Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 08.04.2010, Az. 1 BvR 2709/09

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2010, 7794

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Berufsfreiheit sowie des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz durch sofort vollziehbaren Widerruf einer ärztlichen Approbation sowie der Aufforderung zur Inverwahrungsgabe der Approbationsurkunde - Keine Rechtfertigung der sofortigen Vollziehbarkeit allein aufgrund der Rechtmäßigkeit der Grundverfügung


Tenor

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 3 des Bescheids des Landesgesundheitsamts [X.] im [X.] vom 14. Mai 2009 - 92-5417-1.5 L...- verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des [X.] vom 16. Juli 2009 - 11 K 1455/09 - und der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 29. September 2009 - 9 S 1783/09 - verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 12 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 29. September 2009 - 9 S 1783/09 - wird aufgehoben. Die Sache wird an den Verwaltungsgerichtshof [X.] zurückverwiesen.

2. ...

Gründe

I.

1

Die [X.]beschwerde betrifft die sofortige Vollziehung eines Widerrufs der [X.] als Arzt sowie der Rückforderung der [X.]surkunde.

2

1. a) Der Beschwerdeführer wurde 1980 als Arzt approbiert und betreibt seit 1988 eine allgemeinärztliche Praxis. [X.] ergaben wegen des Verdachts betrügerischer Abrechnungen geführte Ermittlungen, dass der Beschwerdeführer unter anderem Patienten ohne medizinische Indikation und ohne Aufklärung geimpft hatte. Im Juli 2008 wurde der Beschwerdeführer wegen Körperverletzung in 46 Fällen und wegen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Juli 2009 trat er die Strafe an, ab August 2009 führte er seine Praxis als Freigänger.

3

b) Mit Bescheid vom 14. Mai 2009 widerrief das [X.], der Antragsgegner des [X.] (im Folgenden: Antragsgegner), die [X.] des Beschwerdeführers als Arzt und forderte ihn auf, die [X.]surkunde in Verwahrung zu geben. Die sofortige Vollziehung der Verfügungen wurde angeordnet. Der [X.]swiderruf erfolge wegen der [X.]keit des Beschwerdeführers zur Ausübung des ärztlichen Berufs. [X.] sei ein Arzt, der wegen seines Verhaltens in der Vergangenheit nicht mehr das zur Ausübung des Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen genieße. Die [X.]keit sei vorliegend aufgrund der der strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Taten gegeben. Das Verhalten zeige ein hohes Maß an Gleichgültigkeit und [X.] in Bezug auf Leben und Gesundheit der Patienten. Damit habe der Beschwerdeführer das ihm entgegengebrachte Vertrauen in seine berufliche Integrität grob verletzt. Der daraus resultierende Ansehens- und Vertrauensverlust lasse ihn als untragbar erscheinen.

4

Die sofortige Vollziehung der Verfügungen werde im öffentlichen Interesse angeordnet. Der Sofortvollzug des Widerrufs einer [X.] wegen [X.]keit erfordere - anders als bei einer Vollzugsanordnung wegen Unzuverlässigkeit - keine Prognose, ob der Betroffene bis zur Rechtskraft des Widerrufs seine Pflichten zuverlässig erfüllen werde, also eine Interimsgefahr von ihm ausgehe. Das Schutzgut des Vertrauens der Öffentlichkeit in den Ärztestand werde nachhaltig geschädigt, wenn ein Arzt bis auf weiteres Heilkunde ausüben dürfte, der rechtskräftig verurteilt sei. Wegen der [X.]keit des Beschwerdeführers verbiete sich aus spezialpräventiven Gründen auch vor Art. 12 GG ein Zuwarten. Würde dem Betroffenen die Möglichkeit einer weiteren Tätigkeit während der langen Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens belassen, obwohl die Voraussetzungen der Widerrufsanordnung erfüllt seien, so bestünde die konkrete Gefahr einer Beeinträchtigung öffentlicher Interessen auch unter generalpräventiven Gründen. Das Ansehen der [X.] und das Vertrauen der Bevölkerung in eine verantwortungsbewusste Behandlung würden irreversibel Schaden nehmen, wenn ein rechtskräftig verurteilter Arzt noch für längere Zeit seinen Beruf ausüben könnte, obwohl seine [X.]keit feststehe. Die gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung ergebe vorliegend, dass die Versagung der aufschiebenden Wirkung einer Klage nicht unverhältnismäßig sei. Zum einen könne es keinen vernünftigen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerrufs geben. Zum anderen würde das Vertrauen der Bevölkerung empfindlich gestört, wenn eine Behörde bei derartigen Vorkommnissen nicht alles unternehmen würde, einem solchen Arzt umgehend die weitere Berufsausübung zu untersagen, selbst wenn eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen werden könne.

