Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.12.2022, Az. VIII R 23/20

8. Senat | REWIS RS 2022, 9197

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Gegenstand

(Verfassungsmäßigkeit des Übergangsrechts zur Einführung der Veräußerungsgewinnbesteuerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG mit Wirkung vom 01.01.2009)


Leitsatz

Die durch § 52 Abs. 28 Satz 16 Teilsatz 3 EStG bewirkte Einbeziehung unechter Finanzinnovationen in die Veräußerungsgewinnbesteuerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG mit Wirkung vom 01.01.2009 ist verfassungsgemäß.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 03.07.2020 - 12 K 449/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb am 25.07.2008 Anleihen der [X.] ([X.], [X.]) sowie am 18.12.2008 Anleihen der [X.] ([X.], [X.]) und der [X.] ([X.], Anleihen [X.]). Die [X.] hatten eine 60-jährige Laufzeit bis 2066, die [X.] und [X.] eine ca. 100-jährige Laufzeit bis 2104 bzw. 2105. Eine Trennung zwischen Ertragsebene und [X.] war möglich. Für einen begrenzten Zeitraum, die sog. Festzinslaufzeit, waren die Anleihen festverzinslich (A: 7,375 %, [X.]: 5,0 %, [X.]: 5,375 %), danach bestanden jeweils eine variable Verzinsung und ein Kündigungsrecht der Emittentin.

2

Nach Ablauf der jeweiligen Festzinslaufzeit kündigte die Emittentin die Anleihen. Aus den Rückzahlungen zum Nennwert erzielte der Kläger im Streitjahr 2015 Gewinne in Höhe von 3.035,89 € aus den [X.] und 1.578,58 € aus den Anleihen [X.] sowie im Streitjahr 2016 einen Gewinn in Höhe von 616,33 € aus den [X.].

3

Die [X.]ank des Klägers beurteilte die Rückzahlung der Anleihen jeweils als steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft, ermittelte die der Höhe nach unstreitigen Veräußerungsgewinne nach § 43a Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 20 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in seiner in den Streitjahren anzuwendenden Fassung (EStG) und unterwarf sie dem Kapitalertragsteuerabzug.

4

Mit den Einkommensteuererklärungen für 2015 und 2016 beantragte der Kläger, die von der [X.]ank einbehaltenen und abgeführten [X.] (Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag) in Höhe von insgesamt 1.217,06 € (2015) bzw. 162,55 € (2016) zu erstatten. Dazu reichte er jeweils eine Anlage [X.] sowie die Abrechnungen über die Wertpapierkäufe und die Gesamtkündigungen ein. In der Zeile 5 der Anlagen [X.] beantragte er gemäß § 32d Abs. 4 EStG jeweils eine Überprüfung des [X.] für bestimmte Kapitalerträge und gab hierzu in der Zeile 7 die aus den Anleihen erzielten Veräußerungsgewinne in Höhe von insgesamt 4.614,47 € (2015) bzw. 616,33 € (2016) sowie als korrigierten [X.]etrag den nach seiner Auffassung zutreffenden [X.]etrag von jeweils 0 € an. Ergänzend führte der Kläger aus, dass es sich bei den Wertpapieren um nachrangige festverzinsliche Schuldverschreibungen ([X.]) handele, welche nicht als echte Finanzinnovationen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung (EStG 2008) zu qualifizieren seien, da eine Trennung zwischen Kapitalstamm und [X.] und somit zwischen Kapitalnutzungsentgelt und Wertentwicklung des Kapitals problemlos möglich sei. Die [X.]esteuerung eines Veräußerungsgewinns scheide daher nach Ablauf der einjährigen Spekulationsfrist aus.

