Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2020, Az. I ZR 244/19

1. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1495

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Gegenstand

Gehörsverletzung im Prozess um Marken- und Softwarerechte einer insolventen GmbH im Unternehmensverbund: Hinweispflicht des Gerichts vor Klageabweisung unter Übergehen von Vortrag des klagenden Insolvenzverwalters


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 30. Oktober 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin hinsichtlich der Weiterbenutzung der Software [X.] durch die Beklagten zum Nachteil des [X.] entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Gerichtskosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf insgesamt 60.000 € und für den zurückgewiesenen Teil des Beschwerdeverfahrens auf 50.500 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der "[X.]" (im Folgenden: Schuldnerin), die Mitglied einer Unternehmensgruppe war, die [X.] anbot und zum Teil noch anbietet. Zu dieser Unternehmensgruppe gehört auch die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführerin die Beklagte zu 2 ist.

2

Die Schuldnerin ist beim [X.] als Inhaberin der nachfolgend abgebildeten Wort-Bild-Marke mit der Registernummer 30015270 eingetragen:

Abbildung

3

Die Schuldnerin erwarb im September 2007 die Software [X.] samt Softwarevertrag. Die Gesamtlizenz wurde der Schuldnerin zu einem Preis in Höhe von 71.750 € zur Nutzung an verschiedenen Standorten überlassen. Für eine Sonderprogrammierung zahlte sie weitere 99.875 €. Die Software wurde im Namen der Schuldnerin gekauft, die auch die Rechnungen erhielt.

4

Der Kläger ist der Auffassung, die Schuldnerin sei alleinige Inhaberin der Marke und der Softwarerechte. Er hat Unterlassung, Schadensersatz, hilfsweise Auskunft, und Schadensersatzfeststellung wegen der Verletzung von Marken- und Lizenzrechten verlangt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision möchte der Kläger seine Klage in vollem Umfang weiterverfolgen.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, soweit darin hinsichtlich der [X.] der Software [X.] durch die Beklagten zum Nachteil des [X.] entschieden worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

6

1. Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage bezüglich der [X.] der Software [X.] durch die Beklagten wie folgt begründet:

7

Dem Kläger stünden keine Ansprüche wegen der [X.] der Software [X.] zu. Die Schuldnerin sei zwar Eigentümerin der Software. Ein Unterlassungsanspruch scheide aber aus, weil die Beklagte zu 1 zur Weiterverwendung berechtigt sei. Der Kläger stelle nicht in Abrede, dass die Schuldnerin der Beklagten zu 1 und den weiteren Gesellschaften ein Nutzungsrecht an der Software eingeräumt habe. Er mache aber geltend, die Software sei den anderen Gesellschaften kostenlos überlassen worden. Die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 134 Abs. 1 [X.] seien jedoch nicht ausreichend dargetan. Der Kläger sei dem substantiierten Vortrag der Beklagten, der Kaufpreis und die laufenden Kosten seien auf die Unternehmen umgelegt worden, nicht ausreichend entgegengetreten. Er habe sich nicht darauf beschränken dürfen, die Echtheit der von den Beklagten in Ablichtung zu den Akten gereichten Rechnungen zu bestreiten. Von ihm sei zu erwarten gewesen, dass er die Buchhaltung der Schuldnerin darauf überprüfe, ob die Unternehmen im [X.] die behaupteten Teilzahlungen auf den Kaufpreis und in den folgenden Jahren die behaupteten regelmäßigen Zahlungen für die Nutzung der Software geleistet hätten.

8

2. Mit dieser Beurteilung hat das Berufungsgericht den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör verletzt.

9

a) Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Sie brauchen dabei zwar nicht jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden. Es müssen in den Gründen aber die wesentlichen Tatsachen- und Rechtsausführungen verarbeitet werden. Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei [X.] des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann auch darin liegen, dass sich eine Entscheidung ohne vorherigen gerichtlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch eine gewissenhafte und kundige Partei nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. [X.], NJW-RR 2018, 694 Rn. 18 mwN).

b) Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des [X.] vor.

