Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.09.2010, Az. 1 BvR 1504/10

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2010, 3413

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahme einer mangels hinreichender Substantiierung unzulässigen Verfassungsbeschwerde: unzureichende Darlegung, dass die Generalklausel des § 3 UWG neben den Sondertatbeständen des Wettbewerbs- und des Markenrechts anwendbar sei - Grenzen des von Art 12 GG vermittelten Schutzes der Teilnahme am Wettbewerb - hier: marken- bzw wettbewerbsrechtliche Ansprüche der FIFA bzgl Markenzeichen, die auf Fußballweltmeisterschaften Bezug nehmen


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen marken- und wettbewerbsrechtlichen Streit zwischen dem Fußballweltverband [X.] und der [X.] (Beklagte) über Werbung für Schokoladenprodukte mit Markenzeichen, die auf die [X.] und 2010 Bezug nehmen (Sammelbilder).

2

1. Die Beschwerdeführerin nahm die Beklagte auf Löschung von mehreren Markenregistrierungen und auf Rücknahme mehrerer Markenanmeldungen in Anspruch. Sie selbst ist Inhaberin verschiedener "WM-Marken" wie beispielsweise "[X.] 2006" oder "[X.]", welche für zahlreiche Waren- und Dienstleistungen geschützt sind. Die Beklagte ist Inhaberin prioritätsjüngerer "WM-Marken", die sich jeweils nur geringfügig von den Marken der Beschwerdeführerin unterscheiden; sie hat zudem weitere solche Marken beim [X.] angemeldet.

3

Der im Jahr 2005 zum Landgericht erhobenen Hauptsacheklage der Beschwerdeführerin wurde stattgegeben.

4

2. Das [X.] wies hingegen die Klage ab. Aufgrund ihrer Markenrechte könne die Beschwerdeführerin eine Löschung der eingetragenen Marken nicht beanspruchen, weil sie eine Verwechslungsgefahr zwischen den [X.] nicht dargelegt habe. Die Registrierung oder Anmeldung der angegriffenen Marken sei auch nicht wettbewerbswidrig. Die Marken seien schon nicht geeignet, die wirtschaftliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin zu beeinträchtigen, und zielten darauf auch nicht ab.

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3. Der [X.] hat die Revision zurückgewiesen und, soweit im Verfahren der Verfassungsbeschwerde von Bedeutung, ausgeführt:

6

Ein Rückgriff auf die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften sei im Streitfall nicht durch Vorschriften des Markengesetzes ausgeschlossen. Jedoch liege weder eine Irreführung (§ 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 UWG) noch eine gezielte Behinderung (§ 3 Abs. 1, § 4 [X.] UWG) noch ein Fall des § 4 Nr. 9 Buchstabe [X.] vor. Schließlich folgten die Ansprüche auch nicht unmittelbar aus der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG, denn eine unlautere geschäftliche Handlung sei nicht gegeben. Eine solche liege insbesondere nicht allein darin, dass die Beklagte mit den in Rede stehenden Marken auf die von der Beschwerdeführerin veranstaltete [X.] Bezug nehme und sich deren Ruf zunutze mache. Ein etwaiger Schutz für die Verwertung der Übertragungsrechte stehe hier nicht in Rede. Die Grundrechte geböten keine erweiternde Auslegung des § 3 UWG. Allerdings könne sich die Beschwerdeführerin auch als juristische Person [X.] Rechts auf eine verfassungskonforme Auslegung berufen, da ihr nach Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 der [X.] zum Schutz des gewerblichen Eigentums die Inländerbehandlung zustehe. Zum Schutz der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG gehöre zwar das Recht zur wirtschaftlichen Verwertung der beruflich erbrachten Leistung; dazu rechne auch die Möglichkeit, Werbeeinnahmen zu erzielen. Die Berufsfreiheit entfalte ihre Schutzwirkung aber nur gegenüber solchen Normen oder Akten, die sich entweder unmittelbar auf die Berufstätigkeit bezögen oder zumindest eine objektiv berufsregelnde Tendenz hätten. Dagegen gehe es im Streitfall um eine allenfalls mittelbar wirkende Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Beschwerdeführerin durch die in Rede stehenden Markeneintragungen und -anmeldungen, die dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG nicht unterfalle. Das grundgesetzlich geschützte Recht der Beschwerdeführerin zur wirtschaftlichen Verwertung der von ihr organisierten Sportveranstaltungen begründe keinen Schutz für jede wirtschaftliche Nutzung, die auf das Sportereignis Bezug nehme.

