Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.12.2010, Az. IV S 10/10 (PKH)

4. Senat | REWIS RS 2010, 905

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Gegenstand

Prozesskostenhilfe bei Versäumung der Rechtsmittelfrist


Leitsatz

1. NV: Begehrt der Antragsteller PKH für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens und hat er innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht durch eine nach § 62 Abs. 4 FGO vor dem BFH vertretungsberechtigte Person das statthafte Rechtsmittel eingelegt, so verspricht die beabsichtigte Rechtsverfolgung nur hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn wegen der Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

2. NV: Dies setzt voraus, dass der Antragsteller beim Prozessgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist einen PKH-Antrag nebst Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO und entsprechenden Belegen vorlegt.

3. NV: Bei verspäteter Vorlage eines PKH-Antrags ist dem Antragsteller eine Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen, solange das Vertretungsverhältnis besteht.

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller war neben einer weiteren natürlichen Person ([X.]) Gesellschafter einer mit Gesellschaftsvertrag vom 1. Juni 1992 gegründeten [X.] schied zum 31. Dezember 2005 aus der GbR aus. Nachdem die [X.] bis 2002 Verluste in Höhe von insgesamt 133.548 € erklärt hatte, stufte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) deren Tätigkeit als Liebhaberei ein. Der gegen den Bescheid vom 9. Juni 2005 eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) ging nach Ausscheiden des [X.] von einer Vollbeendigung der GbR aus und legte --unter Beiladung des [X.]-- die im März 2006 im Namen der GbR erhobene Klage rechtsschutzgewährend als Klage des Antragstellers aus. In der [X.]ache hatte die Klage jedoch keinen Erfolg. Das [X.]-Urteil vom 18. Mai 2010 wurde dem zu jener [X.] anwaltlich vertretenen Antragsteller am 8. Juni 2010 zugestellt. Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist am 8. Juli 2010 hat der dabei entgegen einer entsprechenden Belehrung in der angegriffenen [X.]-Entscheidung nicht gemäß § 62 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) vertretene Antragsteller am 12. Juli 2010 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. [X.]gleich (12. Juli 2010) hat der Antragsteller beim [X.] ([X.]) einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des [X.] gestellt, ohne eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen. Mit [X.]chreiben vom 22. Juli 2010 hat die Vertreterin des Antragstellers vor dem [X.], eine Rechtsanwältin, gegenüber dem [X.] die Niederlegung des Mandats erklärt.

2

Nach gerichtlichem Hinweis auf den verspäteten Eingang von Nichtzulassungsbeschwerde und [X.] beim [X.] und Übersendung eines Formularvordrucks zur Abgabe der genannten Erklärung hat der Antragsteller mit [X.]chriftsatz vom 16. August 2010 (Eingang beim [X.] am 19. August 2010) den ausgefüllten Formularvordruck vorgelegt, Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand beantragt und vorgetragen, weder aus gesundheitlichen Gründen handlungsfähig noch über die [X.]chritte seiner Rechtsanwältin informiert gewesen zu sein. Die Nichtzulassungsbeschwerde habe er am 7. Juli 2010 zur Post gegeben. Das [X.]-Urteil habe er von seiner Rechtsanwältin ohne Eingangsdatum erhalten.

3

Nach Ansicht des [X.] ist der [X.] abzulehnen. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der PKH seien bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung der Beschwerde zu erfüllen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers sei unzulässig, weil dieser bei Einlegung der Beschwerde nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen sei. Außerdem sei kein Grund für die Zulassung der Revision erkennbar.

Entscheidungsgründe

4

II. 1. Der Antragsteller konnte den Antrag auf Bewilligung von [X.] selbst wirksam stellen; für einen derartigen Antrag besteht kein Vertretungszwang nach § 62 Abs. 4 [X.]O (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 8. Mai 2009 IV S 3/09 ([X.]), Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, [X.]; [X.] vom 27. Juli 2010 III S 28/09 ([X.]), juris).

5

2. Der Antrag auf Bewilligung von [X.] wird abgelehnt.

6

a) Nach § 142 Abs. 1 [X.]O i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine [X.], die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag [X.], wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

7

b) Die Nichtzulassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn sie ist unzulässig. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist weder innerhalb der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 [X.]O eingelegt worden noch war der Antragsteller --trotz entsprechender Belehrung durch das mit der Beschwerde angegriffene [X.] bei der (verspäteten) Einlegung der Beschwerde entsprechend den Anforderungen des § 62 Abs. 4 [X.]O vertreten. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde kommt nicht in Betracht.

8

aa) Begehrt der Antragsteller [X.] für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens und hat er innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht durch eine nach § 62 Abs. 4 [X.]O vor dem [X.] vertretungsberechtigte Person das statthafte Rechtsmittel eingelegt, so verspricht die beabsichtigte Rechtsverfolgung nur dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn wegen der Versäumung der Rechtsmittelfrist nach § 56 [X.]O Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Dies setzt voraus, dass beim Prozessgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist ein [X.]-Antrag (§ 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und die nach § 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung der [X.] über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege vorgelegt werden; hierbei hat der Prozessbeteiligte die dafür eingeführten Vordrucke zu benutzen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.] vom 17. November 2009 [X.]/09 ([X.]), [X.]/NV 2010, 232, m.w.N.). Dabei kann sich ein Antragsteller nicht auf Unkenntnis berufen, da er sich über die Voraussetzungen einer Bewilligung von [X.] grundsätzlich selbst kundig machen muss; die Gerichte treffen insoweit keine besonderen Hinweispflichten (z.B. [X.] vom 1. Juli 2002 [X.]/02, [X.]/NV 2002, 1337).

