Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.04.2023, Az. III B 41/22

3. Senat | REWIS RS 2023, 2689

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Gegenstand

Gehörsverletzung durch Versagung der Akteneinsicht


Leitsatz

1. NV: Das Gericht verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es eine beantragte Akteneinsicht versagt, ohne dass ein rechtlich anzuerkennender Grund hierfür vorliegt.

2. NV: Beantragt ein erst kurz vor der mündlichen Verhandlung mandatierter Prozessbevollmächtigter Akteneinsicht, kann sich daraus ein erheblicher Grund für die Verlegung des Termins ergeben.

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 22.03.2022 - 8 K 1749/19 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) richtet sich gegen das klageabweisende Einzelrichter-Urteil des [X.] ([X.]) vom 22.03.2022 - 8 K 1749/19. Es erging aufgrund einer mündlichen Verhandlung, an der für die Kläger niemand teilnahm, nachdem der Bevollmächtigte sich legitimiert und Akteneinsicht beantragt hatte.

2

Der Kläger ist selbständiger Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Die Klägerin und er wurden im Einspruchs- und Klageverfahren zunächst durch den als Rechtsanwalt zugelassenen Sozietätspartner des [X.] vertreten. Im [X.] an die Ladung zur mündlichen Verhandlung beantragte dieser mit Schreiben vom 14.03.2022 Terminverlegung. Er versicherte anwaltlich, dass er am Verhandlungstag längerfristig geplante Termine wahrzunehmen habe und die Kläger, die "zwingend den Termin der mündlichen Verhandlung mit wahrnehmen" wollten, sich in ihrem seit längerer Zeit geplanten Jahresurlaub befänden.

3

Aufgrund einer nicht exakt umgesetzten Verfügung des Einzelrichters bat das [X.] am 15.03.2022 um "Vorlage konkretisierender Ladungen und Termine" (laut der dem Schreiben zugrundeliegenden Verfügung gemeint war die "Vorlage konkurrierender Ladungen und Termine"). Der frühere Prozessbevollmächtigte antwortete mit Schreiben vom 17.03.2022, dass es sich um seit mehreren Monaten geplante Termine mit Mandanten aus dem Ausland handle. [X.] hätten sie bereits mehrfach verschoben werden müssen. Wegen der gesellschaftsrechtlichen Komplexität sei die Teilnahme aller Rechtsanwälte der Kanzlei zwingend erforderlich. Als Alternativtermine für die mündliche Verhandlung im Streitfall wurden angesichts der Osterferien im April und zur Vermeidung weiterer [X.] drei Tage Anfang Mai vorgeschlagen (03.05.2022, 04.05.2022 oder 05.05.2022 ab 10:00 Uhr).

4

Nach Ablehnung des [X.] durch das [X.] teilte der frühere Bevollmächtigte dem [X.] mit Schreiben vom 21.03.2022 die Niederlegung seines Mandats mit. [X.] sei nunmehr der aus dem Rubrum ersichtliche neue Bevollmächtigte. Es werde noch einmal um Terminverlegung gebeten.

5

Mit Schreiben an das [X.] vom 21.03.2022 beantragte auch der neue Prozessbevollmächtigte die Aufhebung des [X.] am Folgetag. Unter Bezugnahme auf ein Telefonat, das er mit dem Einzelrichter geführt hatte, teilte er mit, dass die Angelegenheit für ihn völlig neu sei. Er beantragte Akteneinsicht, ohne die eine sachgerechte Vorbereitung nicht möglich sei.

6

Das [X.] führte die mündliche Verhandlung am 22.03.2022 in Abwesenheit der Kläger und des Bevollmächtigten durch. Im [X.] hielt der Einzelrichter fest, dass für die Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung niemand erschienen sei und dass der "am gestrigen Tage eingeschaltete Prozessbevollmächtigte" Terminverlegung beantragt habe.

