Bundessozialgericht, Urteil vom 19.08.2010, Az. B 14 AS 47/09 R

14. Senat | REWIS RS 2010, 3924

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Sozialgeld bzw Arbeitslosengeld II - Aufwendung für Schulbücher für das Schuljahr 2005/2006 - kein unabweisbarer, laufender, besonderer Bedarf - kein atypischer Bedarf nach Sozialhilferecht - keine rückwirkende Anwendung von § 24a SGB 2)


Leitsatz

Im Schuljahr 2005/2006 gab es keine Anspruchsgrundlage für einen Empfänger von Leistungen nach dem SGB 2 auf Erstattung der Kosten für Schulbücher.

Tenor

Auf die Revision des Beigeladenen werden das Urteil des [X.] vom 25. November 2008 aufgehoben und die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des [X.] vom 11. Januar 2007 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für Schulbücher für das Schuljahr 2005/2006.

2

Der im Jahre 1990 geborene Kläger bezieht seit dem 1.1.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ([X.]) von der [X.]. Seine Mutter ist alleinerziehende Studentin, die Leistungen nach dem [X.] sowie einen Mehrbedarf bei Alleinerziehung nach § 21 Abs 3 [X.] von der [X.] erhält.

3

Der Kläger besuchte im Schuljahr 2005/2006 die 9. Klasse des [X.] Zu Beginn des Schuljahres wurde den Schülern seiner Klassenstufe eine Liste mit den für die 9. Klasse erforderlichen Schulbüchern ausgehändigt. Die Kosten für die im Einzelnen genannten Schulbücher betrugen 148,70 Euro. Der Kläger erhielt auf Grund der landesrechtlichen Vorschriften (Landesverordnung über die Lernmittelfreiheit - Lernmittelfreiheitsverordnung vom 14.3.1994, GVBl [X.] 1994, 225) einen Zuschuss pro Schuljahr zu Schulbüchern in Höhe von 59 Euro. Deshalb machte er bei der [X.] die Kostenübernahme für Schulbücher in Höhe von 89,70 Euro geltend, was diese ablehnte (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom 23.9.2005). Hiergegen hat der Kläger am 26.10.2005 Klage zum Sozialgericht ([X.]) [X.] erhoben, die unter dem [X.] AS 439/05 geführt wurde. Während des Klageverfahrens hat der Kläger am 28.3.2006 die Kostenübernahme für weitere Schulbücher für das Schuljahr 2005/2006 in Höhe von insgesamt 49,50 Euro gefordert. Auch dieses Begehren blieb ohne Erfolg (Bescheid der [X.] vom [X.], Widerspruchsbescheid vom [X.]). Hiergegen hat der Kläger eine weitere Klage zum [X.] [X.] erhoben, die unter dem [X.] AS 704/06 geführt wurde. Das [X.] hat durch Urteile vom 11.1.2007 beide Klagen abgewiesen.

