Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.02.2013, Az. 4 StR 357/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 7773

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BUNDE[X.]GERICHT[X.]HOF

IM NAMEN DE[X.] VOLKE[X.]

URTEIL
4
[X.]tR
357/12

vom
28. Februar 2013
in der [X.]trafsache
gegen

wegen Körperverletzung mit Todesfolge

-
2
-
Der 4.
[X.]trafsenat des [X.] hat in der [X.]itzung vom 28.
Februar
2013, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer

als Vorsitzender,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Cierniak,
[X.],
Reiter

als beisitzende [X.],

[X.]in am [X.]

als Vertreterin
des
[X.],

Rechtsanwalt

,
Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

als Nebenklägervertreter,

der Nebenkläger

in Person,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Die Revisionen der [X.]taatsanwaltschaft, der Nebenkläger und des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30.
Januar 2012 werden verworfen.
2.
Die [X.]taatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der [X.]taatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Hinsichtlich des Rechtsmittels des Angeklagten wird von der Auferlegung der im Revisionsverfahren entstandenen Kosten und [X.] abgesehen; er hat jedoch die den [X.] durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen [X.] zu tragen. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch erwach-senen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der [X.]taatsanwaltschaft, die hinsichtlich der [X.]achrüge vom [X.] vertreten wird, beanstandet, dass das [X.] keinen
Tötungsvorsatz angenommen hat. Die Nebenkläger streben eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes (Heimtücke) an. Der Angeklagte wendet sich mit mehreren Verfahrensrügen und der ausgeführten [X.]achrüge gegen seine Verurteilung.
1
-
4
-
Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des [X.]s fand in der Nacht vom 28.

.

.

eine

.

K.

teilnahm.
[X.]pätestens
um 01.00
Uhr trafen dort auch der Angeklagte, sein Bruder E.

B.

und der Zeuge B.

[X.]

ein. Gegen 01.25
Uhr wollten T.

K.

und der Zeuge D.

, die sich am Rand der Tanzfläche auf-
hielten, noch etwas zu trinken holen. Auf dem Weg zur Theke rempelte T.

K.

versehentlich eine Person aus der Gruppe um den Angeklagten
an, wobei er umgehend mit der Hand eine entschuldigende Geste machte.
Die angerempelte Person, deren Identität nicht geklärt werden konnte, wollte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen und T.

K.

zur
Rede stellen. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang wurde der Zeuge
D.

von mehreren

mindestens zwei

Personen aus der Gruppe des
Angeklagten von hinten zur [X.]eite geschubst. [X.]odann rempelten die Personen T.

K.

-

.

K.

auf der einen [X.]eite und dem An-
geklagten sowie seinen Begleitern E.

B.

und B.

[X.]

auf der
anderen [X.]eite. Die Auseinandersetzung wurde von einem Wortgefecht beglei-tet, ohne dass es zu Faustschlägen oder Tritten zwischen den Kontrahenten kam. Dem Zeugen [X.].

gelang es nicht, beruhigend auf T.

K.

ein-
zuwirken. Der Zeuge C.

K.

, der Bruder des Geschädigten, ver-
suchte, diesen aus der [X.]ituation herauszuholen, indem er ihn von hinten packte und schräg links hinter sich stellte. Der Geschädigte riss sich jedoch los. In [X.] sah der Zeuge C.

K.

einen blitzenden Gegen-
2
3
-
5
-
stand, der von einer unbekannt gebliebenen Person stichartig von unten gegen seinen Körper geführt wurde. Der Zeuge wich aus, verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Auch die Zeugin Ki.

zog den T.

K.

von hin-
ten am rechten Arm, um eine Eskalation der Auseinandersetzung zu vermei-den.
Der Angeklagte erregte sich nunmehr über T.

K.

. Zudem
wurde die [X.]ituation für ihn durch das Eingreifen der vorgenannten Zeugen un-übersichtlich, zumal sich inzwischen

ausgelöst durch die geschilderte [X.]chub-serei

weitere Rangeleien entwickelt hatten, bei denen auch Faustschläge ausgeteilt wurden. [X.]pätestens während des Festhaltens des T.

K.

durch die Zeugin Ki.

nahm der Angeklagte mit der rechten Hand ein mitge-
führtes Klappmesser mit einschneidiger scharfer Klinge und einer
Klingenlänge von mindestens 14
cm aus seiner Jackentasche, öffnete das Messer mit der linken Hand und hielt es sodann mit der rechten Hand erhoben in Höhe seines Kopfes. Ob T.

K.

, der sich das Verhalten des Angeklagten und sei-
ner Begleiter nicht gefallen lassen wollte, das Messer bemerkte, konnte nicht geklärt werden. Er bewegte sich, nachdem er sich jeweils von seinem Bruder bzw. der Zeugin Ki.

ruckartig losgerissen hatte, in Richtung auf den Ange-

geballt hatte. Unmittelbare Körperverletzungshandlungen von [X.]eiten des [X.] und dem Angeklagten körperlich nicht überlegenen T.