7

In den Entscheidungsgründen des mit der Beschwerde angefochtenen Urteils vertrat das [X.] die Auffassung, es habe trotz Ausbleibens der Kläger mündlich verhandeln und entscheiden können. Die Kläger seien hierauf mit der Ladung gemäß § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) hingewiesen worden. Das [X.] sei auch nicht gehalten gewesen, den [X.] nachzukommen. Erhebliche Gründe i.S. des § 155 [X.]O i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) lägen nicht vor. Insbesondere liege nach § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO kein erheblicher Grund für eine Verlegung im Ausbleiben einer Partei, wenn sie nicht ohne Verschulden am Erscheinen verhindert sei. Sein Nichterscheinen habe der neue Bevollmächtigte der Kläger nicht begründet. [X.] man an, dass er das Ausbleiben durch seine kurzfristige Mandatierung und sein Akteneinsichtsgesuch gerechtfertigt sehe, so sei dennoch kein erheblicher Verlegungsgrund gegeben. Der Wechsel des Prozessbevollmächtigten vor der mündlichen Verhandlung stelle nur dann einen Grund zur Terminänderung dar, wenn der Wechsel nicht vom Kläger verschuldet werde oder zumindest aus schutzwürdigen Gründen erfolge. Die Kläger hätten keine Gründe für den [X.] mitgeteilt. Offenbar sei er vor dem Hintergrund erfolgt, dass das Gericht einem unbelegten und unbegründeten [X.] des abgelösten Bevollmächtigten nicht stattgegeben habe. Ein schutzwürdiger Grund für den [X.] liege darin nicht. Die Kläger könnten auch nicht geltend machen, dass sie in der Person des neu bestellten Bevollmächtigten schuldlos an einer Vorbereitung des [X.] gehindert gewesen seien (§ 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO). Denn der Wechsel des Bevollmächtigten selbst sei nicht unverschuldet gewesen, sondern von den Klägern ausgegangen. Dass er im Zusammenhang mit der Verzögerung des Rechtsstreits durch Terminverlegung zu sehen sei, ergebe sich auch daraus, dass die Kläger über ihren abgelösten Prozessbevollmächtigten auf die Klageerwiderung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) schriftlich bekundet hätten, dass der Rechtsstreit in tatsächlicher Hinsicht ausgeschrieben sei und weiterer Sachvortrag auf Seiten der Kläger nicht erfolge (vgl. [X.]-Akte, Bl. 120).

8

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beantragen die Kläger die Zulassung der Revision und machen Verfahrensmängel geltend. Insbesondere rügen sie die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Versagung der Terminverlegung und die Versagung der Akteneinsicht.

9

Das [X.] beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

I[X.]

Die [X.]eschwerde ist begründet. Das [X.] hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt, indem es die mündliche Verhandlung am 22.03.2022 durchgeführt und entschieden hat, ohne dem erst am Vortag mandatierten [X.]evollmächtigten zuvor die erstmals beantragte Akteneinsicht zu gewähren. Hierin liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, der zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] führt (§ 116 Abs. 6 [X.]O).

1. Für die Gewährung rechtlichen Gehörs in der mündlichen Verhandlung und durch die Gewährung von Akteneinsicht gelten die folgenden Grundsätze:

a) Der grundrechtsgleiche Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor der Entscheidung des Gerichts zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten (vgl. [X.]sbeschluss vom 03.04.2019 - III [X.] 80/18, [X.], 841, Rz 10). Die Möglichkeit zur Äußerung wird den [X.]eteiligten durch die Einreichung der Klagebegründung und weiterer Schriftsätze sowie durch die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gegeben. Es obliegt den [X.]eteiligten, diese Gelegenheiten wahrzunehmen. Insoweit wird der Anspruch auf rechtliches Gehör durch die prozessuale Mitverantwortung der [X.]eteiligten begrenzt (vgl. [X.]eschluss des [X.] --[X.]FH-- vom 08.04.2022 - IX [X.] 10/21, [X.], 733, Rz 11). Dem Gericht gebietet der [X.], für die [X.]eteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter [X.]erücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (vgl. [X.]sbeschluss [X.], 841, Rz 10).

b) Nach § 96 Abs. 2 [X.]O darf das Gericht das Urteil nur auf Tatsachen und [X.]eweisergebnisse stützen, zu denen die [X.]eteiligten sich äußern konnten. Es handelt sich bei dieser Vorschrift um eine Ausgestaltung des durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör, dessen Verletzung einen absoluten Revisionsgrund darstellt (§ 119 Nr. 3 [X.]O). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet ein Gericht nicht nur, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, sondern auch, sie über die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu informieren. Eine Art. 103 Abs. 1 GG genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die [X.]eteiligten zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. [X.]ei Anwendung der gebotenen Sorgfalt müssen sie sich über den gesamten Verfahrensstoff informieren können. Das Gebot rechtlichen Gehörs sichert ihnen ein Recht auf Information, Äußerung und [X.]erücksichtigung, damit sie ihr Verhalten im Prozess selbstbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere folgt aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör die Möglichkeit der Akteneinsicht im finanzgerichtlichen Verfahren (vgl. dazu [X.]eschluss des [X.] vom 13.04.2010 - 1 [X.]vR 3515/08, [X.] --HFR-- 2010, 862, Rz 35 ff.; [X.] vom 15.02.2022 - X [X.] 137/20, [X.], 730, Rz 15).

