfe eines Kopplungsmechanismus für eine Rückbewegung der Nadel 2 fest mit der Nadel 12 gekoppelt. Der Patentanspruch 1 beschreibt den Kopplungsmechanismus nicht näher. Der Fachmann kann dem Streitpatent aber entnehmen, dass eine feste Kopplung bereits dann vorliegt, wenn ein Abschnitt 11 der ausgelenkten [X.] 12 gegen den [X.] drückt (vgl. [X.], [X.]. 1 i. V. m. Absatz [0025] u. Anspruch 2). Alternativ oder ergänzend kann vorgesehen sein, dass auf dem Umfang der Nadel 2 eine Vertiefung gebildet ist, in welche die [X.] 12 eingreift (vgl. [X.], Absatz [0026]).

Merkmal 1.5 sieht vor, dass eine über den Kopplungsmechanismus von der [X.] 12 erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel 2 in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel 2 eingeleitet wird. Dies bedeutet nicht nur, dass die Auslenkung der elastischen [X.] eine Feder- bzw. Rückholkraft erzeugt, welche auf die Nadel eingeleitet – also übertragen – wird. Das Merkmal fordert implizit auch, dass die Rückholkraft groß genug sein muss, um die Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung bewegen zu können. Dabei ist auch der Fall umfasst, dass die Nadel über [X.] zurückgeholt wird, selbst wenn die Nadel starr mit dem Antriebsbauteil verbunden ist (vgl. [X.], Absatz [0013]).

Damit kommt der [X.] eine Doppelfunktion zu. Zum einen verhindert sie den Rückfluss von Farbe und Wundflüssigkeit in den rückseitigen Raum 1b, an dem das [X.] angekoppelt ist. Zum anderen erzeugt die gedehnte [X.] eine Rückholkraft, um die Nadel 2, die rutschfest an der [X.] fixiert ist, aus ihrer ausgefahrenen Stellung in Richtung der eingefahrenen Stellung zurückzubewegen (vgl. [X.], Absätze [0009] u. [0025]). Dass die Nadel mittels der von der [X.] 12 erzeugten Rückholkraft dann auch tatsächlich in die eingefahrene Stellung zurückgeholt wird, ist nicht Gegenstand des Patentanspruchs 1.

Der Wortlaut des Merkmals 1.6 verlangt, dass die [X.] 12 dehnbare Abschnitte 14 aufweist, die in einer nicht gedehnten Grundform der [X.] 12 im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel 2 gebildet sind. Für den fachkundigen Leser ist erkennbar, dass die dehnbaren Abschnitte, welche im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel 2 verlaufen sollen, in [X.]ur 1 nicht durch das Bezugszeichen „14“, sondern durch das Bezugszeichen „13“ gekennzeichnet sind (vgl. hierzu auch die Angaben im Absatz [0025]). Das im Merkmal angegebene Eignungsadjektiv „dehnbar“ definiert die [X.] dahingehend, dass sie nicht nur räumlich-körperliche Merkmale erfüllt, sondern auch so ausgebildet ist, dass sie für den im Merkmal 1.5 angegebenen Zweck, und zwar dem Erzeugen einer Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel, verwendbar ist. Die dehnbaren Abschnitte 13 können beispielsweise aus Gummi gefertigt sein (vgl. Absatz [0023]) und sollen so angeordnet sein, dass sie in Längsrichtung der Nadel gedehnt werden können. Die Formulierung „im Wesentlichen in Längsrichtung“ schließt eine räumliche Ausgestaltung der [X.] mit ein, bei der die dehnbaren Abschnitte parallel zur Nadelachse verlaufen. Das Merkmal umfasst aber auch den Fall, wonach die [X.] dehnbare Abschnitte aufweist, die in Längsrichtung in einem Winkel zur Nadelachse angeordnet sind (vgl. [X.], Absatz [0016] i. V. m. [X.]. 1 u. 2B).

