Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.02.2013, Az. 4 StR 357/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 7774

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge: Ablehnung von Beweisanträgen wegen Wahrunterstellung und Beurteilung einer Beweisbehauptung als unerheblich in den Urteilsgründen; bedingter Tötungsvorsatz bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen und Handeln im Affekt


Tenor

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. Januar 2012 werden verworfen.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Hinsichtlich des Rechtsmittels des Angeklagten wird von der Auferlegung der im Revisionsverfahren entstandenen Kosten und Auslagen abgesehen; er hat jedoch die den [X.] durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die hinsichtlich der Sachrüge vom [X.] vertreten wird, beanstandet, dass das [X.] keinen Tötungsvorsatz angenommen hat. Die Nebenkläger streben eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes (Heimtücke) an. Der Angeklagte wendet sich mit mehreren Verfahrensrügen und der ausgeführten Sachrüge gegen seine Verurteilung.

2

Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

3

Nach den Feststellungen des [X.]s fand in der Nacht vom 28. Januar auf den 29. Januar 2011 in der Gaststätte „A….“ in S.  eine „Vorabifete“ statt, an welcher der später Geschädigte [X.]teilnahm.  Spätestens um 01.00 Uhr trafen dort auch der Angeklagte, sein Bruder [X.]und der Zeuge B.     [X.] ein. Gegen 01.25 Uhr wollten [X.]  und der Zeuge [X.], die sich am Rand der Tanzfläche auf- hielten, noch etwas zu trinken holen. Auf dem Weg zur Theke rempelte [X.]   versehentlich eine Person aus der Gruppe um den Angeklagten  an, wobei er umgehend mit der Hand eine entschuldigende Geste machte.  Die angerempelte Person, deren Identität nicht geklärt werden konnte, wollte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen und [X.]zur  Rede stellen. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang wurde der Zeuge  [X.]von mehreren – mindestens zwei – Personen aus der Gruppe des  Angeklagten von hinten zur Seite geschubst. Sodann rempelten die Personen [X.] hinten an. In der Folgezeit entwickelte sich eine „gegenseitige Schubserei“ zwischen [X.] auf der einen Seite und dem An- geklagten sowie seinen Begleitern [X.]     und B.    G.  auf der  anderen Seite. Die Auseinandersetzung wurde von einem Wortgefecht begleitet, ohne dass es zu Faustschlägen oder Tritten zwischen den Kontrahenten kam. Dem Zeugen S.  gelang es nicht, beruhigend auf [X.]einzuwirken. Der Zeuge [X.], der Bruder des Geschädigten, versuchte, diesen aus der Situation herauszuholen, indem er ihn von hinten packte und schräg links hinter sich stellte. Der Geschädigte riss sich jedoch los. In diesem Moment sah der Zeuge [X.]einen blitzenden Gegenstand, der von einer unbekannt gebliebenen Person stichartig von unten gegen seinen Körper geführt wurde. Der Zeuge wich aus, verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Auch die Zeugin [X.].    zog den [X.] von hinten am rechten Arm, um eine Eskalation der Auseinandersetzung zu vermeiden.