c) Im einfachgesetzlichen Prozessrecht ist das verfassungsrechtlich aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Recht auf Akteneinsicht in § 78 [X.]O geregelt (vgl. [X.] vom 28.02.2020 - X [X.] 100/19, [X.], 914, Rz 26). Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 [X.]O können die [X.]eteiligten die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Mit Letzteren sind die tatsächlich dem Gericht vorgelegten Akten gemeint, d.h. insbesondere die den Streitfall betreffende, von der Finanzbehörde gemäß § 71 Abs. 2 [X.]O vorgelegte Akte (vgl. [X.] vom 30.09.2016 - X [X.] 27/16, [X.], 162, Rz 7, und vom [X.], [X.], 1074, Rz 16 ff.). Ein Akteneinsichtsgesuch kann das [X.] grundsätzlich nur verweigern, soweit sich aus § 78 Abs. 4 [X.]O oder der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses oder unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes Einschränkungen ergeben (vgl. [X.]VerfG-[X.]eschluss in HFR 2010, 862, Rz 39; [X.]sbeschluss vom 10.04.2015 - III [X.] 42/14, [X.], 1102, Rz 10). Nach den Umständen des Einzelfalls kann eine Versagung ferner bei rechtsmissbräuchlicher Ausübung des [X.] und insbesondere im Fall der Prozessverschleppung gerechtfertigt sein (vgl. [X.] in [X.], 730, Rz 16 ff., und [X.]eschluss des [X.] vom 08.06.2011 - 9 [X.] 23/11, juris, Rz 4).

2. Nach diesen Maßstäben liegt im Streitfall ein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 [X.]O). Das [X.] hat das rechtliche Gehör der Kläger verletzt, da es die Reichweite des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf Akteneinsicht verkannt und diese deshalb den Klägern zu Unrecht nicht gewährt hat. Das [X.] wäre verpflichtet gewesen, dem neuen [X.]evollmächtigten vor der Entscheidung die beantragte Akteneinsicht zu gewähren und hierzu den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verlegen, da es dem [X.]evollmächtigten die beantragte Akteneinsicht in die Gerichtsakte und die dem [X.] vorliegenden [X.]ehördenakten (15 [X.]ände Steuerakten, vgl. [X.]-Akte, [X.]l. 115 und 118) auf andere Weise nicht eröffnen konnte. Auf die Urlaubsabwesenheit der laut dem früheren [X.]evollmächtigten teilnahmewilligen Kläger kommt es für die Gehörsverletzung nicht an.

a) Die Kläger hatten gemäß § 78 Abs. 1 [X.]O einen Anspruch auf Einsicht in die Gerichtsakte und die dem [X.] vorgelegten [X.]ehördenakten. Dieser Anspruch war im Ausgangsverfahren von den Klägern noch nicht geltend gemacht und vom [X.] noch nicht erfüllt worden. Nach der Mandatsniederlegung durch den alten [X.]evollmächtigten, die von den Klägern entgegen der Auffassung des [X.] nicht verschuldet wurde, durfte der neue [X.]evollmächtigte Akteneinsicht beantragen und diese im Interesse einer sachgerechten Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung für erforderlich halten. Ob das [X.] die Akteneinsicht für erforderlich hielt, ist unerheblich.

Das [X.] hat die erbetene Akteneinsicht im [X.]ewusstsein des Antrags der Kläger zu Unrecht versagt, indem es die mündliche Verhandlung am 22.03.2022 durchgeführt und einen erheblichen Grund für die Verlegung des Termins verneint hat. Auch im Telefonat vom 21.03.2022 bot es die Akteneinsicht nicht an. Für die Verweigerung der Akteneinsicht durch das [X.] bestand keine Rechtfertigung, insbesondere genügen hierfür nicht die vom [X.] in den Urteilsgründen (unter [X.]) angeführten Argumente. Der [X.] war insbesondere nicht rechtsmissbräuchlich. Er diente nicht der Prozessverschleppung, sondern den legitimen Informationsinteressen der Kläger und des sie vertretenden neuen [X.]evollmächtigten. Nach dem letzten Schreiben des früheren [X.]evollmächtigten vom 05.03.2020 fasste das [X.] am 12.03.2020 einen Verbindungsbeschluss und ca. zwei Jahre später am [X.] einen Einzelrichterübertragungsbeschluss (vgl. [X.]-Akte, [X.]l. 120 ff.). Der Einzelrichter verfügte die Ladung, die den [X.]eteiligten laut den [X.] am 03.03.2022 zuging (vgl. [X.]-Akte, [X.]l. 127 ff.). [X.]ei dem u.a. mit der Urlaubsabwesenheit der Kläger begründeten Antrag auf Terminverlegung handelte es sich um den ersten [X.] im Klageverfahren. Auch angesichts der vorgeschlagenen Ersatztermine für Anfang Mai 2022 kann von einem --wie das [X.] meint-- Wechsel des [X.]evollmächtigten "im Zusammenhang mit der Verzögerung des Rechtsstreits durch Terminverlegung" und erst recht von einer Prozessverschleppungsabsicht der Kläger keine Rede sein.

