Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.11.2011, Az. 1 BvR 2682/11

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2011, 1152

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Grundrechtsverletzung durch unzureichende Beteiligung des betroffenen Unternehmens in einem unionsrechtlichen vorläufigen Beihilfeprüfverfahren nicht hinreichend substantiiert dargelegt


Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin, deren Begünstigung durch eine staatliche Beihilfe von der [X.] untersucht wird, erstrebt ihre Beteiligung in einem vorläufigen Beihilfeprüfverfahren, bevor die [X.] auf Anfrage der [X.] dieser gegenüber eine abschließende Stellungnahme abgibt. Die Beschwerdeführerin hat vergeblich versucht, im Verwaltungsverfahren und mit Eilanträgen vor den Verwaltungsgerichten Rechte auf Akteneinsicht und Anhörung geltend zu machen. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den abschlägigen Bescheid und den Widerspruchsbescheid des [X.] sowie gegen einen Beschluss des [X.] und einen Beschluss des [X.]. Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind darauf gerichtet, dem [X.] aufzugeben, gegenüber der [X.] in dem vorläufigen Beihilfeprüfverfahren nur nach Beteiligung der Beschwerdeführerin abschließend Stellung zu nehmen.

2

Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung von Grundrechten, insbesondere von aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten [X.] geltend.

II.

3

1. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (

4

a) Soweit die Beschwerdeführerin ihre Grundrechte als verletzt betrachtet, weil durch die angegriffenen Entscheidungen eine Schutzlücke nicht geschlossen worden sei, weshalb [X.]s Verfahrensrecht hinter dem erforderlichen [X.] zurückbleibe, genügt sie nicht den in diesem Zusammenhang durch das [X.] entwickelten hohen Zulässigkeitsanforderungen. Danach sind Verfassungsbeschwerden, die eine derartige Verletzung von Grundrechten bei Anwendung von Gemeinschaftsrecht durch die nationale öffentlichen Gewalt geltend machen, von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die [X.] Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des [X.] nach der sogenannten [X.] (vgl. [X.] 73, 339 <378 - 381>) unter den erforderlichen [X.] abgesunken sei. Deshalb muss die Begründung der Verfassungsbeschwerde im Einzelnen darlegen, dass der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet ist. Dazu bedarf es einer Gegenüberstellung des Grundrechtsschutzes auf nationaler und auf Gemeinschaftsebene in der Art und Weise, wie das [X.] sie in der [X.] dargelegt hat (vgl. [X.] 102, 147 <164>). Dem genügt die vorliegende Verfassungsbeschwerde nicht.

5

b) Soweit die Verfassungsbeschwerde darauf zielt, eine Verletzung von Grundrechten und hier des Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes im Umgang des [X.] mit dem Auskunftsersuchen der [X.] in einem vorläufigen Beihilfeprüfverfahren geltend zu machen, kann offen bleiben, inwiefern hier neben den europarechtlichen Regeln zum Beihilfeprüfverfahren, in dem sich auch Regeln über die Beteiligung im förmlichen Prüfverfahren derjenigen finden, die von staatlichen Beihilfen profitieren (vgl. Art. 6 Abs. 1 Beihilfeverfahrensverordnung ([X.]) Nr. 659/1999, [X.]. [X.] Nr. L 83, S. 1), der eigenständige Anwendungsbereich der Grundrechte eröffnet ist. Denn eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG ist vorliegend jedenfalls nicht hinreichend substantiiert dargetan und daher nicht ersichtlich.

6

c) Ob bereits die Abgabe einer Stellungnahme durch das [X.] ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin ihre aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete [X.] entwertet, erschließt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht.

7

(1) Die Grundrechte beeinflussen nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts, sondern setzen zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung (vgl. [X.] 69, 315 <355>; stRspr). In ihrer [X.] können Grundrechte also auch durch eine fehlende Beteiligung im Verwaltungsverfahren verletzt werden. Doch setzt dies voraus, dass es in dem jeweiligen Verfahren um Handlungen geht, die Grundrechte auch tatsächlich beinträchtigen können.

8

(2) Dass in der Stellungnahme des [X.] selbst ein Grundrechtseingriff liegen kann, ist jedoch nicht erkennbar. Es handelt sich um eine Informationsvermittlung des Mitgliedstaates an die [X.] ohne unmittelbare Rechtswirkung. Zwar hat eine Stellungnahme des von der [X.] um Auskunft ersuchten Mitgliedstaates Einfluss auf die das vorläufige Prüfverfahren beendende Entscheidung, doch geht von ihr keine Bindungswirkung aus. Desgleichen wird die mögliche Entscheidung der [X.] über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens zwar veröffentlicht, doch hat sie ebenfalls [X.], denn es handelt sich um eine vorläufige Würdigung des Sachverhaltes. Konkrete grundrechtsrelevante Wirkungen hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt. Soweit die Beschwerdeführerin darauf verweist, dass die nationalen Gerichte Schlüsse aus der Eröffnung des förmlichen Verfahrens ziehen könnten, geht sie daran vorbei, dass die nationalen Gerichte an eine vorläufige Würdigung eines Vorgangs durch die Europäische [X.] als unionsrechtswidrige Beihilfe nicht gebunden sind, sondern bis zum Abschluss des förmlichen [X.] das Vorliegen einer Beihilfe selbst zu prüfen haben (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2011 - I ZR 136/09 -, [X.] 2011, [X.]). Konkreter Vortrag dazu, dass die Kreditgeberin der Beschwerdeführerin eine Kündigung der Kredite im Fall der Eröffnung des förmlichen Verfahrens tatsächlich beabsichtigt, fehlt. Auch der Hinweis auf § 490 Abs. 1 BGB genügt hier nicht, da sich daraus lediglich ergibt, dass der Kreditgeber im Falle einer Kreditgefährdung kündigen kann. Zudem ist die allgemeine Behauptung einer dann bevorstehenden Insolvenz nicht geeignet, um die Möglichkeit einer Beeinträchtigung von Grundrechten substantiiert darzulegen.

9

d) Von einer weiteren Begründung sieht die Kammer nach


2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (vgl. § 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2682/11

23.11.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 17. Oktober 2011, Az: OVG 10 S 22.11, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, § 490 Abs 1 BGB, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 6 Abs 1 EGV 659/99

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.11.2011, Az. 1 BvR 2682/11 (REWIS RS 2011, 1152)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1152

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

I ZR 91/15

Zitiert

I ZR 136/09

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