5

c) Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch Beschluss vom 16. Juli 2009 ab. Das öffentliche [X.] überwiege das Interesse des Beschwerdeführers, während des Rechtsbehelfsverfahrens von der Vollziehung verschont zu bleiben. Der [X.]swiderruf sei aller Voraussicht nach rechtmäßig. Es werde nicht verkannt, dass im vorliegenden Verfahren nicht allein auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache abgestellt werden dürfe. Deshalb werde eine Gesamtwürdigung vorgenommen. Angesichts der Schwere und der Häufigkeit der Taten gehe die Kammer im Ergebnis davon aus, dass eine weitere Berufstätigkeit als Arzt auch nur für einen Übergangszeitraum konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lasse. [X.] Wirkungen für das Vertrauen in die [X.] werde gerade auch schon dadurch begegnet, dass ein Arzt, der sich als unwürdig erwiesen habe, daran gehindert werde, in dem Übergangszeitraum bis zur Rechtskraft der Widerrufsverfügung zu praktizieren.

6

d) Der [X.]hof wies die Beschwerde durch Beschluss vom 29. September 2009 zurück. Er nahm zunächst auf die Gründe des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses Bezug und führte weiter aus, das Beschwerdevorbringen führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Die Anordnung des [X.] des Widerrufs sei wegen Art. 12 GG nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordere es jedenfalls dann, wenn die Rechtmäßigkeit der [X.]sentziehung nicht offensichtlich sei, sofort vollziehbare Eingriffe in grundrechtlich gewährte Freiheiten noch einmal einer gesonderten, über die Beurteilung der zugrunde liegenden Verfügung hinausgehenden Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen. Der Beschwerdeführer sei zum einen der Ausübung des [X.] nicht mehr würdig und zum anderen sei wegen der offensichtlichen Rechtmäßigkeit des [X.]swiderrufs wie auch wegen des hohen Ranges, den das ärztliche Vertrauen im Verständnis der Bevölkerung einnehme, auch die Anordnung des [X.] rechtmäßig. Die [X.]keit ergebe sich aus den abgeurteilten Straftaten. Eine Unzuverlässigkeit werde dem Beschwerdeführer nicht unterstellt. Die besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung ergebe, dass auch die sofortige Vollziehung zu Recht angeordnet worden sei. Zum einen sei der Widerruf die zwingende Folge der [X.]keit des Beschwerdeführers. Bereits die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Maßnahme erlaube auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit ihre sofortige Vollziehbarkeit (unter Hinweis auf [X.], 89 <96>). Zum anderen sei der Sofortvollzug auch zum Schutz des Vertrauens in die [X.] geboten. Gerade wenn die Feststellung der [X.]keit erst Jahre nach Begehung der Straftaten möglich sei, sei eine rasche Wiederherstellung des Vertrauens in die [X.] durch Aussprechen der gebotenen Konsequenzen mit sofortiger Wirkung vonnöten.

7

2. Mit seiner [X.]beschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs seiner [X.] als Arzt und die diese bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen.

8

3. Dem [X.], dem [X.] für den Antragsgegner und der [X.]wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des [X.] waren beigezogen.

II.

9

Die Kammer nimmt die [X.]beschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.] für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Beurteilung der [X.]beschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das [X.] bereits geklärt (vgl. zu Art. 12 Abs. 1 GG: [X.] 44, 105 <117 ff.>; vgl. zu Art. 19 Abs. 4 GG: [X.] 35, 263 <274 f.>; 35, 382 <401 f.>; 93, 1 <13>). Die [X.]beschwerde ist offensichtlich begründet.

