Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11.12.2014, Az. 1 BvL 16/12

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2014, 409

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls des "Rentnerprivilegs" im Versorgungsausgleich (hier: § 101 Abs 3 SGB VI ) - unzureichende Auseinandersetzung des Vorlagebeschlusses mit Literatur und Rspr der Fachgerichte sowie des BVerfG


Gründe

A.

1

Das [X.] betrifft die Frage, ob die Abschaffung des sogenannten [X.] in § 101 Abs. 3 [X.] ([X.]) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

I.

2

1. § 101 [X.] in der Fassung vom 20. April 2007 ([X.], [X.], [X.]) hatte bis zum 30. August 2009 in Absatz 3 folgenden Wortlaut:

"(3)Wird nach Beginn der Rente eine Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich zu Lasten des Versicherten wirksam, wird die Rente oder eine unmittelbar anschließende gleich hohe oder niedrigere Rente erst zu dem Zeitpunkt um einen Abschlag verändert, zu dem bei einer Rente aus der Versicherung des [X.] ein Zuschlag berücksichtigt wird. Bei einer unmittelbar anschließenden höheren Rente wird der Abschlag schon vor diesem Zeitpunkt vorgenommen, soweit dies nicht zu einer Unterschreitung der vorangegangenen Rente führt. Entsprechendes gilt, wenn sich aufgrund einer Abänderung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich der Zuschlag des [X.] mindert. In den Fällen der Sätze 1 bis 3 und des § 5 des [X.] im Versorgungsausgleich vom 21. Februar 1983 ([X.] I S. 105) in der jeweils geltenden Fassung ist der [X.] des Leistungsberechtigten bei rückwirkender oder erst nachträglich bekannt werdender Rentenleistung aus der Versicherung des anderen Ehegatten oder Lebenspartners mit Wirkung vom Zeitpunkt des Beginns dieser Rente aufzuheben; die §§ 24 und 48 des [X.] sind nicht anzuwenden."

3

2. Durch das Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs (VAStrRefG) vom 3. April 2009 ([X.]) hat § 101 Abs. 3 [X.] seit dem 1. September 2009 folgenden Wortlaut erhalten:

"(3) Ist nach Beginn der Rente ein Versorgungsausgleich durchgeführt, wird die Rente der leistungsberechtigten Person von dem Kalendermonat an um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dessen Beginn der Versorgungsausgleich durchgeführt ist. Der [X.] ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des [X.] sind nicht anzuwenden. Bei einer rechtskräftigen Abänderung des Versorgungsausgleichs gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass auf den Zeitpunkt nach § 226 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit abzustellen ist. § 30 des Versorgungsausgleichsgesetzes bleibt unberührt."

II.

4

Nach der bis zum 31. August 2009 geltenden Rechtslage wurden, wenn der ausgleichspflichtige Ehegatte zum Zeitpunkt des Versorgungsausgleichs bereits Rente bezog, Rentenkürzungen aufgrund des Versorgungsausgleichs gemäß § 101 Abs. 3 [X.] erst zu dem Zeitpunkt vollzogen, in dem der durch den Versorgungsausgleich berechtigte Ehegatte seinerseits Rente bezog und dadurch von dem Versorgungsausgleich real profitierte. In der Zwischenzeit erhielt der ausgleichspflichtige Ehegatte weiterhin seine ungekürzte Rente.

5

Dieses sogenannte [X.] ist seit dem 1. September 2009 ersatzlos entf[X.]. Seither wird die Rente des ausgleichspflichtigen Ehegatten von dem Kalendermonat an gekürzt, zu dessen Beginn der Versorgungsausgleich durchgeführt worden ist, auch wenn der ausgleichsberechtige Ehegatte seinerseits noch keine Rente erzielt.

III.

6

Dem [X.] liegt ein Versorgungsausgleichsverfahren zugrunde, bei dem der ausgleichspflichtige Ehemann bereits Rente bezieht, die ausgleichsberechtigte Ehefrau hingegen noch nicht. Die Durchführung des Versorgungsausgleichs nach den gesetzlichen Vorschriften würde daher zu einer sofortigen Kürzung der Rente des Ehemannes führen, während die Ehefrau erst später - mit Beginn ihres eigenen Rentenbezugs - von der Durchführung des Versorgungsausgleichs real profitieren würde. Dadurch würde die monatliche Rente des Ehemannes von etwa 680 € auf etwa 530 € sinken.

