Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2019, Az. B 9 SB 19/19 B

9. Senat | REWIS RS 2019, 5922

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Überraschungsentscheidung - mündliche Verhandlung - Erörterung des Sach- und Streitstands - keine Hinweispflicht des Gerichts auf voraussichtliche Beweiswürdigung - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - kritische Äußerungen des Gerichts zu Unstimmigkeiten eines Gutachtens - Obliegenheit des Klägers zur weiteren Gehörsverschaffung - Beweisantrag auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme oder Antrag auf Schriftsatznachlass - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 6. Februar 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. In der Hauptsache wendet sich die Klägerin gegen die Herabsetzung des bei ihr festgestellten Grades der [X.]ehinderung (Gd[X.]) von 80 auf 60. Festgestellt sind bei ihr Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung (Einzel-Gd[X.] 50) sowie eine seelische Störung (Einzel-Gd[X.] 30) infolge eines am 24.11.2007 erlittenen [X.]. Die Klägerin ist zudem der Auffassung, ihr ständen weiterhin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen G und [X.] zu. Diesen Anspruch hat das [X.] unter Auswertung der vorliegenden Arztberichte und Gutachten verneint, weil es in der Folgezeit nach dem Unfall zu einer massiven Verbesserung der Gehfähigkeit gekommen sei. Ausweislich des [X.]erichts des Klinikums [X.]. vom 11.6.2008 und der Einschätzung von [X.] in dessen Gutachten vom 21.9.2011 hätten sich die für den Erlass des [X.] vom 12.3.2008 maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert und sei der Gd[X.] lediglich noch mit 60 zu bewerten gewesen. Im Gegensatz zu [X.] habe zwar der von der Klägerin beauftragte Sachverständige Dr. M. in seinem Gutachten vom [X.] einen leichten Schwindel mit einem Einzel-Gd[X.] von 20 und zusätzlich einen [X.] mit [X.] mit einem Gd[X.] von 40 angesetzt. Der Senat sei auch zu der Überzeugung gelangt, dass tatsächlich ein Schwindel als weitere Gesundheitsstörung mit einem Einzel-Gd[X.] von 20 zu berücksichtigen sei. Allerdings seien die synkopalen Anfälle, wie Dr. M. selbst schreibe, nicht belegt. Der Einzel-Gd[X.] von 20 für den leichten Schwindel erhöhe jedoch den Gesamt-Gd[X.] nicht über 60 hinaus. Da somit die Voraussetzungen des Merkzeichens G weggefallen seien, habe auch das Merkzeichen [X.] nicht mehr vergeben werden können (Urteil vom [X.]).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin [X.]eschwerde zum [X.]SG eingelegt. Sie rügt das Vorliegen von zwei Verfahrensmängeln gemäß § 160 Abs 2 [X.] SGG. Es liege eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) durch das [X.] vor, weil es sich über die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. M. hinweggesetzt habe, ohne von diesem eine ergänzende Stellungnahme einzuholen. Zudem liege die Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG vor, weil das [X.] in der mündlichen Verhandlung erstmals mitgeteilt habe, dass es dem Sachverständigen Dr. M. hinsichtlich der Gd[X.]-Einzelbewertung für die synkopalen Stürze und Schwindelattacken mit [X.]einahestürzen und Stürzen der Klägerin nicht folge.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die [X.]egründung vom [X.] genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des [X.] nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie im Fall der Klägerin - darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] Halbs 1 SGG), so müssen bei der [X.]ezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen [X.]eweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende [X.]egründung nicht gefolgt ist. Diese Voraussetzungen erfüllt die [X.]eschwerdebegründung nicht.

