Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.07.2013, Az. III ZR 342/12

3. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 4424

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Gegenstand

Amtshaftung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen und/oder Entschädigungsanspruch wegen Menschenrechtsverletzung


Leitsatz

1. Zur Amtshaftung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen.

2. Dem Inhaftierten, der menschenunwürdigen Haftbedingungen ausgesetzt ist, steht kein Entschädigungsanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zu. Art. 5 EMRK bezieht sich grundsätzlich nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitäten des Vollzugs der Haft. Unzumutbare Haftbedingungen werden ausschließlich von Art. 3 EMRK erfasst. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK richten sich primär nach nationalem Recht, in Deutschland nach §§ 839, 249 ff. BGB (Abgrenzung zu Senatsurteil vom 29. April 1993, III ZR 3/92, BGHZ 122, 268).

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 23. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des [X.].

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom beklagten Land eine Entschädigung wegen des nach seiner Ansicht menschenunwürdigen Vollzugs der Strafhaft in der [X.] der [X.]. Er war dort im Zeitraum vom 14. September 2009 bis zum 2. Februar 2010 in einem Einzelhaftraum mit einer räumlich nicht abgetrennten Toilette und einer Fläche von etwa 5,3 qm untergebracht. Das [X.] hat den Beklagten - unter Abweisung der weitergehenden Klage - zur Zahlung von 3.460 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des [X.].

Entscheidungsgründe

I.

2

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger gegen den [X.]n weder ein [X.] aus § 839 Abs. 1 Satz 1 [X.], Art. 34 Satz 1 GG noch ein verschuldensunabhängiger Entschädigungsanspruch nach Art. 5 Abs. 5 [X.] zu.

3

Zwar habe der [X.] die vom Kläger zu verbüßende Strafhaft unter Verletzung von Amtspflichten vollzogen. Die Haftbedingungen, über die sich der Senat anlässlich einer Ortsbesichtigung in der inzwischen nicht mehr belegten [X.] der [X.]     informiert habe, stellten, wie vom [X.] in der eine baugleiche Einzelzelle betreffenden Entscheidung vom 3. November 2009 ([X.], 374) festgestellt worden sei, einen Eingriff in das Recht des [X.] auf Achtung seiner Menschenwürde dar. Der [X.] scheitere aber im Zeitraum vom 14. September bis 19. November 2009 jedenfalls daran, dass der [X.] seine gegenüber dem Kläger bestehenden Pflichten nicht schuldhaft verletzt habe. Denn die verantwortlichen Amtsträger des [X.]n hätten bis zur Entscheidung des [X.] nicht fahrlässig gehandelt. Es sei seinerzeit auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung vertretbar gewesen, davon auszugehen, dass die Haftbedingungen die Schwelle zu einer Verletzung der Menschenwürde noch nicht überschritten hätten. Auch nach der Bekanntgabe der Entscheidung des [X.] am 5. November 2009 hätten die Amtsträger durch die weitere Unterbringung für eine Übergangsfrist von zwei Wochen ihre Amtspflichten nicht schuldhaft verletzt. Eine solche Übergangsfrist sei dem [X.]n für die Prüfung und Überlegung einzuräumen, wie die [X.] vieler Betroffener in der [X.] der [X.]    hätte geändert werden können. Es habe auf der Hand gelegen, dass der [X.] die Entscheidung nicht von einem Tag auf den anderen prüfen und umsetzen sowie seine [X.]ugspraxis der geänderten Rechtslage hätte anpassen können. Für die restliche Haftzeit des [X.]n bis zum 2. Februar 2010 seien Ansprüche jedenfalls gemäß § 839 Abs. 3 [X.] ausgeschlossen. Der [X.] habe keinen [X.] gemäß § 108 Abs. 1 [X.] gestellt. Dies sei schuldhaft gewesen. Ein solcher [X.] hätte auch Erfolg gehabt, da der Kläger - wie zur Überzeugung des Senats feststehe - bei einem entsprechenden Antrag an die Anstaltsleitung sofort in einen größeren Haftraum verlegt worden wäre.