7

Mit Beschluss vom 22. Juni 2012 hat das [X.] das Verfahren gemäß § 80 Abs. 1 [X.] ausgesetzt und dem [X.] die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar sei, dass nach der Neuregelung des Versorgungsausgleichs durch das Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs vom 3. April 2009 ([X.]) es nicht möglich ist, (vorübergehend) von der Rentenkürzung abzusehen, auch wenn dies die Unterhaltsbedürftigkeit des [X.] zur Folge hätte und ob es mit dem Grundgesetz vereinbar sei, dass nach der Neuregelung des Versorgungsausgleichs durch das Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs vom 3. April 2009 ([X.]) es nicht möglich ist, (vorübergehend) von der Rentenkürzung abzusehen, wenn das Einkommen des [X.] hierdurch unter das Existenzminimum fiele und der [X.] noch keine Rente bezieht.

8

Die ersatzlose Streichung des sogenannten [X.] führe zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung ausgleichspflichtiger Rentenempfänger und damit zu einem Verstoß gegen Art. 3 [X.]. Während es nach den §§ 32 ff. des Gesetzes über den Versorgungsausgleich ([X.]) - insbesondere in den Fällen des § 33 [X.] sowie § 35 [X.] - möglich sei, die mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs verbundene Rentenkürzung zeitlich begrenzt auszusetzen, sei dies im Ausgangsfall trotz vergleichbarer Interessenlage nicht möglich. Jedenfalls in Fällen, in denen die Durchführung des Versorgungsausgleichs zur Unterhaltsbedürftigkeit des ausgleichspflichtigen Ehegatten führen oder dessen Rente unter das Existenzminimum f[X.] würde, liege eine planwidrige Regelungslücke vor, die zu verfassungswidrigen Ergebnissen führe.

B.

9

Die Vorlage ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen an die Begründung einer Vorlage nach § 80 Abs. 2 [X.].

I.

Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn die Ausführungen des Gerichts erkennen lassen, dass es sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. [X.] 127, 335 <355 f.>; stRspr). Hierfür muss das vorlegende Gericht in nachvollziehbarer und für das [X.] nachprüfbarer Weise darlegen, dass es bei seiner anstehenden Entscheidung auf die Gültigkeit der Norm ankommt und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der Norm mit der Verfassung überzeugt ist (vgl. [X.] 105, 61 <67>; stRspr).

Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darstellen. Dabei muss das Gericht jedenfalls auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte eingehen (vgl. [X.] 86, 52 <57>) und die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. [X.] 76, 100 <104>; 79, 240 <243 f.>; 86, 71 <77>). Insbesondere muss der Vorlagebeschluss auf die maßgebliche Rechtsprechung des [X.]s eingehen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 18. August 2011 - 1 BvL 10/11 -, juris, Rn. 13; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. August 2011 - 1 BvL 15/11 -, juris, Rn. 13; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 23. Januar 2014 - 1 BvL 2/13 und 1 [X.] -, juris, Rn. 22).

II.

Diesen Anforderungen genügt die zur Entscheidung stehende Vorlage nicht. Das vorlegende Gericht hat in seinen Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Rechtslage einschlägige Fachliteratur, fachgerichtliche Rechtsprechung sowie die Rechtsprechung des [X.]s nicht berücksichtigt.

1. An einer Auseinan[X.]etzung mit der in Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung - auch zum Zeitpunkt des [X.] - vorherrschenden Rechtsansicht, die die Abschaffung des sogenannten [X.] als mit der Verfassung vereinbar ansieht, fehlt es vollständig (vgl. hierzu insbesondere Göhde, [X.] 2010, S. 555 <556>; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 1. Aufl. 2012, Einleitung Rn. 30; [X.], NZS 2008, [X.] <237>; [X.]., Versorgungsausgleich, 3. Aufl. 2011, Rn. 550; [X.], Beschluss vom 29. Mai 2012 - 10 UF 279/11 -, juris, Rn. 12 ff.).

2. Auch mit der Rechtsprechung des [X.]s setzt sich die Vorlage nicht auseinander.

a) Dabei fehlt es zum einen an der Befassung mit der Rechtsprechung des [X.]s zu Art. 3 Abs. 1 [X.], soweit der Vorlagebeschluss rügt, dass insbesondere § 33 Abs. 1 [X.] sowie § 35 Abs. 1 [X.] die Aussetzung der Kürzung einer laufenden Versorgung ermöglichten, dies aber in Fällen, in denen - wie vorliegend - die Kürzung der Rente durch den Versorgungsausgleich zu einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums führt, nicht vorgesehen sei.

