Bundessozialgericht, Urteil vom 10.11.2022, Az. B 1 KR 21/21 R

1. Senat | REWIS RS 2022, 9177

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung - Versorgung mit Cannabisarzneimitteln gem § 31 Abs 6 SGB 5 - Entscheidung eines Landessozialgerichts im urteilsersetzenden Beschlussverfahren - regelmäßig grobe Fehleinschätzung bei Anwendung höchstrichterlich ungeklärter Normen und möglichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung - Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - Erforderlichkeit erneuter Anhörung nur bei neuer prozessualer Situation bezüglich der mitgeteilten Gründe)


Leitsatz

1. Die Entscheidung eines Landessozialgerichts im urteilsersetzenden Beschlussverfahren beruht regelmäßig auf einer den Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzenden groben Fehleinschätzung, wenn als Anspruchsgrundlage eine Vorschrift in Betracht kommt, über die höchstrichterlich bislang noch nicht entschieden wurde, und sich bei ihrer Anwendung Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen können.

2. Sind dem Berufungskläger die Gründe für die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung durch Beschluss bekannt, ist eine erneute Anhörung nur erforderlich, wenn zu allen vom Landessozialgericht mitgeteilten Gründen durch neuen Vortrag oder neue Beweisanträge bzw -anregungen eine neue prozessuale Situation geschaffen wird.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des [X.] vom 18. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Genehmigung der Versorgung mit Cannabisblüten.

2

Der 1976 geborene, bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte Kläger leidet an Epilepsie und bezieht seit 2018 eine Erwerbsminderungsrente. [X.], Facharzt für [X.]sychiatrie und [X.]sychotherapie behandelt den Kläger seit Oktober 2012. Er beantragte am 20.3.2017 unter Verwendung eines "[X.] zu Cannabinoiden nach § 31 Abs 6 [X.]B V" die Versorgung des [X.] mit Cannabis zunächst zur Behandlung der Epilepsie und der epileptischen Symptome mit komplexen fokalen Anfällen sowie später auch zur Behandlung der Depression. Die bisherige medikamentöse Therapie mit Folsan 5 mg, einem Antiepileptikum und einem Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sowie eine stationäre Krankenhausbehandlung seien erfolglos geblieben. Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 24.3.2017 über die Notwendigkeit der Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ([X.]). Gestützt auf das [X.]-Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag des [X.] ab (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom 30.8.2017).

3

Das [X.] hat die Klage nach Einholung eines Gutachtens bei dem Facharzt für Neurologie, [X.]sychiatrie und [X.]sychotherapie N abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen. Es fehle an einer vertragsärztlichen Verordnung auf einem Betäubungsmittelrezept. Überdies stünden zur Behandlung der beim Kläger bestehenden Epilepsie als schwerwiegender Erkrankung nach dem vom [X.] eingeholten Gutachten leitliniengerechte Behandlungsmethoden zur Verfügung. Die deshalb erforderliche begründete Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, dass diese Behandlungsmethoden unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des [X.] nicht zur Anwendung kommen könnten, liege nicht vor. Die Ausführungen von [X.] seien nicht ausreichend. Er habe die Behandlung ohne konkrete Darstellung der eingesetzten Medikamente und der dabei aufgetretenen Nebenwirkungen pauschal geschildert. Auch die Möglichkeit einer erneuten stationären Aufnahme zur Einstellung der Medikation werde nicht erörtert. Der vorherige Cannabiskonsum und die vom Gutachter empfohlene [X.] stellten einen begründeten Ausnahmefall dar, der die Beklagte zur Ablehnung der Genehmigung berechtigt habe. Einer weiteren Beweiserhebung habe es nicht bedurft (Beschluss vom [X.]).

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger verfahrensrechtliche Verstöße gegen das Recht auf rechtliches Gehör (§ 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G) und eine sich daraus ergebende fehlerhafte Besetzung der Richterbank (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 Z[X.]O). Das L[X.] hätte nach der Äußerung des [X.] auf die Mitteilung vom 6.11.2019 erneut zur beabsichtigten Zurückweisung durch Beschluss anhören müssen. Da dies unterblieben sei, hätte es nicht durch Beschluss entscheiden dürfen. Zudem rügt der Kläger eine Verletzung des § 31 Abs 6 [X.]B V. Das L[X.] sei unzutreffend davon ausgegangen, dass mit dem Genehmigungsantrag bereits eine vertragsärztliche Verordnung mittels Betäubungsmittelrezept vorliegen müsse. Es müssten für eine Versorgung nach § 31 Abs 6 [X.]B V nicht sämtliche Standardtherapien ausgeschöpft sein. Es liege auch kein begründeter Ausnahmefall wegen einer Kontraindikation aufgrund vorangegangenen Drogenmissbrauchs vor.

5

Der Kläger beantragt,

        

den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Dezember 2019 und das Urteil des [X.] vom 5. Februar 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Genehmigung der vertragsärztlichen Verordnung von [X.], 1 bis 3 Gramm pro Tag zur Inhalation, bei einer monatlichen Verordnungsmenge von 60 Gramm zu erteilen.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet.

