Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.05.2010, Az. 3 StR 78/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 6423

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Gegenstand

Versuchter Totschlag: Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts; ernsthaftes Bemühen bei Einschaltung von Hilfspersonen


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 13. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten sowie der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision, die vom [X.] vertreten wird, die Verletzung sachlichen Rechts. Nach ihrer Auffassung hat das [X.] zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt vom [X.] sowie eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen.

2

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

3

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:

4

Der nicht vorbestrafte Angeklagte lebte seit Februar 2009 wieder im Haushalt seiner 74jährigen Mutter, dem späteren [X.]. Diese litt an einer schweren Lungenerkrankung und war darauf angewiesen, sich täglich für mehrere Stunden über einen Nasenschlauch ergänzend Sauerstoff zuzuführen. Zwischen dem Angeklagten und seiner Mutter kam es alsbald vermehrt zu Streitigkeiten. In der Wahrnehmung des Angeklagten, die möglicherweise durch seinen regelmäßigen Cannabis-Konsum beeinträchtigt war, beruhten die Auseinandersetzungen darauf, dass seine Mutter ihn ständig grundlos kritisierte und ihn als Versager darstellte. Infolge dieses vom Angeklagten als kränkende Zurückweisung empfundenen Verhaltens, entwickelte sich bei ihm zunehmend ein Gefühl der Unzulänglichkeit und Verärgerung, aus dem heraus er drei Tage vor der Tat anlässlich einer erneuten Meinungsverschiedenheit mit seiner Mutter gegenüber seinem Schwager äußerte "die blöde Kuh wär´ sowieso besser tot".

5

Am Tattag war er nach einer aus seiner Sicht missbilligenden Äußerung seiner Mutter über seine Freundin niedergeschlagen und zog sich in [X.] zurück. Nach dem Konsum von Haschisch und Alkohol sprang er gegen 21 Uhr einem plötzlichen Entschluss folgend aus dem Fenster seines im ersten Stock gelegenen Zimmers, um sich das Leben zu nehmen. Er zog sich durch den Sturz jedoch lediglich leichte Verletzungen zu und wurde auf seine Hilferufe von seiner Mutter wieder in das Haus eingelassen, wo er sich auf deren Bett legte. Währendessen forderte seine Mutter telefonisch einen Notarzt für den Angeklagten an. Nach Beendigung des Telefonats stürzte sich der Angeklagte plötzlich in Wut auf seine Mutter, die er für seine Lage verantwortlich machte, riss ihr den Bademantel herunter, warf sie auf das Bett und hielt ihr mit den Worten "jetzt bist Du dran", "Verreck´ doch endlich, Du Miststück" Mund und Nase zu in der Absicht, sie zu töten. Die Geschädigte, die Todesangst hatte, stellte sich tot. Als sich die von dem [X.] zuvor alarmierten Rettungskräfte mit Signalton dem Tatort näherten, ließ der Angeklagte von seiner Mutter ab, lief zur Wohnung der Nachbarn und rief um Hilfe, weil seine Mutter sterbe. Sodann ließ er die mittlerweile eingetroffenen Rettungskräfte in die Wohnung seiner Mutter ein. Das [X.] erlitt durch den Verschluss der Atemwege lebensbedrohliche Verletzungen und konnte nur mit Mühe gerettet werden.

6

2. Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte sei strafbefreiend vom (tateinheitlich begangenen) [X.] zurückgetreten, hält auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

Das [X.] ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der [X.] beendet war; denn der Angeklagte glaubte, dass seine Mutter an den ihr zugefügten Verletzungen versterben konnte. Die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom beendeten Versuch sind hingegen nicht ausreichend belegt. Die Urteilsfeststellungen sind insoweit lückenhaft und erlauben nicht den Schluss, dass der Angeklagte entweder die Vollendung der Tat freiwillig verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. [X.]) oder sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

8

a) Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. [X.] kommt zwar auch in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder "optimale" gewählt hat ([X.]St 48, 147). Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich, oder jedenfalls mitursächlich wird ([X.]St 33, 295, 301; [X.], 508).