4

Das [X.] (L[X.]) [X.] hat auf die Berufungen des [X.] beide Verfahren verbunden und durch Urteil vom 25.11.2008 unter Änderung der Urteile des [X.] den beigeladenen Sozialhilfeträger verurteilt, dem Kläger für das Schuljahr 2005/2006 die Kosten der Schulbücher in Höhe von insgesamt 139,20 Euro zu zahlen. Zur Begründung hat das L[X.] ausgeführt, innerhalb des [X.] sei keine Rechtsnorm ersichtlich, nach der der Kläger einen Anspruch auf die Schulbücher geltend machen könne. Es ergebe sich jedoch ein Anspruch des [X.] aus § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch ([X.]B XII) gegen den Beigeladenen als Sozialhilfeträger. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B[X.]) sei eine Anwendung des § 73 [X.]B XII in Fällen einer atypischen Bedarfslage gerechtfertigt. Allerdings dürfte die Norm nicht zu einer allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des [X.] werden. Es sei vielmehr erforderlich, dass die besondere Bedarfslage eine gewisse Nähe zu den speziellen in §§ 47 bis 74 [X.]B XII geregelten Bedarfslagen aufweise. Die atypische Bedarfslage bestehe hier darin, dass es sich bei den Schulbüchern einerseits um einen Bedarf handele, der bei Erwachsenen in der Regel nicht entstehe und daher auch in die Berechnung der Regelleistungen nicht habe einfließen können, andererseits aber die Kosten für Lernmittel zwingend anfielen. Nach § 70 Abs 1 und 4 des [X.] Schulgesetzes iVm der Landesverordnung über die Lernmittelfreiheit stünden dem Kläger im Schuljahr 2005/2006 lediglich 59 Euro aus Landesmitteln für Schulbücher zu. Der Lernmittelgutschein habe also zum damaligen Zeitpunkt nur einen Bruchteil (weniger als ein Drittel) der notwendigen Aufwendungen für die Anschaffung von Schulbüchern abgedeckt. Der Kläger wäre hier im Umfang des Restbetrags in Höhe von insgesamt 139,20 Euro gezwungen gewesen, monatlich in Höhe von 11,60 Euro auf andere Ausgaben, insbesondere im Bereich der Teilnahme am kulturellen Leben, zu verzichten. Dies sei angesichts der Höhe der Regelleistungen im [X.] nicht hinnehmbar. Dass die besondere atypische Situation des [X.] eine Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem 9. Kapitel des [X.]B XII rechtfertigen könne, zeige im Übrigen ein Blick auf die Altenhilfe nach § 71 [X.]B XII. Ältere Menschen könnten wegen ihrer besonderen Situation Leistungen erhalten, um ihnen den Besuch von kulturellen oder der Bildung dienenden Veranstaltungen zu ermöglichen (vgl § 71 Abs 2 Nr 5 [X.]B XII).

5

Hiergegen wendet sich der Beigeladene mit seiner - vom Senat zugelassenen - Revision. Er rügt sinngemäß eine Verletzung des § 73 [X.]B XII. Der Beigeladene geht davon aus, dass keine atypische Bedarfslage vorliege. Schulische Bedarfe wie zB für Schulmaterialien oder Schülermonatskarten seien nicht über § 73 [X.]B XII von der Sozialhilfe zu decken. Vielmehr sei eine Lösung im Rahmen des [X.] zu finden. Dort seien die Leistungen allerdings pauschaliert und der Bedarf aus den pauschalierten Regelleistungen abzudecken.

6

Der Beigeladene beantragt,
das Urteil des [X.]s [X.] vom 25. November 2008 aufzuheben und die Berufungen des [X.] gegen die Urteile des Sozialgerichts [X.] vom 11. Januar 2007 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Insbesondere aus der späteren gesetzlichen Regelung des § 24a [X.] folge, dass der besondere Bedarf für Schulbücher etc nicht innerhalb der Regelleistung gedeckt gewesen sei. Dem L[X.] sei deshalb zuzustimmen, weil ein ergänzender Anspruch aus § 73 [X.]B XII immer dann in Frage komme, soweit Kosten anfielen, die gerade nicht aus der Regelleistung gedeckt werden könnten.

9

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beigeladenen ist begründet. Für das hier streitige Schuljahr 2005/2006 fehlte es in der Sozialrechtsordnung der [X.] an einer Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch. Gegen den beklagten Träger der Grundsicherung für Arbeit nach dem [X.] wurden die Klagen zu Recht zurückgewiesen, denn das [X.] selbst sah im Jahre 2005 keine Anspruchsgrundlage für das Begehren des [X.] vor (vgl hierzu unter 1.). Ebenso wenig kommt eine Verurteilung des beigeladenen Sozialhilfeträgers gemäß § 73 [X.] in Betracht (vgl hierzu 2.), weil es sich, wie vom [X.] ([X.]) in seiner Entscheidung vom [X.] (1 BvL 1/09, 1 [X.] und 1 [X.] - [X.] 2010, 227) klargestellt, bei dem Bedarf für die Schule um einen typischen Bedarf handelt, der bei jedem Schüler regelmäßig anfällt und der deshalb auch im [X.] hätte gedeckt werden müssen. Aus der Verfassungswidrigkeit der [X.] folgt dennoch kein Anspruch des [X.] auf Erstattung der Kosten für Schulbücher für vergangene [X.]räume. Das [X.] hat in seinem Urteil vom [X.] (aaO) auch klargestellt, dass die Rechtsverstöße durch eine verfassungswidrige [X.] für den [X.]raum ab Inkrafttreten des [X.] ab 1.1.2005 vom Gesetzgeber nicht mit Wirkung für die Vergangenheit zu korrigieren sind (hierzu im Einzelnen unter 3.). Schließlich ist auch der vom [X.] in seiner Entscheidung vom [X.] (1 BvL 1/09, 1 [X.] und 1 [X.]) geschaffene verfassungsrechtliche Anspruch für die Deckung unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarfe nicht einschlägig, weil es sich bei dem Bedarf für die Schule nicht um einen besonderen, atypischen Bedarf handelt. Ebenso wenig ist es möglich, den Rechtsgedanken des § 24a [X.], mit dem mit Wirkung zum [X.] eine zusätzliche Leistung für die Schule in das [X.] eingefügt wurde, rückwirkend auf den streitigen [X.]raum anzuwenden (hierzu unter 4.).