aa) Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Frage der unentgeltlichen Überlassung der Software lassen nicht erkennen, dass es den Vortrag des [X.] in dem entscheidenden Punkt, er sei nicht im Besitz der relevanten Buchhaltungsunterlagen der Schuldnerin, zur Kenntnis genommen, geschweige denn erwogen hat. Der Umstand, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung auf eine mangelnde Substantiierung des Vortrags des [X.] stützt, ohne den Streit über den Verbleib der dafür relevanten Unterlagen auch nur anzusprechen, lässt deshalb nur den Schluss zu, dass es diesen Vortrag übergangen hat. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung hat der Kläger erstinstanzlich auch nicht etwa allein verlangt, die ehemaligen Geschäftsführer der Schuldnerin mögen ihm "zuarbeiten" und mitteilen, in welchem der ihm überlassenen Ordner sich die Rechnungen befinden sollen. Er hat vielmehr darüber hinaus vorgetragen, er habe nicht sämtliche Unterlagen der Schuldnerin erhalten, und aufgelistet, welche Unterlagen er konkret in Besitz hat (vgl. zum Beispiel das als Anlage zum Protokoll genommenen Schreiben vom 4. September 2018 und den Schriftsatz vom 2. Oktober 2018).

bb) Das Berufungsgericht hätte zudem einen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO erteilen müssen, bevor es seine Entscheidung auf eine unzureichende Substantiierung seitens des [X.] stützt. Die entscheidende Frage, welche Unterlagen der Kläger in Besitz hat, war zwar bereits in erster Instanz umstritten. Die Beklagten hatten dort auch eine nicht hinreichende Substantiierung gerügt und die Auffassung vertreten, der Kläger dürfe sich nicht auf ein Bestreiten mit Nichtwissen beschränken. Das machte einen Hinweis des Berufungsgerichts aber nicht entbehrlich. Das [X.] musste den Streit aufgrund seiner rechtlichen Würdigung, die Beklagte zu 1 sei Mitinhaberin der Software, nicht klären. Für die Entscheidung des Berufungsgerichts kam es dagegen darauf an, ob die Software den anderen Gesellschaften entgeltlich oder unentgeltlich überlassen worden war (§ 134 Abs. 1 [X.]). Das Berufungsgericht hätte deshalb einen Hinweis erteilen müssen, bevor es seine Entscheidung auf ein unzureichend substantiiertes Bestreiten des [X.] der von den Beklagten zur Akte gereichten Rechnungen für die Nutzung der Software stützt.

cc) Diese Gehörsverletzungen sind auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht anders entschieden hätte, wenn es das Vorbringen des [X.], er habe keinen vollständigen Zugriff auf die Unterlagen der Schuldnerin, berücksichtigt hätte. Der Kläger hat auch vorgetragen, dass er nach einem Hinweis nicht nur auf seinen erstinstanzlichen Vortrag zum ungeklärten Verbleib der [X.] verwiesen hätte. Er hätte außerdem ergänzend vorgetragen, dass jedenfalls keine Zahlungen auf die von den Beklagten vorgelegten Rechnungen geleistet worden seien oder hätten geleistet werden sollen, da [X.] zwischen den Gesellschaften der Unternehmensgruppe üblicherweise lediglich als Nenndarlehen ohne tatsächliche Geldflüsse verbucht worden seien. Dann fehle es entweder bereits an der Entgeltlichkeit der Nutzungsüberlassung (§ 136 [X.]) oder an einer beiderseitigen vollständigen Erfüllung des [X.] mit der Folge des § 103 [X.]. Dass der Kläger das Wahlrecht aus § 103 [X.] ausgeübt und keine Erfüllung gewählt habe, ziehe das Berufungsgericht nicht in Zweifel.

III. Die weitergehende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zurückzuweisen, weil insoweit die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Koch     

      

Schaffert     

      

Löffler

      

Pohl     

      

Schmaltz     

      

Meta

I ZR 244/19

07.10.2020

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 30. Oktober 2019, Az: 5 U 89/19 (Hs)

Art 103 Abs 1 GG, § 134 Abs 1 InsO, § 136 InsO, § 139 Abs 2 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2020, Az. I ZR 244/19 (REWIS RS 2020, 1495)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1495

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