Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.12.2013, Az. 27 W (pat) 507/13

27. Senat | REWIS RS 2013, 249

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "Derber Fluch: Fucking Hell" – Sittenwidrigkeit – keine Markenschutzfähigkeit


Leitsatz

Derber Fluch

Derbe Flüche sind wegen Sittenwidrigkeit nicht als Marken schutzfähig.

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2011 047 069.3

hat der 27. Senat ([X.]) des [X.] am 17. Dezember 2013 durch [X.] [X.], [X.] und [X.] k.A. Schmid

beschlossen:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 43 des [X.] hat mit Beschluss vom 26. Oktober 2012 die Anmeldung der Wortmarke 30 2011 047 069.3

2

[X.]

3

für die Dienstleistungen

4

"Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten;

5

Klasse 41: Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; sportliche und kulturelle Aktivitäten;

6

Klasse 43: Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen"

7

nach § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] wegen einem Verstoß gegen die guten Sitten zurückgewiesen.

8

Zur Begründung ist ausgeführt, der englischsprachige Begriff "[X.]" habe die Bedeutung "verdammte Scheiße". Auch wenn es sich bei dem Begriff um ein englischsprachiges Idiom handele, sei aufgrund der Bekanntheit der [X.] und der immer stärker voranschreitenden Übernahme von Anglizismen in die [X.] Alltagssprache davon auszugehen, dass beachtliche Teile des Publikums - darunter auch Kinder und Senioren - das verwendete Schimpfwort in der dargestellten unhöflichen und geschmacklosen Bedeutung verstünden und sich darüber hinaus daran stören würden, wenn das Zeichen durch die Eintragung als Marke den Anschein amtlicher Bestätigung erhielte.

9

Derartige derbe Ausdrücke entsprächen nicht den gesellschaftlichen Wertmaßstäben. Zwar hätten sich die Anschauungen über Sitte und Moral in der heutigen [X.] gelockert, aber diese Liberalisierung gehe nicht so weit, dass die Verwendung eines auf unterem Sprachniveau angesiedelten Begriffes wie "[X.]" als amtlich registrierte Marke nicht als anstößig empfunden werden würde, zumal das angemeldete Zeichen einen Charakter habe, der von der üblichen Werbung deutlich ins Negative abweiche.

Auch werde der Verbraucher keine subtilen Überlegungen darüber anstellen, wie "[X.]" noch zu interpretieren sei. Er werde auf die hauptsächlichste Bedeutung, nämlich "verdammte Scheiße", abstellen. Ferner komme es nicht darauf an, welche Intentionen die Anmelder mit der Marke verfolgten, sondern die Anstößigkeit eines Zeichens beurteile sich nach dem normalen Empfinden des Durchschnittsverbrauchers der beanspruchten Produkte/Dienstleistungen.

Auch aus der Eintragung von nach der Ansicht der Anmelder vergleichbaren, aber möglicherweise auch löschungsreifen Marken könne kein Anspruch auf Eintragung abgeleitet werden, da nach ständiger und neuester Rechtsprechung früheren Eintragungsentscheidungen keinerlei bindende Wirkung zukomme.

Der Beschluss wurde den Anmeldern am 5. November 2012 zugestellt.

In ihrer Beschwerde vom 30. November 2012 vertreten die Anmelder die Auffassung, die angemeldete Marke verstoße nicht gegen die guten Sitten. Der angesprochene Durchschnittsverbraucher werde mangels [X.] Sprachkenntnisse die beanspruchte Wortkombination nicht sofort als fremdsprachiges Schimpfwort identifizieren. Für die Verkehrskreise sei vollkommen unklar, was "[X.]" bedeuten oder tun solle.

Die Anmelder verweisen auf die Eintragung einer Bildmarke "[X.]" beim [X.] und beim [X.] für "Bier". "[X.]" sei ein Ortsteil in [X.] und "[X.]" ein Bier [X.] Brauart.

Die angemeldete Bezeichnung sei unscharf und weise eine interpretationsbedürftige Mehrdeutigkeit auf. Der Verbraucher werde die Bezeichnung z.B. als das [X.], verdammte Hölle (der Geburtsort des Teufels) und bei falscher Übersetzung als "verdammt hell" oder "verdammt noch mal" verstehen.

Zur Begründung der Schutzfähigkeit verweisen die Anmelder auf die Eintragung des Wortes "Ficken" in dem Verfahren BPatG 26 W (pat) 116/10. Die hier angemeldete Bezeichnung sei keine geschlechtsbezogene Angabe, durch die das [X.] oder Sittlichkeitsgefühl eines wesentlichen Teils des Verkehrs unerträglich verletzt werde, da sie geschlechtsneutral und nicht einseitig herabsetzend sei.