Die vorstehenden Ausführungen zur Auslegung des Patentanspruchs 1 gelten gleichermaßen für das Verständnis des nebengeordneten [X.] 9, welcher den Einsatzzweck der Vorrichtung („Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos“) konkret angibt.

II.

1. Patentanspruch 1 erweist sich in seiner erteilten Fassung als rechtsbeständig, sein Gegenstand ist patentfähig. Der geltend gemachte [X.] der fehlenden Patentfähigkeit ist nicht gegeben.

a) Der Gegenstand nach dem erteilten Patentanspruch 1 ist neu gegenüber dem von der Klägerin angeführten Stand der Technik.

aa) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu gegenüber Druckschrift [X.].

Die Druckschrift [X.] betrifft eine Tätowiermaschine für Körper und Augenbrauen mit automatischer Farbmittelabgabe (vgl. Anspruch 1 der [X.] Übersetzung gemäß [X.]a). [X.]ur 1 stellt ein Ausführungsbeispiel der Tätowiermaschine dar, wobei die Nadel 42 zum lokalen Aufstechen der Haut über einen Exzenter-Übertragungsmechanismus 36 angetrieben wird. Damit offenbart die Druckschrift eine Vorrichtung entsprechend Merkmal 1.1.

Abbildung

[X.]ur 2 zeigt eine ausschnittsweise Darstellung des [X.]s, welches als auswechselbares Einwegmodul ausgeführt ist (vgl. [X.], letzter Absatz der [X.] Übersetzung). Das [X.] umfasst ein Gehäuse, welches aus dem [X.] und der [X.] gebildet wird. Die Nadel 42 ist mittels einer Steckverbindung fest in der Nadelklemmhalterung 40 eingespannt und wird in dem Gehäuse derart geführt, dass sie zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar ist (vgl. [X.]. 2 i. V. m. Anspruch 1 u. S. 16, zweiter Absatz, [X.], [X.] 6-19 der [X.] Übersetzung; Merkmal 1.2). Dabei kann die Länge der Nadelspitze, die im ausgefahrenen Zustand aus dem Gehäuse hervorsteht, durch die Stecktiefe der Nadelhülse 44 variiert werden.

Das Tätowiergerät weist ein als [X.] zu verstehendes flexibles [X.] 16 auf (vgl. [X.]. 1, 2). Dieses ist aus einem elastisch dehnbaren Material, dehnbaren Material, wie zum Beispiel Gummi (vgl. Anspruch 9 u. S. 15, [X.] 6-8 der [X.] Übersetzung). Bei der Montage des Tätowiergeräts wird das flexible [X.] 16 von unten über das Rohr 58 geschoben, so dass es eng anliegt. Damit sich das flexible [X.] 16 nicht unbeabsichtigt lösen kann, besitzt das flexible [X.] 16 eine ringförmige Ausbuchtung 60, welche in die [X.] 62 des [X.] eingreift (vgl. [X.]. 2 i. V. m. Anspruch 2 u. S. 15, [X.] 3-21 der [X.] Übersetzung). Entsprechend Merkmal 1.3 trennt das flexible [X.] 16 einen vorderseitigen Raum von einem rückseitigen Raum dicht ab, um zu verhindern, dass Farbe und Körperflüssigkeit in den Antriebsbereich der Tätowiermaschine eindringen kann (vgl. Zusammenfassung auf S. 1 u. Brückenabsatz S. 9/10 der [X.] Übersetzung). Die [X.] Übersetzung der Druckschrift [X.] führt aus, dass das flexible [X.] 16 an der Nadel befestigt ist und zur [X.] beiträgt (vgl. [X.], [X.] 6-13). Der Fachmann geht davon aus, dass das flexible [X.] 16 durch die Klemmkräfte der Passung entlang der Nadelsteckführungsrille 22 gehalten wird. Der Fachmann entnimmt der [X.] auch, dass die Klemmkräfte groß genug sind, um das flexible [X.] 16 zusammen mit der Nadel 42 auf- und abschwingen zu lassen (vgl. Anspruch 9 u. [X.], [X.] 16-19 der [X.] Übersetzung). Dies bedeutet, dass die Nadel 42 und das flexible [X.] 16 für eine Rückbewegung der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung fest miteinander gekoppelt sind. Damit ist auch ein Kopplungsmechanismus entsprechend Merkmal 1.4 offenbart. Wie vorstehend beschrieben, umgibt das flexible [X.] 16 das Rohr 58. Damit weist die [X.] dehnbare Abschnitte auf, die entsprechend Merkmal 1.6 in einer nicht gedehnten Grundform des flexiblen [X.]s im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel gebildet sind (vgl. [X.]. 2 u. Anspruch 9).

