Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.07.2015, Az. VII R 65/13

7. Senat | REWIS RS 2015, 8604

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Gegenstand

Geltung des ermäßigten Steuersatzes auch für in einem Futtermittelbetrieb getrocknete Schweineohren


Leitsatz

1. NV: Getrocknete Schweineohren sind in die Unterposition 0210 99 49 KN einzureihen und unterliegen als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 2 der Anlage 2 dem ermäßigten Steuersatz, auch wenn die in frischem Zustand genießbaren Schweineohren in einem Futtermittelbetrieb getrocknet wurden .

2. NV: Für die allein maßgebliche zolltarifliche Einreihung der getrockneten Schweineohren sind die Einhaltung lebensmittel- oder hygienerechtlicher Vorschriften sowie der Verwendungszweck der Schweineohren nicht ausschlaggebend .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 4. Dezember 2012  2 K 1568/10 aufgehoben und die Umsatzsteuerbescheide für 2006 und 2007, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. September 2010, dahin geändert, dass die Umsatzsteuer für 2006 um ... € und für 2007 um ... € niedriger festgesetzt wird.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat das Finanzamt zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen Lebensmittelhandel. Dabei verkauft sie unter anderem getrocknete Schweineohren. Für die Streitjahre 2006 und 2007 unterwarf sie die Lieferung getrockneter Schweineohren in den Umsatzsteuererklärungen dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Den Feststellungen einer im Jahr 2009 durchgeführten [X.] folgend wandte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) auf die Lieferung getrockneter Schweineohren ab 1. November 2006 den Regelsteuersatz gemäß § 12 Abs. 1 UStG an und erhöhte die Umsatzsteuer für 2006 und 2007 entsprechend.

2

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, für die Lieferung getrockneter Schweineohren komme eine Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG weder i.V.m. Nr. 2 noch i.V.m. Nr. 37 der Anlage 2 in Betracht. Mit der Trocknung der im frischen Zustand genießbaren Schweineohren in [X.] seien die Schweineohren keine genießbaren Schlachtnebenerzeugnisse i.S. der Nr. 2 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG mehr. Eine ermäßigte Besteuerung als "Rückstände und Abfälle der Lebensmittelindustrie; zubereitetes Futter" gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 37 der Anlage 2 komme mangels einer Zubereitung im Sinne der Verarbeitung eines Erzeugnisses ebenfalls nicht in Betracht. Die Schweineohren seien vielmehr in [X.]. 5 der Kombinierten Nomenklatur ([X.]) einzuordnen. Die Umsätze seien daher gemäß § 12 Abs. 1 UStG nach dem Regelsteuersatz zu versteuern.

3

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, die Unterscheidung zwischen genießbaren getrockneten Schweineohren i.S. des [X.]. 2 [X.] und ungenießbaren getrockneten Schweineohren i.S. des [X.]. 5 [X.] sei nicht anhand des Ortes der Trocknung und der damit verbundenen Frage nach der Einhaltung lebensmittel- und hygienerechtlicher Vorschriften zu treffen. Die gegenteilige Ansicht des [X.] weiche von der Rechtsprechung des Senats sowie anderer [X.] ab. Auf die Verwendung der getrockneten Schweineohren als Tierfutter komme es ebenfalls nicht an. Solange sie nicht verdorben und deshalb ungenießbar seien, müssten getrocknete Schweineohren als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse in [X.]. 2 [X.] und nicht in [X.]. 5 [X.] eingeordnet werden.

4

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die [X.] und 2007, jeweils in der Fassung des letzten Änderungsbescheids, dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2006 um … € und die Umsatzsteuer für 2007 um … € niedriger festgesetzt wird.

5

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

6

Es teilt die Auffassung des [X.].

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des [X.] verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) und ist auch nicht im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 [X.]O). Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die [X.] und 2007, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung, sind zu ändern. Für die Lieferung getrockneter Schweineohren gilt gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 2 der Anlage 2 der ermäßigte Steuersatz in Höhe von 7 %.

8

1. Die von der Klägerin vertriebenen getrockneten Schweineohren sind in die [X.]. 0210 99 49 [X.] einzureihen. Sie gehören als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse deshalb zu Nr. 2 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG.

9

a) Für die Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 kommt es allein auf die zolltariflichen Vorschriften und Begriffe an (Senatsurteil vom 3. Februar 2004 VII R 33/03, [X.], 849, 850, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --[X.]-- 2004, 200, m.w.N., und Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2008 V R 55/06, [X.], 539, [X.], 673, 675). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]), der sich der Senat angeschlossen hat, ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und [X.]itionen der [X.] und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder [X.]iteln rechtsverbindlich festgelegt sind (vgl. Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der [X.] 1 und 6). Dazu gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen ([X.]) und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur [X.] ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. [X.]-Urteile TNT Freight Management vom 12. Juli 2012 [X.]/11, [X.]:[X.], Rz 30 ff., und [X.] vom 27. November 2008 [X.]/07, [X.]:[X.], [X.], 15, 16, sowie Senatsurteile vom 30. März 2010 VII R 35/09, [X.], 399, [X.], 74, 75, Rz 7, und vom 4. November 2003 VII R 58/02, [X.], 375, 377, [X.], 165, m.w.N.).

b) Getrocknete Schweineohren sind "Fleisch und genießbare Schlachtnebenerzeugnisse" i.S. der Nr. 2 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG, wenn es sich um Waren des [X.]. 2 [X.] handelt. Von der [X.]. 0210 99 49 [X.] werden insbesondere ganze oder halbe Köpfe von Hausschweinen sowie Teile davon erfasst, wozu auch Ohren gehören (Zusätzliche Anmerkung 2 [X.] zu [X.]. 2 [X.]). Nach den [X.] zu [X.]. 2 [X.] sind unter [X.] u.a. solche zu verstehen, "die hauptsächlich zur menschlichen Ernährung verwendet werden (einschließlich Ohren)"; diese bleiben, ob "frisch, gekühlt, gefroren, gesalzen, in [X.], getrocknet oder geräuchert", in [X.]. 2 [X.], "außer in den Fällen, in denen sie, da verdorben und zur menschlichen Ernährung nicht geeignet, der Position 0511 zuzuweisen sind" (Rz 03.0, 04.0 und 08.0).

