Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.08.2010, Az. VIII R 11/08

8. Senat | REWIS RS 2010, 3735

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Gegenstand

Keine Anwendung des StraBEG auf ordnungsgemäß erklärte Einkünfte - Besteuerungsgleichheit - Verfassungskonforme Auslegung einer Norm - Kein strukturelles Vollzugsdefizit bei Einkünften aus selbständiger Arbeit


Leitsatz

1. Eine einkommensteuerrechtliche Begünstigung durch das StraBEG wird nur denjenigen Steuerpflichtigen zuteil, die unter den Tatbestand des § 1 Abs. 1 StraBEG fallen .

2. Eine Erstreckung der Begünstigungen, insbesondere des Steuersatzes von 25 v.H., auf die ordnungsgemäß erklärten Einkünfte anderer Steuerpflichtiger ist ausgeschlossen .

Tatbestand

1

I. Im Streit ist, ob die Einkommensteuer für das Streitjahr (2001) im Hinblick auf Bestimmungen des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung --[X.]-- (Art. 1 des [X.] vom 23. Dezember 2003, [X.], 2928) niedriger festzusetzen ist.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Mitgesellschafter einer Rechtsanwaltssozietät sowie als Schriftsteller und aus Vortragstätigkeit, ferner aus Kapitalvermögen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) veranlagte den Kläger erklärungsgemäß.

3

Mit der nach erfolglosem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid erhobenen Klage machte der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geltend. Seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit würden vollumfänglich der Besteuerung unterworfen, während hinterzogene Einnahmen nach den Bestimmungen des [X.] nur zu 60 v.H. besteuert würden und bei einer Nacherklärung im Jahre 2004 einem Steuersatz von nur 25 v.H. unterlägen. Dieser partielle Steuerverzicht bei Steuerunehrlichen stehe in krassem Widerspruch zur Behandlung steuerehrlicher Bürger.

4

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2008, 1238).

5

Mit seiner Revision trägt der Kläger vor, das [X.] habe die Anwendung der Bemessungsgrundlage in Höhe von 60 v.H. der Einnahmen und des Steuersatzes von 25 v.H. nach dem [X.] auf die Einkünfte des [X.] aus selbständiger Arbeit zu Unrecht verweigert. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei der Kläger so zu stellen, als könne er die Begünstigungen des [X.] in Anspruch nehmen. Die Besteuerung gemäß § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) stelle im Vergleich zur Besteuerung [X.] Bezieher von steuerpflichtigen Einkünften aus selbständiger Arbeit nach § 1 [X.] eine Ungleichbehandlung i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG dar, da gleich leistungsfähige Steuerpflichtige ungleich belastet würden, obwohl hierfür kein sachlicher [X.] bestehe. Überdies sei die Ungleichbehandlung unverhältnismäßig, da weniger belastende und gleich effektive Möglichkeiten bestanden hätten, den Steuerhinterziehern eine Brücke in die Steuerehrlichkeit zu bieten, ohne die steuerehrlichen Bürger zu benachteiligen. Dem Kläger stehe ein unmittelbarer Anspruch auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG zu. Seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit seien unter Anwendung der Bemessungsgrundlage und des Steuersatzes des § 1 [X.] zu besteuern. Die Einbeziehung des [X.] in den Anwendungsbereich des § 1 [X.] könne darüber hinaus auch durch eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift beziehungsweise des § 18 EStG erfolgen.

6

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 27. Mai 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. September 2004 unter Aufhebung des [X.] des [X.] Köln vom 19. März 2008 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit unter Anwendung der Bemessungsgrundlage und des Steuersatzes von 25 v.H. des [X.] der Einkommensteuer unterworfen werden,

hilfsweise, dem [X.] ([X.]) die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob § 18 EStG i.V.m. der Tarifvorschrift des § 32a EStG im Hinblick auf das [X.] mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

7

Das [X.] beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8

Es folgt im Wesentlichen der Argumentation des [X.].

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Der Hauptantrag des [X.], seine Einkünfte nach Maßgabe des § 1 [X.] herabzusetzen, ist unbegründet.

