Bundespatentgericht, Beschluss vom 05.09.2022, Az. 29 W (pat) 566/20

29. Senat | REWIS RS 2022, 7613

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – „Wilatools (Wortmarke)/Wiha (nationale Wortmarke)“ – Verwechslungsgefahr – durchschnittliche Kennzeichnungskraft


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2019 225 077

hat der 29. Senat ([X.]) des [X.] am 5. September 2022 durch die Vorsitzende [X.]in [X.], die [X.]in [X.] und den [X.] Posselt

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des [X.] vom 5. Juni 2020 aufgehoben.

2. Wegen des Widerspruchs aus der Marke 395 37 217 wird die Löschung der Marke 30 2019 225 077 angeordnet.

Gründe

I.

1

Die am 2. August 2019 angemeldete Wortmarke

2

[X.]

3

ist am 18. September 2019 für die nachfolgend genannten Waren und Dienstleistungen in das beim [X.] ([X.]) geführte Markenregister eingetragen worden:

4

Klasse 7: [X.] für elektrische Schraubendreher; [X.] für Maschinen;

5

Klasse 8: Schraubenzieher [Handwerkzeuge]; Schraubenzieher; [X.] für handbetätigte Schraubendreher; Nicht elektrische Schraubenzieher; Verstellbare Schraubenschlüssel [Handwerkzeuge]; Nicht elektrische feinmechanische Schraubendreher; Nicht elektrische flexible Schraubendreher;

6

Klasse 35: Einzelhandelsdienstleistungen in Bezug auf handbetätigte Werkzeuge für [X.]; [X.] in Bezug auf handbetätigte Werkzeuge für [X.].

7

Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 18. Oktober 2019.

8

Gegen die Eintragung dieser Marke hat die Beschwerdeführerin am 3. Januar 2020 Widerspruch aus zwei älteren Marken erhoben, nämlich:

9

1. der [X.] 017 996 542

[X.]

die für folgende Waren der

Klasse 7: Elektrisch betriebene und motorbetriebene Handwerkzeuge, insbesondere Bohrschrauber; Adapter, Ratschen sowie anderes Zubehör und Teile für elektrisch betriebene und motorbetriebene Handwerkzeuge.

geschützt ist,

und

2. der nationalen Wortmarke 395 37 217

[X.]

die für folgende Waren der Klassen 6, 7 und 8

[X.] Werkzeuge, insbesondere Schraubendreher, [X.] und Schonhämmer, Bits und Halterungen für Bits für den Einsatz bei handbetätigten Werkzeugen sowie Schraubgriffe und als Schraubgriffe ausgebildete Aufnahmeboxen für diese Teile; Kleineisenwaren, Schlosserwaren; Maschinen, nämlich Werkzeugmaschinen, Bits und Halterungen für Bits für den Einsatz bei maschinenbetätigten Werkzeugen sowie Schraubgriffe und als Schraubgriffe ausgebildete Aufnahmeboxen für diese Teile.

geschützt ist.

