Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.07.2007, Az. 4 StR 549/06

4. Strafsenat | REWIS RS 2007, 3028

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 [X.] vom 5. Juli 2007 in der Strafsache gegen wegen fahrlässiger Tötung- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 5. Juli 2007, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Prof. Dr. [X.], [X.], [X.], [X.]in am [X.] [X.]als beisitzende [X.], Staatsanwalt

als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin [X.] , Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklä-gerin wird das Urteil des [X.] vom 27. Juni 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu [X.] Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Nebenklägerin, die Ehefrau des [X.], erhebt die Sachrüge und erstrebt mit ihrem Rechtsmittel eine Verur-teilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB. 1 Beide Rechtsmittel haben Erfolg. [X.] 1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen: 3 - 4 - Der Angeklagte betreibt seit 1993 als niedergelassener Chirurg eine Arztpraxis in [X.]. Seit dem [X.] bildete er sich auf dem Gebiet der ästhetisc[X.] Chirurgie fort und führte fortan in seiner Praxis auch ambulante kosmetische chirurgische Eingriffe durch. Insbesondere nahm er [X.] ([X.]) vor und entfernte Fettschürzen (Fettschürzenplastik). Solc[X.] kosmetisc[X.] [X.]en unterzog sich auch [X.] , der an den Folgen des zweiten Eingriffs verstarb. 4 Ende April/Anfang Mai 2002 führte der Angeklagte bei seinem Patienten im Beisein eines Narkosearztes und einer Krankenschwester den ersten ambu-lanten Eingriff durch. Er saugte zunächst bei lokaler Betäubung am Bauch des [X.] Fett ab und entfernte anschließend in Vollnarkose operativ die Fett-schürze; außerdem richtete er einen Bauchdeckenbruch. Über die Risiken einer Fettabsaugung und des [X.] war [X.] vor dieser Ope-ration aufgeklärt worden. Der Eingriff verlief komplikationslos. 5 Am 29. Juni 2002 wurde [X.] [X.] vom Angeklagten operiert. Bei diesem Eingriff sollten in lokaler Anästhesie von der ersten Opera-tion herrührende [X.] entfernt und - auf Vorschlag des Angeklagten - nochmals Fett abgesaugt werden. Eine (erneute) Aufklärung über die Risiken einer Fettabsaugung unterblieb; eine Einwilligungserklärung unterzeichnete der Patient nicht. Da am [X.]stag - einem Samstag - eine Krankenschwester nicht zur Verfügung stand, bat der Angeklagte seinen Schwager, einen auf me-dizinischem Gebiet unerfahrenen Chemiestudenten, ihn bei Hilfstätigkeiten, et-wa beim Austausch von Fettmengenbehältern, zu unterstützen. Das Patienten-monitoring meinte der Angeklagte selbst vornehmen zu können. Gegen 10.30 Uhr verabreichte der Angeklagte dem Patienten zunächst ein Schlaf för-derndes Medikament, später ein solches gegen Angst- und [X.] - 5 - de sowie ein opiathaltiges schmerzstillendes Mittel. Er legte ihm außerdem eine Blutdruckmanschette, ein Pulsoximeter und eine Sauerstoffmaske an und schloss ihn an ein EKG-Gerät an. Gegen 12.00 Uhr begann der Angeklagte mit der [X.]. Zur Vorbereitung der späteren Fettabsaugung infiltrierte er [X.] vier Liter einer Infusionslösung in den Bauchraum des Patienten. Weil dieser dabei über Schmerzen klagte, verabreichte der Angeklagte ihm [X.] 7,5 mg des Schmerz stillenden Mittels, woraufhin [X.] tief einschlief und zu schnarc[X.] begann. Dem Angeklagten war nicht bewusst, dass die kombinierte Gabe der verabreichten Medikamente das Risiko des Auftretens einer zentralen Atemdepression beim Patienten potenzierte. Auch das tiefe Ein-schlafen, das dem Zustand einer Vollnarkose gleichkam und auf eine Überdosierung der verabreichten Medikamente hinwies, beunruhigte den Ange-klagten nicht. Er begann vielmehr