4

Der Angeklagte erregte sich nunmehr über [X.]  . Zudem  wurde die Situation für ihn durch das Eingreifen der vorgenannten Zeugen unübersichtlich, zumal sich inzwischen – ausgelöst durch die geschilderte Schubserei – weitere Rangeleien entwickelt hatten, bei denen auch Faustschläge ausgeteilt wurden. Spätestens während des Festhaltens des [X.]durch die Zeugin [X.].    nahm der Angeklagte mit der rechten Hand ein mitgeführtes Klappmesser mit einschneidiger scharfer Klinge und einer Klingenlänge von mindestens 14 cm aus seiner Jackentasche, öffnete das Messer mit der linken Hand und hielt es sodann mit der rechten Hand erhoben in Höhe seines Kopfes. Ob [X.], der sich das Verhalten des Angeklagten und sei- ner Begleiter nicht gefallen lassen wollte, das Messer bemerkte, konnte nicht geklärt werden. Er bewegte sich, nachdem er sich jeweils von seinem Bruder bzw. der Zeugin [X.].    ruckartig losgerissen hatte, in Richtung auf den [X.] klagten, „um sich weiter zu schubsen“, wobei er seine Hände nicht zu Fäusten geballt hatte. Unmittelbare Körperverletzungshandlungen von Seiten des unbewaffneten und dem Angeklagten körperlich nicht überlegenen [X.]  standen nicht bevor. Auch der Angeklagte befürchtete nicht ernsthaft, nunmehr – über das bisherige Schubsen hinaus – tätlich angegriffen zu werden. Um sich das Tatopfer vom Leib zu halten, stach nunmehr der Angeklagte in seiner  Erregung mit einer einzigen Stichbewegung in Richtung von [X.],  wobei er diesen treffen und verletzen wollte, ohne jedoch auf eine bestimmte Körperstelle zu zielen. Der Stich hatte eine Wucht von mindestens drei [X.]lopond und drang im Bereich der linken oberen seitlichen Brustwand, in der Nähe des [X.], in den Körper ein. Der Stichkanal verlief etwas absteigend nach innen gerichtet und war insgesamt 16,5 cm bis 17 cm lang. Das Messer durchstach den linken [X.] und drang in den [X.] und die [X.] ein. Das Tatopfer taumelte ein paar Schritte zurück und sackte nach einigen Sekunden zu Boden. [X.] verstarb um 04.55 Uhr im Krankenhaus nach mehreren erfolglosen Wiederbelebungsversuchen.

5

Die [X.] konnte nicht klären, ob der Angeklagte unmittelbar vor dem Stich das Messer noch über dem Kopf erhoben hatte und vor dem Stich ausholte. Feststellungen zum exakten Verlauf der Stichbewegung sowie zu den genauen Körperhaltungen des Angeklagten und des [X.] konnten nicht getroffen werden.

6

Der Angeklagte, der von vornherein nur einmal zustechen wollte, zog das Messer nach dem Stich aus dem Körper des Geschädigten heraus und ergriff gemeinsam mit seinem Bruder [X.]die Flucht, indem sie schnellen Schrittes – ohne aber zu rennen – über die Tanzfläche der Gaststätte zum Ausgang gingen. Unterwegs entledigte sich der Angeklagte des bei der Tat verwendeten Messers, das unauffindbar blieb. Telefonisch verabredete er mit dem Zeugen [X.]ein Treffen an einem Spielplatz in [X.]. Dort zeigte sich der  Angeklagte von seiner Tat sichtlich geschockt. Er war verwirrt und zappelte hin und her. Gegenüber dem Zeugen [X.]erklärte er, „er sei im [X.] aus- gerastet, weil da so viele Personen gewesen seien“ und „sei zu weit gegangen und habe jemanden mit einem Messer gestochen, was in der Situation nicht hätte sein müssen. Er wisse aber nicht, wohin und wie tief er gestochen habe“ (UA S. 13).

7

Das [X.] hat direkten [X.] angenommen, sich hingegen von einem (auch nur bedingten) Tötungsvorsatz nicht überzeugen können. Der Angeklagte sei sich zwar der potentiellen Lebensgefährlichkeit seiner Handlungsweise bewusst gewesen. Der Todeseintritt sei von ihm aber nicht in seinen Willen aufgenommen und gebilligt worden. Die Einlassung des Angeklagten, der Messerstich sei ungezielt gewesen, sei letztlich nicht zu  widerlegen. Da das Tatgeschehen hinsichtlich der genauen Körperhaltung des Angeklagten und des Geschädigten, des exakten Verlaufs der Stichbewegung und der genauen Messerhalteposition unklar geblieben sei, fehlten wesentliche Anknüpfungspunkte für die Feststellung einer Zielgerichtetheit des Messerstichs. Gegen das voluntative Element des Tötungsvorsatzes spreche insbesondere, dass es sich bei dem Messerstich um eine einzige, spontane, unüberlegte und in angeheizter Stimmung ausgeführte Handlung im Verlauf einer (gruppen-)dynamischen gegenseitigen Auseinandersetzung inmitten einer größeren, unübersichtlichen Menschenmenge gehandelt habe. Ein Tötungsmotiv sei nicht ersichtlich, zumal der Angeklagte und der Geschädigte sich vor der Tat nicht gekannt hätten. Gegen einen Tötungsvorsatz lasse sich auch anführen, dass die Tat vor zahlreichen Zeugen stattgefunden habe und der Angeklagte nicht davon habe ausgehen können, dass letztlich niemand den Messerstich beobachten werde. Die nach der Tat gegenüber dem Zeugen [X.]gezeigte Erschütterung deute darauf hin, dass dem Angeklagten der Tod des [X.] nicht „mindestens gleichgültig“ gewesen sei (UA S. 44).