5

In den Einkommensteuerbescheiden für 2015 vom 13.12.2016 und für 2016 vom 08.08.2017 versagte der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) die von dem Kläger begehrte Erstattung der [X.]. Die Einspruchsverfahren blieben erfolglos (Einspruchsentscheidungen vom 25.01.2018 zur Einkommensteuer 2015 und betreffend Ablehnungsbescheid gegen den Antrag auf schlichte Änderung des Einkommensteuerbescheids 2016).

6

Der Kläger erhob Klage, die das [X.] ([X.]) aus den in Entscheidungen der [X.]e (E[X.]) 2021, 366 mitgeteilten Gründen abwies.

7

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision macht der Kläger die Verletzung von [X.]undesrecht und insbesondere die Verfassungswidrigkeit der [X.] in § 52 Abs. 28 Sätze 15 bis 17 EStG (§ 52a Abs. 10 Sätze 6 bis 8 EStG a.F.) geltend. Sie könnten die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG auf die vorliegenden Gewinne nicht begründen, sondern seien durch teleologische bzw. verfassungskonforme Reduktion in ihrer Reichweite zu begrenzen. Hilfsweise macht der Kläger die Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) geltend.

8

Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des [X.] Köln vom 03.07.2020 - 12 K 449/18 aufzuheben,
2. den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 13.12.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.01.2018 dahingehend abzuändern, dass die Gewinne aus der Rückzahlung der [X.] in Höhe von 3.035,89 € und der Anleihen [X.] in Höhe von 1.578,58 € mit jeweils 0 € als Einkünfte aus Kapitalvermögen und die einbehaltenen [X.] in Höhe von 1.217,06 € berücksichtigt werden,
3. das [X.] zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 08.08.2017 unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 18.10.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.01.2018 dahingehend zu ändern, dass der Gewinn aus der Rückzahlung der [X.] in Höhe von 616,33 € mit 0 € als Einkünfte aus Kapitalvermögen und die einbehaltenen [X.] in Höhe von 162,55 € berücksichtigt werden.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Die Vorentscheidung verletzt weder [X.]undesrecht noch ist der Senat davon überzeugt, dass die Übergangsregelungen in § 52 Abs. 28 Sätze 15 bis 17 EStG (§ 52a Abs. 10 Sätze 6 bis 8 EStG a.[X.]), soweit sie im Streitfall zur Anwendung gelangen, eine verfassungswidrige Rückwirkung vorsehen oder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Das Revisionsverfahren ist daher nicht auszusetzen, um eine Entscheidung des [X.] ([X.]) einzuholen.

1. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass die vom Kläger in den Streitjahren vereinnahmten Gewinne aus der Rückzahlung der Anleihen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG als steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen zu qualifizieren sind.

[X.]ei den Gewinnen aus der Rückzahlung der [X.], [X.] und [X.] handelt es sich um Gewinne aus der Veräußerung von sonstigen [X.] jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG; diese Gewinne gehören gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. [X.]egrifflich liegen bei den [X.], [X.] und [X.] sonstige [X.] i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG vor (vgl. [X.]eschluss des [X.]undesfinanzhofs --[X.]FH-- vom 28.05.2019 - VIII R 7/16, [X.]FHE 265, 132, [X.]St[X.]l II 2019, 610, Rz 22). Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG gelten als Veräußerung insbesondere auch die Einlösung und die Rückzahlung (vgl. zur Gleichstellung der in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG genannten Ersatztatbestände [X.]FH-Urteil vom 03.12.2019 - VIII R 34/16, [X.]FHE 267, 232, [X.]St[X.]l II 2020, 836, Rz 29). Es bedarf danach keiner Entscheidung darüber, ob die Rückzahlung der Anleihen zum Nennwert einen Einlösungs- oder Rückzahlungsvorgang im Sinne der Vorschrift darstellt. Auch die Höhe der vom Kläger erzielten Gewinne (vgl. § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG) ist unstreitig.

