Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.05.2021, Az. B 14 AS 389/20 B

14. Senat | REWIS RS 2021, 5749

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig - Zulassungsbedürftigkeit der Berufung - Nichtübersteigung eines Beschwerdewertes in Höhe von 750 Euro - Ermittlung des Beschwerdewertes


Tenor

Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des [X.] vom 21. September 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] II.

2

Im Klageverfahren hatten die Kläger höheres [X.] bzw Sozialgeld, bezogen auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung ([X.] und Zinsen eines [X.]) geltend gemacht. Beim [X.] hatte ihre Prozessbevollmächtigte zuletzt erklärt, die Übernahme der Zinsen werde nicht weiter verfolgt. Nach einem auf den Teil einer Stromrechnung wegen der Heizkosten abgegebenen und angenommenen Teilanerkenntnis hat das [X.] die unbezifferte weitergehende Klage mit Urteil vom 17.6.2019 abgewiesen.

3

Im Berufungsverfahren haben die Kläger vorgebracht, das [X.] habe die Stromkosten fehlerhaft geschätzt, die Warmwassererzeugungskosten nicht ermittelt und sich mit dem Baukredit nicht in der gebotenen Weise befasst. Das L[X.] hat die Kläger darauf hingewiesen, dass nicht erkennbar sei, welches konkrete Begehren verfolgt werde, weil sich aus ihren Einwänden zur Schätzung nicht ergebe, dass sich bei Vermeidung der beanstandeten Fehler ein höherer zustehender Betrag ermitteln lasse. Für die Zulässigkeit der Berufung seien das verfolgte Begehren und die sich hieraus ergebende Beschwer maßgeblich. Eine unzulässige Berufung könne gemäß § 158 [X.]G durch Beschluss verworfen werden. Mit Beschluss vom [X.] hat das L[X.] die Berufung als unzulässig verworfen. Wegen der Stromkosten und der Warmwassererzeugungskosten hätten die Kläger keinen konkreten Betrag geltend gemacht, der ihnen noch zustünde. Wegen der Zinsen seien sie nicht beschwert, weil sie das hierauf gerichtete Begehren erstinstanzlich nicht weiterverfolgt hätten.

4

Mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden machen die Kläger Verfahrensmängel geltend. Das L[X.] habe zu Unrecht durch "Prozessurteil statt Sachurteil" entschieden, weil die Beschwer mehr als 750 Euro betragen habe. Im November 2015 sei eine Stromrechnung von 5290,34 Euro zzgl eines Abschlags von 546 Euro fällig gewesen. Der Beklagte habe 1625,25 Euro anerkannt. Das [X.] habe festgehalten, dass sie den Differenzbetrag aus der Stromrechnung abzüglich der Werte für Strom, die in der Regelleistung enthalten seien, als Heizstrom beanspruchten. Werde der sich aus der Regelleistung für Alleinstehende ergebende Stromanteil für vier Personen zugrunde gelegt, ergebe sich ein maximal abzugsfähiger [X.] von 124,04 Euro, mithin ein noch streitiger Betrag von 3541,11 Euro. Die Zentralheizung habe seit Jahren nicht funktioniert und mit einem Dauerbrandofen könne kein ganzes Haus beheizt werden. Mit Blick auf die [X.] könne nicht ausgeschlossen werden, dass das L[X.] bei einer Sachentscheidung höhere Leistungen zugesprochen hätte. Außerdem habe das L[X.] bei zutreffender Ermessensausübung nicht durch Beschluss nur durch die Berufsrichter entscheiden dürfen. Die fehlerhafte Besetzung sei als absoluter Revisionsgrund zu berücksichtigen.

5

II. [X.] sind zulässig und begründet. Auf die Beschwerden der Kläger war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückzuverweisen (vgl § 160a Abs 5 [X.]G).

6

Die Kläger haben noch formgerecht (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ("Prozessurteil statt Sachurteil", Verfahrensmangel nach stRspr seit B[X.] 27.10.1955 - 4 RJ 105/54 - B[X.]E 1, 283; zu den Anforderungen an die Bezeichnung dieses Verfahrensmangels B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/18 B - [X.]) gerügt, der vorliegt.