9

1. Der Senat war nicht gehindert, über den Rechtsstreit abschließend zu entscheiden (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Das Revisionsgericht muss den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverweisen, wenn ein absoluter Revisionsgrund vorliegt (stRspr; vgl [X.][X.] vom [X.] [X.]1 [X.] 16/18 R - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]; vgl auch [X.][X.] vom 13.5.1998 - [X.] [X.] 31/97 R - [X.], 150, 156 f = [X.] 3-1500 § 60 [X.], wonach in besonders gelagerten Ausnahmefällen in [X.]etracht gezogen werden könne, von einer Zurückverweisung abzusehen, keinesfalls aber bei [X.] [X.]esetzung der Richterbank). Ein absoluter Revisionsgrund liegt hier nicht vor. Die vom Kläger erhobene Rüge des absoluten Revisionsgrundes der fehlerhaften [X.]esetzung der [X.] durch die [X.]ichtmitwirkung [X.] ist unbegründet (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 Z[X.]O von Amts wegen bei Fehlern der Anzahl und/oder im Status [X.] zu beachten, vgl [X.][X.] vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - [X.], 189 = [X.] 4-1500 § 155 [X.] 2, Rd[X.] 13 f). Das [X.] hat den Anspruch des [X.] auf [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) nicht dadurch verletzt, dass es durch [X.]eschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G entschieden hat. Eine fehlerhafte [X.]esetzung ergibt sich hier trotz der mit dem Rechtsstreit aufgeworfenen grundsätzlichen Rechtsfragen weder unmittelbar aus dem schon von Amts wegen zu beachtenden § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G (dazu a) noch mittelbar aus der vom Kläger ausdrücklich gerügten Verletzung der [X.] nach § 153 Abs 4 Satz 2 iVm Satz 1 [X.]G (dazu b).

a) Das [X.] ist nicht grob fehlerhaft von der Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G ausgegangen.

[X.]ach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G kann das [X.] die [X.]erufung durch [X.]eschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des [X.] kein Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 [X.]G) ist. Eine Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G hat zwangsläufig zur Folge, dass das [X.] ohne [X.] - mithin in nicht vorschriftsmäßiger [X.]esetzung - entscheidet; dies stellt einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 Z[X.]O dar, bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (stRspr; vgl [X.][X.] vom [X.] R 37/06 [X.] - [X.] 4-1500 § 153 [X.] 5 Rd[X.] 10; [X.][X.] vom [X.] - [X.] 2 U 29/00 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 13 S 40; [X.][X.] vom 8.11.2001 - [X.]1 [X.] 37/01 R - juris Rd[X.] 15; ebenso zu § 158 Satz 2 [X.]G: [X.][X.] vom 8.11.2005 - [X.] KR 76/05 [X.] - [X.] 4-1500 § 158 [X.] 2 Rd[X.] 10 unter Hinweis auf § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G).

Die Entscheidung des [X.], bei Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen ohne mündliche Verhandlung durch [X.]eschluss zu entscheiden, steht allerdings in seinem pflichtgemäßen Ermessen. [X.]ei dieser Ermessensentscheidung hat das [X.] die Schwierigkeit des Falles und die [X.]edeutung von [X.] zu berücksichtigen. [X.] ist die Entscheidung des [X.] insoweit nur darauf überprüfbar, ob es erkennbar von diesem Ermessen fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der [X.]eurteilung erkennbar sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (stRspr; vgl [X.][X.] vom [X.] [X.]/21 [X.] - juris Rd[X.] 4; [X.][X.] vom 30.10.2019 - [X.] [X.]/18 [X.] - juris Rd[X.] 4; [X.][X.] vom [X.] - juris Rd[X.] 6; [X.][X.] vom [X.] - [X.] 2 U 29/00 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 33 S 38; [X.][X.] vom 13.10.1993 - 2 [X.]U 79/93 - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 1 S 4). Eine grobe Fehleinschätzung liegt nicht nur bei noch offenen [X.] vor, sondern grundsätzlich auch dann, wenn - wie hier - als Anspruchsgrundlage nur eine Vorschrift in [X.]etracht kommt, über die höchstrichterlich bislang noch nicht entschieden wurde und sich bei ihrer Anwendung Rechtsfragen von grundsätzlicher [X.]edeutung stellen können. [X.]ur diese Vorgehensweise wird der [X.]edeutung der mündlichen Verhandlung als Kernstück des gerichtlichen Verfahrens gerecht (allgemein dazu: [X.][X.] vom 8.9.2015 - [X.] KR 134/14 [X.] - juris Rd[X.] 8; [X.][X.] vom [X.] - [X.] 2 U 29/00 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 13 S 38 f).

Ein solches Verhalten ist dem [X.] hier nicht vorzuwerfen. Denn das [X.]erufungsgericht darf jedenfalls dann einen [X.]eschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G erlassen, wenn sich nach seiner Einschätzung aufgrund der besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls Rechtsfragen von grundsätzlicher [X.]edeutung nicht stellen und diese Einschätzung nicht grob fehlerhaft ist. Ein solcher Fall liegt hier vor.

