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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Befangenheit eines Bundesverfassungsrichters
[X.]
- 2 BvF 1/00 -
festzustellen,
1. | dass Art. 78 Abs. 2 der Verfassung des [X.] vom 1. Dezember 1946 (GVBl [X.]), letztmals geändert durch Gesetz vom 20. März 1991 ([X.]), mit Art. 28 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar ist, soweit für die Prüfung der Wahlen zum [X.] bestimmt ist, dass "gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen", die Wahl "im Falle der Erheblichkeit für den Ausgang der Wahl" ungültig machen, |
2. | dass Art. 78 Abs. 3 der Verfassung des [X.] und das [X.] Wahlprüfungsgesetz vom 5. August 1948 ([X.], berichtigt [X.]), geändert durch Gesetz vom 4. Juli 1962 (GVBl S. 314), mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 92, Art. 97 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4, Art. 28 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip insoweit nicht vereinbar sind, als das Wahlprüfungsgericht beim [X.] neben den beiden höchsten [X.]n des [X.] mit drei vom [X.] gewählten Abgeordneten besetzt ist (Art. 78 Abs. 3 [X.], §§ 1, 2 WahlprüfungsG) und seine Entscheidungen durch Urteil trifft, das mit seiner Verkündung rechtskräftig wird (§ 17 WahlprüfungsG) |
und dass die genannten Vorschriften daher im Umfang der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz nichtig sind
- Antragstellerin: | [X.] [X.]regierung,
vertreten durch den Ministerpräsidenten, Bierstadter Straße 2, [X.] - |
hier: | Dienstliche Äußerung des [X.]s [X.] vom 8. Juni 2000 gemäß § 19 Abs. 3 [X.] |
hat das [X.] - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der [X.]innen und [X.]
Präsidentin [X.],
[X.],
Hassemer,
Broß,
Osterloh,
[X.]
am 12. Juli 2000 beschlossen:
Der von dem [X.] [X.] mit dienstlicher Äußerung vom 8. Juni 2000 angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.
1. a) Das Wahlprüfungsgericht beim [X.]n [X.], besetzt mit dem Präsidenten des [X.] als Vorsitzendem, der Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main als weiterem Mitglied sowie drei Abgeordneten des [X.]s als vom [X.] gewählten Mitgliedern, hat durch Beschluss vom 3. März 2000 das ordentliche Wahlprüfungsverfahren betreffend die [X.]swahl vom 7. Februar 1999 mit der Begründung wieder aufgenommen, es halte die bekannt gewordene Mitfinanzierung des [X.]swahlkampfs des [X.]-[X.]verbands Hessen durch den Einsatz von entgegen dem [X.] nicht deklariertem Auslandsvermögen der [X.] für sittenwidrig. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass durch diese sittenwidrigen Handlungen das Ergebnis der [X.]swahl mandatsrelevant beeinflusst worden sein könnte.
b) Die [X.] [X.]regierung hat mit Schriftsatz vom 29. Mai 2000 beantragt festzustellen, dass die Regelungen für die Prüfung der Wahlen zum [X.]n [X.] mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig sind, soweit in ihnen bestimmt ist, dass gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen, die Wahl im Falle der Erheblichkeit für den Ausgang der Wahl ungültig machen, und dass das Wahlprüfungsgericht neben den beiden höchsten [X.]n des [X.] mit drei vom [X.] gewählten Abgeordneten besetzt ist und seine Entscheidungen durch Urteil trifft, das mit seiner Verkündung rechtskräftig wird.
2. Der [X.] [X.] hat dem [X.] unter dem 8. Juni 2000 die folgende dienstliche Äußerung übermittelt:
"Ich gebe dem Senat Kenntnis davon, dass Herr [X.], auch mit meinem Einverständnis, seit [X.]1999 seinen Beruf als Rechtsanwalt in der von [X.] begründeten Rechtsanwaltspraxis mit Sitz in [X.] ausübt. Der Name der Rechtsanwaltspraxis lautet seitdem: [X.], [X.], [X.], [X.] - Anwaltskanzlei und Notar. Auf Briefbögen und Vollmachtformularen der Praxis ist meinem Namen folgender Zusatz zugeordnet: Zulassungen ruhen gemäß § 104 [X.].
Seit meiner Ernennung zum [X.] des [X.]s bin ich am wirtschaftlichen Ergebnis der Rechtsanwaltskanzlei nicht mehr beteiligt. Rechte und Pflichten aus dem Gesellschafterverhältnis übe ich seither nicht aus, mit Ausnahme einer Mitwirkung an solchen Entscheidungen, die für die Praxis und ihren Bestand von grundlegender Bedeutung sind, wie die Aufnahme weiterer Rechtsanwälte.
Da ich nicht ausschließen kann, dass dieser Sachverhalt zum Anlass genommen wird, meine Unbefangenheit in diesem Verfahren in Frage zu stellen, beantrage ich eine Entscheidung des Senats gemäß § 19 Abs. 3 [X.] (vgl. [X.] 88, 17 <22>)."
3. Dem [X.], dem Bundesrat, der Bundesregierung, dem [X.] und dem Wahlprüfungsgericht beim [X.] sowie den Bevollmächtigten der Antragstellerin ist die dienstliche Äußerung übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Antragstellerin hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
1. Bei der dienstlichen Äußerung des [X.]s [X.] handelt es sich um eine Erklärung im Sinne des § 19 Abs. 3 [X.]. Diese Regelung setzt nicht voraus, dass der [X.] sich selbst für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen (vgl. [X.] 88, 1 <3>; 88, 17 <22>; 98, 134 <137>; 101, 46 <50>). Die mitgeteilten Umstände geben zu einer Senatsentscheidung gemäß § 19 Abs. 3 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 [X.] über die Besorgnis der Befangenheit des [X.]s [X.] Anlass.