5

a) Die behauptete fehlerhafte Sachaufklärung iS von § 103 SGG durch das [X.] ist nicht ausreichend dargelegt. Soweit die Klägerin rügt, das [X.] hätte im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. M. einholen müssen, kann sie sich schon deshalb nicht auf den Verfahrensfehler einer unterlassenen Sachaufklärung mit Erfolg berufen, weil sie keinen bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung des [X.] vom [X.] zu Protokoll aufrechterhaltenen [X.]eweisantrag benannt hat, den das [X.] übergangen haben könnte (zu den [X.] an eine Sachaufklärungsrüge s hierzu allgemein Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - [X.] 9 S[X.] 70/17 [X.] - Juris Rd[X.]). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Rüge der Klägerin, dass der Sachverständige Dr. M. sein Gutachten in bestimmten Punkten hätte vertiefen können, sodass der Gd[X.] mit 80 und die Merkzeichen G und [X.] vom [X.] hätten bejaht werden müssen. Sofern die Klägerin insoweit noch offene Fragen behauptet, so hat sie weder erläuterungsbedürftige Punkte im Rahmen ihres Fragerechts nach §§ 116 [X.], 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO noch den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nach § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO vorgetragen (vgl hierzu insgesamt Senatsbeschlüsse vom 27.9.2018 - [X.] 9 V 14/18 [X.] - Juris RdNr 12 ff und vom 18.6.2018 - [X.] 9 V 1/18 [X.] - Juris RdNr 13 ff, jeweils mwN).

6

b) Soweit die Klägerin eine Verletzung der Hinweispflicht des [X.] nach §§ 106, 112 Abs 2 [X.] SGG und damit zugleich im Rahmen einer Überraschungsentscheidung eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) rügt, reichen ihre Ausführungen ebenfalls nicht aus. Die Klägerin verkennt, dass insbesondere gegenüber rechtskundig vertretenen [X.]eteiligten weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige [X.]eweiswürdigung darzulegen, besteht. Denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden [X.]eratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Deshalb gibt es auch keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die [X.]eteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene [X.]eweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den [X.]eteiligten zu erörtern (Senatsbeschluss vom [X.] - [X.] 9 S[X.] 19/18 [X.] - Juris RdNr 7 mwN). Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem selbst ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (Senatsbeschluss vom [X.], aaO). Die Klägerin zeigt aber nicht substantiiert auf, dass sie nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens insbesondere auch aufgrund der vorliegenden umfangreichen medizinischen [X.]efundunterlagen und der eingeholten Sachverständigengutachten unter keinen Umständen mit der vom [X.] getroffenen Entscheidung habe rechnen können. Das [X.] hat der Klägerin vielmehr die Möglichkeit gegeben, unter Hinweis auf seiner Auffassung nach bestehende Unstimmigkeiten im Gutachten des Dr. M., hierzu eine gegenteilige Stellungnahme abzugeben. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin auch nicht dargelegt, inwiefern sie in der mündlichen Verhandlung alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich weiteres rechtliches Gehör zu verschaffen. Sie behauptet nicht, dass sie vom [X.]erufungsgericht daran gehindert worden sei, in der mündlichen Verhandlung durch ihren Prozessbevollmächtigten den in der [X.]eschwerdebegründung bezeichneten [X.]eweisantrag auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von dem Sachverständigen Dr. M. oder einen Antrag auf [X.] zu stellen.

7

c) Die gegen die [X.]eweiswürdigung des [X.] gerichtete, also auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützte Rüge, kann nach der ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 SGG nicht zur Revisionszulassung führen. Deshalb ist es für die Frage der Zulassung zur Revision unerheblich, dass die Klägerin mit der Auswertung und Würdigung der vorliegenden Arztberichte und Sachverständigengutachten durch das [X.]erufungsgericht nicht einverstanden ist (vgl Senatsbeschluss vom 16.11.2018 - [X.] 9 V 26/18 [X.] - Juris RdNr 10).

8

2. Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 [X.] Halbs 2 SGG).

9

3. Die [X.]eschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meta

B 9 SB 19/19 B

01.07.2019

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG München, 31. März 2017, Az: S 33 SB 631/15

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 62 SGG, § 106 SGG, § 112 Abs 2 S 2 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 411 Abs 3 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2019, Az. B 9 SB 19/19 B (REWIS RS 2019, 5922)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 5922

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