1. a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner und die gerichtlichen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.

aa) Die mit der Aufforderung zur Rückgabe der [X.]surkunde verbundene Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der [X.] greift in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers ein. Die von den Gerichten bestätigte Abweichung von der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (§ 80 Abs. 1 der [X.]ordnung ) stellt einen selbständigen Eingriff dar (vgl. [X.], 89 <93>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.]vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2157/07 -, NJW 2008, S. 1369). Dem Beschwerdeführer wird schon vor rechtskräftiger Entscheidung der Hauptsache die Möglichkeit genommen, seine Praxis weiter zu führen sowie den Beruf des Arztes überhaupt auszuüben.

bb) Ein derartiges präventives Berufsverbot ist nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. [X.] 44, 105 <117 ff.>). Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht nicht aus. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung setzt vielmehr voraus, dass überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (vgl. [X.] 44, 105 <117 f.>; [X.], 89 <94>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. Dezember 2007, a.a.[X.], S. 1369 m.w.N.).

cc) Diesen Anforderungen entsprechen die angegriffenen Entscheidungen nicht in jeder Hinsicht.

(1) Weder der Antragsgegner noch die Gerichte haben mit Blick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Abwägung vorgenommen, die dem grundrechtlich geschützten Interesse des Beschwerdeführers an einer weiteren Berufstätigkeit während des Hauptsacheverfahrens gerecht wird. Soweit die erforderliche gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wurde, lassen die angegriffenen Entscheidungen nicht erkennen, dass die Folgen der sofortigen Vollziehung für den Beschwerdeführer mit dem ihnen von [X.] wegen zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt und gegen das öffentliche Interesse abgewogen wurden.

So ist im Bescheid des Antragsgegners zwar festgestellt, die gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung für den Sofortvollzug des [X.]swiderrufs ergebe, dass die Versagung der aufschiebenden Wirkung einer Klage nicht unverhältnismäßig sei. Die gravierenden, praktisch irreparablen beruflichen Folgen des [X.] für den Beschwerdeführer werden in der nachfolgenden Begründung dieser Feststellung aber nicht erwähnt. Dem Bescheid lässt sich mithin nicht entnehmen, dass sie überhaupt den vom Antragsgegner benannten öffentlichen Belangen an einer sofortigen Vollziehung gegenübergestellt und mit einer der Bedeutung der Berufsfreiheit angemessenen Weise gewichtet wurden.

An demselben Mangel leidet die Entscheidung des [X.]. Zwar erkennt auch das Gericht im Ansatz zutreffend, dass für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eine gesonderte Würdigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich ist, und stellt die Verhältnismäßigkeit der Anordnung fest. Es führt aber ebenfalls nur die auf der einen Seite in die Abwägung einzustellenden öffentlichen Belange, nicht hingegen die dem gegenüber zu stellenden Vollzugsfolgen für den Beschwerdeführer auf.

Der [X.]hof geht schließlich in Verkennung der maßgeblichen Aussagen des Beschlusses der Kammer vom 24. Oktober 2003 ([X.], 89) davon aus, bereits die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Maßnahme (also des Widerrufs) erlaube auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit ihre sofortige Vollziehung. Das Gegenteil ist nach der genannten Entscheidung der Fall (vgl. [X.], 89 <94> unter Hinweis auf [X.] 44, 105 <118>). Zwar führt der Senat darüber hinaus an, der Sofortvollzug sei auch zum Schutz des Vertrauens in die [X.] und damit im Interesse eines wichtigen [X.]s geboten. Den verfassungsrechtlichen Maßstäben wird jedoch auch insofern nicht genügt. Eine Abwägung der vom Senat angenommenen Gefahren für das genannte [X.] mit dem grundrechtlich geschützten Interesse des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls findet nicht statt. Soweit die aus dem Sofortvollzug resultierenden Folgen für den Beschwerdeführer überhaupt Erwähnung finden, geht der [X.]hof vielmehr ausdrücklich davon aus, dass es hierauf nicht ankomme. Diese Verkennung der verfassungsrechtlichen Anforderungen verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der Berufsfreiheit.

