Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2021, Az. VIII ZR 91/19

8. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 3971

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Gegenstand

Haftung bei vorzeitigem Abbruch einer Internet-Auktion: Rechtsmissbräuchliches Vorgehen eines Abbruchjägers auf eBay


Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Beklagten durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

1

Der Beklagte bot Mitte Juli 2014 auf der Internet-Plattform [X.] ein Gebrauchtfahrzeug im Rahmen einer Auktion unter Vorgabe eines [X.] von 1 € zum Verkauf an. Am 16. Juli 2014 beendete der Beklagte die Auktion vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger Höchstbietender in Höhe eines Betrags von 1.368 €. Nach den seinerzeit geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen von [X.] kam ein Kaufvertrag mit dem Höchstbietenden auch bei vorzeitiger Beendigung der Auktion zustande, es sei denn, der Anbieter war zur Rücknahme des Angebots "gesetzlich" berechtigt.

2

Am 13. August 2014 forderte der Kläger den Beklagten unter Fristsetzung auf, ihm gegen Zahlung seines [X.] das Fahrzeug zu übergeben. Der Beklagte lehnte dies ab und teilte mit, dass die Auktion vorzeitig beendet worden sei, weil sich das Fahrzeug nicht mehr in dem Zustand befunden habe, in dem es bei [X.] eingestellt worden sei. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2015 trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und forderte Schadensersatz, den er im Januar 2016 auch gerichtlich geltend machte.

3

Seine auf Zahlung von 3.500 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat in beiden Instanzen überwiegend Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat den Beklagten, ausgehend von einem Wert des Fahrzeugs in Höhe von 4.150 € bei [X.], zur Zahlung von 2.782 € nebst Zinsen verurteilt. Dabei hat es zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei zwar als sogenannter Abbruchjäger einzustufen, der bei seinen in größerem Umfang abgegebenen niedrigen Geboten darauf spekuliere, dass Verkäufer die Auktion ohne berechtigenden Grund im Sinne der [X.]-AGB abbrächen; dieses Verhalten ziele darauf ab, die Ware entweder extrem günstig zu bekommen oder einen entsprechenden Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Es lägen aber keine besonderen Umstände vor, welche diese dem "Abbruchjäger" eigene Absicht im vorliegenden Fall rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig erscheinen ließen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

II.

4

1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

5

Das Berufungsgericht hat die Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) zugelassen, weil nicht geklärt sei, unter welchen Voraussetzungen das Schadensersatzbegehren eines "Abbruchjägers" bei einer Internetauktion als rechtsmissbräuchlich einzustufen sei.

6

[X.] eines Verhaltens ist aber einer allgemeinen Klärung regelmäßig nicht zugänglich, da es hierfür stets auf eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ankommt, wobei die Annahme eines Rechtsmissbrauchs auf besondere Einzelfälle beschränkt bleiben muss ([X.], Urteile vom 12. November 2014 - [X.], NJW 2015, 548 Rn. 11; vom 27. April 1977 - [X.], [X.]Z 68, 299, 304). Dementsprechend hat der Senat zwischenzeitlich in seinem - erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen - Urteil vom 22. Mai 2019 ausgeführt, dass sich abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als "Abbruchjäger" im Sinne einer rechtlich zu [X.] Verhaltensweise erlaubten, nicht aufstellen lassen ([X.], NJW 2019, 2475 Rn. 25). Darüber hinaus hat der Senat in dem genannten Urteil die Vorgehensweise eines bloßen "Schnäppchenjägers", der lediglich gezielt die Chance wahrnimmt, Waren zu einem deutlich unter ihrem Marktwert liegenden Preis zu erwerben (vgl. auch Senatsurteile vom 28. März 2012 - [X.], NJW 2012, 2723 Rn. 20 f.; vom 12. November 2014 - [X.], NJW 2015, 548 Rn. 10; vom 24. August 2016 - [X.], [X.]Z 211, 331 Rn. 43), von dem zu [X.] Verhalten eines "Abbruchjägers" abgegrenzt und ausgeführt, die Annahme eines Rechtsmissbrauchs komme etwa dann in Betracht, wenn die Absicht eines Bieters von vornherein auf das Scheitern des Vertrags (durch Abbruch der Auktion) gerichtet ist, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können (Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - [X.], aaO Rn. 24).

7

Für eine darüber hinausgehende abstrakte Klärung oder das Aufstellen von Leitlinien durch das Revisionsgericht fehlt es an einer tatsächlichen Grundlage (etwa in Gestalt typischer Fallgruppen). Es hängt vielmehr von der dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände ab, ob die jeweils vorliegenden Indizien den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen als "Abbruchjäger" tragen (siehe wiederum Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - [X.], aaO Rn. 25).

8

2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Der Beklagte kann - wovon das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht ausgegangen ist - dem Schadensersatzanspruch des [X.] nach § 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 BGB vorliegend den Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) nicht entgegenhalten.