Damit offenbart auch Druckschrift [X.] eine Doppelfunktion der [X.] (vgl. [X.], [X.] 16-29). Zum einen soll sie verhindern, dass Farbe und Blut in den Antrieb dringen können. Zum anderen soll durch das nadelsynchrone [X.] des flexiblen [X.]s 16 ein Druck im Farbmittelbehälter erzeugt werden, der die Farbmittelabgabe steuert. Der Druckschrift ist aber nicht zu entnehmen, dass die durch die Dehnung des [X.]s erzeugte Federkraft – die unzweifelhaft an der Nadel anliegt und damit dort auch eingeleitet wird – groß genug ist, die Nadel 24 mitsamt ihrer Achsstange 38 in Richtung der eingefahrenen Stellung zurückzuholen. Das ist auch nicht erforderlich, da sowohl das Aus- als auch das Einfahren der Nadel 24 über einen starren Exzenter-Übertragungsmechanismus 36 erfolgt (vgl. [X.]. 1). Demnach ist eine von der [X.] erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel nicht offenbart (Merkmal 1.5 fehlt).

bb) Auch die Druckschrift [X.] zeigt keine Vorrichtung zum lokalen Aufstechen der Haut mit allen Merkmalen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1.

Die Druckschrift [X.] beschreibt ein Tattoo-Handgerät, bestehend aus einem Grundmodul mit integriertem Antrieb und einem thermoplastisch gefertigten Einweg-[X.] (vgl. Anspruch 1). Eine Vorrichtung gemäß Merkmal 1.1 ist damit offenbart.

Die [X.]uren 1 bis 5 zeigen verschiedene Ausführungsformen des wechselbaren [X.]s. Jedes der gezeigten [X.]e umfasst ein Gehäuse, bestehend aus einem [X.] 1 und einem Gehäusevorderteil 2. Im Gehäuse befindet sich jeweils eine thermoplastisch eingespritzte Nadel 8. Diese ist zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung gelagert (vgl. [X.]. 1-5, u. S. 5, vorletzter Absatz; Merkmal 1.2). Außerdem verfügt jedes der [X.]e über eine [X.] 5 aus einem elastisch dehnbaren Material, beispielsweise Gummi (vgl. [X.]. 1 bis 5, Anspruch 13 u. [X.], zweiter Absatz). Mit Hilfe der [X.] 5 wird in dem Gehäuse des Geräts ein vorderseitiger Raum auf einer Vorderseite der [X.] und ein rückseitiger Raum auf einer Rückseite der [X.] [X.] voneinander getrennt (vgl. Anspruch 11 u. 13, [X.], fünfter Absatz u. [X.], zweiter Absatz; Merkmal 1.3). [X.]ur 3 zeigt ein Ausführungsbeispiel, bei dem der [X.] mittig durch die [X.] 5 geführt wird. Dabei ist die [X.] 5 U-förmig ausgestaltet.

