Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.07.2015, Az. B 8 SO 58/14 B

8. Senat | REWIS RS 2015, 7660

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zulässigkeit der Berufung - Wert des Beschwerdegegenstandes - Berufungsantrag - Geldleistung - maßgeblicher Zeitpunkt


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 7. Juli 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit ist die Höhe von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem [X.] - ([X.]B XII).

2

Die Beklagte bewilligte dem alleinstehenden Kläger unter Berücksichtigung eines monatlichen Bedarfs in Höhe von 978,25 [X.] (Regelbedarf in Höhe von 382 [X.], Mehrbedarf für Warmwasser in Höhe von 8,79 [X.] sowie Unterkunftskosten in Höhe von 587,46 [X.]) und eines Einkommens aus einer Altersrente in Höhe von 713,05 [X.] (Zahlbetrag in Höhe von 723,59 [X.] abzüglich des monatlichen Betrags für eine Hausratversicherung in Höhe von 10,54 [X.]) für die Monate September bis Dezember 2013 Grundsicherungsleistungen in Höhe von 265,20 [X.] (Bescheide vom [X.], 25.9. und 16.10.2013; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Beim Sozialgericht ([X.]) [X.] hat der Kläger hiergegen geltend gemacht, der Regelbedarf sei in verfassungswidriger Weise vom Gesetzgeber zu niedrig festgesetzt; vom Einkommen sei außerdem wie bei der Berechnung von Leistungen nach dem [X.] ([X.]) ein Grundfreibetrag von 100 [X.] abzusetzen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 28.4.2014).

3

Mit der Berufung zum [X.] (L[X.]) [X.] hat der Kläger geltend gemacht, die Regelleistung sei um mindestens 50 [X.] monatlich zu gering; andere Kreise gingen von einem monatlichen Budget von 500 [X.] aus. Er sei der Auffassung, dass ein monatlich verfügbares Entgelt von 500 [X.] gewährt werden müsste, um alle Bedarfe zu befriedigen (Schriftsätze vom 4.5. und 19.5.2014). Das L[X.] hat die Berufung als unzulässig verworfen (Urteil vom 7.7.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die vom [X.] nicht zugelassene Berufung sei nicht statthaft (§ 144 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Die mit ihr geltend gemachte Mehrforderung sei jedenfalls nicht höher als der Differenzbetrag zwischen 500 [X.] und dem von der [X.] zugrunde gelegten Regelbedarf von 382 [X.] für den streitigen Zeitraum vom 1.9. bis 31.12.2013, mithin 472 [X.]. Soweit der Kläger erst auf den Hinweis, die Berufung sei wohl nicht zulässig, geltend gemacht habe, er begehre ein Budget von monatlich 1200 [X.] (einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung), sei dies für die Bestimmung des [X.] nicht maßgeblich.

4

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des L[X.] macht der Kläger ua einen Verfahrensmangel geltend. Das L[X.] habe die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der [X.] habe über 750 [X.] gelegen; der geltend gemachte Betrag erhöhe sich nämlich um (mindestens) 100 [X.] pro Monat, weil er neben der Verfassungswidrigkeit des Regelsatzes auch einen monatlichen Grundfreibetrag auf das Einkommen von 100 [X.] geltend gemacht habe. Der geltend gemachte [X.] übersteige damit den Wert von 750 [X.]. Ohnehin habe er seine Klage nicht auf vier Monate beschränkt, sondern eine Regelung begehrt, die über vier Monate hinaus gehe.

5

II. Die zulässige Beschwerde des [X.] ist begründet. Das Urteil des L[X.] beruht auf einem Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G), den der Kläger den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G entsprechend bezeichnet hat. Er rügt zu Recht, das L[X.] hätte in der Sache entscheiden müssen und kein Prozessurteil erlassen dürfen (vgl dazu: B[X.]E 34, 236, 237; B[X.]E 35, 267, 271 = [X.] zu § 551 [X.]; [X.], [X.], 2. Aufl 2010, RdNr 658 ff mwN). Da der gerügte Verfahrensfehler auch vorliegt, war das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 [X.]G aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückzuverweisen.

6

Die auf eine Geldleistung gerichtete Klage hat den Wert des [X.] von 750 [X.] überstiegen (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.]G), sodass das L[X.] die Berufung mangels Erreichens der [X.] nicht als unzulässig hätte verwerfen dürfen. Der Wert des [X.] iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.]G richtet sich danach, was das [X.] dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt. Bei einer Geldleistung ist daher der Wert des [X.] für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 144 [X.] RdNr 5). Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des [X.] ist auf die Einlegung der Berufung abzustellen (stRspr, vgl: B[X.] [X.] 4-1500 § 96 [X.] RdNr 14; B[X.]E 58, 291, 294 = [X.] 1500 § 144 [X.]0 S 51).