8

Die Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei zur Tatzeit nicht vermindert gewesen. Das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne der §§ 20, 21 StGB könne nach einer Gesamtwürdigung der für und gegen die Annahme eines hochgradigen Affekts sprechenden Umstände ausgeschlossen werden. Es habe zwar eine gewisse affektive Erregung, jedoch keineswegs eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung des Angeklagten vorgelegen.

II.

9

Die von der Staatsanwaltschaft, den [X.] und dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschriften des [X.]s vom 7. November 2012 keinen Erfolg. Sie sind  jedenfalls unbegründet.

Zu den [X.] der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und des Angeklagten, das [X.] habe die in den Beweisanträgen der Staatsanwaltschaft vom 12. Oktober 2011 enthaltenen [X.] über die Angaben des Zeugen [X.], die dieser in den später ausgesetzten Hauptverhandlungen am 8. Juni 2011 und 24. August 2011 gemacht habe, nicht gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 [X.] als wahr unterstellen dürfen, bemerkt der [X.] ergänzend zu den Ausführungen des [X.]s:

Der Umstand, dass das [X.] die behaupteten Angaben des Zeugen [X.], die dieser gegenüber den als Zeugen benannten Richtern in den beiden vorangegangenen und später ausgesetzten Hauptverhandlungen gemacht haben soll, als wahr unterstellt hat, gibt keinen Anlass zu der Besorgnis, das [X.] habe Sinn und Zweck der Beweisanträge unzulässig eingeengt oder umgedeutet. Denn die Beweisanträge der Staatsanwaltschaft beinhalteten die Tatsachenbehauptung, dass der Zeuge B.   bestimmte inhaltliche Äußerungen gemacht hat. Es ging der Staatsanwaltschaft allein um die Tatsache des Bekundens und nicht um die objektive Richtigkeit des Inhalts der Aussage (vgl. [X.], Urteil vom 14. März 1990 – 3 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 3 Satz 2 [X.] 20).

Es ist unschädlich, dass das [X.] die als wahr unterstellten Aussagen des Zeugen [X.]in den Urteilsgründen als unerheblich angesehen hat ([X.]). Zwar dürfen nur erhebliche Tatsachen, die zu Gunsten des Angeklagten wirken und zu seiner Entlastung behauptet werden, als wahr unterstellt werden ([X.], [X.], 6. Aufl., § 244 Rn. 185). Da Beweisthema und damit Gegenstand der [X.] jedoch – wie bereits ausgeführt – nicht die unmittelbar beweiserheblichen Tatsachen (tätlicher Angriff auf den Zeugen [X.], wechselseitige Faustschläge, Angeklagter nicht im Besitz eines Messers), sondern die hierzu gemachten Angaben des [X.]betrafen, war die Kammer nicht gehalten, davon auszugehen, das tatsächliche Geschehen habe diesen Bekundungen entsprochen. Die Bewertung und Einstellung der Aussageinhalte in das Beweisgefüge war vielmehr Sache der [X.] ([X.], Urteil vom 20. April 1993 – 1 StR 886/92, [X.]R [X.] § 244 Abs. 3 Satz 2 [X.] 25). Im Hinblick auf die sonstige Beweislage, insbesondere die Einlassung des Angeklagten, der den tödlichen Messerstich eingeräumt hat, sowie die glaubhaften Aussagen der Zeugen [X.].   und [X.] , musste die [X.] aus den als wahr unterstellten Angaben des [X.]nicht die von der Antragstellerin bzw. dem Angeklagten an gestrebten Schlussfolgerungen ziehen (vgl. [X.], Urteil vom 24. Januar 2006 – 5 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 3 Satz 2 [X.] 37; [X.], [X.], 55. Aufl., § 244 Rn. 71a). Der Tatrichter braucht den Angeklagten in der Regel nicht vom Wechsel der Bewertung einer Beweisbehauptung zu unterrichten, wenn eine als wahr unterstellte [X.] sich nach dem Ergebnis der Urteilsberatung als bedeutungslos erweist. Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel gebieten können, liegen nicht vor (vgl. [X.], Urteil vom 14. März 1990 – 3 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 3 Satz 2 [X.] 20).