Abbildung

Das Austreten von Farbe in den rückseitigen Raum des [X.]s soll unter anderem dadurch verhindert werden, dass eine ringförmige Dichtwulst der [X.] 5 am [X.] gleitfähig anliegt (vgl. [X.], zweiter Absatz). Die in [X.]ur 3 gezeigte U-förmige [X.] 5 weist dabei dehnbare Abschnitte auf, die entsprechend Merkmal 1.6 in einer nicht gedehnten Grundform des flexiblen [X.]s im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel gebildet sind (vgl. auch [X.], drittletzter Absatz). Die Druckschrift [X.] offenbart keinen Kopplungsmechanismus zwischen der Nadel 8 und der [X.]. Zumindest eine feste Kopplung für eine Rückbewegung der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung ist nicht vorgesehen.

Eine Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel geht damit von der [X.] 5 nicht aus. Im Gegenteil, der [X.] weist einen Magneten 10 auf, über den eine kraftschlüssige Verbindung mit einem nicht dargestellten Antrieb erfolgt (vgl. Ausführungsbeispiele gem. [X.]. 1 bis 3, [X.], dritter Absatz).

Abbildung

Im alternativen Ausführungsbeispiel nach [X.]ur 5 wird die Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel 8 nicht mit einem Magneten, sondern mit einer Rückholfeder 12 erzeugt. Die Druckschrift [X.] sieht nicht vor, dass die Nadel und die [X.] für eine Rückbewegung der Nadel fest miteinander gekoppelt sind, und über den Kopplungsmechanismus eine von der [X.] erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel eingeleitet wird. Die Merkmale 1.4 und 1.5 sind der Druckschrift somit nicht zu entnehmen.

cc) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist auch neu gegenüber der Druckschrift [X.].

Die Druckschrift [X.] betrifft kein Tätowiergerät. Beschrieben wird eine Vorrichtung zur einmaligen subkutanen Injektion eines Arzneimittels. Das [X.] ist so konstruiert, dass die Injektionsnadel [X.] in die Haut eines Patienten einstechen kann. Danach muss das gesamte [X.] entsorgt werden (vgl. [X.]. 1, [X.] 45-48). Das [X.] verfügt über ein Gehäuse 10, in dem eine Nadel 20 zwischen einer ausgefahrenen Stellung (extended position) und einer eingefahrenen Stellung (normal position) verlagerbar ist (vgl. Zusammenfassung im Brückenabsatz [X.].1/2, [X.]. 5a-5c; Merkmal 1.2).

Abbildung

[X.]ur 3 zeigt den Injektor mit eingefahrener Nadel 20. Das Medikament, das durch die Haut in den Körper injiziert werden soll, befindet sich in dem [X.] 32 oberhalb einer scheibenförmigen [X.] 18. Die [X.] 18 besteht aus einem elastisch dehnbaren Material, die einen vorderseitigen Raum auf der Vorderseite der [X.] von einem rückseitigen Raum auf der Rückseite der [X.] trennt (vgl. [X.]. 3; Merkmal 1.3). Die [X.], die U-förmig ausgebildet ist, trennt die Räume dabei [X.]. Sobald der [X.] ausgelöst wird, entweicht ein unter Druck stehendes Treibgas aus der Kammer 40 (vgl. [X.]. 5a). Das Treibgas strömt durch die Öffnung 56 in den Bereich oberhalb der [X.] 18 (diaphragm) und drückt diese nach unten. Die Nadel 20, die über ein Stützelement 30 fest mit der [X.] 18 gekoppelt ist, verlagert dabei ihre Position in die ausgefahrene Stellung (vgl. [X.]. 5b, 5c). Das Stützelement 30 ist im Sinne des Streitpatents als Kopplungsmechanismus anzusehen (Merkmal 1.4). Ebenso wird der Stempel 24 in der [X.] nach unten gedrückt, so dass das Medikament durch die Hohlnadel 20 fließen Hohlnadel 20 fließen kann. Wenn in dem Gehäuse ein Druckausgleich stattgefunden hat, wird entsprechend Merkmal 1.5 über den Kopplungsmechanismus eine von der [X.] 18 erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel eingeleitet (vgl. [X.]. 4, [X.] 44-47: under the influence of its own resilience). Die U-förmige [X.] 18 weist dehnbare Abschnitte auf, die in einer nicht gedehnten Grundform der [X.] 18 im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel 20 gebildet sind (vgl. [X.] 3, 5a; Merkmal 1.6).