Das [X.] hat zwar festgestellt, dass der allgemeine Gleichheitssatz dem Gesetzgeber gebiete, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln (vgl. [X.] 116, 164 <180>; stRspr). Es geht aber darüber hinaus auch davon aus, dass die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 [X.] stets auf einem Vergleich von Lebensverhältnissen beruhe, die nie in [X.], sondern nur in einzelnen Elementen übereinstimmen. Es sei dabei Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Elemente der zu ordnenden Lebensverhältnisse er dafür als maßgebend ansehe, sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln ([X.] 50, 57 <77>; stRspr). Der Gleichheitssatz sei nur verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung nicht finden lasse (vgl. [X.] 55, 114 <128>; stRspr). Diese Rechtsprechung findet im Vorlagebeschluss keine Erwähnung.

b) Darüber hinaus fehlt es an einer Auseinan[X.]etzung mit den Entscheidungen des [X.]s zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gestaltung des Versorgungsausgleichs. Mit Urteil vom 28. Februar 1980 ([X.] 53, 257) hat das [X.] den Versorgungsausgleich für grundsätzlich verfassungsgemäß erklärt, insbesondere dessen Grundsatz des sofortigen und endgültigen Vollzugs ([X.] 53, 257 <301 f.>). Zwar forderte das [X.] wegen der durch Art. 14 Abs. 1 [X.] geschützten Rechtspositionen des [X.] die Schaffung von Härteregelungen, um Fällen begegnen zu können, in denen die ausgleichsverpflichtete Person durch den Versorgungsausgleich eine spürbare Kürzung ihrer Anrechte hinnehmen musste, ohne dass sich dies in angemessener Weise zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirke. Hierzu gehörte die Schaffung beziehungsweise Beibehaltung eines "[X.]" aber nicht. Zudem hat das [X.] - für Versorgungsbezüge nach dem Gesetz über die Versorgung der Beamten und [X.] des [X.] (Beamtenversorgungsgesetz - [X.]) - bereits entschieden, dass der Versorgungskürzung des ausgleichspflichtigen Ehegatten der Erwerb einer selbständigen Rentenanwartschaft des ausgleichsberechtigten Ehegatten gegenüberstehe, so dass die Kürzung der Versorgungsbezüge des [X.] auch dann verfassungsrechtlich zulässig sei, wenn der [X.] seinerseits noch keine Rente beziehe ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 9. November 1995 - 2 BvR 1762/92 -, juris, Rn. 20-23). Auch diese Rechtsprechung berücksichtigt der Vorlagebeschluss nicht.

Im Übrigen wird zu der vom Amtsgericht aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage auf die zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des [X.]s ([X.], Beschluss des [X.] vom 6. Mai 2014 - 1 BvL 9/12 und 1 BvR 1145/13 -, juris, Rn. 59; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 11. Dezember 2014 - 1 BvR 1485/12 -) hingewiesen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvL 16/12

11.12.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend AG Daun, 22. Juni 2012, Az: 2a F 74/11, Vorlagebeschluss

Art 100 Abs 1 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 101 Abs 3 SGB 6 vom 03.04.2009

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11.12.2014, Az. 1 BvL 16/12 (REWIS RS 2014, 409)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 409

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 1485/12 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Versorgungsausgleich und Wegfall des "Rentnerprivilegs" - hier: Kürzung des Ruhegehalts gem § 55c Abs …


XII ZB 271/12 (Bundesgerichtshof)

Versorgungsausgleichsverfahren: Voraussetzungen der Aussetzung einer durch den Versorgungsausgleich bedingten Rentenkürzung; Verfassungsmäßigkeit der Regelung; Obergrenze für …


1 BvL 9/12, 1 BvR 1145/13 (Bundesverfassungsgericht)

Ausschluss bestimmter Anrechte aus dem Anwendungsbereich des § 32 VersAusglG verfassungsrechtlich unbedenklich - keine Verletzung …


2 C 48/13 (Bundesverwaltungsgericht)

Aufhebung der Kürzung der Versorgungsbezüge nach Versorgungsausgleich wegen Vorversterbens des geschiedenen Ehegatten


XII ZB 271/12 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvL 10/11

1 BvL 15/11

1 BvR 1485/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.