Das [X.] hat sich die Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen [X.] in seinem Gutachten vom [X.] und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.11.2018 zu eigen gemacht, dass bei dem langjährigen multiplen Drogenkonsum des [X.] eine konsequente Drogenabstinenz mit strikter Cannabis-Karenz geboten sei. Dabei hat es auch die gleichlautende Einschätzung im Entlassungsbericht des den Kläger behandelnden [X.]sychiatrischen Zentrums [X.] vom 18.12.2017 berücksichtigt. Das [X.] hat es danach aus medizinischen Gründen als völlig ausgeschlossen angesehen, dass eine Genehmigung in [X.]etracht kommen könnte (im Ergebnis aus Rechtsgründen zu Unrecht; näher dazu unten Rd[X.] 24 ff). Es ist deshalb nicht grob fehlerhaft von der Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G ausgegangen.

b) Auch die vom Kläger gerügte Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 2 iVm Satz 1 [X.]G stellt zwar einen absoluten Revisionsgrund dar (vgl [X.][X.] vom [X.] [X.]1 [X.] 16/18 R - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] 16; [X.][X.] vom 17.11.2015 - [X.] KR 65/15 [X.] - juris Rd[X.] 6 ff mw[X.] auch zur einschränkenden Auffassung bei nicht unterbliebener, aber fehlerhafter Anhörung; [X.][X.] vom 20.10.2010 - [X.]3 R 63/10 [X.] - [X.] 4-1500 § 153 [X.] 11 Rd[X.]). Die Verfahrensrüge ist aber unbegründet. Es bedurfte vorliegend keiner nochmaligen Anhörung des [X.] zur Entscheidung des [X.], die [X.]erufung durch [X.]eschluss zurückzuweisen. Das [X.] hat mit der Anhörung vom 6.11.2019 zur beabsichtigten Zurückweisung der [X.]erufung durch [X.]eschluss der [X.] Genüge getan.

Die [X.] (§ 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G) ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG), das bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im [X.] nicht verkürzt werden darf (stRspr; vgl [X.][X.] vom 29.8.2006 - [X.]3 R 37/06 [X.] - [X.] 4-1500 § 153 [X.] 5 S 13). Eine erneute Anhörung ist gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die [X.]rozesssituation entscheidungserheblich ändert und das [X.] gleichwohl daran festhalten möchte, die [X.]erufung im [X.] zurückzuweisen. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG) ist § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G zugunsten der [X.]eteiligten verfassungskonform weit auszulegen, weil die Anhörungsmitteilung die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der [X.]eteiligten adäquat kompensieren soll (stRspr; vgl [X.][X.] vom 26.5.2020 - [X.] 2 U 25/20 [X.] - juris Rd[X.] 6 mw[X.]; [X.][X.] vom [X.] - 6 [X.]/96 - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 4 S 11 f mw[X.]). Macht ein [X.]eteiligter von der Gelegenheit zur Äußerung Gebrauch, ist das [X.]erufungsgericht aber nicht in jedem Fall zu einer weiteren Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G verpflichtet. Es muss insbesondere nicht auf ein Vorbringen reagieren, das nicht entscheidungserheblich oder unsubstantiiert ist, neben der Sache liegt oder mit dem ein früherer Vortrag lediglich wiederholt wird (stRspr; vgl [X.][X.] vom 10.10.2017 - [X.]2 KR 37/17 [X.] - juris Rd[X.] 9; [X.][X.] vom 20.10.1999 - [X.] [X.] 4/98 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 8 S 24). Unerheblich ist insbesondere Vorbringen, das nicht den Anforderungen entspricht, die erfüllt sein müssen, damit das [X.] gehalten ist, durch weitere Ermittlungen bzw eine Vorabentscheidung über die Durchführung der beantragten [X.]eweisaufnahme darauf einzugehen (offengelassen von [X.][X.] vom [X.] - 6 [X.]/96 - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 4 S 13). Sind dem [X.]erufungskläger die Gründe für die beabsichtigte Zurückweisung der [X.]erufung durch einen vorausgegangenen ablehnenden [X.] bekannt, ist eine erneute Anhörung nur erforderlich, wenn zu allen vom [X.] mitgeteilten Gründen durch neuen Vortrag oder neue [X.]eweisanträge bzw -anregungen eine neue prozessuale Situation geschaffen wird. Dies war vorliegend nicht der Fall. Das Vorbringen des [X.] in der Stellungnahme vom [X.] wiederholte lediglich den bisherigen Rechtsstandpunkt und enthielt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen, keinen neuen [X.]eweisantrag und auch keine neue [X.]eweisanregung.

