Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.07.2016, Az. 1 BvR 1567/16

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2016, 7376

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unmittelbar gegen §§ 107, 129 Abs 4 VGG (Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften - Verwertungsgesellschaftengesetz) gerichtete Verfassungsbeschwerde unzulässig - Einigungsvorschlag der Schiedsstelle (§ 105 VGG) im Verfahren gem §§ 107, 129 VGG vollumfänglich überprüfbar -  Rechtswegerschöpfung bzgl einer etwaigen Sicherheitsanordnung daher zumutbar


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

1

1. Die Beschwerdeführer wenden sich unmittelbar gegen die neu geschaffenen gesetzlichen Regelungen in §§ 107, 129 Abs. 4 des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften ("Verwertungsgesellschaftengesetz" oder "[X.]"). Diese ermöglichen es der urheberrechtlichen Schiedsstelle beim [X.], in Verfahren über die Gerätevergütung gemäß § 54 [X.] auf Antrag einer Verwertungsgesellschaft anzuordnen, dass der in Anspruch genommene Schuldner der Gerätevergütung eine Sicherheit leisten muss. Die Zulassung der Vollziehung der Anordnung erfolgt durch das [X.] (§ 107 Abs. 4 und Abs. 5 [X.]).

2

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Insbesondere ist ihre Annahme nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]), weil die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig ist und damit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>; 96, 245 <250>; 108, 129 <136>; stRspr).

3

Es ist bereits zweifelhaft, ob die Beschwerdeführer durch die angegriffenen gesetzlichen Regelungen unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen und damit beschwerdebefugt sind. Jedenfalls wird die Verfassungsbeschwerde dem Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht.

4

a) Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität erfordert, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. [X.] 74, 102 <113>; 77, 381 <401>; 81, 22 <27>; 114, 258 <279>; 115, 81 <91 f.>; 123, 148 <172>; 134, 242 <285 Rn. 150>; stRspr). Daher ist eine Verfassungsbeschwerde unzulässig, wenn in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann (vgl. [X.] 68, 319 <325 f.>; 71, 305 <335 ff.>; 74, 69 <74>; 97, 157 <165>; 120, 274 <300>; 123, 148 <172>; 138, 261 <271 Rn. 23>; stRspr).

5

Die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn die angegriffene Regelung die Beschwerdeführenden zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können (vgl. [X.] 43, 291 <387>; 60, 360 <372>), oder wenn die Anrufung der Fachgerichte nicht zumutbar ist, etwa weil sie offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre (vgl. [X.] 55, 154 <157>; 65, 1 <38>; 102, 197 <208>). Sie besteht ferner nicht, wenn ein Sachverhalt allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das [X.] letztlich zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären (vgl. [X.] 123, 148 <172 f.>).

6

b) Danach ist es den Beschwerdeführern hier zumutbar, zunächst abzuwarten, ob in einem Schiedsstellenverfahren eine sie treffende Sicherheitsanordnung erfolgt, um gegebenenfalls im Verfahren vor dem [X.] über die Zulassung der Vollziehung auf eine ihnen günstige Entscheidung hinzuwirken.

7

aa) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer hat das [X.] dabei eine vollumfängliche Überprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen gegebenenfalls auch verfassungsrechtliche Bedenken Berücksichtigung finden können.

8

Das [X.] prüft - wie sich schon aus der Begründung im Gesetzentwurf ergibt (BTDrucks 18/7223, [X.]) - nicht nur sämtliche Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherheitsleistung, sondern auch deren Höhe. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer auch nicht aus der Bezugnahme in der Gesetzesbegründung auf § 1041 Abs. 2 ZPO, der die Zulassung der Vollziehung von sichernden Maßnahmen in schiedsrichterlichen Verfahren zum Gegenstand hat.

9

Der Umstand, dass das [X.] im Rahmen einer Entscheidung nach § 1041 Abs. 2 ZPO die Anordnung sichernder Maßnahmen durch das Schiedsgericht nur eingeschränkt überprüfen kann (vgl. [X.], in: [X.], Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 1041 ZPO Rn. 3), hat seinen Grund in dem gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO für Schiedssprüche geltenden Verbot der "[X.]". Dieses gilt jedoch nicht im Verhältnis zwischen dem Verfahren vor der urheberrechtlichen Schiedsstelle und einem anschließenden Rechtsstreit vor dem [X.] über die Vergütungsverpflichtung gemäß § 54 [X.]. Das Schiedsstellenverfahren ist kein an die Stelle einer Entscheidung durch staatliche Gerichte tretendes schiedsrichterliches Verfahren; seine Durchführung ist lediglich Prozessvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren (vgl. [X.], Urteil vom 15. Juni 2000 - I ZR 231/97 -, [X.], S. 872 <873>). Das [X.] entscheidet in den Fällen des § 92 Abs. 1 Nr. 2 [X.] als erstinstanzliches Gericht nach den Regeln der Zivilprozessordnung (§ 129 Abs. 2 Satz 1 [X.]) und damit in der Sache unabhängig von dem Einigungsvorschlag der Schiedsstelle (§ 105 [X.]), der das Gericht in keiner Weise inhaltlich bindet. Dies gilt auch für die Zulassung der Vollziehung von Sicherheitsanordnungen.

Eine solche Auslegung der angegriffenen Vorschriften ist auch verfassungsrechtlich geboten. Da die Anordnung einer Sicherheitsleistung durch die beim [X.] ressortierende Schiedsstelle einen Akt der vollziehenden Gewalt darstellt, vermittelt Art. 19 Abs. 4 GG den betroffenen Geräteherstellern einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle dieser Entscheidung (vgl. [X.] 101, 397 <407>).

bb) Im Rahmen des Verfahrens vor dem [X.] gemäß § 107 Abs. 4, § 129 Abs. 4 [X.] kann dieses die näheren einfachrechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherheitsleistungen sowie deren inhaltliche Vorgaben und Grenzen entwickeln und dabei auch verfassungsrechtliche Anforderungen berücksichtigen. Dass eine der in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität vorläge, ist weder dem Vortrag der Beschwerdeführer zu entnehmen noch sonst ersichtlich.

c) Aus diesen Gründen scheidet auch eine Vorabentscheidung gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 [X.] aus.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1567/16

28.07.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

Art 19 Abs 4 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 54 UrhG, § 92 Abs 1 Nr 2 VGG, § 105 VGG, § 107 VGG, § 129 Abs 4 VGG, § 1059 Abs 2 Nr 2 Buchst b ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.07.2016, Az. 1 BvR 1567/16 (REWIS RS 2016, 7376)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7376

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