2. Das anlässlich der Einführung der Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 normierte Übergangsrecht führt zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere führt § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG nicht dazu, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG im Streitfall durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verdrängt wird.

a) Gemäß § 52 Abs. 28 Satz 15 EStG ist § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG i.d.[X.] des Art. 1 des [X.] 2008 vom 14.08.2007 ([X.]G[X.]l I 2007, 1912) grundsätzlich erstmals auf die nach dem 31.12.2008 zufließenden Kapitalerträge aus der Veräußerung sonstiger [X.] anzuwenden. Danach sind die Veräußerungsgewinne, die der Kläger aus den im [X.] erworbenen Anleihen in den Streitjahren aufgrund der Rückzahlung erzielt hat, gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtig. Entgegen der Auffassung des [X.] folgt weder aus Satz 16 noch aus Satz 17 des § 52 Abs. 28 EStG eine Ausnahme in dem Sinne, dass die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vorrangig ist und die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG ausschließt.

b) Die Voraussetzungen des § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG für eine Fortgeltung des alten Rechts über den 31.12.2008 hinaus liegen im Streitfall nicht vor. Grund hierfür ist der dritte Teilsatz in § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG, der im Sinne einer Rückausnahme die im ersten Teilsatz normierte Ausnahme von der Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG für [X.], die vor dem 01.01.2009 erworben wurden, wieder ausschließt.

"Für Kapitalerträge aus [X.], die zum [X.]punkt des vor dem 1. Januar 2009 erfolgten Erwerbs zwar [X.] im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 7 in der am 31. Dezember 2008 anzuwendenden Fassung, aber nicht [X.] im Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 in der am 31. Dezember 2008 anzuwendenden Fassung sind, ist § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 7 nicht anzuwenden; für die bei der Veräußerung in Rechnung gestellten Stückzinsen ist Satz 15 anzuwenden; [X.] im Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 in der am 31. Dezember 2008 anzuwendenden Fassung liegen auch vor, wenn die Rückzahlung nur teilweise garantiert ist oder wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich erscheint."

Zwar hat der Kläger die [X.], [X.] und [X.] im [X.] und damit noch vor dem 01.01.2009 erworben; außerdem lagen nach der Rechtsprechung zu unechten Finanzinnovationen (vgl. [X.]FH-Urteile vom 24.10.2000 - VIII R 28/99, [X.]FHE 193, 374, [X.]St[X.]l II 2001, 97; vom 20.11.2006 - VIII R 97/02, [X.]FHE 216, 79, [X.]St[X.]l II 2007, 555, und vom 17.12.2013 - VIII R 42/12, [X.]FHE 244, 36, [X.]St[X.]l II 2014, 319) keine [X.] i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008, sondern sonstige [X.] gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2008 vor. Für eben diese Fälle hat der Gesetzgeber jedoch in § 52 Abs. 28 Satz 16 Teilsatz 3 EStG eine Rückausnahme normiert. Insbesondere dann, wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich ist oder zumindest möglich erscheint, werden dadurch die unechten Finanzinnovationen den [X.] i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 gleichgestellt, so dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG auf die nach dem 31.12.2008 zufließenden Kapitalerträge aus der Veräußerung sonstiger [X.] anzuwenden ist (vgl. [X.]FH-[X.]eschluss vom 12.07.2017 - VIII R 48/14, [X.]FH/NV 2018, 412, Rz 20 f.). Die Rückausnahme gilt auch dann, wenn die [X.] --wie im vorliegenden Fall-- unzweifelhaft gegeben ist.

c) Ebenfalls nicht zu einer Ausnahme von der Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG führt im Streitfall § 52 Abs. 28 Satz 17 EStG (früher § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG a.[X.]), da die [X.], [X.] und [X.] unstreitig nicht in die Kategorie der von der Vorschrift erfassten Vollrisikopapiere fallen (vgl. [X.]FH-Urteil vom 29.10.2019 - VIII R 16/16, [X.]FHE 266, 550, [X.]St[X.]l II 2020, 254, Rz 29).