Der Kläger hatte bereits mit den Schriftsätzen vom 18.7. und 11.10.2019 - knapp dreieinhalb Monate und nochmals einen Monat vor dem [X.] des [X.] - ausgeführt, dass ein vorangegangener Cannabiskonsum keine Kontraindikation für die Therapie mit Cannabispräparaten darstelle, weil der [X.] als Selbstmedikation erfolgt sei und es keinen [X.]eleg in der wissenschaftlichen Fachliteratur für eine solche Kontraindikation gebe. Die Wiederholung dieses schon vor dem [X.] geäußerten und bereits in dem [X.]eschluss vom [X.] über den [X.]rozesskostenhilfeantrag des [X.] abgelehnten Standpunktes zwingt nicht zu einer Wiederholung der Anhörung unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs. Auch im Übrigen enthält die klägerische Stellungnahme vom [X.] lediglich Wiederholungen des bisherigen Vortrags.

Der hilfsweise gestellte [X.]eweisantrag zur Klärung der Frage, ob ein vorausgegangener Cannabiskonsum eine Kontraindikation für die ärztliche Verordnung einer Cannabisblüten-Therapie darstelle, ist ein Angriff auf das Gutachten von [X.] mit dem Ziel der Einholung eines weiteren Gutachtens. Das [X.] hat jedoch bereits in seinem ausführlich begründeten [X.]eschluss vom [X.], mit dem es den [X.]rozesskostenhilfeantrag des [X.] abgelehnt hat, deutlich gemacht, dass es an der fachlichen Richtigkeit des Gutachtens gerade auch unter [X.]erücksichtigung der Erkenntnisse aus dem stationären Aufenthalt des [X.] vom 15. bis 19.12.2017 keinen Zweifel habe. Die weitere [X.]egutachtung sollte lediglich dazu dienen, die Schlussfolgerungen in Frage zu stellen, die der Sachverständige als Gehilfe des Gerichts aus den erhobenen [X.]efunden gezogen hatte. Liegt bereits ein ärztliches Gutachten als [X.]eweismittel vor, bedarf es unter [X.]erücksichtigung des Grundsatzes der freien richterlichen [X.]eweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G) grundsätzlich keiner weiteren [X.]eweiserhebung in dieser Richtung. Ein [X.]eteiligter hat keinen Anspruch darauf, dass das Gericht auf seinen Antrag hin in jedem Fall noch ein zweites Gutachten einholt. Anders verhält es sich dann, wenn die vorliegenden Gutachten schwere Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit des Sachverständigen erwecken (vgl nur [X.][X.] vom 16.2.2012 - [X.] V 17/11 [X.] - juris Rd[X.] 13). Ein Angriff auf die [X.]eweiswürdigung löst dementsprechend nur dann eine erneute [X.] aus, wenn nicht lediglich die [X.]ehauptung in den Raum gestellt wird, es sei anders, sondern konkret die Möglichkeit schwerer Mängel des Sachverständigengutachtens aufgezeigt wird. Dies erfolgte in der klägerischen Stellungnahme vom [X.] nicht. Ob mit [X.]lick auf die Schriftsätze vom 18.7. und 11.10.2019 und die dortige [X.]ezugnahme auf eine Stellungnahme des [X.] etwas anderes gelten könnte, bedarf keiner Entscheidung, da diese vor dem [X.] des [X.] liegen und ihm schon bekannt waren. Der Kläger hat dieses Vorbringen in seiner Stellungnahme vom [X.] auch nicht weiter vertieft, ja nicht einmal ausdrücklich erwähnt.

2. Das [X.] hat zu Recht die [X.]erufung gegen das klageabweisende Urteil zurückgewiesen. Das klägerische [X.]egehren (§ 123 [X.]G) ist auf die Erteilung der von der [X.]eklagten versagten Genehmigung der vertragsärztlichen Verordnung von Cannabisblüten als Voraussetzung für einen Sachleistungsanspruch nach § 31 Abs 6 Satz 1 und 2 [X.][X.] V gerichtet. Sowohl die Ablehnung der begehrten Genehmigung als auch ihre Erteilung sind Verwaltungsakte (§ 31 Satz 1 [X.][X.] X). Hierfür ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 iVm § 56 [X.]G) die statthafte Klageart. Auch im Übrigen ist die Klage zulässig. Sie ist aber unbegründet. Das [X.] hat einen Anspruch des [X.] auf Versorgung mit Cannabis und damit inzident einen Anspruch auf Genehmigung der Verordnung von Cannabisblüten der Sorte [X.]edrocan gemäß § 31 Abs 6 Satz 1 und 2 [X.][X.] V verneint, weil der Kläger hierfür keine vertragsärztliche Verordnung vorgelegt hat. Das hält zwar einer revisionsgerichtlichen [X.]rüfung nicht stand (ausführlich dazu [X.][X.] vom 10.11.2022 - [X.] KR 28/21 R - juris Rd[X.] 46 ff). Die Revision war aber aus anderen - auch vom [X.] genannten - Gründen zurückzuweisen.

Rechtsgrundlage der begehrten Genehmigung für die vertragsärztliche Verordnung von Cannabisblüten ist § 31 Abs 6 [X.][X.] V. Danach haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten [X.]lüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und [X.]abilon (nachfolgend zusammengefasst Cannabis), wenn sie an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden (Satz 1), eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder nach einer begründeten ärztlichen Einschätzung nicht zur Anwendung kommen kann (Satz 1 [X.] 1), eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (Satz 1 [X.] 2) und bei der ersten Verordnung vor [X.]eginn der Leistung eine Genehmigung der [X.] vorlag, die nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnen ist (Satz 2).