Die Einkünfte des [X.] im Streitjahr sind zu Recht der Besteuerung nach den Vorschriften des EStG unterworfen worden, also in Höhe der danach maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen (Gewinn aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG und Einnahmeüberschuss bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, § 20 EStG) und nach dem Steuertarif des § 32a EStG.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Minderung der Einkommensteuer nach Maßgabe der Regelungen zur steuerlichen Bemessungsgrundlage und zum Steuersatz in § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.]r. 2 und Abs. 2 [X.]r. 1 [X.].

a) Das [X.] ist nach seinem eindeutigen Gesetzeswortlaut (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und § 6 [X.]) nicht auf den Kläger anzuwenden, da er für das Streitjahr seine Einkünfte ordnungsgemäß erklärt und damit die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (§§ 370, 370a der Abgabenordnung) nicht erfüllt hat (vgl. dazu Urteil des [X.] --[X.]-- vom 20. Juni 1989 [X.] R 82/86, [X.], 543, [X.] 1989, 836, unter [X.]; s. ferner [X.], [X.] 2006, 491, 492, m.w.[X.].; [X.], EFG 2010, 986).

b) Weder das [X.] noch § 18 EStG i.V.m. § 32a EStG sind verfassungskonform im Sinne der vom Kläger begehrten Rechtsfolge auszulegen.

Die verfassungskonforme Auslegung obliegt den Gerichten ([X.] vom 27. Januar 1998  1 BvL 22/93, [X.] 97, 186, unter [X.]; vom 28. Oktober 1998  1 BvR 2349/96, [X.] 99, 129, unter [X.]; [X.] vom 28. April 1999  1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95, [X.] 100, 1, unter [X.]; Dreier, Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., Art. [X.], [X.], m.w.[X.].) und besagt, dass bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer [X.]orm diejenige zu wählen ist, die das Verdikt der Verfassungswidrigkeit vermeidet und eine [X.]ormverwerfung durch das [X.] auf diese Weise entbehrlich macht. [X.] bilden dabei einerseits der Wortlaut einer Vorschrift und andererseits der erkennbare Wille des Gesetzgebers und dessen Regelungsziel, das nicht durch Auslegung verfälscht werden darf (vgl. Dreier, a.a.O., Art. [X.], [X.]). Ein [X.]ormverständnis im Sinne der vom Kläger begehrten Rechtsfolge überschreitet diese [X.], weil es im Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut sowohl des [X.] wie auch der §§ 18 und 32a EStG wie auch den jeweiligen Gesetzeszwecken steht; ein Fachgericht würde mit einer solchen Gesetzesinterpretation die beim [X.] konzentrierte [X.] unterlaufen.

c) Der Kläger kann eine niedrigere Steuerfestsetzung nach Maßgabe des § 1 [X.] nicht --wie er meint-- unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 4 GG herleiten. Da, wie dargelegt, eine verfassungskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt, könnte der [X.] eine etwa gegebene Grundrechtsverletzung durch Vorschriften des [X.] oder durch §§ 18, 32a EStG aufgrund der ausschließlichen [X.] des [X.] allein in Form einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG berücksichtigen.

2. Auch der Hilfsantrag des [X.] ist unbegründet. Die Voraussetzungen einer Vorlage an das [X.] gemäß Art. 100 Abs. 1 GG liegen nicht vor.

a) Ein Gericht kann die Entscheidung des [X.] über die Verfassungsmäßigkeit einer [X.]orm nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung überzeugt ist (vgl. [X.]-Beschluss vom 22. September 2009  2 [X.], [X.] 124, 251, unter B.2.a). Eine solche Überzeugung vermochte sich der Senat im Streitfall nicht zu bilden.

aa) Dass Steuerehrliche, die bereits ordnungsgemäß zur Steuer veranlagt worden sind und deshalb die Brücke zur Rückkehr in die Legalität nicht brauchen (s. [X.] vom 27. Juni 1991  2 BvL 3/89, [X.] 84, 233, [X.] 1991, 652), nicht in den Kreis der vom [X.] erfassten Steuerpflichtigen einzubeziehen sind, hat der [X.] bereits mehrfach entschieden ([X.]-Beschlüsse vom 22. Juli 2008 [X.]/07, [X.]/[X.]V 2008, 1846; vom 26. [X.]ovember 2008 [X.] und [X.] B 168/07, juris, zu Einkünften aus Kapitalvermögen; vom 20. Oktober 2009 [X.] B 138/09, nicht veröffentlicht; vom 2. Dezember 2009 [X.]/08, [X.]/[X.]V 2010, 605, zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit).