4

Art. 5 Abs. 5 [X.] sei nicht einschlägig. Die Garantie des Art. 5 [X.] beziehe sich nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitäten der Haft. Die streitgegenständlichen Haftbedingungen führten nicht zur Rechtswidrigkeit des mit der Vollstreckung der Strafhaft einhergehenden Freiheitsentzugs.

II.

5

Die zulässige Revision ist unbegründet.

6

1. Der im Bereich des [X.] tätige Hoheitsträger verletzt Amtspflichten im Sinne von § 839 Abs. 1 Satz 1 [X.], wenn er die rechtmäßig verhängte Strafhaft unter Bedingungen vollzieht, die einen Eingriff in das Recht des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG - oder auch, wie hier, nach Art. 6 der [X.] - darstellen (vgl. nur [X.], [X.], 83; NJW-RR 2011, 1043 Rn. 29; Senat, Urteil vom 1. Oktober 2009 - [X.], [X.], 301 Rn. 11). Ob der [X.]ug der Strafhaft als menschenunwürdig anzusehen ist, lässt sich dabei nicht abstrakt-generell klären; vielmehr bedarf es jeweils einer Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - [X.], [X.], 1289; Urteil vom 11. März 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1465 Rn. 7; [X.], [X.], 374 f). Als erhebliche Umstände kommen insbesondere die Anzahl der in einem Haftraum untergebrachten Gefangenen, die Größe der zur Verfügung stehenden [X.], die Ausgestaltung der sanitären Anlagen im Haftraum, die Gesamtdauer der Unterbringung sowie die täglichen Einschlusszeiten in Betracht (vgl. nur [X.], NJW-RR 2011, 1043 Rn. 30; [X.] aaO [X.]). Die diesbezügliche tatrichterliche Würdigung unterliegt dabei nur einer beschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung (vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2005 aaO).

7

Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem [X.] im Wege der gebotenen Gesamtschau davon ausgegangen, dass die Haftbedingungen das Recht des [X.] auf Achtung seiner Menschenwürde verletzt hätten. Dies nimmt die Revision als ihr günstig hin; der [X.] erhebt insoweit keine Gegenrügen.

8

Soweit der Kläger in seiner Revisionsbegründung unter Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Schriftsatz vom 9. Februar 2012 rügt, die Instanzgerichte hätten bei der Bewertung der Haftbedingungen zu Unrecht nicht zusätzlich noch seinen Vortrag, die Zelle sei nicht ausreichend beheizt gewesen, wodurch seine Menschenwürde ebenfalls verletzt worden sei, berücksichtigt und insoweit - statt Beweis zu erheben - diese Darstellung als nicht ausreichend substantiiert zurückgewiesen, hat der Senat das Vorliegen eines Verfahrensfehlers geprüft. Er hält die Verfahrensrüge aber nicht für durchgreifend. Von einer näheren Begründung wird nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

9

2. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangt, dass es bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des [X.] Berlin an einem Verschulden der zuständigen Amtsträger des [X.]n gefehlt habe.

