Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.12.2011, Az. VIII ZR 157/11

8. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 143

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Gegenstand

Rechtsmissbräuchliche Verjährungshemmung durch Mahnbescheid


Leitsatz

Die Berufung auf eine durch Erlass eines Mahnbescheids eingetretene Verjährungshemmung kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Mahnbescheidsantrag die bewusst wahrheitswidrige Erklärung enthält, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 31. Zivilkammer des [X.] vom 17. März 2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte bestellte am 5. Mai 2005 bei der Klägerin, die in [X.]Möbelhäuser betreibt, telefonisch zu einem Gesamtpreis von 1.296 € verschiedene Möbelstücke. Deren Artikelnummern listete sie am folgenden Tage in einer E-Mail, welche sie unter ihrer bei ihrem damaligen Arbeitgeber bestehenden E-Mail-Adresse versandte, noch einmal auf. Die Klägerin verlangt die Bezahlung dieser bei ihr nicht abgeholten Möbelstücke Zug um Zug gegen deren Übergabe. Unter dem 22. Dezember 2008 hat sie einen Mahnbescheid über den Kaufpreisbetrag nebst Zinsen beantragt, der am 23. Dezember 2008 erlassen und der Beklagten am 13. Februar 2009 zugestellt worden ist. In dem von ihrem Prozessbevollmächtigten eingereichten Antragsformular war angegeben, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber erbracht sei.

2

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe der näher bezeichneten Möbelstücke, weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

5

Es sei zwar, wie erstinstanzlich festgestellt, davon auszugehen, dass die Beklagte Vertragspartnerin der Klägerin geworden sei. Die Klägerin könne sich aber entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht auf eine durch den Mahnbescheid bewirkte Hemmung der Verjährung berufen. Denn sie habe in dem [X.] nicht nur versehentlich, sondern bewusst wahrheitswidrig erklärt, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei, um sich dadurch, ohne die Klage sofort begründen zu müssen, schnell einen Titel zu verschaffen. Diese Fallgestaltung könne auch nicht mit einer Verjährungshemmung bei Zurückweisung eines unzulässigen [X.]es gleichgesetzt werden, da das Mahngericht keine Möglichkeit gehabt habe, die Angabe zur Erbringung der Gegenleistung zu überprüfen und den Antrag aus diesem Grunde als unzulässig zurückzuweisen. Bei einem solchen Vorgehen sei - wie bereits das [X.] in einem Urteil vom 4. Dezember 2007 (5 U 3479/07) entschieden habe - ein Berufen der Klägerin auf die durch den (fehlerhaft) erlassenen Mahnbescheid eingetretene Verjährungshemmung wegen des [X.] seines Erlasses durch falsche Angaben als rechtsmissbräuchlich anzusehen.

II.

6

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.

7

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts, gegen die die Revision nichts Erhebliches vorbringt, hat die Klägerin die von ihr im [X.] gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geforderte Erklärung, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhänge oder die Gegenleistung erbracht sei, bewusst falsch abgegeben. Das Berufungsgericht hat deshalb zu Recht angenommen, dass die Klägerin wegen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf die durch Einreichung des [X.]es vor Ablauf der Verjährungsfrist (§ 195, § 199 Abs. 1 BGB) gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO eingetretene Hemmung der von der Beklagten geltend gemachten Verjährung des erhobenen Kaufpreisanspruchs (§ 433 Abs. 2, § 214 Abs. 1 BGB) zu berufen.

8

1. Allerdings kommt es nach der Rechtsprechung des [X.] für den Eintritt der Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die Zulässigkeit, sondern allein auf die Wirksamkeit des auf den [X.] erlassenen und zugestellten Mahnbescheides an, so dass bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs dessen Verjährung auch dann gehemmt wird, wenn der [X.] an Mängeln leidet oder sogar unzulässig ist oder wenn für die darin erhobene Forderung - von der [X.] abgesehen - noch nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vorliegen ([X.], Urteile vom 24. Januar 1983 - [X.], [X.]Z 86, 313, 322 ff.; vom 5. Mai 1988 - [X.], [X.]Z 104, 268, 273; vom 8. Mai 1996 - [X.], NJW 1996, 2152 unter 2 [X.]; vom 12. April 2007 - [X.], [X.]Z 172, 42 Rn. 43; ähnlich zur verjährungshemmenden Wirkung der Zustellung eines Antrages im selbstständigen Beweisverfahren [X.], Urteil vom 22. Januar 1998 - [X.], [X.], 1305 unter [X.]). Davon geht auch das Berufungsgericht aus.