nach der Einwirkungszeit der Infusionslösung (ca. 1 ½ Stunden nach [X.]sbeginn) mit dem Absaugen des Fetts. Zu die-sem Zeitpunkt litt [X.] bereits an einer medikamentenbedingten [X.], was durch das Beschlagen der Sauerstoffmaske deutlich wurde. Die [X.] hätte deshalb sofort abgebroc[X.] und es hätten geeignete Gegen-maßnahmen eingeleitet werden müssen. [X.], das der Angeklagte bemerkt hatte, vermochte er jedoch nicht richtig zu deuten. Erst ca. 20 Minuten später, als ein Überwachungsgerät Alarmsignale aussand-te, registrierte der Angeklagte den besorgniserregenden Zustand seines Patien-ten und brach die [X.] ab. Er versuchte zunächst, [X.] an ein [X.] anzuschließen und führte, als dies misslang, eine Mund-zu-Mund-Beatmung und eine Herzmassage durch. Einen Beatmungsbeutel, der eine wirkungsvollere Beatmung gewährleistet hätte, hatte der Angeklagte nicht zur Hand. Die Gabe von [X.] zur Behebung der Atemdepression er-wog er nicht. Auch die Herbeirufung des Notarztes verzögerte sich, weil der Angeklagte die Telefonnummer der Rettungsstelle nicht greifbar hatte. Noch vor - 6 - Eintreffen des Notarztes erlitt [X.] als Folge der Überdosierung der ver-abreichten Medikamente einen Herzstillstand und verstarb. Danach gab der Angeklagte der Ehefrau des Patienten ein Blankoformular mit einer Einwilligung in die [X.] und sagte zu ihr, sie solle das Formular unterschreiben "wie ihr Mann". 2. Nach Auffassung des [X.]s ist der Tod des Patienten auf meh-rere Sorgfaltsverstöße des Angeklagten zurückzuführen. Dieser habe nämlich 7 - die auf vier Liter Absaugmenge angelegte Liposuktion statt - regelgerecht - in Vollnarkose in lokaler Anästhesie vorgenommen, - die [X.] ohne geschultes Personal durchgeführt, so dass ein kontinuier-liches Patientenmonitoring nicht gewährleistet gewesen sei, - eine Medikamentenkombination verabreicht, ohne sich über die hierdurch er-höhte Gefährdung des Patienten im Klaren gewesen zu sein, - frühe Hinweise auf die Überdosierung der Medikamente (tiefer Schlaf des [X.]) und den Beginn einer Atemdepression (Beschlagen der [X.]) nicht erkannt und deshalb Gegenmaßnahmen nicht rechtzeitig ergrei-fen können, und schließlich - sei er nur unzureic[X.]d auf die Notfallsituation vorbereitet gewesen. Eine vorsätzliche Körperverletzung (mit Todesfolge) hat das [X.] nicht angenommen, da die Vornahme des Eingriffs selbst durch eine hypotheti-sche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt gewesen sei und den Angeklag-ten in Bezug auf die Überdosierung der Medikamente nur ein Fahrlässigkeits-vorwurf treffe. 8 - 7 - II. Revision des Angeklagten 9 Die Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 i.V.m. § 231 Abs. 2 StPO Erfolg. Eines Einge[X.]s auf die weitere vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge und die Sachrüge bedarf es daher nicht. 10 Das [X.] hat am vierten Verhandlungstag, am 27. Juni 2006, die Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme, Schlussvorträgen und Urteilsverkün-dung in Anwendung des § 231 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten in der Annahme zu Ende geführt, dieser sei bei der Fortsetzung der [X.] eigenmächtig ausgeblieben. Die für solches Vorge[X.] unerlässliche Eigenmächtigkeit des Ausbleibens lag indes, wie der Beschwerdeführer noch ausreic[X.]d (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) vorgetragen und was sich im Rahmen des vom Senat durchgeführten [X.] auch als erwiesen bestä-tigt hat, nicht vor. 11 Der Angeklagte war am Vortag des vierten [X.], am 26. Juni 2006, auf Veranlassung einer Allgemeinärztin durch den Notarztdienst zur Abklärung eines akuten Koronarsyndroms zur Behandlung in die Klinik für Innere Medizin des Krankenhauses [X.]