3. Für eine teleologische Reduktion des § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG oder des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG besteht keine Veranlassung. Eine teleologische Normreduktion zielt darauf ab, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Zweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken. Sie ist aber nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung rechtspolitisch fehlerhaft erscheint, sondern kommt grundsätzlich nur in [X.]etracht, wenn die auf den Wortlaut abgestellte Auslegung der Regelung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (vgl. [X.]FH-Urteile vom 12.06.2018 - VIII R 14/15, [X.]FHE 262, 66, [X.]St[X.]l II 2018, 755, Rz 32; vom 14.05.2019 - VIII R 20/16, [X.]FHE 264, 459, [X.]St[X.]l II 2019, 586, Rz 28, und vom 16.06.2020 - VIII R 15/17, [X.]FHE 269, 495, [X.]St[X.]l II 2020, 841, Rz 20). Die Wortlautauslegung der Sätze 15 ff. des § 52 Abs. 28 EStG und des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG führt jedoch nicht zu einem sinnwidrigen, sondern zu einem dem Gesetzeszweck entsprechenden Ergebnis. Durch die Einfügung des dritten [X.] in § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG wollte der Gesetzgeber nämlich [X.] vermeiden und den mit der Abgeltungsteuer ab dem 01.01.2009 angestrebten [X.] nicht konterkarieren (vgl. [X.]TDrucks 16/10189, S. 66 f.; näher dazu unter II.4.b cc).

4. Die mit der Revision erstrebte verfassungskonforme Auslegung kommt schon deswegen nicht in [X.]etracht, weil die Übergangsregelungen in § 52 Abs. 28 Sätze 15 ff. EStG entgegen der Auffassung des [X.] nicht zu einem verfassungswidrigen Zustand führen. Aus diesem Grund scheidet auch die Aussetzung des Revisionsverfahrens zum Zwecke der Vorlage an das [X.] gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aus.

Die Sätze 15 ff. des § 52 Abs. 28 EStG verstoßen weder gegen das Rückwirkungsverbot noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den für die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG im Streitfall entscheidenden dritten Teilsatz von § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG.

a) Nach Maßgabe der Rechtsprechung des [X.] zum Rückwirkungsverbot bewirkt § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG im Streitfall keine verfassungswidrige Rückwirkung.

aa) Die [X.]mäßigkeit des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Vorschrift des Steuerrechts ist regelmäßig primär nach den Maßstäben zum verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz zu beurteilen. Außerhalb des Strafrechts beruht das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze auf den grundrechtlich geschützten Interessen der [X.]etroffenen sowie den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. [X.]-[X.]eschluss vom 25.03.2021 - 2 [X.]vL 1/11, [X.]E 157, 177, Rz 51). Zu differenzieren ist zwischen echter und unechter Rückwirkung. Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor dem [X.]punkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Die echte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig (vgl. [X.]-[X.]eschluss in [X.]E 157, 177, Rz 52, m.w.N.).

Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine unechte Rückwirkung vor. Sie ist nicht grundsätzlich unzulässig. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, die Steuerpflichtigen vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an bereits ins Werk gesetzte Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen des grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (vgl. [X.]-[X.]eschluss in [X.]E 157, 177, Rz 53 ff., m.w.N.).

bb) Der Kläger ist im Hinblick auf die mit der Revision angegriffene [X.]esteuerung in den Streitjahren 2015 und 2016 insofern von einer "rückwirkenden" bzw. vergangenheitsbezogenen Regelung betroffen, als er die [X.], [X.] und [X.] im [X.] erworben hat, noch bevor die betreffenden Veräußerungs- bzw. [X.] mit Wirkung vom 01.01.2009 in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG einbezogen wurden. Da die durch die Gewinnrealisierung ausgelöste [X.]esteuerung indes erst in den Streitjahren 2015 und 2016 eintrat und nicht eine bereits eingetretene Rechtsfolge nachträglich änderte, ist keine echte, sondern eine unechte Rückwirkung gegeben.