Bei einer Verwendung des Markenworts in der Modebranche wäre die dortige besondere Kennzeichnungsgewohnheit zu berücksichtigen, markenmäßige Herkunftshinweise als eingenähtes Etikett auf der Innenseite von Bekleidungsstücken anzubringen. Eine solche Kennzeichnung könne beim Verbraucher in besonderem Maße die Vorstellung hervorrufen, der Bekleidungshersteller habe seinen Familiennamen als Marke schützen lassen. Für die [X.] und den Nachnamen "[X.]" lasse sich z.B. ein Telefonbucheintrag in [X.] nachweisen.

Werde das angemeldete Zeichen zur Kennzeichnung bei der Verpflegung von Gästen mit beispielsweise alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken verwendet, würde ein Teil des angesprochenen Publikums den so gekennzeichneten Dienstleistungen ebenso wie anderen Objekten reißerischer Werbung schlicht mit erhöhter Aufmerksamkeit begegnen, wenn er nicht, wie in [X.] üblich, an das [X.] aus der Ortschaft [X.] denke. Kein allzu ferner Gedanke, wo das [X.] (das Bier [X.] Brauart) ein Synonym für Export oder Lagerbier sei. Ein anderer Teil werde sich gegebenenfalls über die Grenzen des guten Geschmacks Gedanken machen. Anhaltspunkte dafür, dass das Zeichen jedoch in Verbindung mit den beanspruchten Dienstleistungen geeignet wäre, das [X.] und Sittlichkeitsempfinden eines erheblichen Teils der durch sie angesprochenen durchschnittlichen allgemeinen Endverbraucher in völlig unerträglicher Art und Weise zu verletzen, seien von der Markenstelle nicht bekannt gegeben worden.

Die Anmelder verweisen schließlich darauf, dass das der [X.] entstammende Wort "[X.]" bzw. das [X.] Wort "Ficken" zwischenzeitlich von [X.], Sängern, Schriftstellern oder im Zusammenhang Theaterstücken verwendet werde.

Die Anmelder beantragen,

den Beschluss der Markenstelle aufzuheben und die Marke einzutragen.

II.

1. Über die zulässige Beschwerde kann im schriftlichen Verfahren entschieden werden, nachdem die Anmelder keine mündliche Verhandlung beantragt haben und auch der Senat eine solche für entbehrlich hält.

2. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Einer Registrierung der angemeldeten Marke steht entgegen, dass die Wortfolge "[X.]" gegen die guten Sitten verstößt.

a) Nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] sind Kennzeichnungen vom Markenschutz ausgeschlossen, welche gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen.

Von einem Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] ist auszugehen, wenn das angemeldete Zeichen geeignet ist, das Empfinden der angesprochenen Verkehrskreise erheblich zu verletzen, indem es etwa in sittlicher, gesellschaftlicher oder religiöser Hinsicht anstößig oder herabwürdigend wirkt oder eine grobe Geschmacksverletzung darstellt. Maßgeblich ist insoweit die Sicht eines durchschnittlichen Angehörigen der angesprochenen Verkehrskreise, wobei nicht nur die Verkehrskreise zu berücksichtigen sind, an die sich die mit der angemeldeten Marke beanspruchten Waren oder Dienstleistungen unmittelbar richten, sondern auch die Teile des Publikums, die dem Zeichen im Alltag zufällig begegnen (vgl. EuG, [X.]. 2012, 247 Rn. 18 - [X.]). Maßgeblich ist weder eine übertrieben nachlässige noch eine besonders feinfühlige und empfindsame, sondern eine normal tolerante und durchschnittlich sensible Sichtweise. Auch darf die Prüfung des Schutzversagungsgrunds nicht in einer Geschmackszensur bestehen. Soweit eine Liberalisierung der Anschauungen des angesprochenen Verkehrs im Hinblick auf die Verwendung vulgärer, obszöner oder beleidigender Worte stattgefunden hat, muss ihr Rechnung getragen werden. Andererseits ist eine noch nicht eingetretene, sondern sich nur in Ansätzen abzeichnende Liberalisierung oder Banalisierung in der Sichtweise grob anstößiger Ausdrücke in der Eintragungspraxis nicht vorwegzunehmen ([X.], 729, Rn. 9 - READY TO FUCK m.w.Nachw.).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der angemeldeten Marke die Eintragung zu versagen, da sie gegen die guten Sitten verstößt. Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt bei Begriffen vor, die einen derben Fluch ausdrücken.

Jedenfalls derbe Flüche werden von der deutlichen Mehrheit der Gesellschaft als gravierende Verletzung des zivilisatorischen Konsens und des guten Geschmacks verstanden. Im gesellschaftlichen Umgang, insbesondere auch im Geschäftsleben werden sie als Grenzüberschreitung von angemessenem Sozialverhalten und als Provokation gewertet und daher im Allgemeinen strikt vermieden. Ausdruck des gesellschaftlichen Konsenses ist auch, dass die Erziehung von Kindern allgemein akzeptiert, auf respektvolle Kommunikation und namentlich das Unterlassen von Flüchen abzielt.