Mit dem [X.] ist nur ein einziger Stechvorgang möglich. Zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos ist es [X.] weder ausgebildet noch nutzbar. Insbesondere ist das [X.] nicht dazu geeignet, die Haut mehrfach hintereinander aufzustechen. Demnach fehlt die beschränkende Zweckangabe des Merkmals 1.1, wonach es sich bei der Vorrichtung zum Aufstechen einer Haut insbesondere um eine Vorrichtung handelt, die zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos geeignet ist (vgl. hierzu die Ausführungen im Abschnitt zur Auslegung).

dd) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu gegenüber Druckschrift [X.].

Die nachveröffentlichte und nach Art. 54 Absatz 3 i. V. m. Art. 89 EPÜ nur für die Neuheitsprüfung relevante Druckschrift [X.] war bereits in der [X.] als Stand der Technik genannt. Sie betrifft ein Aufsatzmodul für Tattoo- und Permanent-Make-up-Geräte mit einer Schutzhülle (vgl. Bezeichnung der [X.]). Damit ist eine Vorrichtung zum lokalen Aufstechen einer Haut gemäß Merkmal 1.1 offenbart (vgl. Anspruch 1, Absätze [0001], [0002] u. [0052]). Das Aufsatzmodul weist ein Gehäuse ([X.] 10) auf. In der [X.] 10 befindet sich eine Nadel 20, welche zwischen einer ausgefahrenen Stellung und einer eingefahrenen Stellung verlagerbar ist (vgl. [X.]. 4; Merkmal 1.2).

Abbildung

Um zu verhindern, dass während der Tätowierung Blut und Serum an das Griffstück gelangen, ist eine Schutzhülle für das wiederverwendbare Handgerät vorgesehen (vgl. [X.]. 6b). [X.]ur 4 zeigt ein Aufsatzmodul mit einer solchen [X.], die aus einem elastisch dehnbaren Material besteht und im ungebrauchten Zustand noch aufgerollt ist. Wird das Aufsatzmodul auf das [X.] gesteckt, wird die Schutzhülle über das Handgerät abgerollt (vgl. [X.]. 6b u. Absätze [0020], [0056]). Die [X.] wird dabei zwischen der [X.] 10 und dem [X.]nhalter 50 eingeklemmt und dient dort als [X.], durch welche die Nadel 20 geführt ist (vgl. [X.]. 4 u. Absätze [0066], [0067]). Die restlichen Abschnitte der Schutzhülle 30, die außerhalb des zusammengestecktes Gerätes aufgerollt sind, sind nicht als Teile der [X.] anzusehen. Der innerhalb des zusammengesteckten Geräts liegende Teil der Schutzfolie trennt entsprechend Merkmal 1.3 einen vorderseitigen Raum von einem rückseitigen Raum ab (vgl. [X.]. 4 u. Absatz [0056]). Im Absatz [0090] ist beschrieben, dass die Schutzhülle 30 unlösbar mit dem Nadelträger 40 und/oder der Nadeldüse verbunden sein kann, beispielsweise durch Verkleben oder Verschweißen. Damit ist ein Kopplungsmechanismus offenbart, der die Nadel 20 und die Schutzhülle 30 für eine Rückbewegung der Nadel 20 in Richtung der eingefahrenen Stellung fest miteinander koppelt. Über den Kopplungsmechanismus kann damit eine von der Schutzhülle 30 30 erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel 20 in Richtung der eingefahrenen Stellung auf die Nadel 20 eingeleitet werden (vgl. Absätze [0035] u. [0096]). Damit offenbart die Druckschrift [X.] die Merkmale 1.4 und 1.5. Die zwischen der Nadeldüse 10 und dem Nadelträger 40 eingespannte Schutzfolie 30 ist in ihrer nicht gedehnten Grundform quer zur Längsrichtung der Nadel 20 ausgebildet (vgl. [X.]. 4). Sie weist keine dehnbaren Abschnitte auf, die im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel 20 gebildet sind. Damit ist Merkmal 1.6 nicht offenbart.

