Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.03.2012, Az. VI R 87/10

6. Senat | REWIS RS 2012, 7637

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Gegenstand

Eigener Hausstand bei doppelter Haushaltsführung - Bindung des BFH an die Gesamtwürdigung durch das FG


Leitsatz

1. Im Rahmen der doppelten Haushaltsführung ist zwischen dem Unterhalten eines eigenen Haushalts und der Frage, wer die Kosten dafür trägt, zu unterscheiden. Einen eigenen Hausstand kann auch unterhalten, wer die Mittel dazu von einem Dritten erhält .

2. Wird der Haushalt in einer in sich abgeschlossenen Wohnung geführt, die auch nach Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und Wirtschaften gestattet, wird regelmäßig vom Unterhalten eines eigenen Hausstands auszugehen sein .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung vorliegen.

2

Die geschiedene Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war seit dem [X.] und auch in den Streitjahren (2004 bis 2006) als Erzieherin in [X.] tätig. Die Klägerin machte für die Streitjahre im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung unter anderem Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in A mit der [X.]egründung geltend, dass ihr Lebensmittelpunkt sich in [X.] befinde.

3

Der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) ließ dagegen in den daraufhin ergangenen Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre die als Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung geltend gemachten Kosten jeweils unberücksichtigt.

4

Nachdem im daran anschließenden Einspruchsverfahren das Finanzamt [X.] dem [X.] mitgeteilt hatte, dass das von der Klägerin angeblich bewohnte Obergeschoss im [X.] eine Größe von 29 m² habe, versagte das [X.] auch die im [X.] bisher angesetzten Aufwendungen für 26 Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte von [X.] nach A und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.

5

Die Klägerin machte mit der dagegen erhobenen Klage vor dem [X.] ([X.]) geltend, dass ihre Wohnung in A mit nur 27 m² lediglich eine Unterkunft darstelle, ihr Hausstand sich aber in [X.] in der im Obergeschoss des Hauses ihrer Eltern gelegenen 52 m² großen Wohnung befinde. Nach der Trennung von ihrem Ehemann habe sie diese Wohnung von ihren Eltern angemietet.

6

Das [X.] hat die dagegen erhobene Klage mit den in Entscheidungen der [X.]e 2011, 699 veröffentlichten Gründen abgewiesen. Die Klägerin habe in [X.] keinen eigenen Hausstand unterhalten, sondern sei vielmehr in den Hausstand ihrer Eltern eingegliedert gewesen. Das Unterhalten eines eigenen Hausstandes bedeute das Führen eines Haushalts. Dazu gehöre auch, dass der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts aufkomme. Der Mietvertrag zwischen der Klägerin und ihrer Mutter sei [X.] dagegen nicht anzuerkennen. Die Klägerin habe die Mietzahlungen nicht nachweisen können. Für die [X.]ehauptung, dass die Miete, soweit nicht gezahlt, jedenfalls gestundet worden sei, seien keine Vereinbarungen vorgelegt worden. Dies entspreche nicht dem unter Fremden Üblichen. Das Merkmal der Entgeltlichkeit sei zwar nicht unerlässliche Voraussetzung, sondern nur ein Indiz dafür, ob ein eigener Hausstand unterhalten werde. Dennoch könne ein eigener Hausstand nach der Rechtsprechung des [X.]undesfinanzhofs ([X.]FH) nur bei Kostentragung im Übrigen auch bei einer unentgeltlich überlassenen Wohnung geführt werden. An einer solchen Kostentragung fehle es. Dennoch habe die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt in [X.]. Daher seien die Fahrten der Klägerin nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung, ihrem Lebensmittelpunkt, zu berücksichtigen.

7

Mit der dagegen vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

8

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des [X.] München vom 3. März 2010 dahingehend abzuändern, dass das [X.] verurteilt wird, jeweils Werbungskosten in Höhe von 9.014 € für das [X.], 10.378 € für das [X.] und 8.617 € für das [X.] anzuerkennen und die Einkommensteuer dementsprechend herabzusetzen.

9

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am [X.]eschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen doppelten Haushalt führen (ständige Rechtsprechung des [X.]s, zuletzt Urteil vom 21. April 2010 [X.], [X.], 5, [X.], 1894, m.w.N.).

a) Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt. [X.]ei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche [X.]esuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die Haushaltsführung nicht zumindest mitbestimmt, sondern nur in einen fremden Haushalt --etwa in den der Eltern oder als [X.] eingegliedert ist. Dann liegt keine eigene Haushaltsführung vor ([X.]FH-Urteil in [X.], 5, [X.], 1894 mit Hinweis auf [X.]FH-Urteil vom 14. Juni 2007 [X.], [X.], 229, [X.], 890).

b) Nach der vorgenannten [X.]srechtsprechung (Urteile in [X.], 5, [X.], 1894; in [X.], 229, [X.], 890) ist insbesondere dann, wenn dem Arbeitnehmer die Wohnung unentgeltlich überlassen wird, zu prüfen, ob der Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand unterhält oder in einen fremden eingegliedert ist. Dabei hat der [X.] aber dem Merkmal der Entgeltlichkeit lediglich --eine [X.] beigemessen, ohne die Entgeltlichkeit indessen als unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non) zu betrachten. Dies gilt sowohl für die Überlassung der Wohnung selbst als auch für die Kostentragung im Übrigen. Zwischen dem Unterhalten eines eigenen Haushalts und der Frage, wer die Kosten dafür trägt, ist zu unterscheiden. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass ein alleinstehender Steuerpflichtiger auch dann einen eigenen Haushalt unterhält, wenn nicht er selbst, sondern Dritte für diese Kosten aufkommen. Denn eine eigene Haushaltsführung des auswärts [X.]eschäftigten ist nicht zwingend ausgeschlossen, wenn sich dessen finanzielle [X.]eteiligung am Haushalt nicht feststellen lässt, wie auch umgekehrt aus einem finanziellen [X.]eitrag allein nicht zwingend auf das Unterhalten eines eigenen Haushalts zu schließen ist.