Hiermit übereinstimmend stellt auch die Verordnung ([X.]) Nr. 1125/2006 ([X.] 1125/2006) der [X.] vom 21. Juli 2006 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der [X.] Nr. L 200/3) klar, dass genießbare getrocknete Schweineohren --entgegen der im Bericht des [X.] nach § 99 BHO über den ermäßigten Umsatzsteuersatz ([X.] 2010, 566, 570) zitierten Ansicht der Zolltechnischen Prüf- und [X.] unabhängig von ihrem [X.] zu [X.]. 2 gehören, auch wenn sie als Tierfutter verwendet werden, da das Trocknen von Schweineohren nicht deren Eignung für den menschlichen Verzehr beeinträchtigt. Entsprechend werden laut Schreiben des [X.] vom 16. Oktober 2006 IV A 5-S 7221-1/06 ([X.], 620) genießbare getrocknete Schweineohren (Schlachtnebenerzeugnisse) --auch wenn als Tierfutter verwendet-- in die [X.]. 0210 99 49 [X.] eingereiht. Nur getrocknete Schweineohren (Schlachtnebenerzeugnis), die nicht genießbar sind, sind in die [X.]. 0511 99 85 [X.] (2007) bzw. die [X.]. 0511 99 90 [X.] (2006) einzureihen.

Entgegen der Auffassung des [X.] kommt es somit für die Einreihung in das [X.]. 2 nicht maßgeblich auf die Bestimmungen des nationalen ([X.], auf hygienerechtliche Vorschriften oder den Verwendungszweck der Schweineohren (als Tierfutter oder für den menschlichen Verzehr) an, sondern nur darauf, ob sie "genießbar", d.h. für den menschlichen Verzehr geeignet, sind.

c) Im Streitfall sind die getrockneten Schweineohren nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften als für den menschlichen Verzehr geeignet anzusehen.

Wie sich aus der Einreihungsverordnung [X.] 1125/2006 ergibt, beeinträchtigt das Trocknen der im frischen Zustand genießbaren Schweineohren nicht deren Eignung zum menschlichen Verzehr. Durch das Trocknen wird die Vermehrung von Keimen und das Verderben der Schweineohren gehemmt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn sie in einer Anlage außerhalb der Lebensmittelkette getrocknet werden. Da Schweineohren von Menschen ohnehin regelmäßig nicht in getrocknetem Zustand, sondern erst nach einem Garvorgang verzehrt werden können, verlieren die Ohren ihre Eignung für den menschlichen Verzehr auch nicht allein deshalb, weil sie in einem den Anforderungen des [X.] Lebensmittelrechts nicht unterliegenden Betrieb getrocknet wurden. Vielmehr müssten weitere Umstände hinzukommen, durch die die Eignung der Schweineohren für den menschlichen Verzehr aufgehoben wird (wie z.B. Fäulnis, Schimmel oder sonstige ein Verderben und damit die Ungenießbarkeit herbeiführende Umstände; zum Begriff der Genießbarkeit vgl. auch Senatsentscheidung vom 24. September 2014 VII R 54/11, [X.], 378, [X.], 169). Hierfür bestehen jedoch im Streitfall keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurde vom [X.] festgestellt, dass die Schweineohren ursprünglich uneingeschränkt genießbar waren. Dass sie durch den Trocknungsvorgang in einem Futtermittelbetrieb --über das bloße Trocknen hinaus-- objektiv ungenießbar wurden, hat das [X.] hingegen nicht festgestellt. Eine Einreihung der als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse zu qualifizierenden Schweineohren in [X.]. 5 [X.] scheidet demnach aus.

Mangels Veränderung der wesentlichen Merkmale des Ausgangsstoffes scheidet eine Einreihung als zubereitetes Futter i.S. des [X.]. 23 [X.] nach der Einreihungsverordnung Nr. 1125/2006 ebenfalls aus.

2. Die bisherige Rechtsprechung des Senats steht hierzu nicht im Widerspruch.

Das Senatsurteil in [X.], 849, 850, [X.], 200, 201 erging vor Erlass der [X.] 1125/2006. Das Senatsurteil vom 10. Februar 2009 VII R 16/08 ([X.], 979) betraf zurückliegende Streitjahre, weshalb der Senat diese Einreihungsverordnung gleichfalls nicht anzuwenden hatte.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VII R 65/13

07.07.2015

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Nürnberg, 4. Dezember 2012, Az: 2 K 1568/10, Urteil

§ 12 Abs 1 UStG 2005, § 12 Abs 2 Nr 1 Anl 2 Nr 2 UStG 2005, § 12 Abs 2 Nr 1 Anl 2 Nr 37 UStG 2005, Pos 0210 UPos 9949 KN, EGV 1125/2006, Pos 0511 KN, Anl 2 Nr 2 UStG 2005, Anl 2 Nr 37 UStG 2005, UStG VZ 2005, UStG VZ 2006

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.07.2015, Az. VII R 65/13 (REWIS RS 2015, 8604)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8604

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