Mit Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des [X.]s ([X.]) vom 5. Juni 2020 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Es fehle an der erforderlichen Ähnlichkeit der Vergleichsmarken im Sinne der §§ 125b Nr. 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 43 Abs. 2 [X.]. Nach der [X.] bestehe Identität bzw. Ähnlichkeit zwischen den Waren und Dienstleistungen. Diese wendeten sich an Fachkreise und fachlich interessierte Laien, die beim Erwerb oder der Bestellung der Waren bzw. der Inanspruchnahme der Dienstleistungen mit einiger Sorgfalt vorgehen und daher Markenverwechslungen weniger unterliegen würden. Ausgehend von der Waren- und Dienstleistungslage und einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken seien an den erforderlichen Markenabstand strenge Anforderungen zu stellen, denen die angegriffene Marke im Verhältnis zur jeweiligen Widerspruchsmarke gerecht werde. In ihrer Gesamtheit unterschieden sich die Vergleichsmarken „[X.]“ (angegriffene Marke) und „[X.]“ bzw. „[X.]“ ausreichend deutlich. Die angegriffene Marke werde auch nicht durch ihren Bestandteil „[X.]“ geprägt. Der Verkehr habe keine Veranlassung, das zu einem Wort zusammengesetzte Zeichen ausnahmsweise zu zergliedern. Es sei vielmehr vom Regelfall auszugehen, dass die äußerliche Einheit eines [X.]s im Rahmen einer typischerweise intuitiven, nicht analysierenden Markenwahrnehmung eine erhebliche Klammerwirkung entfalte. Gegen die Behandlung eines formal einteiligen Zeichens als eine aus mehreren Bestandteilen bestehende Kombinationsmarke spreche zudem, dass damit die engen Voraussetzungen der assoziativen Verwechslungsgefahr umgangen werden könnten. Insbesondere reiche es insoweit nicht aus, dass ein Zeichenteil möglicherweise beschreibender Natur sei, wie es vorliegend für „-tools“ in Betracht komme. Vielmehr seien zusammengeschriebene Wörter in [X.] regelmäßig nur in ihrer Gesamtheit zu würdigen. So verhalte es sich auch hier. Es bestehe auch nicht die Gefahr, die Marken gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gedanklich miteinander in Verbindung zu bringen. Eine mittelbare Verwechslungsgefahr sei nicht gegeben. Diese setze voraus, dass der als Stammbestandteil in Betracht kommende Markenteil in den Vergleichsmarken identisch oder zumindest wesensgleich enthalten sei. Die insoweit allein in Betracht kommenden Marken bzw. Markenbestandteile „[X.]-“ und „[X.]“ bzw. „[X.]“ seien weder identisch noch derart ähnlich, dass sie als wesensgleiche Stammbestandteile eingestuft werden könnten. Insoweit reichten bereits geringfügige Unterschiede aus, um den Gedanken an Serienmarken desselben Unternehmens nicht aufkommen zu lassen. „[X.]-“ einerseits und „[X.]“ bzw. „[X.]“ andererseits wiesen aber sowohl in schriftbildlicher als auch in klanglicher Hinsicht aufgrund des abweichenden Buchstabens bzw. Lautes „l/h“ mehr als nur unerhebliche Unterschiede auf, was im Verkehr nicht unbemerkt bleiben werde. Deshalb fehle es schon an einem identischen oder wesensgleichen Stammbestandteil für eine Zeichenserie. Andere Arten einer markenrechtlich relevanten Verwechslungsgefahr seien weder ersichtlich noch vorgetragen.

Der Beschluss ist der Widersprechenden gegen [X.] am 10. Juni 2020 zugestellt worden.

Hiergegen richtet sich ihre Beschwerde, die sie wie folgt begründet:

Die Markenstelle habe zu Recht angenommen, dass zwischen den Waren der sich gegenüberstehenden Marken Identität und zwischen den Waren und Dienstleistungen Ähnlichkeit bestehe. Insbesondere seien die „[X.]“ in Klasse 7 der angegriffenen Marke auch von „Zubehör und Teile für elektrisch betriebene und motorbetriebene Handwerkzeuge“ der [X.] umfasst. Hinsichtlich der Handelsdienstleistungen in Klasse 35 der angegriffenen Marke und den Waren der Widerspruchsmarken bestehe mittlere Ähnlichkeit, insbesondere da die Waren identisch zu den gehandelten Produkten seien. Zudem sei in der hier relevanten Branche der hand- ,elektrisch- und motorbetätigten Werkzeuge davon auszugehen, dass die Warenhersteller Einzelhandel betrieben bzw. ihre Produkte selbständig in größerem Maßstab vertrieben. Des Weiteren sei denkbar, dass auch Händler in diesem Geschäftsfeld unter ihren Einzelhandelsdienstmarken oder davon abgeleiteten Marken Produkte anbieten würden.

Entgegen der Ansicht der Markenstelle seien hier als Verkehrskreise nicht nur Fachkreise und fachlich interessierte Laien angesprochen, sondern auch der Durchschnittsverbraucher. Es sei daher nicht von einer erhöhten Aufmerksamkeit auszugehen, vor allem da die Produkte häufiger erworben würden.

Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken sei zumindest durchschnittlich.