Diese unechte Rückwirkung (vgl. [X.]TDrucks 16/10189, S. 66 f.) ist nach den Rechtsgrundsätzen der verfassungsgerichtlichen Judikatur verfassungsgemäß. Zu Recht hat das [X.] seine diesbezügliche Würdigung insbesondere auf den [X.]eschluss des [X.] vom 07.07.2010 - 2 [X.]vL 14/02 ([X.]E 127, 1, [X.]St[X.]l II 2011, 76) gestützt (so auch Urteil des [X.] Düsseldorf vom 30.01.2018 - 13 K 2430/16 E, E[X.] 2018, 1179) und danach eine Verletzung des grundrechtlichen Vertrauensschutzes des [X.] verneint. Der Kläger hatte die [X.], [X.] und [X.] am 25.07.2008 bzw. 18.12.2008, d.h. im letzten Jahr vor Inkrafttreten des neuen Rechts erworben. Die aus diesen Anleihen resultierenden Veräußerungs- bzw. [X.] waren deshalb zur [X.] der Verkündung des Jahressteuergesetzes ([X.]) 2009 ([X.]G[X.]l I 2008, 2794) am 19.12.2008 und ebenso bei Inkrafttreten des neuen Rechts am 01.01.2009 insofern noch nicht steuerlich "entstrickt", als die Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG noch nicht abgelaufen war und deshalb ein etwaiger Gewinn aus der Veräußerung bzw. Rückzahlung der Anleihen vom Kläger bis zum Jahresende 2008 noch nicht steuerfrei hätte vereinnahmt werden können. Die bloße Möglichkeit, Gewinne zu einem späteren [X.]punkt steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet keine vertrauens- bzw. verfassungsrechtlich geschützte Position (vgl. [X.]-[X.]eschluss in [X.]E 127, 1, [X.]St[X.]l II 2011, 76, Rz 62 ff.). Mit der Einfügung des § 52 Abs. 28 Satz 16 Teilsatz 3 EStG (§ 52a Abs. 10 Satz 7 Teilsatz 3 EStG a.[X.]) konnte deshalb die am 01.01.2009 gemäß § 23 EStG bestehende "Steuerverhaftung" durch die Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG ohne Verletzung verfassungsrechtlich geschützten Vertrauens verlängert werden (vgl. auch [X.]FH-[X.]eschluss vom 26.03.2021 - IX [X.] 45/20, [X.]FH/NV 2021, 767, Rz 16, zum [X.]-[X.]eschluss in [X.]E 127, 1, [X.]St[X.]l II 2011, 76). Auf den vom [X.] zusätzlich angeführten Aspekt, dass der Kläger die Anleihen [X.] und [X.] lediglich einen Tag vor der Verkündung des [X.] 2009 im [X.]G[X.]l erworben hatte, kommt es für die Frage der [X.]mäßigkeit und den (fehlenden) grundrechtlichen Vertrauensschutz nicht an.

b) Die vom Kläger gerügte Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor, und zwar weder im Hinblick auf § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG noch hinsichtlich der grundsätzlichen zeitlichen Anwendung dieser Vorschrift ab dem Veranlagungszeitraum 2009.

aa) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche [X.]elastungen und ungleiche [X.]egünstigungen. Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Es gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. [X.]-Urteil vom 10.04.2018 - 1 [X.]vR 1236/11, [X.]E 148, 217, [X.]St[X.]l II 2018, 303, Rz 103 ff.).