9

a) Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und muss auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben ([X.], Urteile vom 12. November 2014 - [X.], NJW 2015, 548 Rn. 11; vom 27. April 1977 - [X.], [X.]Z 68, 299, 304). Die Beurteilung, ob das Verhalten eines Bieters auf der Internet-Plattform [X.], der an einer Vielzahl von Auktionen teilgenommen hat, als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, ist dabei in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten. Sie kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Sachverhalt rechtsfehlerfrei festgestellt, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt sowie den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat und ob seine Wertung gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsurteile vom 22. Mai 2019 - [X.], NJW 2019, 2475 Rn. 22; vom 15. März 2017 - [X.], NJW 2017, 1474 Rn. 20; vom 4. Februar 2015 - [X.], [X.]Z 204, 145 Rn. 16).

b) Hieran gemessen gibt die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Schadensersatzverlangen des [X.] sei nicht rechtsmissbräuchlich, keine Veranlassung zu revisionsrechtlicher Beanstandung. Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Differenzierung zwischen einem bloßen "Schnäppchenjäger" und einem "Abbruchjäger" (teilweise) nicht nach denselben Kriterien wie der Senat in seiner erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Entscheidung vom 22. Mai 2019 ([X.], NJW 2019, 2475) vorgenommen hat, ist unschädlich. Denn in der Sache hat das Berufungsgericht letztlich dieselbe Wertung zugrunde gelegt, indem es das bloße Ausnutzen der Chancen und Risiken einer Internetauktion (etwa durch die Abgabe einer Vielzahl von niedrigen Geboten) ohne hinzukommende besondere Umstände nicht hat ausreichen lassen, um ein Bieterverhalten in der Gesamtwürdigung als von der Rechtsordnung missbilligenswert einzustufen.

c) Soweit die Revision demgegenüber geltend macht, die Gesamtwürdigung der vom Berufungsgericht festgestellten Indizien gebiete es, das Verhalten des [X.] als eine "rechtlich anstößige Abbruchjagd" anzusehen, setzt sie lediglich ihre eigene Beurteilung an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts, zeigt aber einen Rechtsfehler nicht auf.

So lässt die Vielzahl der vom Kläger in den der betreffenden Auktion vorangegangenen Monaten bei [X.] auf diverse Gegenstände abgegebenen Gebote und die erhebliche Gesamtsumme der dabei gebotenen Geldbeträge keinen Rückschluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu, da eine solche Vorgehensweise in einer den Internetauktionen immanenten und nicht zu [X.] Weise darauf abzielt, im Ergebnis nur bei einer geringen Anzahl dieser Auktionen zu einem für den Bieter aufbringbaren "Schnäppchenpreis" zum Zuge zu kommen (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - [X.], aaO Rn. 28 f.). Auch der Umstand, dass der Kläger für seine Gebote auf [X.] zwei verschiedene Benutzerkonten verwendete, lässt einen Zusammenhang mit einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen als "Abbruchjäger" nicht erkennen. Dass der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits mehrere Gerichtsverfahren wegen Schadensersatzes nach abgebrochenen [X.]-Auktionen geführt hat, ist allein ebenfalls kein hinreichendes Indiz dafür, dass es dem Kläger in all diesen Fällen und insbesondere auch vorliegend von vornherein nicht um den Erwerb der Waren, sondern allein um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegangen wäre.

Entgegen der Auffassung der Revision folgt ein fehlendes Erwerbsinteresse des [X.] an dem vom Beklagten angebotenen Fahrzeug auch nicht aus dem vom Berufungsgericht bei seiner Prüfung des Rechtsmissbrauchs nicht ausdrücklich benannten Umstand, dass der Kläger seinen Schadensersatzanspruch erst knapp 18 Monate nach dem [X.] gerichtlich geltend gemacht hat. Zwar weist die Revision zu Recht darauf hin, dass es sich um ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen als "Abbruchjäger" handeln kann, wenn ein Bieter nach einem unberechtigten [X.] mit der Geltendmachung seiner Ansprüche zunächst in der Annahme zuwartet, der Verkäufer werde die Ware zwischenzeitlich anderweitig veräußern, um anschließend anstelle der (nun nicht mehr verfügbaren) Ware Schadensersatz verlangen zu können. Dies kann insbesondere dann für einen Rechtsmissbrauch sprechen, wenn dem Bieter - wie in dem Senatsurteil vom 24. August 2016 zugrunde liegenden Sachverhalt - bekannt war, dass der Verkäufer die Ware unmittelbar nach dem [X.] [X.] zum Verkauf bei [X.] eingestellt hat ([X.], [X.], 2145 Rn. 11; siehe auch Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - [X.], aaO Rn. 33).

Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr hätte - worauf die Revisionserwiderung zutreffend hingewiesen hat - der Kläger, nachdem er den Beklagten unter Fristsetzung zur Lieferung des Fahrzeugs aufgefordert und der Beklagte dies ernsthaft und endgültig verweigert hatte (§ 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB), bereits im August 2014 zur Geltendmachung von Schadensersatz übergehen können. Insofern lässt das Zuwarten mit der gerichtlichen Geltendmachung bis Januar 2016 allein - aber auch in der Gesamtschau mit dem sonstigen Verhalten des [X.] - nicht darauf schließen, dass dieser das vom Beklagten angebotene Fahrzeug gar nicht erwerben, sondern - von vornherein - ausschließlich Schadensersatzansprüche infolge eines unberechtigten [X.]s geltend machen wollte.

3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Dr. Milger     

        

Kosziol     

        

Dr. Schmidt

        

Wiegand     

        

Dr. [X.]     

        

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch [X.] erledigt worden.

Meta

VIII ZR 91/19

20.07.2021

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Aurich, 5. April 2019, Az: 4 S 96/17

§ 138 Abs 1 BGB, § 242 BGB, § 280 BGB, § 281 BGB, § 286 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2021, Az. VIII ZR 91/19 (REWIS RS 2021, 3971)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3971

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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