Aufgrund der eben beschriebenen Ausgangslage müssten die Marken einen deutlichen Abstand voneinander einhalten. Dies sei – entgegen den Ausführungen der Markenstelle – jedoch nicht der Fall. Die angegriffene Marke würde durch „[X.]“ geprägt. Trotz der Eingliedrigkeit des Zeichens würden die angesprochenen Verkehrskreise erkennen, dass „tools“ beschreibend sei. Die Bestandteile „[X.]“ und „tools“ würden problemlos erkannt. Jede andere Trennung des Wortes – bzw. keine Trennung – sei ebenso lebensfremd wie die Annahme eines Fantasiebegriffs. Mehrere Schritte oder eine analysierende Betrachtung seien hierfür nicht notwendig. Hierzu werde auch auf die Entscheidung des [X.] in Sachen „[X.]/[X.]OFOOD“ hingewiesen, deren rechtliche Grundsätze auch in diesem Fall heranzuziehen seien. Wie dort bilde der beschreibende Bestandteil „tools“ das Ende der Marke und werde daher ohnehin nur nachrangig wahrgenommen. Zwischen den dann zu betrachtenden Worten „[X.]“ bzw. „[X.]“ und „[X.]“ bestünde erhebliche schriftbildliche und klangliche Ähnlichkeit. Die [X.] und die Vokalfolge „i - a“ sei ebenso identisch wie der Wortanfang und das Ende. Letztere fänden zudem mehr Beachtung als die [X.]. [X.] weiche bei einem Vergleich von „[X.]“ und „[X.]“ lediglich der jeweils dritte Buchstabe „h“ bzw. „l“ leicht ab. Diese seien zudem sehr ähnlich gestaltet, da sie von der gleichen [X.] geprägt würden und sich lediglich im seitlich angehängten Haken des „h“ unterschieden. Hinzu komme, dass auch hier der [X.] eine deutlich geringere Beachtung geschenkt werde.

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des [X.] vom 5. Juni 2020 aufzuheben und auf den Widerspruch der [X.] Werkzeuge GmbH hin die Löschung der Marke 30 2019 225 077 anzuordnen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hat sich weder im Beschwerdeverfahren noch im Verfahren vor dem [X.] geäußert.

Der Senat hat mit Schreiben vom 8. Juli 2022 seine vorläufige Rechtsauffassung dargelegt und Recherchebelege übermittelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere nach §§ 64 Abs. 6 S. 1, 66 Abs. 1 [X.] statthafte und gem. § 66 Abs. 2 [X.] fristgerecht eingelegte Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

A. Da die Anmeldung nach dem 14. Januar 2019 eingereicht und der Widerspruch nach diesem Zeitpunkt erhoben wurde, ist das [X.] in seiner aktuellen Fassung anzuwenden.

B. Zwischen der angegriffenen Marke 30 2019 225 077 und der nationalen Widerspruchsmarke 395 37 217 besteht Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 1 [X.], so dass der Widerspruch zu Unrecht gem. § 43 Abs. 2 S. 2 [X.] zurückgewiesen wurde. Soweit der Widerspruch gem. § 42 Abs. 3 [X.] auch auf die Unionsmarke 017 996 542 gestützt ist, ist eine Entscheidung entbehrlich, da der Widerspruch bereits aus der nationalen Marke erfolgreich ist.

Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des [X.] als auch des [X.] unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z.B. [X.] [X.], 1098 Rn. 44 – [X.]/[X.]; [X.], 933 Rn. 32 – [X.]/[X.]; [X.] [X.], 870 Rn. 25 – [X.]/[X.]; [X.] 2016, 382 Rn. 19 – [X.]; [X.] 2016, 283 Rn. 7 – [X.]/[X.] DEUTSCHE [X.]; [X.], 833 Rn. 30 – Culinaria/[X.]). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. [X.] [X.] 2008, 343 Rn. 48 – [X.]/[X.]; [X.], [X.], 1202 Rn. 19 – [X.]OFOOD/[X.]; [X.], 870 Rn. 25 – [X.]/[X.]; [X.] 2019, 1058 Rn. 17 – [X.]; [X.] 2019, 173 Rn. 17 – combit/Commit; [X.] 2018, 79 Rn. 7 – [X.]/[X.]; [X.] 2017, 914 Rn. 13 – [X.]/[X.]; [X.] 2016, 283 Rn. 7, [X.]/[X.] DEUTSCHE [X.]; s. auch [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, [X.], 13. Auflage, § 9 Rn. 43 ff m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen ist eine Verwechslungsgefahr gegeben.