(2) Es fehlt in den angegriffenen Entscheidungen zudem die verfassungsrechtlich haltbare Feststellung einer konkreten Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter durch eine weitere Berufstätigkeit des Beschwerdeführers schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens.

Antragsgegner und Gerichte gehen übereinstimmend davon aus, jede weitere Tätigkeit des Beschwerdeführers als eines für diesen Beruf unwürdigen Arztes gefährde das hochrangige [X.] der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in Gestalt des hierfür unerlässlichen Vertrauens der Allgemeinheit in die [X.]. Eine Wiederholungsgefahr sehen sie hingegen nicht. Die Feststellung der Gefahr, der mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung begegnet werden soll, beruht damit ausschließlich auf der Annahme der [X.]keit des Beschwerdeführers. Die [X.]keit des Arztes ist nach § 5 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung (BÄO) Voraussetzung für den Widerruf der [X.] als der Grundverfügung. Allein die Überzeugung, dass die Voraussetzungen der Grundverfügung vorliegen, erlaubt indes nicht deren sofortige Vollziehung. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Grundverfügung kann die Anordnung der sofortige Vollziehung nicht tragen (vgl. [X.] 44, 105 <118, 120>). Das beachten die angegriffenen Entscheidungen nicht, weil sie der Sache nach die [X.]keit des Beschwerdeführers und damit die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Widerrufs der [X.] damit begründen, dass er durch sein Verhalten das Vertrauen in die [X.] gefährde, und gleichzeitig die Gefährdung des Vertrauens in die [X.] durch seine weitere Tätigkeit während des Hauptsacheverfahrens und damit die Erforderlichkeit des [X.] damit begründen, dass der Beschwerdeführer für den Arztberuf unwürdig sei. Auf diese Weise wird unmittelbar aus einer voraussichtlichen Rechtmäßigkeit des [X.]swiderrufs auf das Bestehen einer unmittelbaren Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter gefolgert. Dies entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

Andere Tatsachen, aufgrund derer eine aus der weiteren ärztlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers drohende konkrete Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter angenommen werden könnte, werden in den angegriffenen Entscheidungen nicht benannt. Damit ist die Feststellung des Bestehens einer derartigen Gefahr verfassungsrechtlich nicht haltbar, und die Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer auch insoweit in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.

b) Zugleich verletzen die beiden gerichtlichen Entscheidungen das Grundrecht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

aa) Art. 19 Abs. 4 GG gewährt nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Grundrechtsträger hat einen substantiellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. [X.] 35, 263 <274>; 35, 382 <401 f.>; 93, 1 <13>; stRspr). Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kommt daher nicht nur die Aufgabe zu, jeden Akt der Exekutive, der in Rechte des Grundrechtsträgers eingreift, vollständig der richterlichen Prüfung zu unterstellen, sondern auch irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich auszuschließen (vgl. [X.] 35, 263 <274>). Allerdings können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den [X.] einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Dabei ist der Rechtsschutzanspruch umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung [X.] bewirken (vgl. [X.] 35, 382 <402>).

bb) Dem werden die gerichtlichen Beschlüsse wegen der unhaltbar begründeten Annahme einer konkreten Gefahr für Gemeinschaftsgüter während der Dauer des Hauptsacheverfahrens und wegen der unzureichenden Abwägung der gegenläufigen Interessen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht gerecht.

c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den festgestellten Grundrechtsverstößen.

2. Es erscheint angezeigt, gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 [X.] nur den Beschluss des [X.]hofs aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen. Das dient dem Interesse des Beschwerdeführers, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].

Meta

1 BvR 2709/09

08.04.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 29. September 2009, Az: 9 S 1783/09, Beschluss

Art 12 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 3 Abs 1 S 1 Nr 2 BÄO, § 5 Abs 2 S 1 BÄO, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 80 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 08.04.2010, Az. 1 BvR 2709/09 (REWIS RS 2010, 7794)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7794

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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