Der Begriff "[X.]ing" ist ein derber Fluch. Er enthält den vulgären Ausdruck "[X.]".

Auch wenn sich die Bedeutung von Phrasen "[X.]…" erheblichen Teilen des hier angesprochenen Publikums mangels ausreichender Sprachkenntnisse nicht unbedingt erschließen mag, so hat der Senat keinen Zweifel, dass der überwiegende Teil des inländischen Publikums die Wortfolge aufgrund des vorangestellten Wortes "[X.]" nur als eine vulgäre Beschimpfung verstehen wird.

Dem steht entgegen der Auffassung der Anmelder auch nicht entgegen, dass sich eine Verwendung des Wortes "[X.]" oder ähnlicher Begriffe wie "Ficken" oder "Fuck" in zahlreichen literarischen oder filmischen Zusammenhängen feststellen lässt. Dies zeigt keine Abnutzung, die dazu führen könnte, dass es kaum noch als anstößig oder gar provozierend empfunden wird, das Wort "[X.]" zu verwenden. Vielmehr soll der Einsatz dort oft bewusst provozieren, was die [X.] dann einkalkuliert und teilweise voraussetzt. Ein unerträglicher Verstoß gegen das sittliche Empfinden ist daher nicht nur dann anzunehmen, wenn ein Zeichen Aussagen enthält, die diskriminierend sind oder die Menschenwürde beeinträchtigen.

An dieser Beurteilung ändert sich entgegen der Auffassung der Anmelder nichts durch die Eintragung der identischen Marke durch das [X.] und das [X.] für andere Waren sowie durch die Eintragung von nach der Ansicht der Anmelder vergleichbaren Marken.

Zwar kann eine uneinheitliche Entscheidungspraxis des [X.], die dazu führt, dass in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen wesentlich gleiche Sachverhalte ohne nachvollziehbaren Grund ungleich behandelt worden sind, grundsätzlich eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG darstellen. Dies setzt aber voraus, dass sich die bisherige [X.] als willkürlich herausstellt und nicht erkennen lässt, welche der vorangegangenen Entscheidungen rechtmäßig und welche rechtswidrig waren ([X.] (pat) 43/04, BeckRS 2007, 12252 - [X.]). Allein aus vorangegangenen Entscheidungen lässt sich nämlich noch nicht der Vorwurf einer willkürlichen Ungleichbehandlung ableiten, zumal es sich um rechtswidrig vorgenommene Eintragungen oder Eintragungen vor Eintritt einer Richtlinien- oder Rechtsprechungsänderung handeln kann. Außerdem kann sich niemand auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung zugunsten eines anderen berufen, um eine identische Entscheidung zu erlangen ([X.] GRUR 2009, 667, 668 Rn. 18 - Volks.Handy, Volks.Camcorder, Volks.Kredit und Schwabenpost). Ohnehin verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise, da jeder Fall unter Einbeziehung seiner Besonderheiten, insbesondere der Marke selbst, der Waren und Dienstleistungen, für die sie eingetragen werden soll und des beteiligten Publikums, zu beurteilen ist. Die Entscheidung über die Schutzfähigkeit einer Marke ist keine Ermessens-, sondern eine Rechtsfrage und selbst Voreintragungen identischer oder vergleichbarer Marken führen nach ständiger Rechtsprechung somit nicht zu einem Anspruch auf Eintragung. Dass das [X.] und das [X.] die streitgegenständliche Marke für andere Waren eingetragen hat, beruht auf einer Beurteilung, die der Senat nicht teilt und die für den Senat keine Bindungswirkung hat.

Ohne Erfolg verweisen die Anmelder in ihrer Beschwerdebegründung auf die Kennzeichnungsgewohnheiten in der Modebranche, da es sich hierbei nicht um Umstände handelt, die für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer angemeldeten Marke von Bedeutung sind. Dies gilt auch für die Behauptung der Anmelder, bei "[X.]" handele es sich um einen Familiennamen, wie sich aus einem Telefonbucheintrag in [X.] ergebe. Der [X.] Durchschnittsverbraucher wird das Wort "[X.]" nicht als Nachname einer Person, sondern als Schimpfwort verstehen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Sie ist zur Rechtsfortbildung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bei der Beurteilung von derben Schimpfwörtern erforderlich.

Meta

27 W (pat) 507/13

17.12.2013

Bundespatentgericht 27. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.12.2013, Az. 27 W (pat) 507/13 (REWIS RS 2013, 249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 249

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