Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.10.2011, Az. VI B 79/11

6. Senat | REWIS RS 2011, 1872

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Gegenstand

Doppelte Haushaltsführung - Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz


Leitsatz

1. NV: Aus dem Eingehen einer Ehe oder einer vermuteten partnerschaftlichen Beziehung allein kann nicht auf Lebensmittelpunkt eines Steuerpflichtigen geschlossen werden .

2. NV: Die Frage, ob ein alleinstehender Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG unterhält, entscheidet sich unter Einbeziehung und Gewichtung aller tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen einer den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung. Dabei ist der Umstand, ob der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts aufkommt, zwar ein besonders gewichtiges Indiz, aber keine zwingende Voraussetzung im Sinne einer conditio sine qua non .

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist zulässig und begründet; sie führt zur [[X.].]ufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [[X.].] ([[X.].]) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 [[X.].]bs. 6 der [[X.].]sordnung --[[X.].]O--).

2

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Denn den Klägern ist --entgegen der [[X.].]uffassung des Beklagten und Beschwerdegegners ([[X.].] die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 [[X.].]O wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu bewilligen. Sie haben glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter wegen eines technischen Übermittlungsfehlers ohne Verschulden verhindert gewesen war, die Beschwerdeeinlegungsfrist einzuhalten.

3

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Es liegt ein von den Klägern geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des [[X.].] beruhen kann (§ 115 [[X.].]bs. 2 Nr. 3 [[X.].]O). Denn das [[X.].] hat seine aus § 76 [[X.].]bs. 1 [[X.].]O folgende Pflicht zur Sachaufklärung verletzt.

4

a) Nach dieser Vorschrift hat das Gericht den Sachverhalt von [[X.].]mts wegen aufzuklären. Diesen [[X.].]mtsermittlungsgrundsatz hat das [[X.].] --unbeschadet der Mitwirkungspflicht der [[X.].] besonders zu beachten, soweit es sich um Feststellungen handelt, denen entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt. In diesen Fällen muss es jedenfalls solchen tatsächlichen Zweifeln nachgehen, die sich ihm nach Lage der [[X.].]kten und dem Vortrag der Beteiligten aufdrängen müssen (z.B. Beschluss des [[X.].] --[X.]-- vom 17. September 2003 [[X.].], [[X.].], 207, m.w.N.).

5

b) Hierzu bestand zum einen [[X.].]nlass, weil das [[X.].] den Lebensmittelpunkt der Klägerin allein wegen ihrer Eheschließung im … 2000 für das gesamte Streitjahr in [[X.].] verortet hat. [[X.].]llein die vermutete --von der Klägerin bestrittene-- partnerschaftliche Beziehung zum Kläger reicht hierfür jedoch nicht aus. Die Bestimmung des Lebensmittelpunkts bedarf vielmehr weiterer Feststellungen. Indizien dafür, wo der Lebensmittelpunkt liegt, können insbesondere sein, wie oft und wie lange sich der [[X.].]rbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Von Bedeutung sind auch die Dauer des [[X.].]ufenthalts am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen, die Zahl der Heimfahrten sowie insbesondere auch der --gegebenenfalls durch Zeugenbeweis zu erhebende-- Umstand, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen (vgl. [X.]-Urteil vom 21. [[X.].]pril 2010 [[X.].], [[X.].], 5).

6

Zum anderen hat das [[X.].] einen eigenen Hausstand der Klägerin außerhalb des [[X.].] verneint, da sie "ihre Wohnung in [X.] nicht unterhalten" (im Sinne von Kosten getragen) habe. [[X.].]uch hier bedarf der Sachverhalt der weiteren [[X.].]ufklärung. Denn die Frage, ob ein --vorliegend möglicherweise zumindest einen Teil des [X.] alleinstehender [[X.].]rbeitnehmer einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 [[X.].]bs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterhält, entscheidet sich unter Einbeziehung und Gewichtung aller tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen einer den [[X.].]en als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung. Dabei ist der Umstand, ob der [[X.].]rbeitnehmer für die Kosten des Haushalts aufkommt, zwar ein besonders gewichtiges Indiz, aber keine zwingende Voraussetzung im Sinne einer conditio sine qua non (vgl. [X.]-Urteil in [[X.].], 5).

7

3. [[X.].]uch haben die Kläger das Recht zur Rüge mangelnder Sachaufklärung nicht verloren. Zwar kann dies bei verzichtbaren Verfahrensmängeln --wie dem der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung-- auch durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge geschehen (§ 155 [[X.].]O i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Diese Folge wird vom [X.] allerdings nur für den Fall angenommen, dass der Kläger --anders als im [X.] vertreten ist ([X.]-Beschlüsse vom 29. Oktober 2004 [X.]I B 213/02, [X.]/NV 2005, 566, und vom 27. September 2007 I[X.] B 19/07, [X.]/NV 2008, 27; so auch [X.], in [X.]/[X.]/ [X.], § 76 [[X.].]O, Rz 209).

8

4. Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 [[X.].]bs. 6 [[X.].]O zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [[X.].] zurückzuverweisen. Im Hinblick darauf kann der Senat dahinstehen lassen, ob die angefochtene Entscheidung im Übrigen verfahrensfehlerfrei ist.

9

Für das weitere Verfahren weist der Senat --ohne [X.] darauf hin, dass nach § 33a [[X.].]bs. 1 EStG nur [[X.].]ufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person zu berücksichtigen sind. Ob der Steuerpflichtige zum Unterhalt gesetzlich verpflichtet ist, ist nach inländischen Maßstäben zu beurteilen. Gesetzlich unterhaltsberechtigt sind danach diejenigen Personen, denen gegenüber der Steuerpflichtige nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) unterhaltsverpflichtet ist. Dies sind insbesondere nach § 1601 BGB Verwandte in gerader Linie i.S. des § 1589 Satz 1 BGB, wie z.B. Kinder, Enkel, Eltern und Großeltern, nicht hingegen Verwandte in der Seitenlinie --vorliegend die Schwester der [X.] oder verschwägerte Personen (vgl. [X.]-Urteil vom 27. Juli 2011 [X.], [X.]E 234, 307, [X.], [X.]/NV 2011, 1957). Weitere Voraussetzung ist die Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers i.S. des § 1602 BGB. Bedürftigkeit ist beispielsweise gegeben, wenn die unterhaltene Person weder Vermögen (hierzu zählt auch ein eigengenutztes Wohnhaus) hat noch Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit oder Bezüge (beispielsweise eine Rente oder [[X.].]rbeitslosengeld) erzielt (vgl. [X.]-Urteil vom 30. Juni 2010 [X.]/09, [[X.].], 538, [X.], 267).

Meta

VI B 79/11

27.10.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 26. Mai 2011, Az: 9 K 9048/07, Urteil

§ 33a EStG 1997, § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 S 2 EStG 1997, § 116 Abs 6 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 56 FGO, § 155 FGO, § 295 ZPO, § 1602 BGB, § 1589 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.10.2011, Az. VI B 79/11 (REWIS RS 2011, 1872)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1872

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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