9

Mit den Voraussetzungen dieser Rücktrittsregelung hat sich das [X.] nicht ausdrücklich befasst. Es hat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte die aus anderen Gründen herbeigerufenen Rettungskräfte in die Wohnung der Geschädigten einließ. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses Verhalten im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. [X.] für die Erfolgsverhinderung kausal oder zumindest mitursächlich wurde, enthält das Urteil indes nicht. Es verhält sich insbesondere nicht dazu, ob der Angeklagte den Notarzt und die Sanitäter, die nicht zur Rettung seiner Mutter herbeigerufen, sondern von dieser wegen seines Selbstmordversuchs alarmiert worden waren, über die veränderte Sachlage in Kenntnis setzte und ihnen den Weg zu seiner verletzten Mutter wies und auf diese Weise deren Rettung erleichterte oder beschleunigte - was in Anbetracht der konkreten Umstände für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. [X.] ausgereicht hätte -, oder ob der Notarzt die Wohnung der Verletzten auch ohne Zutun des Angeklagten ohne wesentliche Verzögerung betreten, das [X.] finden und dieses damit auch ohne Mitwirkung des Angeklagten retten konnte ([X.], 3219; [X.] NStZ aaO).

b) Dass sich der Angeklagte - wovon das [X.] ausgegangen ist - im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2 [X.] jedenfalls freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern, ist durch die Feststellungen ebenfalls nicht hinreichend belegt.

§ 24 Abs. 1 Satz 2 [X.] setzt voraus, dass der Täter alles tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, und dass er die aus seiner Sicht ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten ausschöpft, wobei er sich auch der Hilfe Dritter bedienen kann ([X.]St 33, 295, 301 f.; [X.], 329). Allerdings sind, wenn - wie hier - ein Menschenleben auf dem Spiel steht, insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Der Täter muss sich um die bestmögliche Maßnahme bemühen. Hilft er nicht selbst, so muss er sich zumindest vergewissern, ob die Hilfspersonen das Notwendige und Erforderliche veranlassen ([X.]St aaO).

Auch insoweit lässt das Urteil ausreichende Feststellungen vermissen. Das Herbeirufen eines Krankenwagens oder Arztes war hier die am ehesten zur Rettung des [X.]s geeignete Maßnahme. Entsprechende Bemühungen entfaltete der Angeklagte jedoch nicht selbst; denn seine Mutter hatte die Rettungskräfte bereits vor der Tat verständigt. Ob sich das bloße Einlassen des aus anderen Gründen herbeigerufenen Notarztes in die Wohnung des [X.]s in der konkreten Situation objektiv und aus Sicht des Angeklagten als die bestmögliche Maßnahme zur Rettung des [X.]s darstellte, ist in Anbetracht der fehlenden Feststellungen zu den Umständen des Zusammentreffens des Angeklagten mit den Rettungskräften, deren Kenntnisstand und dem diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten nicht ausreichend dargelegt. Gleiches gilt, soweit sich der Angeklagte durch Hilferufe und mit dem Hinweis, seine Mutter sterbe, an die [X.] wandte; denn die Urteilsgründe ergeben bereits nicht, welche Vorstellungen der Angeklagte mit diesem Vorgehen verband ([X.] NStZ 2000, 41 f.).

3. Da das Urteil schon wegen der rechtsfehlerhaften Bejahung eines strafbefreienden Rücktritts vom tateinheitlich begangenen [X.]s der Aufhebung unterliegt, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob die knappen Darlegungen des [X.]s zum Vorliegen einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne der §§ 20, 21 [X.] eine noch ausreichende revisionsrechtliche Nachprüfung ermöglichen. Der [X.] sieht jedoch Anlass, darauf hinzuweisen, dass der Tatrichter, wenn er sich darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben hat, wie dies zum Verständnis des Gutachtens erforderlich ist ([X.] NStZ-RR 2003, 232). Der neue Tatrichter wird darüber hinaus Gelegenheit haben, die von der Revision vermissten Umstände bei der Prüfung der Schuldfähigkeit im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen. Er wird ferner in den Blick zu nehmen haben, ob möglicherweise ein Zusammenwirken mehrerer Ursachen zu einer Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geführt hat ([X.]R [X.] § 21 Ursachen, mehrere 3 und 4).

4. Das Urteil weist - was gemäß § 301 StPO auch auf die Revision der Staatsanwaltschaft zu prüfen ist - hingegen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

[X.]

                     Sost-Scheible                                      [X.]

Meta

3 StR 78/10

20.05.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Düsseldorf, 13. November 2009, Az: 18 Ks 9/09 - 10 Js 204/09, Urteil

§ 24 Abs 1 S 1 Halbs 2 StGB, § 24 Abs 1 S 2 StGB, § 212 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.05.2010, Az. 3 StR 78/10 (REWIS RS 2010, 6423)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6423

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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