Bundespatentgericht, Beschluss vom 03.08.2011, Az. 26 W (pat) 116/10

26. Senat | REWIS RS 2011, 4228

GEWERBLICHER RECHTSSCHUTZ MARKENRECHT BUNDESPATENTGERICHT (BPATG) ALKOHOL

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "FICKEN" – keine unerträgliche Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsempfinden des Allgemeinverkehrs – kein Verstoß gegen die guten Sitten – Eintragungsfähigkeit


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2009 018 699.5

hat der 26. Senat ([X.]) des [X.] in der Sitzung vom 3. August 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] [X.] sowie des [X.] [X.] und der Richterin Dr. Schnurr

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 33 des [X.] vom 19. Mai 2009 und vom 19. März 2010 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Zur Eintragung für die Waren

2

"[X.]: Bekleidungsstücke;

3

Klasse 32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke, [X.] und Fruchtsäfte, Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken;

4

Klasse 33: alkoholische Getränke (ausgenommen Biere)"

5

angemeldet ist die Wortmarke

6

[X.].

7

Die [X.]enstelle hat die Anmeldung mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.]enG zurückgewiesen, weil die Eintragung des Wortes "[X.]" gegen die guten Sitten verstoße. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das angemeldete [X.]enwort bestehe in der vulgärsprachlichen Bezeichnung von „mit jemandem den Geschlechtsakt vollziehen“. Zwar sei es vielfach im Alltag, insbesondere in der Jugendsprache zu finden. Gleichwohl werde es von den angesprochenen Verkehrskreisen, insbesondere von Vertretern älterer Generationen, als Zeichen für die Verrohung des Sprachgebrauchs, als störend und abstoßend empfunden. Der in der Entscheidung [X.] (pat) 244/02 – [X.] zum Ausdruck gekommenen Wertung vermöge die [X.]enstelle nicht zu folgen. Beide [X.]enworte seien auch deshalb nicht vergleichbar, weil „[X.]“ im Unterschied zu „[X.]“ weniger als Eigenname in Betracht komme. Die beanspruchten Waren richteten sich an breite Verkehrskreise, u. a. an Kinder und Jugendliche. Eine staatliche Monopolisierung dieses Wortes werde als gesellschaftlich anstößig empfunden.

8

Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Sie verweist darauf, dass auch nicht eingetragene [X.]en Schutz genießen könnten und ist der Ansicht, die [X.]enstelle vertrete einen längst überkommenen Sittlichkeitsbegriff. Der Umstand, dass das angemeldete [X.]enwort sexuelle Bezüge und einen vulgärsprachlichen Bedeutungsgehalt aufweise, stelle keinen Grund für eine Schutzversagung unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die guten Sitten dar. Es werde geschlechtsneutral verwendet und nicht als die Menschenwürde ernsthaft beeinträchtigend verstanden. Seine häufige Verwendung in literarischen oder filmischen Zusammenhängen habe zu einer gewissen Abnutzung in der Weise geführt, dass es heute kaum noch als anstößig oder sexuell provozierend empfunden werde.

9

Die Anmelderin beantragt,

die Beschlüsse der [X.]enstelle für Klasse 33 des [X.]n Patent- und [X.]enamts vom 19. Mai 2009 und vom 19. März 2010 aufzuheben.

II.

Die zulässige Beschwerde des Anmelders erweist sich als begründet. Der Eintragung der angemeldeten [X.]e steht das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.]enG nicht entgegen. Die angemeldete [X.]e verstößt nicht gegen die guten Sitten.

Gegen die guten Sitten verstoßen [X.]en, die das Empfinden eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise zu verletzen geeignet sind, indem sie sittlich, politisch oder religiös anstößig wirken oder eine grobe Geschmacksverletzung enthalten ([X.], 136, 137 – [X.]). Maßgeblich ist hierbei die Auffassung des angesprochenen Publikums in seiner Gesamtheit, wobei die weder übertrieben laxe noch besonders feinfühlige Meinung des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers entscheidet ([X.] – 24 W (pat) 140/01 - Dalai Lama; [X.]. 1983, 156 – Schoasdreiber). Die sittliche Anstößigkeit oder grobe Geschmacklosigkeit ist stets im Hinblick auf die betroffenen Waren zu beurteilen. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die maßgebliche Verkehrsauffassung von der fortschreitenden Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral geprägt ist. Soweit allerdings das Scham- oder Sittlichkeitsgefühl eines wesentlichen Teils des Verkehrs durch geschlechtsbezogene Angaben unerträglich verletzt wird, ist auch weiterhin von der Schutzunfähigkeit der [X.]e auszugehen ([X.]/Hacker, [X.]engesetz, 9. Auflage, § 8 Rdn. 501).