c) Der Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Erst- oder Haupthaushalt, den der Steuerpflichtige in einer Wohnung innehat. Ob ein Steuerpflichtiger in einer Wohnung einen eigenen Hausstand führt, kann mithin nur unter [X.]erücksichtigung insbesondere der Einrichtung, der Ausstattung und der Größe eben dieser Wohnung entschieden werden. Wird der Haushalt in einer in sich abgeschlossenen Wohnung geführt, die auch nach Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und Wirtschaften gestattet, wird regelmäßig vom Unterhalten eines eigenen Hausstands auszugehen sein. Weiter sind aber auch die persönlichen Lebensumstände, Alter und Personenstand des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. So wird regelmäßig ein junger Steuerpflichtiger, der nach Schulabschluss gerade eine Ausbildung begonnen hat, noch eher in den Haushalt seiner Eltern eingegliedert sein, wenn er im [X.] wohnt, selbst wenn er dort auch eigene Räume zur Verfügung hat. Hatte der Steuerpflichtige dagegen schon etwa im Rahmen einer gefestigten [X.]eziehung oder Ehe andernorts einen eigenen Hausstand geführt, ist es regelmäßig nicht fernliegend, dass er einen solchen auch dann weiter unterhalten und fortführen wird, wenn er wieder eine Wohnung im Haus seiner Eltern bezieht.

2. Gemessen daran hält die Entscheidung der Vorinstanz, die noch vor dem Urteil des erkennenden [X.]s in [X.], 5, [X.], 1894 ergangen war, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Frage, ob der alleinstehende Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand unterhält oder aber nur in einen fremden eingegliedert ist, entscheidet sich unter Einbeziehung und Gewichtung aller tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen einer den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung. Im Streitfall hat die Vorinstanz jedoch nicht alle maßgeblichen Umstände vollständig in ihre Überzeugungsbildung einbezogen. Dies stellt einen materiell-rechtlichen Fehler dar. Die Gesamtwürdigung des [X.] bindet den [X.] deshalb nicht gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O.

a) Das [X.] hat im Rahmen der ihm obliegenden Gesamtwürdigung zutreffend die näheren Umstände gewürdigt, die dazu führten, dass die Klägerin eine Wohnung im Haus ihrer Eltern bezogen hat. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des [X.]s dem Aspekt der Kostentragung nur indizielle [X.]edeutung zukommt und Steuerpflichtige auch dann einen eigenen Haushalt unterhalten können, wenn sie nicht selbst, sondern Dritte für dessen Kosten aufkommen. Wenn daher das [X.] überzeugt war, dass die Klägerin zwar wieder in [X.] ihren Lebensmittelpunkt gehabt hatte, aber das Unterhalten eines eigenen Hausstandes durch die Klägerin insbesondere unter Hinweis auf die fehlende "Kostentragung im Übrigen" verneinte, hat es nicht alle maßgebenden Umstände festgestellt und in seine Überzeugungsbildung einbezogen. So wurden insbesondere keine Feststellungen zur Abgeschlossenheit, Lage, Einrichtung und Ausstattung der nach Auffassung der Klägerin den [X.] beherbergenden Wohnung getroffen. Entsprechendes gilt für die Wohnungsgröße, nämlich ob die Wohnung eine Größe von 29 m² oder von über 50 m² aufweist. Auch der Umstand, dass die Klägerin jedenfalls früher einen eigenen Hausstand unterhalten hatte, mittlerweile eigene Einkünfte als Erzieherin erzielt und erst nach ihrer Trennung und Scheidung wieder eine Wohnung im Haus ihrer Eltern bezogen hat, wurde nicht weiter gewürdigt. Angesichts dieser [X.]esonderheit hätten auch Feststellungen dazu nahe gelegen, ob und in welchem Umfang die Klägerin die Wohnung mit eigenen Möbeln und sonstigen Haushaltsgegenständen ausgestattet hat, gegebenenfalls unter Verwendung von Hausrat aus der früheren ehelichen Wohnung. Schließlich lässt die Würdigung des [X.] auch nicht erkennen, welche konkreten Umstände andererseits dafür sprechen, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr nach [X.] nicht nur eine Wohnung im Haus ihrer Eltern genommen hatte, sondern auch wieder in den Haushalt ihrer Eltern eingegliedert war.

b) Das [X.] wird daher im zweiten Rechtsgang unter [X.]eachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze entsprechende weitere Feststellungen zu treffen und auf dieser Grundlage erneut zu würdigen haben, ob die Klägerin in der fraglichen Wohnung einen eigenen Hausstand unterhalten hatte.

Meta

VI R 87/10

28.03.2012

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 3. März 2010, Az: 9 K 3789/08, Urteil

§ 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG 2002, § 118 Abs 2 FGO, § 96 Abs 1 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.03.2012, Az. VI R 87/10 (REWIS RS 2012, 7637)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7637

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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