Der Anspruch scheitert weder am Fehlen einer schwerwiegenden Erkrankung iS von § 31 Abs 6 Satz 1 [X.][X.] V (dazu a) noch berechtigte der festgestellte Cannabiskonsum des [X.] die [X.]eklagte dazu, die Genehmigung wegen eines begründeten [X.] zu versagen (dazu b). Der Kläger erfüllt aber andere Anspruchsvoraussetzungen nicht. [X.]ach den Feststellungen des [X.] stehen zur [X.]ehandlung der Erkrankungen des [X.] noch weitere, dem medizinischen Standard entsprechende Methoden zur Verfügung und es fehlt auch an einer begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese nicht zur Anwendung kommen können (dazu c).

a) Anhaltspunkte für die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung des [X.] sind nach den Feststellungen des [X.] nicht ersichtlich. Die Annahme einer schwerwiegenden Erkrankung erfordert, dass die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt ist. Maßgebend dafür sind die durch die Erkrankung hervorgerufenen Funktionsstörungen und -verluste, Schmerzen, Schwäche und [X.] bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, die sich durch ihre Schwere vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben müssen. Ein Grad der Schädigung (GdS) bzw Grad der [X.]ehinderung (Gd[X.]) von 50 für die mit Cannabis zu behandelnden Erkrankungen nach der [X.] aus Teil 2 der Anlage zu § 2 der [X.] ([X.]) kann dafür als Anhaltspunkt dienen, ist aber nicht als starrer Grenzwert zu verstehen. Entscheidend sind die in der [X.] enthaltenen Kriterien zur Schwere der [X.]eeinträchtigungen aufgrund der Auswirkungen einer Erkrankung (ausführlich dazu [X.][X.] vom 10.11.2022 - [X.] KR 28/21 R - Rd[X.] 13 ff). Zudem hat das [X.][X.] entschieden (Urteil vom 10.11.2022 - [X.] KR 19/22 R - Rd[X.] 16), dass dann, wenn die Auswirkungen der mit Cannabis zu behandelnden Erkrankung nicht die Schwere des Einzel-GdS von 50 erreicht, die Annahme einer nachhaltigen [X.]eeinträchtigung der Lebensqualität nicht ausgeschlossen ist. Soll Cannabis zur [X.]ehandlung mehrerer Erkrankungen oder Symptome eingesetzt werden, ist auf deren Gesamtauswirkungen abzustellen. Schränken sich ggf überschneidende und/oder einander wechselseitig verstärkende Auswirkungen die Lebensqualität insgesamt in einer einem Einzel-GdS 50 vergleichbaren Schwere ein, kann grundsätzlich auch vom Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden. Sie kommt im Einzelfall in [X.]etracht, etwa wenn ihre Auswirkungen aufgrund weiterer Erkrankungen, zu deren [X.]ehandlung kein Einsatz von Cannabis geplant ist, schwerer wiegen oder die Teilhabe am Arbeitsleben oder in einem anderen [X.]ereich besonders einschränken.

Die Epilepsieerkrankung des [X.] ist nach den Feststellungen des [X.], das sich auf die Erkenntnisse des [X.] und des gerichtlichen Sachverständigen [X.] stützt, eine schwerwiegende Erkrankung, ohne dass allerdings der dafür herangezogene Maßstab deutlich wird. [X.] hat beim Kläger eine generalisierte Epilepsie mit visuellen, olfaktorischen sowie epigastrischen Auren, Absencen sowie generalisiert tonisch-klinischen Anfällen diagnostiziert. Danach kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger nach Teil [X.] ([X.]) 3.1.2 der Anlage zu § 2 [X.] schon allein wegen der Epilepsie mit einem Einzel-Gd[X.] von 50 schwerbehindert ist. Ob bei dem Kläger eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, kann aber letztlich dahinstehen, weil weitere Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt sind (näher dazu c).

b) Entgegen der Auffassung des [X.] berechtigte der festgestellte vorangegangene Cannabiskonsum des [X.] die [X.]eklagte schon aus Rechtsgründen nicht, aufgrund eines begründeten [X.] die Genehmigung abzulehnen.