9

bb) Diesen Anforderungen genügte das verspätet --nach Ablauf der in § 116 Abs. 2 Satz 1 [X.]O bestimmten Monatsfrist für die Einlegung der [X.] eingegangene und dabei unvollständige [X.]-Gesuch des Antragstellers nicht. Deren Beachtung war auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil der Antragsteller nach gerichtlichem Hinweis u.a. vorgetragen hat, das Datum der Zustellung des [X.] bei seiner Rechtsanwältin und damit den Ablauf der Beschwerdefrist nicht gekannt zu haben. Denn ein eventuelles Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten, etwa in Gestalt einer ungenügenden Unterrichtung ihres Mandanten, muss sich der Antragsteller zurechnen lassen (§ 155 [X.]O i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Insoweit gilt nichts anderes als bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 [X.]O) gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde. Das Mandatsverhältnis mit der Vertreterin des Antragstellers im Verfahren vor dem [X.] bestand jedenfalls über den Tag des Ablaufs der Beschwerdefrist (8. Juli 2010) fort, denn Umstände, nach denen der hier maßgebliche Mandatsvertrag (vgl. [X.]-Urteil vom 21. März 2002 [X.], [X.]E 198, 36, [X.] 2002, 426) bereits vor der von der Rechtsanwältin mit Schreiben vom 22. Juli 2010 gegenüber dem [X.] erklärten Mandatsniederlegung und auch vor Ablauf der Beschwerdefrist dem Antragsteller gegenüber gekündigt worden wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Solange das Vertretungsverhältnis noch fortbesteht, kann das Verschulden des Vertreters dem Vertretenen zugerechnet werden ([X.]-Urteil in [X.]E 198, 36, [X.] 2002, 426). Der Hinweis des Antragstellers auf seinen schlechten Gesundheitszustand macht es --ungeachtet der Frage, inwieweit seine Erkrankungen in den Vorjahren oder die mit Schriftsatz des Antragstellers vom 27. November 2010 weiter vorgebrachten ärztlichen Behandlungstermine im Oktober und November 2010 noch bzw. schon während des Laufs der Beschwerdefrist zum Tragen kamen-- gleichfalls nicht entbehrlich, dass der grundsätzlich an keine Frist gebundene [X.]-Antrag in der hier vorliegenden Situation innerhalb der Beschwerdefrist zu stellen war. Denn nach den vom Antragsteller geschilderten Umständen lag die maßgebliche Ursache für dessen Versäumnis in der angeblichen Unkenntnis des Datums der Urteilszustellung. Andererseits ergeben sich weder aus dem Vorbringen des Antragstellers noch aus dem Zeitablauf Hinweise darauf, dass dem Antragsteller von seiner Vertreterin vor dem [X.] (zunächst) eine Vertretung auch im Beschwerdeverfahren zugesichert worden sein könnte, und er deshalb erst nach Fristablauf einen [X.]-Antrag hatte stellen können. Allein der Umstand, dass die Niederlegung des Mandats erst nach Ablauf der Beschwerdefrist dem [X.] mitgeteilt worden ist, rechtfertigt eine solche Annahme nicht.

cc) Hat demnach der Antragsteller seinen [X.]-Antrag nicht ordnungsgemäß gestellt, so kommt auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde in Betracht. Ist die Beschwerde somit unzulässig, kann offenbleiben, ob --wie das [X.] vorgetragen hat-- der Beschwerde auch in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg beschieden wäre. Ebenso kommt es nicht mehr auf die vom Antragssteller mit Schriftsatz vom 27. November 2010 vorgetragenen Umstände einer Durchsuchung und daraus folgende mögliche Rückschlüsse auf die finanzielle Situation des Antragstellers an, wenn dem [X.]-Antrag --wie dargelegt-- schon ungeachtet der finanziellen Verhältnisse des Antragstellers nicht stattzugeben ist.

dd) Soweit der vom Antragsteller mit Schriftsatz vom 27. November 2010 gestellte Fristverlängerungsantrag dahin zu verstehen sein sollte, dem Antragsteller Gelegenheit zur weiteren Begründung seines [X.]-Antrags bis 31. Januar 2011 zu geben, ist auch dieser Antrag abzulehnen. Nachdem der Antragsteller nicht --wie erforderlich-- innerhalb der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einen (vollständigen) [X.]-Antrag gestellt hat, kommt es auf eine weitergehende Antragsbegründung nicht mehr an.

3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 [X.]O i.V.m. § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO und § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem [X.]).

Meta

IV S 10/10 (PKH)

01.12.2010

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

§ 56 Abs 1 FGO, § 62 Abs 4 FGO, § 85 Abs 2 FGO, § 116 Abs 2 S 1 FGO, § 142 Abs 1 FGO, § 155 FGO, § 114 ZPO, § 117 Abs 1 S 1 ZPO, § 117 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.12.2010, Az. IV S 10/10 (PKH) (REWIS RS 2010, 905)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 905

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