a) Bei der Verschuldensprüfung ist auf die Anforderungen abzustellen, deren Beachtung von einem Amtsträger generell erwartet werden kann. Jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes hat die Sach- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden. Wenn die nach solcher Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als vertretbar angesehen werden kann, lässt sich aus der späteren Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht herleiten (vgl. nur Senat, Urteile vom 8. Oktober 1992 - [X.], [X.], 365, 369 f; vom 17. März 1994 - [X.], NJW 1994, 3158, 3159; vom 3. Februar 2000 - [X.], [X.], 362, 371 und vom 9. Dezember 2004 - [X.], [X.], 305, 309). Eine infolge unrichtiger Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung fehlerhafte Amtsausübung ist zwar unter anderem dann schuldhaft, wenn die Auslegung und Anwendung gegen den klaren, bestimmten und völlig eindeutigen Wortlaut des Gesetzes verstößt oder zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung in Widerspruch steht. Anders ist es aber, wenn die Rechtsfrage nicht einfach zu beurteilen ist beziehungsweise die Auslegung einer Vorschrift - bezogen auf den zur Entscheidung stehenden Einzelfall - zweifelhaft sein kann und insoweit die Sache weder durch die Rechtsprechung geklärt noch im Schrifttum abschließend behandelt ist (vgl. nur Senat, Urteile vom 5. Februar 1968 - [X.], [X.], 788, 790; vom 10. April 1986 - [X.], NVwZ 1987, 168, 169; vom 17. März 1994 aaO und vom 9. Dezember 2004 aaO [X.]; Beschluss vom 19. Dezember 1991 - [X.], NJW-RR 1992, 919; siehe zum Ganzen auch [X.]/[X.], [X.], Neubearbeitung 2013, § 839 Rn. 204 ff).

b) Von diesem Maßstab ist das Berufungsgericht, was die Revision nicht in Abrede stellt, ausgegangen. Ob im konkreten Fall das Verhalten der Amtsträger des [X.]n als schuldhaft zu beurteilen ist, ist eine Frage der tatrichterlichen Würdigung, die in der Revisionsinstanz nur beschränkt dahin überprüfbar ist, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den etwaigen Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. nur [X.], Urteile vom 26. Oktober 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 558; vom 12. Juli 2005 - [X.], [X.]Z 163, 351, 353; vom 16. Januar 2009 - [X.], [X.]Z 179, 238 Rn. 24 mwN). Entsprechende Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf.

aa) Das Berufungsgericht hat zu Recht maßgeblich darauf abgestellt, dass die bis zur Entscheidung des [X.] ergangenen ober- und höchstrichterlichen Entscheidungen nahezu ausschließlich [X.]en betrafen, in denen zwei oder mehr Gefangene in einer Zelle untergebracht waren; soweit ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG angenommen wurde, war nicht bereits die Zellengröße für sich, sondern vor allem der Umstand maßgeblich, dass in der Zelle kein abgetrennter [X.] existierte (vgl. die Nachweise bei [X.], Beschluss vom 13. November 2007 - 2 BvR 2201/05, juris Rn. 17; [X.], 83, 84; NJW-RR 2011, 1043 Rn. 31). Bei der Zuweisung eines Haftraums an einen einzelnen Gefangenen verletzt die fehlende Abtrennung der Toilette vom übrigen Raum aber nicht den Anspruch des Häftlings auf Achtung seiner Menschenwürde (vgl. [X.], [X.], 83, 84). Lediglich vereinzelt waren auch mit zwei oder mehr Häftlingen belegte Zellen mit separater Toilette oder Einzelzellen Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen (vgl. etwa [X.], [X.], 567, 568: Doppelbelegung in einem Raum von 9,82 qm mit separater Nasszelle von 1,42 qm kein Verstoß gegen die Menschenwürde; [X.], [X.] 2005, 113: Doppelbelegung in einem Raum von 9,13 qm mit abgetrennter Nasszelle von 1,3 qm kein Verstoß gegen die Menschenwürde; [X.], Beschluss vom 11. Oktober 2005 - 5 [X.] ([X.]) 54/05, [X.]St 50, 234, 240: Doppelbelegung in einem Raum von 12,59 qm (einschließlich separatem Sanitärbereich) kein Verstoß gegen die Menschenwürde; [X.], NStZ-RR 2005, 155, 156: Unterbringung von drei Häftlingen in einem Raum von 11,54 qm (einschließlich abgetrennter Toilette) als Verstoß gegen die Menschenwürde; [X.], [X.], 262, 264: Unterbringung von 4 Häftlingen in einem Raum von 17,74 qm bzw. 2 Häftlingen in einem Raum von 9,06 qm - jeweils einschließlich separater Toilette - als Verstoß gegen die Menschenwürde; das [X.] ging insoweit von einem "Grenzwert" von 5 qm pro Häftling aus; [X.], [X.], 29: Einzelunterbringung in einem Raum von 6,11 qm kein Verstoß gegen die Menschenwürde). Aus keiner der genannten Entscheidungen mussten die zuständigen Strafvollzugsbehörden den Schluss ziehen, die konkrete [X.] des [X.] verstoße gegen die Menschenwürde.