1. Angesprochene Verkehrskreise sind bezüglich der hier relevanten Waren in Klasse 7 und 8 sowie der Einzelhandelsdienstleistungen in Klasse 35 sowohl Fachkreise, als auch Endabnehmer. Hinsichtlich der [X.] in Klasse 35 sind es Fachkreise und gewerblich tätige Unternehmen. Die Aufmerksamkeit ist bezüglich der Waren der Klassen 7 und 8 – diese liegen in der Regel in einem normalen Preisbereich – durchschnittlich. Hinsichtlich der Dienstleistungen in Klasse 35 ist – da diese auch teure Werkzeuge umfassen können – von einer gesteigerten Aufmerksamkeit auszugehen.

2. Für den Vergleich der Waren und Dienstleistungen ist, da die Einrede der Nichtbenutzung nicht erhoben wurde, auf die [X.] abzustellen. Eine Ähnlichkeit von Waren bzw. Dienstleistungen ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung der für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblichen Faktoren wie insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (vgl. [X.] [X.] 2015, 176 Rn. 10 – [X.]/[X.]). Ähnlichkeit zwischen Waren und Dienstleistungen kann dabei allerdings nur angenommen werden, wenn bei den beteiligten Verkehrskreisen der Eindruck entsteht, die betreffenden Waren und Dienstleistungen könnten auf einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit desselben oder eines wirtschaftlich verbundenen Unternehmens beruhen (vgl. [X.], Beschluss vom 11.12.2014, 25 W (pat) 510/13 – [X.]). Ein Indiz hierfür kann es sein, wenn die betreffenden Waren typischerweise bei der Erbringung der Dienstleistungen zur Anwendung kommen ([X.] in [X.]/[X.]/Thiering, a.a.[X.], § 9 Rn. 114).

a. Identität besteht zwischen den Waren „[X.] für elektrische Schraubendreher; [X.] für Maschinen“ in Klasse 7 der angegriffenen Marke und „Bits und Halterungen für Bits für den Einsatz bei maschinenbetätigten Werkzeugen“ der Widerspruchsmarke 395 37 217.

Ferner besteht Identität bezüglich der Waren „Schraubenzieher [Handwerkzeuge]; Schraubenzieher; [X.] für handbetätigte Schraubendreher; Nicht elektrische Schraubenzieher; Verstellbare Schraubenschlüssel [Handwerkzeuge]; Nicht elektrische feinmechanische Schraubendreher; Nicht elektrische flexible Schraubendreher“ der angegriffenen Marke und „[X.] Werkzeuge, insbesondere Schraubendreher, [X.] und Schonhämmer, Bits und Halterungen für Bits für den Einsatz bei handbetätigten Werkzeugen“ der nationalen Widerspruchsmarke.

b. Zwischen den „Einzel- und [X.] „in Bezug auf handbetätigte Werkzeuge für [X.]“ der angegriffenen Marke und den Waren „[X.] Werkzeuge, insbesondere Schraubendreher, [X.] und Schonhämmer“ der Widerspruchsmarke besteht Ähnlichkeit. Soweit sich Dienstleistungen und Waren gegenüberstehen, ist anerkannt, dass trotz der grundlegenden Abweichung zwischen der Erbringung einer unkörperlichen Dienstleistung und der Herstellung bzw. dem Vertrieb einer körperlichen Ware grundsätzlich eine Ähnlichkeit in Betracht kommt ([X.] [X.] 2004, 241 – GeDIOS; [X.] 1999, 731 – [X.]). Maßgeblich ist insoweit die Verkehrsanschauung. Es ist also zu fragen, ob bei den beteiligten Verkehrskreisen der Eindruck aufkommen kann, Ware und Dienstleistung unterlägen der Kontrolle desselben Unternehmens, sei es, dass das Dienstleistungsunternehmen sich selbständig auch mit der Herstellung bzw. dem Vertrieb der Waren befasst, sei es, dass der Warenhersteller oder –vertreiber sich auch auf dem entsprechenden Dienstleistungsbereich selbständig gewerblich betätigt ([X.] [X.] 2012, 1145, 1148 Rn. 35 – [X.]). Für die Annahme einer Ähnlichkeit zwischen Einzelhandelsdienstleistungen und den auf sie bezogenen Waren reicht es ferner aus, dass sich die Dienstleistungen auf die entsprechenden Waren beziehen und die angesprochenen Verkehrskreise aufgrund dieses Verhältnisses annehmen, die Waren und Dienstleistungen stammten aus denselben Unternehmen ([X.] [X.] 2014, 378 Rn. 39 [X.]; [X.] 2012, 1145 Rn. 35 – [X.]). Von dem weiten Begriff „handbetätigte Werkzeuge“, der durch den Zusatz mit „insbesondere“ – anders als bei „nämlich“ – nicht eingeschränkt wird (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, a. a. [X.], § 32 Rn. 109) sind auch solche für [X.] mitumfasst, die Gegenstand der Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen der angegriffenen Marke sind. Somit sind die Waren, mit denen der Groß- und Einzelhandel betrieben wird, identisch zu denen, für die die nationale Widerspruchsmarke Schutz genießt. Zwischen den eben genannten Dienstleistungen der angegriffenen Marke einerseits und den Waren der Widerspruchsmarke andererseits besteht daher Ähnlichkeit, insbesondere da große Handelshäuser und Baumärkte in diesem Warensektor häufig neben dem Verkauf fremder Waren auch Waren mit eigenen Handelsmarken anbieten (vgl. [X.] [X.] 2014, 378 Rn. 39 – [X.]; [X.] 2011, 623 Rn. 24 – [X.]) bzw. Warenhersteller ihre Geräte und Zubehör auch selbst im Onlinehandel an Fachkreise bzw. Endabnehmer vertreiben (vgl. in diesem Sinne für „Einzelhandelsdienstleistungen mit Spielzeug/Spiele, Spielwaren“ [X.], Beschluss vom 13.12.2017, 29 W (pat) 536/15 – [X.] / P`TIT FILOU m. w. N.; [X.]/Stoppel, [X.], 19. Auflage, [X.], rechte Spalte).

