Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.08.2009, Az. 2 StR 165/09

2. Strafsenat | REWIS RS 2009, 2147

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 165/09 vom 12. August 2009 in der Strafsache gegen wegen fahrlässiger Tötung - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 12. August 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] Dr. [X.], [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.], [X.]in am [X.] Roggenbuck, [X.] am [X.] Prof. Dr. Schmitt, Staatsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 30. September 2008 mit den [X.] aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurge-richtskammer des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverlet-zung in Tatmehrheit mit fahrlässiger Tötung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wegen Mordes erstrebt, hat mit der Sachrüge Erfolg. 1 1. Das [X.] hat Folgendes festgestellt: Das Tatopfer, der zum Tatzeitpunkt vier Jahre alte [X.] der Lebensgefährtin des Angeklagten, hielt sich am Tattag, dem 25. April 2007, ab 17.00 Uhr zusammen mit dem Ange-klagten in dessen Wohnung auf. Am Vormittag dieses Tages war der [X.] wegen eines am Vortag erlittenen harmlosen Hundebisses an der Hand und wegen einer Erkältung von seiner Mutter einem Kinderarzt vorgestellt [X.]; hierbei wurde die Hand des Kindes mit einem Verband versorgt. 2 - 4 - Gegen 20.00 Uhr begann der Angeklagte, auf den ausdrücklichen Wunsch des Kindes hin, den Jungen spielerisch in die Luft zu werfen und [X.] aufzufangen. Hierbei warf der 1,68 m große, 70 kg schwere Angeklagte das 17 kg schwere Kind schließlich bis in eine Höhe von etwa 2,25 m. Bei einem dieser Würfe bemerkte der Angeklagte, dass er das Kind, das sich in der Luft verdrehte, nicht würde auffangen können. Um den Sturz abzufangen, zog er ruckartig sein rechtes Knie nach oben. Das Kind fiel mit dem Bauch auf die [X.] des Angeklagten; gleichwohl gelang es diesem nun, den Geschädig-ten aufzufangen. Er legte das Kind auf die Couch; dieses klagte nur über gerin-ge Schmerzen im Bauch. Als es gegen 20.30 Uhr aufstand, brach es nach we-nigen Schritten zusammen. Unmittelbar darauf kam die Mutter des Kindes von der Arbeit nach Hause; es wurde nun der Rettungsdienst und nach Anforderung um 21.57 Uhr schließlich auch ein Notarzt alarmiert. Das Kind war bei dessen Eintreffen schläfrig, bewusstseinsgetrübt, klagte über Bauchschmerzen und war schließlich kaum noch ansprechbar. 3 [X.] informierte die Sanitäter und den Notarzt über den Hundebiss an der Hand des Kindes; man ging daher von einem möglichen [X.] Geschehen als Ursache der Bewusstseinstrübung aus. Das Kind wurde schließlich im Rettungswagen narkotisiert und intubiert. Der Angeklagte klärte weder seine Lebensgefährtin noch das [X.] über das Sturzge-schehen auf. Hierbei handelte er "aus Scham und in der Annahme, dass das Kind nunmehr medizinisch ausreichend und umfassend versorgt" sei ([X.]). 4 Um 22.53 Uhr wurde das geschädigte Kind in der Intensivstation der [X.] aufgenommen; dort verstarb es etwa zwei Stunden später. Ursache hierfür waren die inneren Verletzungen, die das Kind durch den Aufprall im Bauchraum erlitten hatte, insbesondere eine Leberruptur sowie eine 5 - 5 - Perforation des [X.]. Bei sofortigem Hinweis des Angeklagten an die eintreffenden Rettungskräfte hätte das Kind signifikant länger gelebt; durch eine sofortige Operation hätte sein Leben wahrscheinlich gerettet werden [X.]. Das [X.] hat das Geschehen beim Sturz als fahrlässige Körper-verletzung, das Verhalten des Angeklagten nach Eintreffen der Rettungskräfte als in Tatmehrheit hierzu stehende fahrlässige Tötung durch Unterlassen ange-sehen. Einen Tötungsvorsatz oder einen Körperverletzungsvorsatz des Ange-klagten hat es als nicht nachgewiesen, seine den Feststellungen entsprechende Darstellung des Sturzgeschehens als nicht widerlegbar angesehen. 6 2. Die vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwalt-schaft ist begründet. Die Beweiswürdigung des [X.] hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht ankommt. 