1. Zu Recht haben die Vorinstanzen zunächst die Klage auf Erstattung der Kosten für Schulbücher gegen den Grundsicherungsträger nach dem [X.] abgewiesen. Dem Kläger stand im streitigen [X.]raum (Schuljahr 2005/2006) kein gesetzlicher Anspruch im [X.] zur Seite. Der 7b. Senat des BSG (Urteil vom 7.11.2006 - [X.], 242 = [X.]-4200 § 20 [X.] 1) und der erkennende Senat (Urteil vom 28.10.2009 - [X.] AS 44/08 R - [X.]-4200 § 7 [X.] 15) haben klargestellt, dass eine abweichende Festsetzung der pauschalierten Regelleistung nach § 20 [X.] durch die Gerichte - etwa in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 28 Abs 1 Satz 2 [X.] - grundsätzlich nicht möglich ist. Für die vom Kläger begehrten Kosten der Schulbücher fehlte es im System der Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem [X.] auch sonst an einer Anspruchsgrundlage. Schulbücher waren weder als Mehrbedarfe in § 21 [X.] gesondert normiert, noch als Sonderbedarfe nach § 23 Abs 3 [X.] vorgesehen. § 23 Abs 3 [X.] 3 enthält lediglich eine ausdrückliche Regelung für eine Kostenpflicht bei mehrtägigen Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen. Diese Abgeschlossenheit des Systems des [X.] hat der Gesetzgeber des sog [X.] vom [X.] ([X.] 1706) nochmals betont. In das Gesetz wurde § 3 Abs 3 Satz 1 Halbs 2 und Satz 2 [X.] eingefügt. Hiernach decken die nach dem [X.] vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe ist ausgeschlossen (vgl hierzu auch [X.] vom 28.10.2009 - [X.]-4200 § 7 [X.] 15 Rd[X.] 17). Schließlich kam auch eine darlehensweise Übernahme der Kosten für Schulbücher gemäß § 23 Abs 1 [X.] bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger eine solche darlehensweise Übernahme der Kosten nicht beantragt hat.

2. Entgegen der Rechtsauffassung des [X.] war aber auch eine Verurteilung des Sozialhilfeträgers gemäß § 73 [X.] rechtsfehlerhaft, weil es sich bei den Schulbüchern um keinen atypischen Bedarf des [X.] handelte. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom heutigen Tag ([X.] AS 13/10 R) nochmals in Fortsetzung der Rechtsprechung des früheren 7b. Senats des BSG ([X.], 242 = [X.]-4200 § 20 [X.] 1) klargestellt, wann eine ergänzende Heranziehung des § 73 [X.] für an sich von den Leistungen des [X.] ausgeschlossene Empfänger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.] in Betracht kam. Erforderlich ist hierfür insbesondere eine sogenannte atypische, besondere Bedarfslage, die einen Bezug zu Grundrechten aufweist (vgl [X.] vom 19.8.2010 - [X.] AS 13/10 R -; [X.], 242, 249 = [X.]-4200 § 20 [X.] 1 Rd[X.] 22). Im Gegensatz zu dem von den Folgen einer HIV-Erkrankung betroffenen Empfänger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, dessen Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit iS des Art 2 Abs 2 Grundgesetz ([X.]) berührt ist, hat der erkennende Senat bereits klargestellt, dass weder der Schulbesuch noch die dadurch entstehenden Fahrkosten eine atypische Lebenssituation begründen (Urteil vom 28.10.2009 - [X.] AS 44/08 R - aaO Rd[X.] 21- [X.]).

Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung bestätigt durch das Urteil des [X.] vom [X.] (aaO). Dort hat das [X.] die Berechnung der Regelleistung für Kinder und Jugendliche gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 [X.] 1 [X.] für verfassungswidrig erachtet und dabei darauf abgestellt, dass der kinder- und altersspezifische Bedarf vom Gesetzgeber nicht richtig ermittelt wurde, der Kinder lediglich als "kleine Erwachsene" behandelt habe (aaO, Rd[X.] 191). Weiter hat das [X.] ausgeführt: "Ein zusätzlicher Bedarf ist vor allem bei schulpflichtigen Kindern zu erwarten. Notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten gehören zu ihrem existentiellen Bedarf. Ohne Deckung dieser Kosten droht hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen, weil sie ohne den Erwerb der notwendigen Schulmaterialien, wie Schulbücher, Schulhefte oder Taschenrechner, die Schule nicht erfolgreich besuchen können. Bei schulpflichtigen Kindern, deren Eltern Leistungen nach dem [X.] beziehen, besteht die Gefahr, dass ohne hinreichende staatliche Leistungen ihre Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können. Dies ist mit Art 1 Abs 1 [X.] in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 [X.] nicht vereinbar." (aaO, Rd[X.] 192).

Mithin waren die Schulbücher Teil des existentiellen Bedarfs des [X.], der bereits im Jahre 2005 durch das [X.] und ggf die Regelleistung in § 28 Abs 1 Satz 3 [X.] 1 [X.] hätte gedeckt werden müssen. Der 7b. Senat des BSG hatte bereits in seiner grundlegenden Entscheidung vom 7.11.2006 hierzu klargestellt, dass § 73 [X.] nicht zu einer allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des [X.] mutieren dürfe (vgl [X.] vom 19.8.2010 - [X.] AS 13/10 R -; [X.], 242, 249 = [X.]-4200 § 20 [X.] 1 Rd[X.] 22). Dies wäre der Fall, wenn das vom [X.] gerügte Versäumnis des [X.], die schulischen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen, über § 73 [X.] auf den jeweiligen Sozialhilfeträger abgewälzt würde. Der typische Schulbedarf des [X.] war mithin innerhalb des [X.] zu decken, das aber in verfassungswidriger Weise keine ausreichende Leistung bzw keinen gesetzlichen Anspruch für den Schulbedarf normierte.

3. Ein Anspruch gegen den Beklagten auf eine Kostenübernahme für Schulbücher im Schuljahr 2005/2006 ist aber - trotz der Verfassungswidrigkeit des [X.] - insoweit auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht gegeben. Das [X.] hat in seinem Urteil vom [X.] (aaO), in dem es das Regelleistungssystem des [X.] insgesamt für den [X.]raum ab 1.1.2005 als Verstoß gegen die Menschenwürde des Art 1 [X.] iVm dem Sozialstaatsgebot des Art 20 Abs 1 [X.] betrachtet hat, zugleich klargestellt, dass eine rückwirkende Leistungsgewährung nicht notwendig ist (vgl insbesondere Rd[X.] 217). Das [X.] hat vielmehr klargestellt, dass Art 1 Abs 1 [X.] iVm Art 20 Abs 1 den Gesetzgeber nicht dazu verpflichten, die Leistungen rückwirkend für die [X.] ab Inkrafttreten des [X.] am 1.1.2005 neu festzusetzen. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] muss der Gesetzgeber einen mit dem [X.] unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen, wenn dies einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung zuwider läuft oder die Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt war und dem Gesetzgeber aus diesem Grund eine angemessene Frist zur Schaffung einer Neuregelung zu gewähren ist. Diese Grundsätze des [X.] über die nicht notwendige rückwirkende Korrektur der Verfassungswidrigkeit durch den Gesetzgeber (aaO) gelten auch für die hier im Streit stehende Leistung zur Sicherung des Bedarfs an Schulbüchern, unabhängig davon, ob der Bedarf durch eine Erhöhung der Regelleistung oder durch einen gesonderten Anspruch auf Leistungen für die Schule zu decken wäre. Aus diesem Grund hat der Senat auch von einer Vorlage an das [X.] nach Art 100 [X.] abgesehen. Aus der Entscheidung des [X.] vom [X.] folgt zwar, dass die Rechtslage im [X.] im Jahr 2005 - gerade auch was den Anspruch des [X.] auf Erstattung von Schulbüchern angeht - einen Verstoß gegen Art 1 iVm Art 20 [X.] darstellt. Insofern ist diese Rechtsfrage also verfassungsrechtlich bereits geklärt. Zugleich ist vom [X.] (aaO) aber auch entschieden worden, dass aus einem Verfassungsverstoß insoweit keine Rechtsfolgen für die Vergangenheit folgen. Der Kläger hat daher den Rechtszustand im [X.] im Jahr 2005 hinzunehmen, selbst wenn hierin ein Verfassungsverstoß liegt. Schon aus diesem Grund spielt es im Übrigen auch keine Rolle, dass der landesrechtliche [X.] - anders als in anderen Bundesländern (Art 3 Abs 1 [X.]) - nur eine teilweise Kostenübernahme vorsah. Die Rechtmäßigkeit der Landesverordnung über die Lernmittelfreiheit wäre ohnehin vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen. Das [X.] hat zudem klargestellt, dass die Bedarfsermittlung für Schüler nicht von den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen in den [X.] abhängig gemacht werden darf (aaO, Rd[X.] 197).