bb) Der [X.] (im Folgenden: [X.]), auf dessen Rechtsprechung das Berufungsgericht ebenfalls Bezug genommen hat, geht, was die Frage der Überbelegung einer [X.]ugsanstalt und insoweit der Verletzung von Art. 3 [X.] ("Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.") anbetrifft, von einem Regelwert von 4 qm je Inhaftiertem aus (vgl. etwa Urteil vom 12. Juli 2007, [X.]. 20877/04, [X.], 21 Rn. 57 f mwN) und bezieht bei Werten darunter die weiteren Haftbedingungen in seine Würdigung mit ein (siehe die Nachweise bei [X.] in [X.]/[X.], [X.], Art. 3 Rn. 13; [X.], [X.], 3. Aufl., Art. 3 Rn. 31; [X.] in Löwe/[X.], [X.] und [X.], Bd. 11 ([X.]/[X.]), 26. Aufl., Art. 3 Rn. 88). Zwar hindert die Einhaltung der in der [X.] niedergelegten und für die Konventionsstaaten verbindlichen Standards keine tatrichterliche Würdigung, dass bestimmte Haftbedingungen gegen das Grundgesetz verstoßen (vgl. Senat, Urteil vom 11. März 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1465 Rn. 7). Dies ändert aber nichts daran, dass im Rahmen der tatrichterlichen Prüfung des Verschuldens eines Amtsträgers die Rechtsprechung des [X.] zu Art. 3 [X.] - zumal wie hier nur als einer von mehreren Aspekten - nicht unbeachtet bleiben kann.

cc) Die Auffassung, dass die Haftbedingungen in den Einzelzellen der [X.] der [X.]    nicht gegen die Menschenwürde verstoßen, entsprach im Übrigen der - bis zur Entscheidung des [X.] - Rechtsprechung der [X.] Strafvollstreckungsgerichte (vgl. etwa KG, [X.], 222, 223 f). Zwar gilt insoweit - weil es sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, um grundlegende Einschätzungen einer obersten Landesbehörde handelte - die so genannte [X.] nicht (vgl. hierzu auch [X.]/[X.] aaO Rn. 211 ff, 215; BVerwGE 124, 99, 106 mwN). Dies hindert aber nicht, diese Rechtsprechung als einen Aspekt bei der tatrichterlichen Verschuldensprüfung mit zu berücksichtigen.

dd) Letztlich ist auch zu beachten, dass es sich bei der Beurteilung der Menschenrechtswidrigkeit von Haftbedingungen immer um eine Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls handelt, wie gerade auch die von der Revision maßgeblich herangezogene Entscheidung des [X.] [X.] (aaO [X.]) zeigt, in der ein Verstoß gegen die Menschenwürde nicht mit der Größe der Zelle allein, sondern unter wertender Heranziehung aller Haftbedingungen begründet worden ist.

Insgesamt ist deshalb die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, die Bewertung des [X.]n, eine [X.] wie die des [X.] verstoße noch nicht gegen die Menschenwürde, sei bis zu dieser - für die [X.] Behörden maßgebenden - Entscheidung vertretbar gewesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger versucht insoweit nur in untauglicher Weise seine eigene Bewertung an die Stelle der des Berufungsgerichts zu setzen.

ee) Soweit das Berufungsgericht dem beklagten Land zwischen dem 5. und 19. November 2009 eine Übergangsfrist von zwei Wochen zur Umsetzung des Beschlusses des [X.] Berlin eingeräumt hat, wendet sich die Revision hiergegen unmittelbar nicht; revisionsrechtlich erhebliche Fehler sind auch nicht ersichtlich (siehe hierzu auch Senat, Urteil vom 5. Februar 1968 - [X.], [X.], 788, 791; [X.]/[X.] aaO Rn. 205).