III.

Zur Sachrüge der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger

1. Die Beweiswürdigung, auf welche die Überzeugung der [X.] gründet, es sei lediglich ein [X.], nicht aber ein – auch nur bedingter – Tötungsvorsatz festzustellen, weist nach den Maßstäben sachlich-rechtlicher Prüfung durch das Revisionsgericht keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinanderliegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (st. Rspr., vgl. [X.], Urteile vom 28. Januar 2010 – 3 [X.], [X.], 144, 145; vom 20. September 2012 – 3 [X.]). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen und – weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt – auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des [X.] auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des [X.], seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind ([X.], Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 [X.], [X.], 443, 444; vom 22. März 2012 – 4 [X.], [X.], 1524, 1525 f.; vom 20. September 2012 – 3 [X.]). Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlung kann aus dem Wissen um einen möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des [X.] ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist ([X.], Urteile vom 17. Dezember 2009 – 4 [X.], [X.], 571, 572; vom 28. Januar 2010 – 3 [X.], [X.], 144).

2. Den sich daraus ergebenden Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil.

a) Das [X.] hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände vorgenommen und dabei insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Verletzungshandlung (Messerstich in den [X.]), den Tathergang (spontane, unüberlegte Tat im Rahmen eines unübersichtlichen, dynamischen Geschehens) und die psychische Verfassung des Angeklagten (angeheizte Stimmung, nicht alkoholisiert, voll schuldfähig) umfassend bedacht ([X.] – 44). Bei seiner Bewertung der [X.] hat es sich nicht mit allgemeinen, formelhaften Wendungen begnügt; vielmehr hat es seine Überzeugung, der Vorsatz des Angeklagten habe sich nur auf die Verwirklichung des Tatbestandes der gefährlichen Körperverletzung bezogen, mit auf den konkreten Fall abgestellten Erwägungen begründet.

b) Dass das [X.] sich keine Überzeugung davon verschaffen konnte, der Angeklagte habe gezielt auf den [X.] des [X.] eingestochen, ist das Ergebnis einer vollständigen, das Revisionsgericht bindenden Beweiswürdigung. Die [X.] hat dabei auch bedacht, dass „ein zum Herzen hin führender Stichkanal“ ein Indiz für die Zielgerichtetheit des Stichs sein kann ([X.]). Da das genaue Kampfgeschehen trotz Vernehmung zahlreicher Zeugen auf Grund der eingeschränkten Sichtverhältnisse, der festgestellten Bewegungsdynamik und der Unübersichtlichkeit der Auseinandersetzung hinsichtlich der genauen Körperhaltung des [X.] und des Angeklagten, des exakten Ablaufs der Stichbewegung und der [X.] der Tatausführung nicht weiter aufklärbar war, fehlen wesentliche Anknüpfungspunkte für die Annahme einer Zielgerichtetheit des dem Geschädigten beigebrachten tödlichen Herzstiches, zumal aus der Länge des [X.] – wie das sachverständig beratene [X.] näher ausgeführt hat – nicht ohne weiteres auf eine „enorme Wucht“ geschlossen werden kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. September 2001 – 4 [X.]; vom 22. Februar 2006 – 5 [X.]). Die Schlussfolgerungen des Tatrichters brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Das ist hier der Fall. Der [X.] ist zu einer abweichenden Würdigung nicht befugt.

c) Die sorgfältige Beweiswürdigung durch die [X.] begründet nicht die Besorgnis, das Tatgericht habe zu hohe Anforderungen an seine für eine Verurteilung wegen Totschlags notwendige Überzeugung gestellt. Das [X.] hat gesehen, dass auch bei einem nicht gezielten Stich in den Brustbereich bedingter Tötungsvorsatz gegeben sein kann (vgl. [X.], Urteil vom 17. Dezember 2009 – 4 [X.], [X.], 571, 572). Die Kammer hat in ihre Beweiserwägungen zu Recht diejenigen Umstände einbezogen, welche ein Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz in Frage stellten ([X.]). Denn selbst die offen zu Tage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen bedeutet zwar ein gewichtiges Indiz für einen (bedingten) Tötungsvorsatz, stellt aber keinen zwingenden Beweisgrund dar. Da das [X.] sich mit diesem Beweisanzeichen ausführlich auseinandergesetzt hat, ist nicht zu besorgen, es habe diesem Umstand ein zu geringes Gewicht beigemessen (vgl. [X.], Urteil vom 22. März 2012 – 4 [X.], [X.], 1524, 1525).