3. Die Widerspruchsmarke 395 37 217 verfügt über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Für eine Steigerung oder Schwächung ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.

4. Im Rahmen der bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr erforderlichen Gesamtabwägung hält die jüngere Marke bei Vorliegen einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und identischen Waren bzw. ähnlichen Waren und Dienstleistungen den gebotenen deutlichen bzw. mittleren Abstand nicht ein.

a. Eine für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr relevante Markenähnlichkeit kann in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht bestehen, wobei es für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig ausreicht, wenn zwischen den jeweiligen Vergleichsmarken nur in einer dieser Kategorien ausreichende Übereinstimmungen festzustellen sind ([X.] [X.], 870 Rn. 25 – [X.]/[X.]; [X.] 2017, 914 Rn. 58 – [X.]/[X.]; [X.] 2015, 1114 Rn. 23 – [X.]; [X.] 2015, 1004 Rn. 22 – [X.]/ISP; [X.] 2014, 382 Rn. 25 – [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, a. a. [X.], § 9 Rn. 270 f. m. w. N.). Dabei sind grundsätzlich die Vergleichsmarken als Ganzes gegenüberzustellen und in ihrem Gesamteindruck miteinander zu vergleichen, da der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden und zergliedernden Betrachtungsweise zu unterziehen ([X.] [X.] 2019, 1058 Rn. 34 – [X.]; [X.], 833 Rn. 45 – Culinaria/[X.]; [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, a. a. [X.], § 9 Rn. 249 m. w. N.). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile eines komplexen Kennzeichens für den Gesamteindruck prägend sein können, den das Kennzeichen im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorruft (vgl. [X.] [X.] 2007, 700 Rn. 41 – [X.]/Shaker [Limoncello/[X.]]; [X.] 2005, 1042 Rn. 29 – [X.]; [X.] [X.], 1202 Rn. 26 – [X.]OFOOD/[X.]; [X.] 2014, 382 Rn. 14 – [X.]; [X.] 2012, 64 Rn. 14 – Maalox/MeloxGRY).

Hiernach besteht unmittelbare Verwechslungsgefahr.

b. Es stehen sich die folgenden Vergleichszeichen gegenüber:

[X.]

und

[X.]