7

Vorliegend hat der Kläger vor dem [X.] einen höheren Regelsatz geltend gemacht; eine (betragsmäßige) Einschränkung der Pflicht zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bewilligungen war für das [X.] mit den von ihm vorgetragenen Beanstandungen aber nicht verbunden; es hatte den Anspruch vielmehr unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Mit der Abweisung der Klage war schon nach dem Vortrag des [X.] ein Geldbetrag von mehr als 750 [X.] versagt worden; denn neben der Erwartung, dass ein um mindestens 472 [X.] höherer Regelbedarf (bezogen auf 4 Monate) anerkannt werde, hat er wegen des geltend gemachten Freibetrags auch eine zusätzliche Leistung in Höhe von 100 [X.] monatlich beansprucht. Ob er überhaupt mit Klageerhebung die Klageforderung auf höhere Leistungen für den von der [X.] beschiedenen Zeitraum beschränkt hat und das [X.] bei der Auslegung des Klagebegehrens von einer solchen Beschränkung ausgegangen ist oder - ggf über das Klagebegehren hinaus - über einen weiter gehenden Zeitraum entschieden hat, kann damit offen bleiben.

8

Mit seiner Berufung hat sich der Kläger auch uneingeschränkt gegen die Entscheidung des [X.] gewandt und dabei keinen Berufungsantrag beziffert. Verstöße gegen die Soll-Vorschrift des § 151 Abs 3 [X.]G, wonach die Berufungsschrift einen bestimmten Antrag enthalten soll, sind unschädlich (B[X.] [X.] [X.] zu § 151 [X.]G). Eine betragsmäßige Begrenzung ergab sich aus seinem Vortrag im [X.] nicht deshalb, weil im Vordergrund seine Angriffe gegen die Ermittlung der Regelbedarfe durch den Gesetzgeber standen; insoweit gilt für das Berufungsverfahren nichts anderes als für das Klageverfahren. Im Übrigen hat er auf Seite 2 seines [X.]es - wenngleich nur schwer verständlich - auch auf seine Argumentation im Hinblick auf die verschiedenen Einkommensarten Bezug genommen, sodass sich auch von daher kein Anhaltspunkt für eine gegenüber dem Klagebegehren eingeschränkte Berufung ergibt. Eine ggf später erklärte Beschränkung des [X.], durch die die [X.] nicht mehr erreicht wird, macht die Berufung grundsätzlich nicht unzulässig, wovon auch das L[X.] ausgegangen ist (vgl zuletzt B[X.], Beschluss vom [X.] B 13 R 437/12 B - RdNr 13 mwN).

9

Eine Zurückweisung der Beschwerde war auch nicht deshalb geboten, weil bereits feststünde, dass die angegriffene Entscheidung unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt Bestand haben wird (vgl dazu nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 18 mwN). Es besteht zwar kein Anspruch auf eine höhere Leistung unter dem Gesichtspunkt der Einräumung eines [X.] in Höhe von 100 [X.]. In beiden Existenzsicherungssystemen sind bei der Berücksichtigung von Erwerbseinkommen pauschale Freibeträge (in unterschiedlicher Höhe) vorgesehen (vgl § 82 Abs 3 [X.]B XII einerseits und § 11b Abs 2 und 3 [X.] andererseits), die jedoch voraussetzen, dass der jeweilige Leistungsberechtigte auch erwerbstätig ist (vgl B[X.] [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]3-34). Dies ist beim Kläger aber nicht der Fall. Wegen der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der Höhe des Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 1 kann die Klage ebenfalls keinen Erfolg haben. Insoweit hat das [X.] ([X.]) zwischenzeitlich entschieden, dass die der Bemessung der für den Kläger maßgeblichen Regelbedarfsstufe zugrundeliegenden Vorschriften verfassungsgemäß sind ([X.], Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua -, NJW 2014, 3425 ff); diese Entscheidung hat Gesetzeskraft und bindet die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Ob der Kläger allerdings - was nach seinem Vortrag immerhin denkbar erscheint - einen abweichenden höheren Bedarf hatte, der eine vom Regelsatz abweichende Festlegung notwendig macht (vgl § 27a Abs 4 [X.]B XII), kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des L[X.] nicht entscheiden.

Das L[X.] wird abschließend ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 58/14 B

23.07.2015

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Köln, 28. April 2014, Az: S 21 SO 532/13, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.07.2015, Az. B 8 SO 58/14 B (REWIS RS 2015, 7660)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7660

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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