Die [X.] kann die Genehmigung der Verordnung gemäß § 31 Abs 6 Satz 2 [X.][X.] V nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen. Hierfür ist sie darlegungs- und beweispflichtig. Die dem Vertragsarzt eingeräumte [X.] zur Unanwendbarkeit einer Standardtherapie darf hierbei nicht unterlaufen werden. Ein begründeter Ausnahmefall setzt voraus, dass über die Anspruchsvoraussetzungen nach § 31 Abs 6 Satz 1 [X.][X.] V hinausgehende, besondere Umstände vorliegen. Jegliche Umstände, die bereits in die Abwägung des Vertragsarztes zur Abgabe der begründeten Einschätzung (§ 31 Abs 6 Satz 1 [X.] 1 [X.]uchst b [X.][X.] V) einzustellen sind, sind nicht geeignet, als begründeter Ausnahmefall eine Ablehnung der Genehmigung zu rechtfertigen. Das gilt auch für einen Vorkonsum und eine Cannabisabhängigkeit, die Gegenstand der begründeten Einschätzung sind und regelmäßig keinen begründeten Ausnahmefall darstellen. Sollte der Vertragsarzt die notwendige Abwägung nicht auf vollständiger und zutreffender Tatsachengrundlage unter [X.]erücksichtigung der Gründe, die einer Therapie mit Cannabis entgegenstehen können, vorgenommen haben, scheitert der Genehmigungsanspruch bereits an der unzureichend begründeten Einschätzung (s dazu sogleich [X.]). In [X.]etracht kommen deshalb in erster Linie nichtmedizinische Gründe, etwa die unbefugte Weitergabe des verordneten Cannabis an Dritte (vgl [X.][X.] vom 10.11.2022 - [X.] KR 28/21 R - juris Rd[X.] 51).

Ob der in der Vergangenheit erfolgte - und eventuell fortgesetzte - Cannabiskonsum des [X.] einer [X.]ehandlung mit Cannabis im Sinne einer Kontraindikation entgegensteht, ist hiernach in erster Linie vom behandelnden Vertragsarzt zu beurteilen. Die Genehmigung kann in einem solchen Fall nicht mit der [X.]egründung versagt werden, es liege ein Ausnahmefall vor.

c) Die Genehmigung einer Cannabis-Verordnung setzt voraus, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht (§ 31 Abs 6 Satz 1 [X.] 1 [X.]uchst a [X.][X.] V; dazu aa) oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes nicht zur Anwendung kommen kann (§ 31 Abs 6 Satz 1 [X.] 1 [X.]uchst b [X.][X.] V; dazu [X.]). [X.]eide alternativ zu betrachtenden Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht.

aa) Eine Standardtherapie steht nicht zur Verfügung, wenn es sie generell nicht gibt, sie im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte sie nachgewiesenermaßen nicht verträgt oder erhebliche gesundheitliche Risiken bestehen (vgl [X.][X.] vom [X.] - [X.] KR 7/05 R - [X.][X.]E 96, 170 = [X.] 4-2500 § 31 [X.] 4, Rd[X.] 31; [X.][X.] vom 7.11.2006 - [X.] KR 24/06 R - [X.][X.]E 97, 190 = [X.] 4-2500 § 27 [X.] 12, Rd[X.] 22) oder sie trotz ordnungsgemäßer Anwendung im Hinblick auf das beim [X.]atienten angestrebte [X.]ehandlungsziel ohne Erfolg geblieben ist (vgl [X.][X.] vom 25.3.2021 - [X.] KR 25/20 R - [X.][X.]E 132, 67 = [X.] 4-2500 § 137c [X.] 15, Rd[X.] 42).

Ausgehend von diesen Maßstäben ergibt sich nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 [X.]G) Feststellungen des [X.], dass noch Standardtherapien zur [X.]ehandlung der Epilepsie und der Depression zur Verfügung stehen. Es handelt sich im Wesentlichen um weitere, auch neue Arzneimittel, die zum Einsatz kommen können. Das [X.] stützt sich dabei auf die Einschätzungen von [X.] und des [X.]. Der Kläger macht insoweit nur geltend, dass ihm aufgrund der schon bei der [X.]ehandlung mit einigen antiepileptischen Medikamenten erlebten [X.]ebenwirkungen nicht zumutbar sei, einen weiteren Therapieversuch mit anderen Medikamenten durchzuführen. Er leide an einer "erhöhten Medikamentenempfindlichkeit". Damit macht er aber nur geltend, er erfülle die Voraussetzungen des § 31 Abs 6 Satz 1 [X.] 1 [X.]uchst b [X.][X.] V (dazu sogleich).

[X.]) Steht danach für das Revisionsgericht fest, dass für die [X.]ehandlung der Erkrankungen Methoden zur Verfügung stehen, die dem medizinischen Standard entsprechen, bedarf es der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese unter Abwägung der zu erwartenden [X.]ebenwirkungen und unter [X.]erücksichtigung des [X.] nicht zur Anwendung kommen können (§ 31 Abs 6 Satz [X.] 1 [X.]uchst b [X.][X.] V). Auch wenn das Gesetz dem behandelnden Vertragsarzt eine [X.] zugesteht, sind an die begründete Einschätzung hohe Anforderungen zu stellen. Das Vorliegen einer begründeten Einschätzung zur [X.]ichtanwendbarkeit einer Standardtherapie hat das [X.] zutreffend verneint. Die dazu vom [X.] getroffenen, für den Senat bindenden Feststellungen hat der Kläger nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