b) Nach § 155 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO vor, verdichtet sich das Ermessen zu einer Rechtspflicht. In diesem Fall muss ein für die mündliche Verhandlung angesetzter Termin zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert würde. Wird ein [X.] sehr kurzfristig, quasi "in letzter Minute", gestellt, muss der [X.]eteiligte den Verlegungsgrund regelmäßig von sich aus glaubhaft machen (vgl. [X.]sbeschluss vom 18.01.2022 - III [X.] 108/21, [X.], 606, Rz 5 f.).

Erheblicher Grund für die im Streitfall gebotene Terminverlegung war der von [X.] wegen zu erfüllende Anspruch auf Akteneinsicht, d.h. nicht allein der [X.]evollmächtigtenwechsel kurz vor der mündlichen Verhandlung (vgl. den vom [X.] zitierten [X.] vom 30.01.2008 - V [X.] 72/06, [X.]FH/NV 2008, 812) und auch nicht das Ausbleiben der Kläger in der mündlichen Verhandlung oder deren mangelnde Vorbereitung auf den Termin (vgl. § 227 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 ZPO). Der [X.]evollmächtigte hatte die Akteneinsicht mit Schriftsatz vom 21.03.2022 beantragt, einer Glaubhaftmachung darüber hinaus bedurfte es insoweit nicht. Da das [X.] das Akteneinsichtsgesuch weder aus den im Urteil genannten noch aus anderen Gründen zurückweisen durfte, hätte es den Termin zur Vermeidung einer Gehörsverletzung verlegen müssen. Die [X.] Kläger und der neue Prozessbevollmächtigte mussten nicht damit rechnen, dass das [X.] die mündliche Verhandlung gleichwohl durchführen und durch Urteil entscheiden würde, ohne ihnen zuvor die beantragte Akteneinsicht eröffnet zu haben.

c) Die Kläger haben das Recht, die Nichtgewährung der Akteneinsicht zu rügen, nicht nach § 295 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 [X.]O verloren (vgl. [X.] in [X.], 730, Rz 22, und vom 30.05.2022 - II [X.] 55/21, [X.], 903, Rz 12 ff.).

d) Die Vorentscheidung des [X.] beruht auf der Gehörsverletzung. Denn nach § 119 Nr. 3 [X.]O ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von [X.]undesrecht beruhend anzusehen, wenn einem [X.]eteiligten das rechtliche Gehör versagt war. Diese unwiderlegbare Kausalitätsvermutung gilt uneingeschränkt, wenn ein Gericht --wie im [X.] das rechtliche Gehör verletzt, indem es in verfahrensfehlerhafter Weise aufgrund einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Kläger entscheidet (vgl. [X.]eschluss des Großen [X.]s des [X.]FH vom 03.09.2001 - GrS 3/98, [X.]FHE 196, 39, [X.]St[X.]l II 2001, 802, unter C.II[X.]). Der [X.] hat auch nicht darüber zu befinden, ob die [X.]eschwerde in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 [X.]O wegen einer etwaigen Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen [X.]-Urteils zurückzuweisen sein könnte (vgl. [X.] vom 30.07.2001 - VII [X.] 78/01, [X.]FHE 195, 530, [X.]St[X.]l II 2001, 681, unter 2. am Ende, vom 19.08.2010 - VIII [X.] 131/09, [X.]FH/NV 2010, 2110, Rz 2, und in [X.], 730, Rz 23).

3. Der [X.] hält es für sachgerecht, das angefochtene Urteil gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. In Anbetracht dessen bedürfen die weiteren Verfahrensrügen der Kläger keiner Entscheidung. Ebenso wenig muss entschieden werden, ob das Vorgehen des [X.] auch das durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) garantierte Recht der Kläger auf ein faires Verfahren verletzte (vgl. [X.]VerfG-[X.]eschluss vom 04.01.2023 - 1 [X.]vR 758/21, juris, Rz 13; [X.]sbeschluss in [X.], 1102, Rz 19).

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III B 41/22

21.04.2023

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 22. März 2022, Az: 8 K 1749/19, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 78 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 155 FGO, § 227 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.04.2023, Az. III B 41/22 (REWIS RS 2023, 2689)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2689

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