eingewiesen und dort stationär bis zum 28. Juni 2006 unter permanenter Monitorüberwachung behandelt [X.]. Dass die [X.], der hiervon - ersichtlich ebenso wie dem [X.] - nichts bekannt war, von eigenmächtigem Ausbleiben ausge[X.] konnte, ist ohne Bedeutung (vgl. [X.] 50. Aufl. § 231 [X.]. 25 m.[X.]). Die Hauptverhandlung ist hier mit einer Sachverhandlung fortgesetzt und am selben 12 - 8 - Tag mit dem Urteil abgeschlossen worden, so dass der erwiesenermaßen ohne Verschulden ausgebliebene Angeklagte auch keine Möglichkeit hatte, auf [X.] durch Nachholung der von ihm versäumten wesentlic[X.] Teile der [X.] hinzuwirken. [X.] Revision der Nebenklägerin 13 Die Revision der Nebenklägerin führt zum Erfolg, da das [X.] ein vorsätzliches Handeln des Angeklagten in Bezug auf eine Körperverletzung zum Nachteil seines Patienten und damit einherge[X.]d eine (vorsätzliche) Kör-perverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB mit rechtsfehlerhafter Begrün-dung abgelehnt hat. 14 Die Annahme des [X.]s, die zweite bei [X.] durchgeführte Liposuktion sei durch eine (hypothetische) Einwilligung des Patienten gerecht-fertigt gewesen, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. 15 Zwar ist das [X.] in seinem rechtlic[X.] Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ärztliche Heileingriffe (vorsätzliche) Körperverletzungshand-lungen darstellen und deshalb grundsätzlich der Einwilligung des Patienten be-dürfen, um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann aber wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternati-ven aufgeklärt worden ist (vgl. BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 m.w.[X.]; [X.]/[X.], Arzthaftungsrecht 2. Aufl. [X.]. 769). Dies ist hier nicht gesche-16 - 9 - [X.]. Nicht zu beanstanden ist der weitere Ausgangspunkt der Schwurgerichts-kammer, dass die Rechtswidrigkeit auch dann entfallen kann, wenn im Falle eines Aufklärungsmangels, wie er hier beim zweiten operativen Eingriff gege-ben war, der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte [X.] eingewilligt hätte (vgl. [X.], 16 = BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 7). Das [X.] hat eine hypothetische Einwilligung in die mit dem ope-rativen Eingriff verbundenen Körperverletzungshandlungen des Angeklagten mit der Begründung angenommen, der Angeklagte habe seinem Patienten zwar nicht vor der verfahrensgegenständlic[X.], jedoch vor der ersten [X.] "alle Risiken einer Fettabsaugung" ([X.]) erläutert, [X.] sei damals mit dem Eingriff einverstanden gewesen und hätte deshalb selbst bei nochmaliger Auf-klärung auch dem zweiten Eingriff zugestimmt ([X.]). 17 Diese Wertung lässt außer [X.], dass sich eine Einwilligung in einen ärztlic[X.] Heileingriff, jedenfalls bei Fehlen einer weiterge[X.]den Aufklärung, nur auf eine lege artis, d.h. nach dem Stand der medizinisc[X.] Wissenschaft durchgeführte Heilbehandlung bezieht (vgl. BGHSt 43, 306, 309; [X.]/[X.], Arzthaftungsrecht 4. Aufl., [X.] [X.]. 13). Die Durchführung der zweiten Ope-ration war jedoch, anders als dies bei der ersten Liposuktion im April/Mai 2002 der Fall war, vom Angeklagten von vornherein so angelegt, dass sie nicht dem medizinisc[X.] Standard entsprach. Nach den Feststellungen war weder die vom Angeklagten vorgese[X.]e Narkosemethode (Lokalanästhesie statt [X.]) unter den gegebenen Umständen regelgerecht gewählt, noch hatte er, was in Anbetracht der unzureic[X.]den Notfallvorbereitung eine besondere Risi-koerhöhung darstellte, ein kontinuierliches Patientenmonitoring während des 18 - 10 - Eingriffs sichergestellt, da er sich eines medizinisc[X.] Laien statt einer ausge-bildeten Krankenschwester als Hilfspersonal bediente. Das [X.] hätte deshalb bei Prüfung der Frage, ob eine (hypothe-tische) Einwilligung des Patienten vorlag, nicht lediglich auf die Umstände der ersten, [X.] durchgeführten [X.] abstellen dürfen, sondern hätte in den Blick nehmen und erörtern müssen, ob [X.] auch in Kenntnis der vorgenannten, von der ersten [X.] abweic[X.]den Umstände in den [X.] eingewilligt hätte. Dies dürfte allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, son-dern lediglich um eine kosmetische Behandlung handelte, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliegt (vgl. [X.]/[X.] aaO S. 167 [X.]. 9), kaum anzunehmen sein. 19 Im Falle des Fehlens einer (hypothetisc[X.]) Einwilligung stellt sich der operative Eingriff des Angeklagten jedoch als tatbestandsmäßige und rechts-widrige Körperverletzung dar. Eine vorsätzliche Tat könnte dem Angeklagten nur dann nicht vorgeworfen werden, wenn er, was das Urteil nicht ergibt, nach 20 - 11 - den bisherigen Feststellungen aber eher fern liegt, irrig vom Vorliegen eines rechtfertigenden Sachverhalts ausgegangen wäre (vgl. hierzu BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 m.w.[X.]). Tepperwien [X.] [X.] Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 549/06

05.07.2007

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.07.2007, Az. 4 StR 549/06 (REWIS RS 2007, 3028)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 3028

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