3. Soweit die Nebenkläger sich gegen die Höhe der Jugendstrafe wenden, steht dem § 400 Abs. 1 [X.] entgegen. Das Rechtsmittel der Nebenkläger kann nicht dazu führen, die Strafzumessung zu korrigieren ([X.], [X.], 55. Aufl., § 400 Rn. 7).

IV.

Zur Sachrüge des Angeklagten

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat einen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler nicht ergeben. Die Ausführungen, mit denen das [X.] zur Verneinung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt ist, halten revisionsrechtlicher Prüfung stand. Die [X.] hat sich bei der Prüfung der Frage, ob die Schuldfähigkeit auf Grund einer affektbedingten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung beeinträchtigt war, mit allen maßgeblichen Umständen in einer auf den konkreten Fall bezogenen Gesamtwürdigung auseinandergesetzt.

1. Die affektive Erregung stellt bei vorsätzlichen Tötungsdelikten, bei denen gefühlsmäßige Regungen eine Rolle spielen, eher den Normalfall dar. Ob die affektive Erregung einen solchen Grad erreicht hat, dass sie zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung und damit zu einem Eingangsmerkmal im Sinne von § 20 StGB geführt hat, ist anhand von tat- und täterbezogenen Merkmalen zu beurteilen, die als Indizien für und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen können. Diese Indizien sind dabei im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 27. Februar 2008 – 2 [X.], [X.], 510, 512; Beschluss vom 7. August 2012 – 2 [X.]/12).

2. Das sachverständig beratene [X.] hat die wesentlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen, im Urteil mitgeteilt ([X.]). Es hat sich diesen nicht lediglich angeschlossen, sondern die gebotene Gesamtwürdigung selbst vorgenommen. Die sorgfältigen Urteilsausführungen lassen nicht besorgen, dass das [X.] sich nur unvollständig mit den festgestellten Tatsachen auseinandergesetzt und für die Annahme eines schuldrelevanten Affekts möglicherweise sprechende Umstände außer [X.] gelassen hat. Das Gericht hat insbesondere die Gesichtspunkte bedacht, die für einen Affekt sprechen können (Tatablauf ohne besondere vorherige [X.], Missverhältnis zwischen Tatanstoß und Reaktion des Angeklagten, „Erschütterung“ des Angeklagten nach geglückter Flucht), und gesehen, dass es auch ohne spezifische Partnerbeziehung und Vorgeschichte zu Affektdelikten kommen kann (vgl. [X.]/[X.], Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., [X.]). Wenn die [X.] mit Blick auf die Tatvorgeschichte (keine Provokation durch das Tatopfer, von der Gruppe um den Angeklagten ausgehende Aggressionen) und das Tatgeschehen, das nicht durch eine  außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung des Angeklagten gekennzeichnet war, unter zusätzlicher Berücksichtigung des umsichtigen, von [X.] begleiteten [X.] (koordinierte, geordnete Flucht mit dem Bruder und Entsorgung des Tatmessers) einen relevanten (asthenischen) Affekt verneint hat, lässt dies einen Rechtsfehler nicht erkennen.

Für eine Anwendung des § 33 StGB war schon deshalb kein Raum, weil das [X.] rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass der Angeklagte sich zu keinem Zeitpunkt in einer Notwehrlage befunden hat (vgl. [X.], Urteil vom 13. November 2008 – 5 [X.], [X.], 70, 71).

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 [X.] und § 473 Abs. 1 und 2 [X.].

Mutzbauer                            Roggenbuck                           Cierniak

                      [X.][X.]

Meta

4 StR 357/12

28.02.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Arnsberg, 30. Januar 2012, Az: II-6 KLs 342 Js 50/11 - 2/11

§ 244 Abs 3 S 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO, § 20 StGB, § 212 StGB, § 227 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.02.2013, Az. 4 StR 357/12 (REWIS RS 2013, 7774)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7774

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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