Der Einwand der Klägerin, dass die eingespannte Schutzfolie gemäß dem Absatz [0056] der Schrift [X.] im entspannten Zustand eine röhrenförmige Gestalt hat, die sich in Richtung zur Nadeldurchführung stark verjüngt, ändert nichts an der Tatsache, dass das Merkmal 1.6, wonach die [X.] dehnbare Abschnitte aufweist, die in einer nicht gedehnten Grundform im Wesentlichen in Längsrichtung der Nadel gebildet sind, nicht aus der Schrift [X.] hervorgeht. Röhrenförmige Abschnitte wie die Abschnitte an der Außenseite der Nadeldüse 10 werden nicht gedehnt.

ee) Die weitere im Verfahren genannte Druckschrift [X.], bei der es sich um einen Auszug aus dem Schülerlexikon der Physik zum Begriff „elastisch“ handelt, sowie die in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents als Stand der Technik genannte [X.] Patentschrift [X.] 505 530 [X.] kommen nicht näher an den Gegenstand des Streitpatents heran als die zuvor angeführten Druckschriften.

b) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit. Der Fachmann gelangt weder durch eine der Druckschriften [X.], [X.], [X.] oder [X.] noch durch eine Kombination von mehreren dieser Druckschriften in naheliegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruchs 1.

Die einzige vorveröffentlichte Druckschrift, die eine von der [X.] erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel beschreibt, ist die Druckschrift [X.]. Diese Druckschrift offenbart allerdings keine Vorrichtung zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos. Die Druckschrift betrifft eine Vorrichtung zur einmaligen subkutanen Injektion eines Arzneimittels. Das [X.] ist dabei so konstruiert, dass die Injektionsnadel [X.] in die Haut eines Patienten einstechen kann. Wie vorstehend ausgeführt, ist es zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos räumlich-gegenständlich weder ausgebildet noch nutzbar. Insbesondere ist das [X.] nicht dazu geeignet, die Haut mehrfach hintereinander aufzustechen. Für den Fachmann bestand daher keine Veranlassung, ausgehend von der Druckschrift [X.] die Lehre einer der Druckschriften [X.] oder [X.] zu betrachten, um das Medikamenten-[X.] zu einem [X.] zum Aufbringen von permanentem Make-up oder eines Tattoos umzubauen.

Ebenso ist keine Veranlassung ersichtlich, den in der Druckschrift [X.] oder der Druckschrift [X.] beschriebenen Nadelantrieb gegen einen Rückholmechanismus auszutauschen, wie er bei einem lediglich für einen einzigen Einstich vorgesehenen subkutanen Injektionsgerät gemäß der Druckschrift [X.] verwendet wird.

Auch eine Zusammenschau der Druckschriften [X.] und [X.] führt nach derzeitiger Auffassung nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruchs 1. Insbesondere ist weder in der Druckschrift [X.] noch in der Druckschrift [X.] ein Kopplungsmechanismus offenbart, welcher die Einleitung einer für die Nadel notwendigen Rückholkraft gemäß Merkmal 1.5 ermöglicht. Selbst die Ergänzung der Lehren einer der Druckschriften [X.] oder [X.] mit dem Fachwissen des entsprechenden Fachmanns führt nicht zu dem beanspruchten Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1, da sich weder aus der Druckschrift [X.] noch aus der Druckschrift [X.] ein Hinweis oder eine Veranlassung ergibt, die jeweilige Antriebsvorrichtung zum Bewegen der Tätowierungsnadel austauschen zu wollen.