3. Ebenfalls frei von [X.] ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass für den Zeitraum ab 19. November 2009 ein Ersatzanspruch des [X.] nach § 839 Abs. 3 [X.] ausgeschlossen ist.

Nach dieser Bestimmung tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte fahrlässig oder vorsätzlich unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Rechtsmittel sind dabei alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne, die der Betroffene gegen das schädigende Verhalten des Amtsträgers ergreifen konnte. Sie müssen darauf abzielen und geeignet sein, das schädigende Verhalten des Amtsträgers zu beseitigen oder zu berichtigen und dadurch die Entstehung eines Schadens zu verhindern oder abzumildern (vgl. nur Senat, Urteile vom 20. Februar 2003 - [X.]/01, [X.], 1308, 1312, insoweit in [X.]Z 154, 54 nicht abgedruckt, und vom 8. Januar 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 706, 707; siehe auch [X.]/[X.] aaO Rn. 337 f mwN). Hierzu gehört auch ein [X.] an den Anstaltsleiter im Rahmen des § 108 Abs. 1 [X.].

Am Verschulden fehlt es dann, wenn die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels so gering oder so zweifelhaft ist, dass dem Verletzten dessen Gebrauch nicht zugemutet werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 20. Februar 2003 aaO S. 1313; Beschluss vom 29. Januar 2009 - [X.], juris Rn. 2; Urteil vom 11. März 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1465 Rn. 16; siehe auch [X.]/[X.] aaO Rn. 347 mwN). Ob dies der Fall ist, obliegt der Bewertung des Tatrichters, die revisionsrechtlich nur eingeschränkt darauf überprüfbar ist, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungssätze gewürdigt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Januar 2009 aaO Rn. 3, 5; Urteil vom 11. März 2010 aaO).

Auch unter Berücksichtigung der Revisionsbegründung lässt die Sachverhaltsbewertung des Berufungsgerichts keine nach diesem Prüfungsmaßstab bedeutsamen Rechtsfehler erkennen.

Das Berufungsgericht hat sich mit dem von der Revision angesprochenen Vortrag des [X.] zu der Auskunft des "zuständigen Stationsbeamten" befasst - die in der Revisionsbegründung in Bezug genommene diesbezügliche Passage im Schriftsatz vom 29. Juli 2011 bezieht sich auf Angaben vor der Entscheidung des [X.] [X.] -, jedoch die Auffassung vertreten und näher begründet, dass es dem Kläger in dem hier fraglichen Zeitraum nach der Entscheidung des [X.] [X.] ungeachtet dessen zumutbar gewesen sei, einen [X.] bei der Anstaltsleitung zu stellen. Die Annahme, dass eine erfolglose Beschwerde über die Zelle beim Stationsbeamten einen für solche Entscheidungen zuständigen [X.] an die Anstaltsleitung nicht erübrigt, liegt im Übrigen auf der Linie der Senatsrechtsprechung, wonach sich der Geschädigte regelmäßig nicht mit einem schwächeren und ineffektiveren "Rechtsmittel" begnügen darf (vgl. bereits Urteil vom 21. März 1963 - [X.], [X.], 841, 842; siehe auch [X.]/[X.] aaO Rn. 344 a.E. mwN und Senat, Urteil vom 11. März 2010 aaO Rn. 16). Dass das [X.], auf dessen Entscheidung der Kläger insoweit verweist, bei seiner tatrichterlichen Würdigung dies anders gesehen hat, besagt für das Vorliegen eines Rechtsfehlers nichts; gleiches gilt für die in der Revisionsbegründung in Bezug genommenen Beschlüsse des Senats vom 29. Januar und 12. März 2009 (beide [X.], juris), in denen der Senat eine auf menschenrechtswidrige Haftbedingungen in einer [X.]anstalt in [X.]bezogene tatrichterliche Würdigung des dortigen Berufungsgerichts zu gerichtlichen Rechtschutzmöglichkeiten nach §§ 109, 114 Abs. 2 Satz 2 [X.] revisionsrechtlich nicht beanstandet hat.