Bei Zugrundelegung dieses [X.] ist die angemeldete [X.]e, die ihrem Wortsinn nach eine derbe Bezeichnung zum Vollzug des Geschlechtsverkehrs darstellt, noch eintragungsfähig. Sie kann zwar, was auch die Anmelderin nicht in Abrede stellt, kaum den Anforderungen des guten Geschmacks genügen. Dieser Umstand für sich betrachtet ist jedoch für eine Schutzversagung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.]enG regelmäßig nicht  ausreichend, weil eine ästhetische Prüfung auf die Anforderungen des guten Geschmacks nicht Gegenstand des markenrechtlichen Eintragungsverfahrens sein kann (vgl. [X.]/Hacker, [X.]engesetz, 9. Auflage, § 8 Rdn. 503). Die angemeldete [X.]e verletzt hingegen nach Ansicht des Senats das durch die fortschreitende Liberalisierung der Anschauungen über Sitte und Moral beeinflusste Scham- und Sittlichkeitsempfinden des Allgemeinverkehrs, an den sich die beanspruchten Waren wenden, nicht in völlig unerträglicher Art und Weise. Ein unerträglicher Verstoß gegen das sittliche Empfinden ist dann anzunehmen, wenn die angemeldete [X.]e über eine bloße Geschmacklosigkeit hinaus sexuelle Aussagen enthält, die massiv (z. B. geschlechtsspezifisch) diskriminierend und/oder die Menschenwürde beeinträchtigend sind bzw. ernsthaft so verstanden werden können ([X.], 592,  595 – Busengrapscher; [X.] (pat) 107/97 - Schenkelspreizer; [X.] (pat) 244/02 - [X.]).

Davon kann bei dem Wort "[X.]", das in seinem Aussagegehalt geschlechtsneutral und damit nicht einseitig herabsetzend ist, nicht ausgegangen werden. Bei einer Verwendung des [X.]enwortes in der Modebranche für die beanspruchten Waren der [X.] ist die dortige besondere Kennzeichnungsgewohntheit zu berücksichtigen, markenmäßige Herkunftshinweise als eingenähtes Etikett auf der Innenseite von Bekleidungsstücken anzubringen (vgl. [X.], 1093, 1096 - [X.]). Eine solche Kennzeichnung kann beim Verbraucher in besonderem Maße die Vorstellung hervorrufen, der Bekleidungshersteller habe seien Familiennamen als [X.]e schützen lassen. Für die [X.] und den Nachnamen „[X.]n“ lassen sich 67 Telefonbucheinträge nachweisen.

Wird das angemeldete Zeichen zur Kennzeichnung von alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken der Klassen 32 und 33 verwendet, wird ein Teil des angesprochenen Verkehrs den so gekennzeichneten Produkten ebenso wie anderen Objekten reißerischer Werbung schlicht mit erhöhter Aufmerksamkeit begegnen. Ein anderer Teil wird sich ebenso wie der [X.] Werberat, der im Jahre 2008 die Kennzeichnung eines Likörs mit dem angemeldeten [X.]enwort rügte, über die Grenzen des guten Geschmacks Gedanken machen. Anhaltspunkte dafür, dass das Zeichen jedoch in Verbindung mit den beanspruchten Waren geeignet wäre, das Scham- und Sittlichkeitsempfinden eines erheblichen Teils der durch sie angesprochenen durchschnittlichen allgemeinen Endverbraucher in völlig unerträglicher Art und Weise zu verletzen, sind dem Senat im Rahmen seiner Recherche nicht bekannt geworden. Deren Ergebnisse zeichnen vielmehr ein anderes Bild: Bereits die [X.]enstelle hat darauf hingewiesen, dass das angemeldete [X.]enwort im „[X.]“ verzeichnet ist (vgl. [X.], [X.]s Universalwörterbuch, 3. Aufl., S. 505; [X.], [X.], 25. Aufl. 2009, [X.]). Dem der [X.] entstammenden [X.]enwort bedienen sich Kommunizierende aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen: Es ist Bestandteil einer Reihe von Titeln auf [X.] Bühnen gespielter Theaterstücke sowie mehrerer Film- und Buchtitel. So wurde beispielsweise [X.]Shoppen & [X.]n“ 1998 zum [X.] eingeladen und zum besten ausländischen Stück des Jahres gewählt. [X.], Autor des Theaterstückes „[X.] aber wir ficken uns prächtig“ wurde 1992 von der Fachzeitschrift „[X.]“ zum Dramatiker des Jahres gekürt und zählt zu den meistgespielten Dramatikern [X.]. [X.] ist Autor des u. a. am [X.] gespielten Stücks mit dem Titel „[X.]n vor der Kamera“. [X.] hat die Regisseurin [X.] den [X.] Film „[X.]nde Fische“ gedreht. Die Buchvorlage des gleichnamigen Films der Regisseurin [X.] ist unter dem Titel „Baise-moi – Fick [X.]“ in [X.] im [X.] erschienen. Gleichzeitig existiert am [X.] [X.]t eine Mehrzahl von Buchtiteln, die, wie beispielsweise der Titel [X.] fickt man nicht“ von [X.], das angemeldete [X.]enwort in grammatikalischer Abwandlung enthalten. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der angegriffene Beschluss der [X.]enstelle keinen Bestand haben.

Zur der von der [X.]enstelle angesprochenen Frage einer „staatlichen Monopolisierung“ des [X.]enwortes wird auf die Ausführungen in der Entscheidung [X.] 27 W (pat) 41/10 - Fick Shui Bezug genommen, denen sich der Senat anschließt.

Aus diesen Gründen hat die Beschwerde der [X.]eninhaberin Erfolg.

Meta

26 W (pat) 116/10

03.08.2011

Bundespatentgericht 26. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 03.08.2011, Az. 26 W (pat) 116/10 (REWIS RS 2011, 4228)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4228

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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