bb) Das [X.] ist insbesondere damit begründet worden, dass der Gesetzesvollzug und damit die gleichmäßige Beteiligung aller Steuerpflichtigen an den allgemeinen Lasten in der Praxis an rechtliche und tatsächliche Grenzen stoße. Es sollte ein attraktiver Anreiz für eine freiwillige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit geboten werden (BTDrucks 15/1521, S. 1 und [X.]). Ziel des [X.] war es hingegen nicht, die Steuerhinterziehung zu belohnen ([X.]-Beschluss vom 25. Februar 2008  2 [X.], [X.] --HFR-- 2008, 756, unter [X.]). Vor diesem Hintergrund widerspräche es dem verfassungsrechtlichen Postulat der Besteuerungsgleichheit, einen besonderen [X.] auf ordnungsgemäß veranlagte Steuerpflichtige auszudehnen, wenn der [X.] lediglich dem bisher [X.] Steuerpflichtigen den Weg zur Legalität ebnen will ([X.] in [X.] 84, 233, [X.] 1991, 652, unter B.2.b).

Vermögen danach die genannten Erwägungen des Gesetzgebers die "Steueramnestie" des [X.] und den damit verbundenen partiellen Steuerverzicht gegenüber den nicht durch das Gesetz begünstigten Steuerpflichtigen hinreichend zu rechtfertigen (vgl. dazu [X.]-Beschluss in HFR 2008, 756, unter [X.], m.w.[X.]), so wird dadurch nicht die Verfassungswidrigkeit der regelmäßigen Besteuerung nach dem EStG --im Fall des [X.] gemäß §§ 18, 20 EStG-- herbeigeführt. Denn die als Ausnahme konzipierte rechtliche Privilegierung eines bestimmten Personenkreises in Bezug auf bestimmte Sachverhalte hat, wenn sie als Ausnahme verfassungsmäßig ist, nicht die Verfassungswidrigkeit der allgemeinen Grundregeln zur Folge.

cc) Dem Argument des [X.], der Gesetzgeber habe durch die Aufnahme aller Einkunftsarten in die Regelung des [X.] zu erkennen gegeben, dass auch für Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG ein Vollzugsdefizit bestehe, was zur Verfassungswidrigkeit der [X.]orm führe, ist nicht zu folgen. Ein strukturelles Vollzugsdefizit, das durch [X.] gekennzeichnet ist, welche die Durchsetzung der materiellen Steuernorm verhindern oder erschweren (vgl. zuletzt [X.]-Beschluss in HFR 2008, 756), besteht für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG ersichtlich nicht.

b) Jedenfalls wäre eine Vorlage des erkennenden Senats an das [X.] gemäß Art. 100 Abs. 1 GG im Streitfall unzulässig.

Das Verfahren der [X.]ormenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG ist nur zulässig, wenn es für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der für verfassungswidrig erachteten [X.]orm ankommt (ständige Rechtsprechung, [X.] in [X.] 84, 233, [X.] 1991, 652). Falls § 1 [X.] durch die darin ausgesprochene partielle Steuerfreistellung den Steuerunehrlichen im Verhältnis zum Steuerehrlichen verfassungswidrig bevorzugen sollte, könnte sich die Beseitigung dieses Gleichheitsverstoßes durch eine gesetzliche [X.]euregelung auf die Besteuerung des [X.] nur dann auswirken, wenn die begünstigende Regelung des § 1 [X.] auf alle ehrlichen Steuerpflichtigen erstreckt würde. Eine solche [X.]euregelung erscheint jedoch schlechthin ausgeschlossen, so dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1 [X.] i.V.m. §§ 18, 32a EStG hier nicht entscheidungserheblich ist (vgl. [X.] in [X.] 84, 233, [X.] 1991, 652; [X.]-Beschluss in HFR 2008, 756; [X.]-[X.]ichtannahmebeschluss vom 26. Juli 2010  2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08, [X.]Entscheidungsdienst 2010, 1058).

Meta

VIII R 11/08

31.08.2010

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 19. März 2008, Az: 14 K 5045/04, Urteil

§ 18 EStG 1997, § 32a EStG 1997, § 1 Abs 1 StraBEG, Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 100 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.08.2010, Az. VIII R 11/08 (REWIS RS 2010, 3735)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3735

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1 BvL 22/93

1 BvR 2349/96

2 BvL 3/02

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