Die relevanten Verkehrskreise nehmen diese in der Regel nicht nebeneinander wahr, sondern vergleichen sie in ihrer Erinnerung. Dabei fallen Übereinstimmungen grundsätzlich stärker ins Gewicht als Abweichungen (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, a. a. [X.], § 9 Rn. 263).

aa. Wie die Markenstelle zutreffend festgestellt hat, besteht hinsichtlich der Marken in ihrer Gesamtheit keine Verwechslungsgefahr. Klanglich stimmen die Zeichen zwar in den Lauten „Wi - a“ identisch überein. Jedoch führt die wie „-tuls“ artikulierte [X.] „-tools“ der jüngeren Marke zu einem deutlich abweichenden klanglichen Gesamteindruck. Diese weist eine zusätzliche Sprechsilbe auf, was zu einer abweichenden [X.] (dreisilbig gegenüber zweisilbig) und damit verbunden zu einem anderen Sprech- und Betonungsrhythmus führt. Hinzu kommen die Abweichungen in den Vokalfolgen „i – a - oo(u)“ gegenüber „i - a“, dem Konsonanten im Anlaut der zweiten Sprechsilbe „l“ bzw. „h“ sowie den Mehrlauten am Wortende des jüngeren Zeichens. [X.] unterscheiden sich die Marken durch die abweichende Buchstabenzahl (neun gegenüber vier) und Wortlänge ebenfalls deutlich voneinander. Der Verkehr wird „[X.]“ bzw. „[X.]“ als Fantasiebegriffe auffassen. In Verbindung mit dem zusätzlichen [X.] „-tools“ (= [X.] für Werkzeug, Handwerkszeug) der angegriffenen Marke besteht im maßgeblichen Gesamteindruck daher auch keine begriffliche Verwechslungsgefahr.

bb. Jedoch wird die angegriffene Marke durch „[X.]“ geprägt.

Wie der [X.] in Sachen [X.]OFOOD/[X.] ([X.], [X.], 1202 Rn. 26 f.) festgestellt hat, sind beschreibende Bestandteile sich gegenüberstehender Zeichen nicht von vornherein und generell von der Beurteilung der Ähnlichkeit ausgenommen. Das schließt allerdings nicht aus, dass ein oder mehrere Bestandteile eines komplexen Zeichens für den Gesamteindruck prägend sein können. Von diesem Beurteilungsmaßstab ist auch auszugehen, wenn es um die Beurteilung eines aus mehreren Bestandteilen zu einem Wort zusammengesetzten Zeichens geht. Entscheidend ist, ob der Verkehr die Marke allein in ihrer Gesamtheit erfasst oder die einzelnen Bestandteile auch gesondert wahrnimmt. Ein klar (waren)beschreibendes Element einer Wortkombination kann als eigenständig und nicht als Komponente einer Kennzeichnung verstanden werden (unter Hinweis auf [X.][X.], 631 Rn. 33 - [X.]/Marulablu). Es sei zudem nicht ausgeschlossen (a. a. [X.], Rn. 27), dass bei einem aus einem unterscheidungskräftigen und einem glatt beschreibenden [X.] zusammengesetzten [X.], das keinen Gesamtbegriff mit erkennbarem (neuem) Bedeutungsgehalt bilde, das unterscheidungskräftige [X.] das Zeichen prägt, weil der andere [X.] im konkreten Fall als bloßer Sachhinweis vernachlässigt werden könne (unter Hinweis auf [X.], [X.], 52 Rn. 53 f. – [X.] [Roslagspunsch/[X.]]; [X.], [X.] 2019, 1058 Rn. 45 – [X.]; [X.], 870 Rn. 72 - [X.]/[X.]). Beschreibende, nicht unterscheidungskräftige Bestandteile einer zusammengesetzten Marke hätten, auch wenn sie bei der Beurteilung nicht von vornherein außer Betracht bleiben, im Allgemeinen ein geringeres Gewicht bei der Prüfung der Zeichenähnlichkeit als Bestandteile mit einer größeren Unterscheidungskraft, die auch den von dieser Marke hervorgerufenen Gesamteindruck eher dominieren könnten.

Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist vorliegend davon auszugehen, dass die Bestandteile „[X.]“ und „tools“ nicht zu einem Gesamtbegriff verbunden werden. Die Aussprachemöglichkeiten „Wi – la – tools“ bzw. „[X.] – tools“ führen jeweils zu einer sprachlichen Trennung des [X.]s, bei denen der Bestandteil „tools“ eigenständig erkennbar ist. Dieses Element wird der Verkehr als beschreibend für die hier relevanten Werkzeuge und deren Zubehör bzw. als Hinweis auf den Inhalt der Einzel- bzw. [X.] auffassen. Das Wort „tool“ stammt aus dem [X.] und wird zum einen mit „Werkzeug, Gerät, Arbeitsgerät“ ins [X.] übersetzt (vgl. auch [X.], [X.]/tools). „Tools“ ist der grammatikalisch korrekt gebildete Plural. Der Begriff ist zum anderen auch im Sinne von „Programm von geringem Umfang, das zusätzliche Aufgaben für ein bestimmtes Betriebssystem oder Anwendungsprogramm übernimmt“ in die [X.] eingegangen (vgl. [X.], Onlinewörterbuch/Rechtschreibung/Tool sowie [X.], Beschluss vom [X.], 25 W (pat) 26/19 – toolSTAR; Beschluss vom 15.10.2020, 25 W (pat) 59/19 – [X.]). Im Sinne der ersten Übersetzung wird er seit langem im [X.]n verwendet, um allgemein auf Werkzeuge hinzuweisen. So gibt es „Taschen-Tools“ ([X.]. 52 ff. d. A.), „Multitools“ für Werkzeuge im Taschenmesserformat ([X.]. 56 d. A.); „Schrauber-Tools: Bike Werkzeug zur Wartung und Reparatur“ ([X.]. 43 ff. d. A.); „Tools und Zubehör: Diese Werkzeuge gehören in jede Werkstatt“, „[X.], die in keiner Werkstatt fehlen dürfen“ ([X.]. 39 ff. d. A.), „Werkzeuge – Tools für Hand- und Heimwerker“ ([X.]. 37 f d. A.), etc. Das prägende Element steht zudem am mehr beachteten Wortanfang und wird lediglich um den beschreibenden Bestandteil ergänzt. Der Verkehr wird „tools“ daher innerhalb des angegriffenen Zeichens „[X.]“ trotz dessen Ausgestaltung als [X.] ohne weiteres erkennen und neben dem für sich gesehen normal unterscheidungskräftigen Anfangsbestandteil als bloßen Sachhinweis wahrnehmen.

Daher sind die Zeichen(bestandteile) „[X.]“ und „[X.]“ zu vergleichen. Die Unterschiede lediglich im dritten Buchstaben „l“ bzw. „h“ genügen nicht, um eine klangliche und schriftbildliche Verwechslungsgefahr auszuschließen. Die Zeichen sind klanglich hochgradig ähnlich, da die hier besonders relevanten Wortanfänge und –enden identisch sind. Auch weisen die beiden Worte die identischen Vokalfolge „i – a“, jeweils zwei Silben und den gleichen Sprechrhythmus auf. Der Unterschied lediglich in den Konsonanten „h“ und „l“ in der [X.] wird daher vom Verkehr trotz der Kürze der Zeichen weitgehend unbeachtet bleiben. Insbesondere ist ein Verhören gerade bei ungünstigen Übermittlungsbedingungen nicht ausgeschlossen. Auch schriftbildlich sind „[X.]“ und „[X.]“ hochgradig ähnlich. Die Zeichen weisen einen identischen Wortanfang, ein identisches Ende sowie die gleiche Zeichenlänge und gleiche Ober- und Unterlängen auf. Die Unterschiede der Buchstaben „l“ und „h“ in der weniger beachteten [X.] (vgl. auch [X.], Beschluss vom 04.09.2021, 24 W (pat) 110/10 – [X.] / [X.]) fallen kaum auf und sind nur durch den gerundeten Abstrich des „h“ (nach unten offene Punze, vgl. [X.]) voneinander zu unterscheiden. Im Umfang der Prägung der angegriffenen Marke durch den Bestandteil „[X.]“ stehen sich mit „[X.]“ und „[X.]“ klanglich und schriftbildlich hochgradig ähnliche Marken gegenüber, so dass insoweit eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zu bejahen ist.

Im Ergebnis hält das jüngere Zeichen somit den erforderlichen Abstand nicht ein. Auf den Widerspruch hin ist es daher gem. § 43 Abs. 2 S. 1 [X.] zu löschen.

C. Zu einer vom gesetzlichen Regelfall abweichenden Kostenentscheidung aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 [X.] besteht kein Anlass.

D. Da lediglich die Beschwerdeführerin, deren Antrag vollständig entsprochen wird, eine mündliche Verhandlung beantragt hatte und diese auch nicht sachdienlich ist, konnte gem. § 69 [X.] im schriftlichen Verfahren entschieden werden.

Meta

29 W (pat) 566/20

05.09.2022

Bundespatentgericht 29. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 05.09.2022, Az. 29 W (pat) 566/20 (REWIS RS 2022, 7613)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7613

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