Ergänzend verweist der Senat darauf, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt anwaltlich vertreten war. In seinen von den Instanzgerichten beigezogenen Gefangenenpersonalakten befindet sich eine anwaltliche Vollmacht vom 10. November 2009 in Sachen "Ausweisungsverfahren, Aufenthaltsrecht, Strafvollstreckung, Strafvollzug". Soweit das Berufungsgericht dem Kläger, falls ihm die Möglichkeit eines [X.]s an die Anstaltsleitung unbekannt gewesen sei (dies wird mit der Revisionsbegründung allerdings nicht einmal vorgetragen), trotzdem Fahrlässigkeit angelastet hat, da insoweit eine Erkundigungspflicht durch Nachfrage bei fachkundigen Mitarbeitern der Anstalt (Sozialarbeiter, Betreuungspersonal) bestanden habe und der Kläger notfalls auch die Hilfe eines Rechtsanwalts hätte in Anspruch nehmen müssen, wobei er dann auch auf die Entscheidung des [X.] [X.] hingewiesen worden wäre, ist dem nichts hinzuzufügen.

Die tatrichterliche und ausführlich begründete Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger wäre im Fall eines Antrags nach § 108 [X.] sofort in einen größeren Haftraum verlegt worden, wird mit der Revision schon nicht substantiiert in Frage gestellt. Der bloße Hinweis auf die gegenteilige Wertung des [X.]s ist schon deshalb unbehelflich, weil das Berufungsgericht maßgeblich auf den Inhalt der Berufungsbegründung des [X.]n und die dort aufgeführten Beispielsfälle abgestellt hat, in denen Abhilfe geschaffen wurde. Dass es in diesem Zusammenhang unerheblich ist, ob die Anstaltsleitung seinerzeit in der Lage gewesen wäre, alle in der [X.] der [X.]    unter vergleichbaren Bedingungen Inhaftierten anderweitig unterzubringen, entspricht der Senatsrechtsprechung (vgl. Urteil vom 11. März 2010 aaO Rn. 14).

Hat ein Verletzter es aber auch nur fahrlässig versäumt, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, führt dies - anders als bei § 254 [X.] - ohne Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zum vollständigen Haftungsausschluss nach § 839 Abs. 3 [X.]. Der Einwand des [X.], angesichts des seiner Meinung nach "vorsätzlichen" Verhaltens des [X.]n verstoße der Einwand des Mitverschuldens gegen § 242 [X.], geht vor diesem Hintergrund ins Leere, abgesehen davon, dass nach Auffassung des Senats von einem treuwidrigen Verhalten auch keine Rede sein kann.

4. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch nach Art. 5 Abs. 5 [X.] verneint.

Nach Art. 5 Abs. 5 [X.] hat jede Person einen Anspruch auf Schadensersatz, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme und Freiheitsentziehung betroffen ist. In den vorstehenden Absätzen werden die Voraussetzungen näher beschrieben, unter denen die Freiheit entzogen werden darf.