(1) An die begründete Einschätzung des [X.]ehandlers sind wegen der Voraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit nach § 13 [X.]tMG, der für eine Außenseiter- oder [X.]eulandmethode geltenden [X.]edingungen des Haftungsrechts und zum Schutz der [X.]atienten hohe Anforderungen zu stellen. Sie muss auf Grundlage einer umfassenden [X.]efunderhebung die zu behandelnde Erkrankung, ihre Symptome, das angestrebte [X.]ehandlungsziel und die bereits erfolgten Therapien sowie die zu erwartenden oder bereits aufgetretenen [X.]ebenwirkungen der zur Verfügung stehenden Standardtherapien darstellen und deutlich machen, warum diese im Fall des [X.]atienten nicht zur Anwendung kommen können. Dabei sind auch mögliche schädliche Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis, wie das Entstehen oder Verfestigen einer Abhängigkeit, zu erfassen und mit den [X.]ebenwirkungen einer Standardtherapie abzuwägen. Die begründete Einschätzung des Vertragsarztes muss die mit Cannabis zu behandelnde Erkrankung und das [X.]ehandlungsziel benennen, die für die Abwägung der Anwendbarkeit verfügbarer Standardtherapien mit der Anwendung von Cannabis erforderlichen Tatsachen vollständig darlegen und eine Abwägung unter Einschluss möglicher schädlicher Wirkungen von Cannabis beinhalten. Das erfordert zunächst eine [X.]eschreibung des [X.] mit den bestehenden Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen aufgrund eigener Untersuchung des [X.]atienten und ggf unter Hinzuziehung von [X.]efunden anderer behandelnder Ärzte. Hierzu gehört auch ein evtl Suchtmittelgebrauch in der Vergangenheit sowie das [X.]estehen oder der Verdacht einer Suchtmittelabhängigkeit. Der Vertragsarzt muss die mit Cannabis zu behandelnde(n) Erkrankung(en), ihre Symptome und das angestrebte [X.]ehandlungsziel und die bereits angewendeten [X.], deren Erfolg im Hinblick auf das [X.]ehandlungsziel und dabei aufgetretene [X.]ebenwirkungen benennen. Die von § 31 Abs 6 Satz 1 [X.] 1 [X.]uchst b [X.][X.] V vorgesehene Abwägung der verfügbaren Standardtherapien mit dem geplanten Einsatz von Cannabis erfordert es überdies, dass der Vertragsarzt alle noch verfügbaren Standardtherapien benennt und deren zu erwartenden Erfolg im Hinblick auf das [X.]ehandlungsziel und die zu erwartenden [X.]ebenwirkungen darlegt. Diese Tatsachen müssen in der Stellungnahme des Vertragsarztes enthalten sein und unterliegen der vollständigen Überprüfbarkeit durch [X.] und Gericht (im Einzelnen dazu [X.][X.] vom 10.11.2022 - [X.] KR 28/21 R - Rd[X.] 33).

(2) In die Abwägung einzubeziehen sind auch Kontraindikationen und mögliche schädliche Auswirkungen der Therapie mit Cannabis. Ob ein bereits festgestelltes Abhängigkeitssyndrom eine Kontraindikation für die [X.]ehandlung mit Cannabis darstellt, obliegt der Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes. Dieser hat sich möglichst genaue Kenntnis vom bisherigen [X.]verhalten, möglichen schädlichen Wirkungen des bisherigen [X.]s und dem Grad der Abhängigkeit zu verschaffen, die Risiken der Cannabismedikation abzuwägen und zu beurteilen, welche Vorkehrungen gegen einen Missbrauch des verordneten Cannabis, etwa durch die Wahl der Darreichungsform, zu treffen sind. Zur [X.]eschreibung des bisherigen [X.]verhaltens kann auf gängige Diagnosesysteme zurückgegriffen werden, die ua Abstufungen für den Schweregrad eines problematischen Vorkonsums enthalten (z[X.] Cannabis -Use Disorder 305.20, [X.] = Diagnostisches und Statistisches Manual [X.]sychischer Störungen der [X.], aktuell in der 5. Auflage; [X.]sychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide F12.2 [X.] = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, [X.], herausgegeben vom [X.]undesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte; [X.][X.] vom 10.11.2022 - [X.] KR 19/22 R - Rd[X.] 22; [X.][X.] vom 10.11.2022 - [X.] KR 28/21 R - Rd[X.] 38).

(3) Die gerichtliche Überprüfung der vom Vertragsarzt abgegebenen begründeten Einschätzung beschränkt sich auf die Vollständigkeit und [X.]achvollziehbarkeit der erforderlichen Angaben. Den [X.]n und Gerichten ist die [X.]rüfung des Abwägungsergebnisses auf Richtigkeit verwehrt. Insbesondere steht es ihnen nicht zu, die Anwendbarkeit einer verfügbaren Standardtherapie selbst zu beurteilen und diese [X.]eurteilung an die Stelle der Abwägung des Vertragsarztes zu setzen. Hat der Vertragsarzt in seiner begründeten Einschätzung grundsätzlich verfügbare Standardtherapien nicht aufgeführt und damit keiner Abwägung unterzogen, erschöpft sich die verwaltungsseitige und gerichtliche Überprüfung in der Feststellung, dass es weitere Standardtherapien gibt. Es steht dem Versicherten dann frei, im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren eine ergänzte begründete Einschätzung des Vertragsarztes auch hinsichtlich dieser Therapien vorzulegen, die wiederum nur einer eingeschränkten Überprüfbarkeit unterliegt. [X.]n und Gerichte sind nicht befugt, ggf gutachterlich gestützt, die Anwendbarkeit einer Standardtherapie im Fall des Versicherten selbst abschließend zu beurteilen (im Einzelnen dazu [X.][X.] vom 10.11.2022 - [X.] KR 28/21 R - Rd[X.] 37 und 39).