7 a) Soweit sich das [X.] bei seiner Bewertung auf die Gutachten der verschiedenen medizinischen Sachverständigen stützt, lässt sich nach den Urteilsgründen nicht ausschließen, dass es den Ergebnissen dieser Gutachten, soweit sie einzelne Elemente der Einlassungen des Angeklagten zum Gesche-hensablauf und dessen unmittelbaren Folgen als medizinisch nicht ausge-schlossen bezeichnet haben, unzutreffend hohes Gewicht beigemessen hat. So sagt namentlich der Umstand, dass sich Bauchverletzungen wie die von dem Geschädigten erlittene grundsätzlich durch einen wuchtigen Aufprall auf die [X.] des Angeklagten erklären lassen, nichts über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehensablaufs aus. Zutreffend hat der Generalbundesan-walt darauf hingewiesen, dass der vom Angeklagten geschilderte Ablauf, wo-nach der Angeklagte, um einen Sturz des Kindes zu "verhindern", das er "nicht mehr würde auffangen können" ([X.], sein Knie "ruckartig" so weit nach 8 - 6 - oben zog, dass die [X.] nach oben zeigte - also annähernd bis zur [X.] -, und dann trotz (oder wegen) des Aufpralls des Kindes dieses auffing, in sich eher lebensfremd und fern liegend erscheint. Insoweit hätte das [X.] ([X.]), insbesondere im Hinblick auf eine Anpassung an die gutachterlichen Erkenntnisse, im Einzelnen erörtert und kritisch geprüft werden müssen. Die Erwägung, für die (angepasste) Ein-lassung des Angeklagten spreche, dass sie mit der Einschätzung des Sachver-ständigen Prof. Dr. E. übereinstimme ([X.]), übersieht, dass die Einlas-sung erst in Kenntnis des und im Hinblick auf das Sachverständigengutachten korrigiert wurde. Im Hinblick auf die problematische Beweislage hätte das [X.] zu-dem eine kritische Gesamtabwägung aller Indizien vornehmen und in den [X.] umfassend und nachprüfbar darstellen müssen. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass trotz der naturwissenschaftlichen "Möglichkeit" einzelner vom Angeklagten behaupteter Tatsachen sich aus der Zusammenfassung einer Mehrzahl jeweils als "äußerst unwahrscheinlich" festgestellter Umstände ein Gesamtbild ergeben kann, welches der Annahme von "[X.]" ent-gegensteht. 9 b) [X.] ist auch die Beweiswürdigung zum Geschehen nach Eintreffen der Rettungskräfte. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, aus welchen Gründen der Angeklagte davon, dass das Kind zu diesem Zeitpunkt erneut über Schmerzen im Bauch klagte, nicht Kenntnis genommen haben [X.]. 10 Unklar bleibt in den Urteilsgründen auch, worauf sich die Feststellung stützt, der Angeklagte habe eine ausreichende Versorgung des Kindes für gesi-chert und eine wahrheitsgemäße Information daher für nicht erforderlich gehal-11 - 7 - ten. Vielmehr drängte sich das Gegenteil dieser Annahme nach den festgestell-ten sonstigen Umständen ersichtlich auf. Selbst wenn der Angeklagte von den Äußerungen des verletzten Kindes gegenüber den Sanitätern keine Kenntnis erlangt hätte, war für ihn doch offenkundig, dass die Hinweise seiner Lebensge-fährtin auf den (harmlosen) Hundebiss geeignet waren, die Aufmerksamkeit des Notarztes vom eigentlichen [X.] abzulenken. Es musste sich ihm offensichtlich aufdrängen, dass eine wahrheitsgemäße Information der Ret-tungskräfte über das - angebliche - Unfallgeschehen dringend erforderlich war, um eine alsbaldige umfassende Versorgung des augenscheinlich schwer [X.] oder erkrankten Kindes sicherzustellen. Die Ablehnung nicht nur der Feststellung eines (bedingten) Tötungsvor-satzes, sondern auch der Feststellung eines Vorsatzes der Körperverletzung durch Verlängerung oder Intensivierung der Gesundheitsbeschädigung und des Leidens des Kindes wird von den bisherigen Feststellungen daher nicht getra-gen. Das Urteil war daher insgesamt aufzuheben. 12 3. Der neue Tatrichter wird auch der Frage des [X.] zwischen den Geschehensabschnitten genauere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Das vom [X.] angenommene Verhältnis der [X.] zwei Fahrlässigkeitstaten nach § 229 und § 222 StGB erscheint proble-matisch, da der [X.] zwischen der durch [X.] herbeigeführten Verletzung und dem Tod des Kindes fortbe-stand; für eine tatmehrheitliche Unterlassungstat fehlt es dann an einer [X.]. 13 Anders wäre dies, wenn die neue Hauptverhandlung den Nachweis eines (neuen) Tatentschlusses nach zunächst fahrlässiger Körperverletzung und [X.] eines zumindest bedingt vorsätzlichen Tötungsdelikts (§§ 211, 212 StGB) 14 - 8 - oder Körperverletzungsdelikts (§§ 223, 227 StGB) durch Unterlassen ergäbe. Wieder anders wäre es schließlich, wenn sich ein (bedingter) Vorsatz schon bei dem Verletzungsgeschehen oder in der Zeitspanne zwischen Verletzung und Herbeirufen des Rettungsdienstes (nach Eintreffen der Mutter) erweise. All dies bedarf sorgfältiger neuer Prüfung. [X.] [X.]

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2 StR 165/09

12.08.2009

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.08.2009, Az. 2 StR 165/09 (REWIS RS 2009, 2147)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 2147

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