9

2. Dies schließt es jedoch - wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei annimmt - nicht aus, dass sich bei Erschleichen eines Mahnbescheides durch bewusst falsche Angaben, die seinem Erlass entgegengestanden hätten, das Berufen auf eine derart verjährungshemmende Wirkung im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen kann.

a) Von dieser grundsätzlich bestehenden Möglichkeit ist bereits der Gesetzgeber bei Schaffung des § 204 BGB ausgegangen. Denn er hat sich in der Gesetzesbegründung zu dem Hinweis veranlasst gesehen, dass die zur Verhinderung der missbräuchlichen Erlangung einer Verjährungshemmung getroffenen Regelungen nicht als abschließend zu verstehen seien, und seiner Erwartung Ausdruck gegeben, dass die Gerichte rechtsmissbräuchlichen Rechtsverfolgungsmaßnahmen keine Hemmungswirkung zubilligen würden (BT-Drucks. 14/6857, [X.]). Dementsprechend geht auch die Rechtsprechung des [X.] dahin, dass Fallgestaltungen, in denen ein Gläubiger im Einzelfall mit Hilfe unzulässiger oder unbegründeter Anträge in missbräuchlicher Weise versuchen sollte, die Hemmung der Verjährung herbeizuführen, durch Anwendung von § 242 BGB begegnet werden kann ([X.], Urteile vom 28. September 2004 - [X.], [X.]Z 160, 259, 264 ff. [X.]; vom 6. Juli 1993 - [X.], [X.]Z 123, 337, 345).

b) Soweit in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum neben der Frage, ob ein aufgrund objektiv falscher Angaben des Antragstellers erlassener Mahnbescheid zur Herbeiführung einer Verjährungshemmung geeignet ist (vgl. [X.], [X.] 2005, 1997, 1999; Musielak/[X.], ZPO, 8. Aufl., § 693 Rn. 4; [X.]/Schüler, 3. Aufl., § 688 Rn. 12), auch die Frage erörtert wird, wie es sich etwa bei einer vorsätzlich falschen Erklärung des Antragstellers zu den von § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geforderten Umständen verhält, wird die Auffassung vertreten, dass eine Berufung des Antragstellers auf die verjährungshemmende Wirkung eines zugestellten Mahnbescheids rechtsmissbräuchlich sei. Denn bei wahrheitsgemäßen Angaben im [X.] hätte das Mahngericht den Antrag gemäß § 691 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO als unzulässig zurückweisen müssen, so dass dem Antragsteller lediglich die Möglichkeit der verjährungshemmenden Klageerhebung geblieben wäre. [X.] ein Kläger in einem derartigen Fall gleichwohl den Weg des Mahnverfahrens in der nahe liegenden Absicht, die Klage nicht sofort begründen zu müssen, nutzte er treuwidrig eine formale Rechtsposition aus, wenn er sich auf die verjährungshemmende Wirkung des zugestellten Mahnbescheids berufe ([X.], Urteil vom 4. Dezember 2007 - 5 U 3479/07, juris Rn. 86; ähnlich Wagner, [X.] 2005, 856, 858 f.; vgl. ferner [X.], [X.], 1098 für den unter Verschleierung der Vermögensverhältnisse bewusst falschen Prozesskostenhilfeantrag).

c) Das Berufungsgericht hat sich dem unter Zugrundelegung der [X.] Feststellung angeschlossen, die Klägerin habe bewusst wahrheitswidrig erklärt, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei, um sich dadurch schnell einen Titel zu verschaffen, ohne die Klage sofort begründen zu müssen. Die getroffene Wertung, die Klägerin nutze ihre durch diese Täuschungshandlung erschlichene formale Rechtsposition treuwidrig aus, wenn sie sich auf die verjährungshemmende Wirkung des zugestellten Mahnbescheids berufe, lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

[X.]                                             Dr. Frellesen                                                 Dr. Milger

                      Dr. [X.]                                            Dr. Schneider

Meta

VIII ZR 157/11

21.12.2011

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG München I, 17. März 2011, Az: 31 S 13012/10, Urteil

§ 204 Abs 1 Nr 3 BGB, § 242 BGB, § 690 Abs 1 Nr 4 ZPO, § 691 Abs 1 S 1 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.12.2011, Az. VIII ZR 157/11 (REWIS RS 2011, 143)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 143

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