bb) Die Einbeziehung von Veräußerungsgewinnen in die [X.]esteuerung ab einem bestimmten gesetzlich definierten [X.]punkt verstößt für sich genommen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Ebenso wie kein grundrechtlicher Schutz des Vertrauens darauf besteht, dass das geltende Recht unverändert fortbesteht (vgl. dazu oben [X.]), bietet auch Art. 3 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen belastende Rechtsänderungen. Der allgemeine Gleichheitssatz begründet grundsätzlich keinen Anspruch auf eine zukünftig gleichbleibende Rechtslage; in diesem Sinne gibt es keine "Gleichheit in der [X.]" (so [X.]FH-Urteil vom 11.08.2021 - I R 38/19, [X.]FH/NV 2022, 334, Rz 26, mit Verweis auf den [X.]-[X.]eschluss vom 12.05.2009 - 2 [X.]vL 1/00, [X.]E 123, 111, [X.]St[X.]l II 2009, 685, Rz 14, und Kanzler, [X.] 2010, 987). Stichtags- und andere [X.] sind verfassungsrechtlich nur daraufhin zu prüfen, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in [X.]etracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint (vgl. [X.]-[X.]eschluss vom 18.03.2013 - 1 [X.]vR 2436/11, Kammerentscheidungen des [X.] 20, 234, Rz 34, m.w.N.).

cc) Anhaltspunkte dafür, dass die Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG als willkürlich anzusehen wäre, liegen nicht vor. Der sachliche Grund für die vorliegend entscheidungserhebliche Regelung ist den Gesetzesmaterialien zum [X.] 2009 zu entnehmen. In der [X.]egründung des Gesetzentwurfs der [X.]undesregierung zum [X.] 2009 ([X.]TDrucks 16/10189, S. 66 f.) wurde ausgeführt, die Übergangsregelung in § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG a.[X.] (inzwischen § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG) sehe vor, dass bei [X.] i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 generell der als Unterschied zwischen Erlös und Anschaffungskosten zu ermittelnde Gewinn oder Verlust den Abgeltungsteuerregelungen unterliege. Ausdrücklich benanntes Ziel war das öffentliche Interesse an einer einfachen und praktikablen Abgeltungsteuer. Ohne den letzten Teil von § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG wäre die Anwendung des Kapitalertragsteuerabzugs auf [X.], die die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 erfüllen, von einer Einzelfallprüfung der jeweiligen Anleihebedingungen abhängig gewesen, was entgegen dem vom Gesetzgeber mit der Einführung der abgeltenden [X.]esteuerung angestrebten Vereinfachungszweck eine Vielzahl von [X.] zur Folge gehabt hätte.

dd) Diese sachliche [X.]egründung für die Gleichstellung zuvor unterschiedlich besteuerter Sachverhalte mit Wirkung vom 01.01.2009 ist von [X.] wegen nicht zu beanstanden. Der Kläger leitet insbesondere auch zu Unrecht aus der Senatsrechtsprechung zur früheren Rechtslage einen Verstoß des neuen Rechts gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG resultierenden Grundsatz der Folgerichtigkeit ab. Denn aus dem alten Recht kann nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht --wie der Kläger meint-- abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber auch ab dem 01.01.2009 nur solche [X.] i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG besteuern durfte, bei denen die Trennung zwischen Vermögens- und Ertragsebene unmöglich ist, weil sie darauf angelegt sind, die Erträge im [X.] entstehen zu lassen. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch eine sachwidrige Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte oder eine sachwidrige Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte ist nicht gegeben.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VIII R 23/20

13.12.2022

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 3. Juli 2020, Az: 12 K 449/18, Urteil

§ 20 Abs 2 S 1 Nr 7 EStG 2009, § 20 Abs 2 S 2 EStG 2009, § 52 Abs 28 S 16 EStG 2009 vom 25.07.2014, § 20 Abs 2 S 1 Nr 4 EStG 2002 vom 19.12.2008, § 52a Abs 10 S 7 EStG 2009 vom 19.12.2008, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2009, § 52 Abs 28 S 15 EStG 2009 vom 25.07.2014, § 52 Abs 28 S 17 EStG 2009 vom 25.07.2014, EStG VZ 2015, EStG VZ 2016

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.12.2022, Az. VIII R 23/20 (REWIS RS 2022, 9197)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9197

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