Eine derartige Anregung findet sich nach Auffassung des Senats auch nicht in Druckschrift [X.], wo es auf Seite 92 in der rechten [X.]alte unter dem Begriff elastisch heißt:

Abbildung

Wie die Klägerin zutreffend ausgeführt hat, war es dem Fachmann durchaus bekannt, elastische Werkstoffe wie Gummi als federndes Material zu nutzen. Eine gewisse Rückfederung der [X.] findet auch in der Druckschrift [X.] ihre Verwendung. In diesem Fall soll allerdings durch das nadelsynchrone [X.] des flexiblen [X.]s 16 ein Druck im Farbmittelbehälter erzeugt werden, der die Farbmittelabgabe steuert. Wie vorstehend ausgeführt, offenbart die Druckschrift [X.] keinen Kopplungsmechanismus, über den eine von der [X.] erzeugte Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel auf die Nadel eingeleitet wird. Nach Auffassung des Senats hatte der Fachmann auch keine Veranlassung, die in der Druckschrift [X.] oder auch in der Druckschrift [X.] beschriebene Einweg-Nadelhülse so zu verändern, dass eine Rückfederung der Nadel durch die von der [X.] erzeugte Rückholkraft eingeleitet wird. Denn die aus Stand der Technik bekannten [X.]e sind so ausgebildet, dass das Zurückbewegen der Nadel entweder über einen starren Exzenter-Übertragungsmechanismus ([X.]), magnetisch oder über eine [X.]iralfeder ([X.]) erfolgen kann (vgl. hierzu auch die Ausführungen in der Beschreibungseinleitung der [X.]).

Auch das Weglassen der Antriebsvorrichtung in der [X.] oder der [X.] führt entgegen der Argumentation der Klägerin nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung des Streitpatents. So ist bereits für das Weglassen der notwendigen Antriebsvorrichtung keine Veranlassung ersichtlich. Weiter ist auch bei Weglassen der Antriebsvorrichtung kein Grund ersichtlich, die jeweilige [X.] dahingehend auszugestalten, dass die Rückholkraft zum Zurückbewegen der Nadel erzeugt wird.

Um den Gegenstand einer Erfindung als nahegelegt anzusehen, ist nach der Rechtsprechung des [X.] zum einen erforderlich, dass der Fachmann mit seinen durch seine Ausbildung und berufliche Erfahrung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln. Zum anderen muss der Fachmann Grund gehabt haben, den Weg der Erfindung zu beschreiten. Dazu bedarf es in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe ([X.], Urteil vom 30. April 2009 – [X.], [X.]Z 182, 1 [X.]. 20 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; Urteil vom 8. Dezember 2009 – [X.], [X.], 407 [X.]. 17 – einteilige Öse). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben.

Aus diesen Gründen erweist sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in seiner geltenden Fassung als patentfähig.

III.

Die Patentansprüche 2 bis 8 haben durch ihren Rückbezug auf Patentanspruch 1 ebenso Bestand.

Gleiches gilt für den Gegenstand des nebengeordneten [X.] 9, der auf den Patentanspruch 1 rückbezogen ist.

Da sich das Streitpatent in der geltenden Fassung als rechtsbeständig erweist, kam es auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 1. Juni 2022 zur Akte gereichte Fassung gemäß Hilfsantrag 1 nicht mehr an.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Absatz 2 [X.] i. V. m. § 91 Absatz 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Absatz 1 [X.] i. V. m. § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

Meta

6 Ni 17/20 (EP)

14.06.2022

Bundespatentgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜbkG, Art 54 EuPatÜbk, Art 56 EuPatÜbk, Art 138 Abs 1 Buchst a EuPatÜbk

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 14.06.2022, Az. 6 Ni 17/20 (EP) (REWIS RS 2022, 5026)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5026

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