7

Das L[X.] hat zu Unrecht die Berufungen der Kläger als unzulässig verworfen, weil die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Berufung aus § 144 Abs 1 Satz 1 [X.]G gegeben waren. Der im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerden dargetane Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und der Verfahrensablauf lassen es nicht zu, den Wert des [X.] mit weniger als 750,01 Euro (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.]G) zu beziffern. Das gilt auch unter Berücksichtigung eines erstinstanzlich nicht geltend gemachten Mehrbedarfs für Warmwassererzeugung (vgl zur Beschränkung des Streitgegenstands wegen der Abtrennbarkeit des auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung bezogenen [X.] nur B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/13 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] RdNr 10 f) sowie unter Außerachtlassung von Zinsen.

8

Der Wert des [X.] iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.]G richtet sich danach, was das [X.] dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt. Bei einer Geldleistung ist daher der Wert des [X.] für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird (vgl B[X.] vom 27.7.2004 - B 7 [X.] 104/03 R - [X.] 4-1500 § 144 [X.] [X.]). Bei einem unbezifferten Antrag kann auf eine überschlägige Berechnung zurückgegriffen werden (vgl B[X.] vom 14.8.2008 - B 5 R 39/07 R - [X.] 4-2600 § 210 [X.] RdNr 11; B[X.] vom 13.6.2013 - B 13 R 437/12 B - RdNr 12). [X.] Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des [X.] ist derjenige der Einlegung der Berufung (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 4 Abs 1 ZPO; zur Addition bei subjektiver Klagehäufung nach § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 5 ZPO B[X.] vom 24.6.2020 - B 4 AS 10/20 R - [X.] 4-1300 § 45 [X.]3 RdNr 18 unter Hinweis auf B[X.] vom 10.8.2016 - B 14 [X.]/15 R - [X.] 4-4200 § 12 [X.]6 RdNr 10).

9

Nach den Ausführungen im Urteil des [X.], die das L[X.] neben den angefochtenen Bescheiden und dem Klagevorbringen der Bestimmung desjenigen zugrunde zu legen hatte, was den Klägern vom [X.] versagt worden ist, ging es den Klägern um die volle Übernahme des im November 2015 fälligen Nachzahlbetrags aus der Stromabrechnung abzüglich der Werte für Strom, die im Regelbedarf enthalten sind. Wie in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung dargetan, beläuft sich das von den Klägern wegen der Rechnung von 5290,34 Euro noch Verlangte auch unter Berücksichtigung des beim [X.] anerkannten Betrags von 1625,25 Euro - Einzelheiten der Berechnung der in die Regelbedarfsbemessung der Kläger über das [X.] vom 24.3.2011 ([X.]) eingeflossenen Beträge für Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile außer [X.] lassend - auf deutlich mehr als 750 Euro. Angesichts der unbeschränkt eingelegten Berufungen musste von ihrer [X.] nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.]G ausgegangen werden.

Ob der Verfahrensmangel "Prozessurteil statt Sachurteil" zugleich dazu führt, dass das L[X.] bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen ist, weil es auch bei einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G durch Beschluss ohne [X.] (§§ 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 1 Satz 2 [X.]G) unter weiteren Voraussetzungen über die Berufungen der anwaltlich vertretenen Kläger entscheiden hätte können, kann angesichts dessen dahinstehen (vgl zur Auslegung von Klage- und Berufungsbegehren im Zusammenhang mit der Verwerfung der Berufung gegen einen Gerichtsbescheid als unzulässig durch Beschluss B[X.] vom 25.3.2021 - B 1 KR 51/20 B - RdNr 12).

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem L[X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 389/20 B

19.05.2021

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Neubrandenburg, 17. Juni 2019, Az: S 11 AS 1044/15

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 158 S 1 SGG, § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.05.2021, Az. B 14 AS 389/20 B (REWIS RS 2021, 5749)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5749

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