a) Art. 5 Abs. 5 [X.] gewährt dem Betroffenen einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger Freiheitsbeschränkungen durch die öffentliche Hand (vgl. nur Senat, Urteil vom 10. Januar 1966 - [X.], [X.]Z 45, 46, 49 ff), der vom Verschulden der handelnden Amtsträger unabhängig ist (vgl. nur Senat, Urteil vom 31. Januar 1966 - [X.], [X.]Z 45, 58, 65 ff) und auch den Ersatz immateriellen Schadens umfasst (vgl. nur Senat, Urteil vom 29. April 1993 - [X.], [X.]Z 122, 268, 279 ff). Dabei ist bei innerstaatlicher Rechtswidrigkeit der Inhaftierung der Freiheitsentzug auch dann (mittelbar) konventionswidrig, wenn die Anforderungen der Konvention an die Voraussetzungen, unter denen (Untersuchungs-)Haft angeordnet werden kann, geringer sind als die der [X.] Strafprozessordnung (vgl. Senat, Urteil vom 14. Juli 1971 - [X.], [X.]Z 57, 33, 38; Urteil vom 29. April 1993 aaO [X.]).

b) Ob bei Haftbedingungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen, ein Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 [X.] gegeben ist, ist in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung umstritten (bejahend etwa [X.], [X.], 2463 f, NJW-RR 2004, 380, 381; KG, [X.], 813; [X.], Beschluss vom 21. Januar 2011 - 4 U 92/10, nv. Abdruck S. 4; wohl auch [X.], NJW 2005, 514, 515; [X.], Beschluss vom 11. Mai 2009 - 1 O 343/08, juris Rn. 5; verneinend etwa [X.], Beschluss vom 30. Januar 2006 - 2 W 25/05, juris Rn. 10; [X.], Beschluss vom 13. Juni 2008 - 11 W 78/07, juris Rn. 26).

Die Frage ist zu verneinen. Die Garantie des Art. 5 [X.] bezieht sich grundsätzlich nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitäten des [X.]ugs der Haft; daher ergeben sich aus ihr keine Rechte von in Haft befindlichen Personen in Bezug auf ihre Behandlung in der Haft (vgl. Senat, Urteil vom 29. April 1993 aaO [X.]). Dementsprechend wird in der Rechtsprechung des [X.] (vgl. nur Urteile vom 15. Juli 2002, [X.]. 47095/99, NVwZ 2005, 303 f, vom 12. Juli 2007 aaO und vom 21. Januar 2011, [X.]. 30696/09, [X.], 243 ff; vgl. auch die Nachweise im Senatsurteil vom 4. November 2004 - [X.], [X.], 33, 37) im Zusammenhang mit der Frage menschenrechtswidriger Haftbedingungen nicht auf Art. 5, sondern auf Art. 3 [X.] abgestellt (siehe auch [X.] in Löwe/[X.], aaO Art. 3 Rn. 78 ff, 86 ff, Art. 5 Rn. 3; [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., Art. 3 Rn. 12, Art. 5 Rn. 9; [X.]/[X.], aaO Art. 3 Rn. 12, Art. 5 Rn. 12; [X.], aaO Art. 3 Rn. 29, 31). Art. 3 [X.] enthält aber - anders als Art. 5 [X.] im Absatz 5 - keine unmittelbare Schadensersatzregelung. Vielmehr richten sich die Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes zunächst nach nationalem Recht, in [X.] also nach § 839, §§ 249 ff [X.]. Erst und nur dann, wenn das innerstaatliche Recht lediglich eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen einer Konventionsverletzung gewährt - was für [X.] schon deshalb ausscheidet, weil die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung von Strafgefangenen nach Maßgabe des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG höher sind als die Anforderungen nach Art. 3 [X.] im Lichte der Rechtsprechung des [X.] -, kommt eine gerechte Entschädigung nach Maßgabe des Art. 41 [X.] in Betracht, für deren Ausspruch ausschließlich der [X.] im Verfahren einer Individualbeschwerde zuständig ist.