7

4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde sieht sie sich ungeachtet Art. 19 Abs. 3 GG aufgrund völkerrechtlich gebotener Gleichbehandlung befugt.

8

Bei dem Vorgehen der Beklagten handele es sich um "Ambush Marketing", also vom Veranstalter nicht autorisierte Werbeaktionen, die im zeitlichen und assoziativen Zusammenhang mit Großereignissen die diesen entgegengebrachte Aufmerksamkeit und den Goodwill für sich ausnutzten. Solche Maßnahmen beeinträchtigten die Interessen der offiziellen Sponsoren und des Veranstalters, der die Werberechte vermarkte. Die Einbuße an Lizenzeinnahmen der Beschwerdeführerin bewege sich im mindestens zweistelligen Millionenbereich (CHF).

9

Der [X.] verkenne die Notwendigkeit, die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften verfassungskonform auszulegen. In der Verweigerung einer erweiternden Auslegung zumindest der Generalklausel des § 3 UWG liege ein staatlicher Akt mit objektiv berufsregelnder Tendenz. Der [X.] verschließe sich einer grundrechtsorientierten Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen der Beschwerdeführerin, der Beklagten und der Allgemeinheit. Jedenfalls liege darin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG.

Gründe für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, weil sie eine mögliche Verletzung von Art. 12 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG nicht gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz, § 92 [X.] ausreichend substantiiert [X.] (vgl. [X.] 79, 1 <18>; 81, 208 <214 f.>; 85, 36 <52 f.>; 88, 40 <45>; 89, 1 <4 f.>; 101, 331 <345 f.>; 105, 252 <264>).

1. Auch wenn sich die Verfassungsbeschwerde gegen Urteile und nicht gegen eine Gesetzesvorschrift wendet, so erfordert sie doch, soweit sie von den Fachgerichten eine verfassungskonforme, erweiternde Auslegung verlangt, eine eingehende Auseinandersetzung mit dem fachrechtlichen Regelungskonzept (vgl. [X.] 79, 1 <18>; 101, 331 <345 f.>). Im konkreten Fall wäre insbesondere darzulegen, aus welchem Grund über den Schutz des Markenrechts und der Spezialtatbestände des [X.]rechts hinaus die Generalklausel des § 3 UWG als Auffangtatbestand extensiv ausgelegt werden sollte. Dabei nimmt die Beschwerdeführerin hin, dass weder das Markenrecht (§ 5 i.V.m. § 15 Abs. 2, 4, § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) noch die Spezialtatbestände des [X.]rechts (§ 3 i.V.m. § 4 Nr. 9 Buchstabe b, [X.], § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 UWG) ihrer Klage zum Erfolg verholfen haben. Dass die Generalklausel des § 3 UWG nach der Rechtsprechung des [X.]s in Ausnahmefällen neben dem Sonderrechtsschutz anwendbar bleibt (vgl. die Nachweise im angegriffenen Urteil des [X.]s unter II. 2. a; [X.], S. 642 <645>), erübrigt nicht die Darlegung, warum die Fachgerichte im zugrundeliegenden Fall von Verfassungs wegen gehalten gewesen sein sollen, von einem solchen Ausnahmefall auszugehen.

Nach der Rechtsprechung des [X.] richtet sich der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gegen jedwede auch nur mittelbar wirkende Beeinträchtigung des Berufs. Art. 12 Abs. 1 GG entfaltet seine Schutzwirkung vielmehr nur gegenüber solchen Normen oder Akten, die sich entweder unmittelbar auf die Berufstätigkeit beziehen oder die zumindest eine objektiv berufsregelnde Tendenz haben (vgl. [X.] 95, 267 <302>; 97, 228 <253 f.>; stRspr). Regelungen, die lediglich die Berufsausübung betreffen, sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie als zweckmäßig erscheinen lassen und das Grundrecht nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird (vgl. [X.] 7, 377 <404 ff.>; 97, 228 <255>; stRspr). Im Übrigen sichert Art. 12 Abs. 1 GG die Teilnahme am Wettbewerb nur nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen (vgl. [X.] 105, 252 <265>; 116, 135 <151 f.>).

Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung des Zivilrechts - mangels unmittelbarer Drittwirkung (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], GG, Art. 12, Rn. 77, 81 [Juni 2006]) - nur im Sinne einer Ausstrahlungswirkung Einfluss nehmen (vgl. [X.] 7, 198 <205 ff.>; stRspr). Zwar kommt die Generalklausel des § 3 UWG als "Einfallstor" für die Wertungen des Grundgesetzes grundsätzlich in Betracht, doch ist hierbei die Überprüfung durch das [X.] in zweifacher Weise zurückgenommen: Zum einen ist spezifisches Verfassungsrecht erst dann verletzt, wenn Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. [X.] 89, 1 <9 f.>; stRspr). Zum anderen scheidet Art. 12 Abs. 1 GG insoweit als Prüfungsmaßstab aus, als sich die angegriffene Entscheidung des Fachgerichts in einer Anwendung interessenausgleichender Normen des Privatrechts erschöpft (vgl. [X.] 31, 255 <265 f.>). Anderes kann allerdings gelten, wenn es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der am zivilrechtlichen Konflikt Beteiligten fehlt (vgl. [X.] 81, 242 <253 ff.>).

2. Die Verfassungsbeschwerde setzt sich mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht im erforderlichen Maße auseinander. Das gesetzliche Schutzkonzept von Markenrecht und [X.]recht und ihr Verhältnis zueinander werden weder im Hinblick auf die Motive des Gesetzgebers noch auf die Rechtsprechung des [X.]s analysiert. Zu den Funktionsbedingungen des [X.], den Art. 12 Abs. 1 GG schützt, gehört auch das nach Auffassung des Gesetzgebers erforderliche und ausreichende Niveau des rechtlichen Schutzes gegen Werbung, die auf die wirtschaftliche Tätigkeit anderer Bezug nimmt. Dass dieses Niveau in den angegriffenen Entscheidungen unter Verletzung spezifischen Verfassungsrechts verfehlt worden wäre, lässt sich der Verfassungsbeschwerde nicht entnehmen. Die Beschwerdeführerin zieht nicht genügend in Betracht, dass im Verhältnis zwischen Privaten nicht die gleichen Bindungen gelten, die die Verfassung dem Gesetzgeber bei der Gestaltung von Normen auferlegt, die Berufe oder Berufsausübung regeln. Die Abgrenzung der marken- und wettbewerbsrechtlichen Schutzsphären der Beschwerdeführerin und der Beklagten, zwischen denen ein offensichtliches wirtschaftliches Ungleichgewicht nicht zu erkennen ist, stellt zuvörderst eine Frage der Anwendung des Fachrechts dar. Eine grundsätzlich unrichtige Anschauung der Gerichte von der Bedeutung des Art. 12 Abs. 1 GG ist vor diesem Hintergrund weder dargetan noch ersichtlich.

3. Ob sich die Beschwerdeführerin als juristische Person mit Sitz in der [X.] auf die Grundrechte des Grundgesetzes berufen kann und zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde befugt ist, bedarf daneben keiner Entscheidung.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1504/10

14.09.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 12. November 2009, Az: I ZR 183/07, Urteil

Art 12 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 15 Abs 2 MarkenG, § 15 Abs 4 MarkenG, § 5 MarkenG, § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, § 3 UWG, § 4 Nr 10 UWG, § 4 Nr 9 Buchst b UWG, § 5 Abs 1 S 2 Nr 4 UWG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.09.2010, Az. 1 BvR 1504/10 (REWIS RS 2010, 3413)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3413

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 ZRR 4/19

M 26 S 20.2071

1 S 1216/20

1 S 1357/20

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