4. Das [X.] hat in seinem Urteil vom [X.] (aaO) auch gefordert, dass für unabweisbare, laufende, nicht nur einmalige, besondere Bedarfe ein zusätzlicher verfassungsrechtlicher Anspruch auf Leistungsgewährung besteht. Dieser verfassungsrechtliche Anspruch greift hier schon deshalb nicht ein, weil es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruch auf Schulbücher nicht um einen solchen besonderen Bedarf handelt. Vielmehr geht es um einen Anspruch, der vom [X.] (aaO, Rd[X.] 192, siehe oben unter 3.) dem grundgesetzlich geschützten Existenzminimum zugerechnet wurde. Für solche "typischen" Bedarfe ist der neue verfassungsrechtliche Anspruch ersichtlich nicht gedacht. Im Übrigen handelt es sich, anders als bei dem vom Senat am heutigen Tag (Urteil vom 19.8.2010 - [X.] AS 13/10 R) zugesprochenen Anspruch des [X.] [X.]-Empfängers auf [X.] über § 73 [X.], bei dem Anspruch auf Schulbücher darüber hinaus nicht um einen fortlaufend wiederkehrenden, regelmäßigen Anspruch. Vielmehr erschöpft sich die Gewährung in dem einmaligen Rechtsakt, die Schulbücher für das jeweilige Schuljahr anzuschaffen.

Der Bedarf des [X.] kann schließlich auch nicht über eine aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendige rückwirkende Anwendung des Rechtsgedanken des § 24a [X.] gedeckt werden. Der Gesetzgeber hat die vom [X.] für verfassungswidrig erkannte Rechtslage der Jahre nach 2005 im Bereich der schulischen Leistungen durchaus erkannt und durch das Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen vom 22.12.2008 ([X.] 2955) mit Wirkung zum [X.] § 24a [X.] in das [X.] eingefügt. Hiernach können Schülerinnen und Schüler, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eine zusätzliche Leistung für die Schule in Höhe von pauschal 100 Euro pro Schuljahr erhalten. Die Norm ist zunächst ohne Übergangsregelung und insbesondere ohne sich selbst Rückwirkung beizulegen zum [X.] in [X.] getreten. Es ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich, dem § 24a [X.] - entgegen dem Willen des einfachrechtlichen Gesetzgebers - rückwirkende Bedeutung beizulegen, weil - worauf soeben ausführlich eingegangen wurde - das [X.] in seinem Urteil vom [X.] (aaO) zugleich klargestellt hat, dass eine rückwirkende Leistungsgewährung verfassungsrechtlich nicht geboten ist (vgl insbesondere Rd[X.] 217).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 S[X.].

Meta

B 14 AS 47/09 R

19.08.2010

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Speyer, 11. Januar 2007, Az: S 10 AS 439/05, Urteil

§ 20 Abs 1 S 1 SGB 2, § 21 SGB 2, § 23 Abs 3 SGB 2, § 24a SGB 2, § 28 SGB 2, § 73 SGB 12, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.08.2010, Az. B 14 AS 47/09 R (REWIS RS 2010, 3924)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3924

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