Zu Unrecht beruft sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf das Senatsurteil vom 29. April 1993 (aaO [X.]). Diesem lag ein Fall zugrunde, in dem die im [X.]ug - einschließlich der Unterbringung in einem Anstalts- oder in einem externen Krankenhaus - zur Verfügung stehenden ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichten, um von der Haft ausgehende schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahren für den Häftling abzuwenden. Insoweit ging es um die persönliche [X.]ugstauglichkeit als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Haft. Solange die vorhandenen Möglichkeiten genügten, blieb die Haft rechtmäßig; soweit dies nicht (mehr) der Fall war und der Geschädigte bei rechtmäßigem Verhalten der zuständigen Amtsträger vom weiteren Haftvollzug hätte verschont werden müssen, war die Rechtmäßigkeit der Haft selbst betroffen. In einem solchen Ausnahmefall stellen die Umstände des [X.]ugs auch die Rechtmäßigkeit der Haft im Sinne von Art. 5 [X.] in Frage. Eine vergleichbare Fallgestaltung liegt hier nicht vor.

Zwar muss - wie der Senat in seinem Urteil vom 11. März 2010 ([X.], NJW-RR 2010, 1465 Rn. 15) entschieden hat - dann, wenn die Haftbedingungen in einer Zelle menschenunwürdig sind und die [X.]ugsanstalt auch unter Berücksichtigung aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (einschließlich der Verlegung in eine andere Haftanstalt, gegebenenfalls auch in einem anderen Bundesland; vgl. zur Verlegung auch [X.], Beschluss vom 13. November 2007 - 2 BvR 2201/05, juris Rn. 13; [X.], 83) die [X.] nicht ändern kann, notfalls die Strafvollstreckung unterbrochen werden. Die Aufrechterhaltung eines gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßenden Zustands ist verboten. Eine Abwägung der unantastbaren Menschenwürde mit anderen - selbst verfassungsrechtlichen - Belangen ist nicht möglich (vgl. [X.], [X.], 1580, 1581 Rn. 18). Die [X.]ugsanstalt hat deshalb in letzter Konsequenz den Strafvollzug zu unterbrechen, wenn und solange eine weitere Unterbringung nur unter menschenunwürdigen Bedingungen in Betracht kommt (vgl. auch [X.], NJW-RR 2011, 1043 Rn. 49). Auch in einem solchen Fall - für dessen Vorliegen hier allerdings nichts ersichtlich ist - wird jedoch der Anwendungsbereich des Art. 5 [X.] nicht berührt. Denn nach der Systematik der Konvention und der Rechtsprechung des [X.] werden unzumutbare Haftbedingungen ausschließlich von Art. 3 [X.] erfasst.

Da mithin bereits dem Grunde nach kein Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 [X.] gegeben ist, kann dahinstehen, ob § 839 Abs. 3 [X.] oder § 254 [X.] - der ebenfalls gebieten kann, einen belastenden hoheitlichen Akt durch geeignete Rechtsbehelfe abzuwehren (vgl. nur Senat, Urteil vom 26. Januar 1984 - [X.], [X.]Z 90, 17, 31 ff) - auf einen Anspruch aus Art. 5 [X.] anwendbar sind (bejahend etwa [X.], NJW 2005, 514, 515; Beschluss vom 30. Januar 2006, aaO Rn. 11; [X.], [X.], 1986, 1987; [X.] aaO; [X.] in [X.]/[X.], Internationaler Kommentar zur [X.], Art. 5 Rn. 330; offen gelassen im Senatsurteil vom 29. April 1993 aaO [X.]; verneinend für unterlassene Rechtsbehelfe nach § 2 Abs. 2 des [X.] Amtshaftungsgesetzes: [X.], Urteil vom 15. November 1989 - 1 Ob 43/89, S. 4).

Schlick                            Herrmann                            [X.]

                   Hucke                                    Seiters

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III ZR 342/12

04.07.2013

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 23. Oktober 2012, Az: 9 U 34/12

§ 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 839 BGB, Art 1 Abs 1 GG, Art 34 S 1 GG, Art 3 MRK, Art 5 Abs 5 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.07.2013, Az. III ZR 342/12 (REWIS RS 2013, 4424)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4424

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Amtshaftung: Kausalität zwischen Nichteinlegung eines Rechtsmittels und Schadenseintritt bei menschenunwürdigen Haftbedingungen in einer Justizvollzugsanstalt


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