(4) Die Feststellungen des [X.] reichen aus, um abschließend über den Rechtsstreit entscheiden zu können. Die Äußerungen des den Kläger seit 2012 behandelnden [X.] genügen auch bei dem gesetzlich vorgegebenen eingeschränkten [X.]rüfungsumfang den genannten Anforderungen nicht.

Die vom [X.] festgestellten Inhalte der Äußerungen von [X.] sind jedenfalls hinsichtlich grundsätzlich verfügbarer Standardtherapien und ihrer Anwendbarkeit im Fall des [X.] unvollständig. Wie das [X.] unter [X.]ezugnahme auf den [X.] und das erstinstanzlich eingeholte Gutachten von [X.] für den Senat bindend (siehe Rd[X.] 29) festgestellt hat, existieren für den Kläger dem medizinischen Standard entsprechende, wirksame [X.]ehandlungsmöglichkeiten für seine Krankheiten, zudem andere als die bisher eingesetzten antiepileptischen Medikamente, auf die [X.] nicht eingegangen ist. In dessen Einschätzung fehlt es nach den weiteren Feststellungen des [X.] auch an einer konkreten Darstellung des [X.], insbesondere zur Häufigkeit und Schwere der epileptischen Anfälle, der Darlegung, wann welches Medikament in welcher Dosierung und für welchen Zeitraum mit welchem Erfolg eingesetzt worden ist, welche [X.]ebenwirkungen dabei aufgetreten sind und warum diese unter [X.]erücksichtigung des [X.] des [X.] bei ihm nicht anwendbar sind. Die Darstellung wird vom [X.] als "pauschal" charakterisiert. Diese [X.]egründungsmängel hat [X.] - so die inzidente Feststellung des [X.] - auch nicht während des Gerichtsverfahrens behoben.

Der Senat ist an diese Feststellungen gebunden, denn der Kläger bringt diesbezüglich keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vor (vgl § 163 [X.]G). Soweit er sinngemäß rügt, das [X.] habe die Grenzen freier [X.]eweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G) überschritten, bezeichnet er iS von § 164 Abs 2 Satz 3 [X.]G nicht alle Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen. [X.]otwendig hierfür ist eine Darlegung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann. Im Falle der Rüge eines Verstoßes gegen die Grenzen freier [X.]eweiswürdigung kann das Revisionsgericht nur prüfen, ob das [X.] bei der [X.]eweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat, und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens ausreichend und umfassend berücksichtigt hat. Die [X.]eweiswürdigung steht innerhalb dieser Grenzen im freien Ermessen des [X.]s (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Wer diesen [X.] rügt, muss das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Einzelnen darlegen (vgl zum Ganzen [X.][X.] vom 7.11.2017 - [X.] KR 24/17 R - [X.][X.]E 124, 251 = [X.] 4-2500 § 13 [X.] 39, Rd[X.] 26 mw[X.]).

Die gegen die Feststellungen gerichteten Angriffe des [X.] sind unzulässig. Denn sie erschöpfen sich in der Wiedergabe der vom [X.] auf der Grundlage anderer ärztlicher Stellungnahmen beanstandeten Ausführungen von [X.] und der [X.]ehauptung, diese seien völlig ausreichend. Er verweist darauf, dass [X.] über leitliniengerechte Therapieversuche mit Carbamazepin, [X.], [X.], Gabapentin und Valproinsäure berichtet habe. Strengere Anforderungen an die Darlegungslast des Vertragsarztes würden die gesetzlich angeordnete Therapiehoheit des behandelnden Vertragsarztes ad absurdum führen. Einen Verstoß gegen die Grenzen der freien [X.]eweiswürdigung zeigt der Kläger damit nicht auf. Soweit er damit zugleich den vom Senat gefundenen rechtlichen [X.]rüfungsmaßstab für die begründete Einschätzung angreifen sollte, liegt schon im Ansatz keine Verfahrensrüge vor.

3. [X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Schlegel [X.]

Meta

B 1 KR 21/21 R

10.11.2022

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Mannheim, 5. Februar 2019, Az: S 9 KR 2831/17, Urteil

§ 31 Abs 6 S 1 Nr 1 Buchst b SGB 5, § 31 Abs 6 S 2 SGB 5, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 547 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 10.11.2022, Az. B 1 KR 21/21 R (REWIS RS 2022, 9177)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9177

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