Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.12.2021, Az. B 9 SB 55/21 B

9. Senat | REWIS RS 2021, 117

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Tatsachendarstellung - Amtsermittlungspflicht - sozialgerichtliches Verfahren - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Heranziehung von ärztlichem Fachwissen - Beiziehung und Verwertbarkeit von Gutachten aus einem parallelen Rentenverfahren


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 26. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt in der Hauptsache die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 50. Diesen Anspruch hat das [X.] mit Urteil vom 26.7.2021 verneint. Gestützt hat es sich dabei auf die aus einem Rentenverfahren der Klägerin vor dem [X.] beigezogenen Gutachten der Orthopäden [X.] vom 9.3.2020 und [X.] vom 4.9.2020 sowie auf das vom [X.] eingeholte Gutachten des Psychiaters E vom 7.11.2019. Auszugehen sei bei der Bildung des [X.] von der schwersten Funktionseinschränkung, hier der Behinderung im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" mit einem Einzel-GdB von 40. Für die Behinderungen im Funktionssystem "Rumpf" bestehe ein Einzel-GdB von 20, und für die Behinderung im Funktionssystem "Beine" in Form einer Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke und des Kniegelenks sei ein Einzel-GdB von 10 zugrunde zu legen. Darüber hinaus ergäben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme eines Einzel-GdB von wenigstens 10 im Funktionssystem "Arme", zumal [X.] und [X.] in ihren Gutachten insbesondere eine freie Beweglichkeit beider Schulter- und Ellenbogengelenke beschrieben hätten. Daraus ergebe sich ein [X.] nicht höher als 50, da [X.] von 10 nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führten und auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach ebenfalls nicht auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen sei. Umstände, wie etwa das besonders ungünstige Zusammenwirken von Behinderungen, die eine Ausnahme zuließen, lägen bei der Klägerin nicht vor.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie rügt einen Verstoß des [X.] gegen die Sachaufklärungspflicht.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Die Geltendmachung eines [X.] wegen Verletzung des § 103 [X.]G ([X.]) kann gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G nur darauf gestützt werden, dass das [X.] einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.

5

a) Die Klägerin rügt [X.] (§ 103 [X.]G) des [X.]. Sie versäumt es jedoch bereits, den der Entscheidung des [X.] zugrunde liegenden Sachverhalt darzustellen. Denn "bezeichnet" iS des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn er in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird (B[X.] Beschluss vom 27.8.2018 - [X.] SB 1/18 B - juris Rd[X.] 10 mwN). Dies wird aber nur dann erkennbar, wenn zuvor diese Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargetan und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Hieran fehlt es.

6

b) Auch im Übrigen erfüllt das Vorbringen der Klägerin nicht die besonderen Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge. Hierzu muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen [X.], dem das [X.] nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des [X.], aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des [X.] auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das [X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; zB B[X.] B eschluss vom [X.] - [X.] SB 50/19 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

7

Es fehlt bereits an der Bezeichnung eines im Berufungsverfahren bis zuletzt aufrecht erhaltenen prozessordnungsgemäßen [X.] iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G. Merkmal eines [X.] ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (B[X.] Beschluss vom 11.10.2018 - [X.] SB 37/18 B - juris Rd[X.] 5 mwN). Die Klägerin war in der Berufungsinstanz nicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten. In einem solchen Fall sind zwar an Form, Inhalt, Formulierung und Präzision eines [X.] verminderte Anforderungen zu stellen. Auch ein unvertretener Beteiligter muss aber einen konkreten Beweisantrag zumindest sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens vor dem [X.] noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese aufzuklären (B[X.] Beschluss vom 23.4.2020 - [X.] V 56/19 B - juris Rd[X.] 9; B[X.] Beschluss vom 21.2.2018 - B 5 R 331/17 B - juris Rd[X.] 11). Hierzu hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen.

8

Wer einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 [X.]G) geltend macht, muss zudem darlegen, warum dem [X.] bestimmte Tatfragen nach seiner Rechtsansicht weiter als klärungsbedürftig hätten erscheinen und es zu weiterer Sachaufklärung hätten drängen müssen (B[X.] Beschluss vom 16.11.2018 - [X.] V 26/18 B - juris Rd[X.] 6). Entsprechenden Vortrag enthält die Beschwerdebegründung nicht in schlüssiger Form. Dies gilt zunächst, soweit sich die Klägerin sinngemäß gegen die Verwertbarkeit der aus einem parallelen Rentenverfahren vor dem [X.] beigezogenen Gutachten von [X.] und [X.] wendet, weil darin "keine Einschätzungen für das Schwerbehindertenrecht" und insbesondere zum GdB getroffen würden. Die Klägerin räumt selbst ein, dass diese Gutachten "im Hinblick auf die medizinischen Feststellungen als solche natürlich übertragbar und verwertbar" seien. Sie legt aber nicht dar, warum sich des [X.] bei der Bemessung des GdB nicht auch auf diese Gutachten stützen konnte. Nach der ständigen Rechtsprechung des B[X.] ist die Bemessung des GdB in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe, wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss (B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 39/20 B - juris Rd[X.] 11; B[X.] Beschluss vom 14.8.2020 - [X.] SB 25/20 B - juris Rd[X.] 9; B[X.] Beschluss vom 27.6.2016 - [X.] SB 18/16 B - juris Rd[X.] 6; B[X.] Beschluss vom 9.12.2010 - [X.] SB 35/10 B - juris Rd[X.] 5). Genau dies hat das [X.] aber durch die Beiziehung der Gutachten getan. Dass die Gutachten hinsichtlich der festgestellten gesundheitlichen Störungen fehlerhaft und widersprüchlich sind oder Zweifel an der Sachkunde der Gutachter bestehen, behauptet die Klägerin nicht. Sie hat auch nicht dargetan, gegenüber dem [X.] einen weiteren Antrag auf medizinische Sachaufklärung oder eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen zu ihren beigezogenen Gutachten eingefordert zu haben.

9

Tatsächlich kritisiert die Klägerin insbesondere unter Verweis auf die bei ihr bestehenden schmerzhaften Funktionsbeeinträchtigungen der Halswirbelsäule, der Lendenwirbelsäule, der Hüften sowie im linken Kniegelenk im [X.] die Beweiswürdigung des [X.] (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G), womit sie nach § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G von vornherein eine Revisionszulassung nicht erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit sie eine unzureichende Rechtsanwendung des [X.] rügen wollte (vgl B[X.] Beschluss vom 28.2.2017 - [X.] SB 88/16 B - juris Rd[X.] 8 mwN).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 [X.]G).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 SB 55/21 B

21.12.2021

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 29. September 2020, Az: S 11 SB 2447/18, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 106 Abs 3 SGG, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 236a Abs 1 SGB 6, VersMedV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.12.2021, Az. B 9 SB 55/21 B (REWIS RS 2021, 117)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 117

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 28/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht - Zustimmung zur Entscheidung …


B 9 SB 31/21 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Amtsermittlungspflicht - prozessordnungsgemäßer Beweisantrag - Nachweis eines unveränderten …


B 9 SB 26/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Recht auf Fragen an einen …


B 9 SB 67/18 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - Bewertung eines Einzel-GdB - erforderliche Darlegung …


B 9 SB 74/21 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - gesetzlicher Richter - Ablehnung eines Befangenheitsantrags - Formulierung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.