2. Der von dem [X.] [X.] mit dienstlicher Äußerung vom 8. Juni 2000 angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit. Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, der geeignet wäre, Zweifel an der Unparteilichkeit des [X.]s [X.] auszulösen.
a) Die Besorgnis der Befangenheit eines [X.]s des [X.]s nach § 19 [X.] setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der [X.] tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln (vgl. [X.] 88, 17 <22 f.>; 99, 51 <56>; 101, 46 <50 f.>).
[X.] im Sinne des § 19 [X.] kann nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs. 2 und 3 [X.] einen Ausschluss von der Ausübung des [X.]amts nicht rechtfertigen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade auf diese Gründe dennoch eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Es muss etwas Zusätzliches gegeben sein, das über die in § 18 Abs. 2 und 3 [X.] genannten Umstände hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann (vgl. [X.] 88, 17 <23>).
b) Hieran gemessen vermag die Tatsache, dass in der von [X.] [X.] begründeten Rechtsanwaltskanzlei mit dessen Einverständnis Herr [X.] unter den in der dienstlichen Äußerung mitgeteilten Bedingungen seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu stützen. Schon die Schwelle, die § 18 Abs. 2 [X.] für einen Ausschluss von der Ausübung des [X.]amts errichtet, ist hier nicht berührt.
Nach § 18 Abs. 2 [X.] ist ein [X.] des [X.]s nicht mit der Folge eines Ausschlusses von der Ausübung seines [X.]amts am Verfahren im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 [X.] "beteiligt", wenn er "auf Grund... seines Berufs... oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist". Der von [X.] [X.] angezeigte Sachverhalt liegt deutlich unter dieser Schwelle.
Allein auf Grund seines Berufs als Rechtsanwalt ist [X.] [X.], zumal die Rechte aus der Zulassung gemäß § 104 Abs. 1 [X.] ruhen, nicht am Ausgang des Verfahrens im Sinne des § 18 Abs. 2 [X.] interessiert. Anhaltspunkte für ein Interesse am Ausgang des Verfahrens von Berufs wegen oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt lassen sich auch nicht aus dem Umstand ableiten, dass in der von [X.] [X.] begründeten Rechtsanwaltspraxis mit dessen Einverständnis Herr [X.]nicht nur seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, sondern diese Praxis sowohl die Namen von [X.] als auch von [X.] [X.] - bei letzterem mit dem Hinweis auf das Ruhen der Rechte aus der Zulassung gemäß § 104 [X.] - führt. Dass [X.] früher [X.]vorsitzender der [X.] [X.] war, und dass während seiner Amtszeit nicht deklariertes Vermögen der [X.] ins Ausland transferiert, dieses Vermögen teilweise zur Finanzierung des Wahlkampfs zur letzten [X.]swahl in Hessen eingesetzt worden sein soll und das [X.] Wahlprüfungsgericht diese Mitfinanzierung des Wahlkampfs möglicherweise für sittenwidrig hält, sind im Verhältnis zur Ausübung des [X.]amts durch [X.] [X.] im vorliegenden Verfahren so entfernte Gesichtspunkte, dass von einem Interesse im Sinne des § 18 Abs. 2 [X.] nicht gesprochen werden kann. Denn das zur Entscheidung anstehende verfassungsgerichtliche Verfahren hat nicht die Rechtmäßigkeit des Finanzgebarens der [X.]n [X.] zum Gegenstand, sondern die Verfassungsgemäßheit der personellen Zusammensetzung des [X.]n Wahlprüfungsgerichts sowie von Teilen des ihm vorgegebenen Prüfungsmaßstabs und der sofortigen Rechtskraft seiner Urteile.
c) Andere als die bisher geprüften Umstände sind nicht geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit des [X.]s [X.] zu begründen. Bei einem Erfolg des Antrags könnte [X.] zwar der Sache nach als rehabilitiert erscheinen; der Ausgang des Verfahrens könnte das Ansehen und den wirtschaftlichen Wert der Rechtsanwaltskanzlei betreffen und daher die ökonomischen Interessen des [X.]s [X.] vornehmlich für die [X.] nach seinem Ausscheiden als Bundesverfassungsrichter berühren. Bei vernünftiger Würdigung aus dem hier maßgeblichen Blickwinkel der in einem abstrakten Normenkontrollverfahren beteiligten Staatsorgane rechtfertigen solche möglichen mittelbaren Folgewirkungen einer anstehenden Entscheidung aber noch nicht die Besorgnis, der [X.] [X.] sei in Bezug auf den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens befangen (vgl. hierzu [X.] 101, 46 <53>).
Diese Entscheidung ist mit vier gegen zwei Stimmen ergangen.
[X.] | [X.] | Hassemer |
Broß | Osterloh | [X.] |
Meta
12.07.2000
Sachgebiet: BvF
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 12.07.2000, Az. 2 BvF 1/00 (REWIS RS 2000, 1661)
Papierfundstellen: REWIS RS 2000, 1661 BVerfGE 103, 111-142 REWIS RS 2000, 1661 BVerfGE 102, 192-197 REWIS RS 2000, 1661
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