K.

standen nicht bevor. Auch der Angeklagte befürchtete nicht ernsthaft, nunmehr

über das bisherige [X.]chubsen hinaus

tätlich angegriffen zu werden. Um sich das Tatopfer vom Leib zu halten, stach nunmehr der Angeklagte in seiner
Erregung mit einer einzigen [X.]tichbewegung in Richtung von T.

K.

,
wobei er diesen treffen und verletzen wollte, ohne jedoch auf eine bestimmte Körperstelle zu zielen. Der [X.]tich hatte eine Wucht von mindestens drei Kilopond 4
-
6
-
und drang im Bereich der linken oberen seitlichen Brustwand, in der Nähe des [X.], in den Körper ein. Der [X.]tichkanal verlief etwas absteigend
nach innen gerichtet und war insgesamt 16,5
cm bis 17
cm lang. Das Messer durchstach den linken [X.] und drang in den [X.] und die [X.] ein. Das Tatopfer taumelte ein paar [X.]chritte zurück und sackte nach einigen [X.]ekunden zu Boden. T.

K.

verstarb um
04.55
Uhr im Krankenhaus nach mehreren erfolglosen [X.].
Die [X.] konnte nicht klären, ob der Angeklagte unmittelbar vor dem [X.]tich das Messer noch über dem Kopf erhoben hatte und vor dem [X.]tich ausholte. Feststellungen zum exakten Verlauf der [X.]tichbewegung sowie zu den genauen Körperhaltungen des Angeklagten und des [X.] konnten nicht getroffen werden.
Der Angeklagte, der von vornherein nur einmal zustechen wollte, zog das Messer nach dem [X.]tich aus dem Körper des Geschädigten heraus und ergriff gemeinsam mit seinem Bruder E.

B.

die Flucht, indem sie schnellen
[X.]chrittes

ohne aber zu rennen

über die Tanzfläche der Gaststätte zum Aus-gang gingen. Unterwegs entledigte sich der Angeklagte des bei der Tat ver-wendeten Messers, das unauffindbar blieb. Telefonisch verabredete er mit dem Zeugen [X.]

ein Treffen an einem [X.]pielplatz in [X.].

. Dort zeigte sich der
Angeklagte von seiner Tat sichtlich geschockt. Er war verwirrt und zappelte hin und her. Gegenüber dem Zeugen [X.]

.

-

und habe jemanden mit einem Messer gestochen, was in der [X.]ituation nicht hätte sein müssen. Er wisse aber nicht, wohin und (UA
[X.].
13).
5
6
-
7
-
Das [X.] hat direkten [X.] angenommen, sich hingegen von einem (auch nur bedingten) Tötungsvorsatz nicht überzeu-gen können. Der Angeklagte sei sich zwar der potentiellen Lebensgefährlichkeit seiner Handlungsweise bewusst gewesen. Der Todeseintritt sei von ihm aber nicht in seinen Willen aufgenommen und gebilligt worden. Die Einlassung des Angeklagten, der Messerstich sei ungezielt gewesen, sei letztlich nicht zu
widerlegen. Da das Tatgeschehen hinsichtlich der genauen Körperhaltung des Angeklagten und des Geschädigten, des exakten Verlaufs der [X.]tichbewegung und der genauen Messerhalteposition unklar geblieben sei, fehlten wesentliche Anknüpfungspunkte für die Feststellung einer Zielgerichtetheit des Messer-stichs. Gegen das voluntative Element des Tötungsvorsatzes spreche insbe-sondere, dass es sich bei dem Messerstich um eine einzige, spontane, unüber-legte und in angeheizter [X.]timmung ausgeführte Handlung im Verlauf einer (gruppen-)dynamischen gegenseitigen Auseinandersetzung inmitten einer grö-ßeren, unübersichtlichen Menschenmenge gehandelt habe. Ein Tötungsmotiv sei nicht ersichtlich, zumal der Angeklagte und der Geschädigte sich vor der Tat nicht gekannt hätten. Gegen einen Tötungsvorsatz lasse sich auch anführen, dass die Tat vor zahlreichen Zeugen stattgefunden habe und der Angeklagte nicht davon habe ausgehen können, dass letztlich niemand den Messerstich beobachten werde. Die nach der Tat gegenüber dem Zeugen [X.]

gezeigte
Erschütterung deute darauf hin, dass dem Angeklagten der Tod des [X.]

[X.].
44).
Die Einsichts-
bzw. [X.]teuerungsfähigkeit des Angeklagten sei zur Tatzeit nicht vermindert
gewesen. Das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusstseins-störung im [X.]inne der §§
20, 21 [X.]tGB könne nach einer Gesamtwürdigung der für und gegen die Annahme eines hochgradigen Affekts sprechenden Umstän-de ausgeschlossen werden. Es habe zwar eine gewisse affektive Erregung, 7
8
-
8
-
jedoch keineswegs eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Belas-tung des Angeklagten vorgelegen.
II.
Die von der [X.]taatsanwaltschaft, den [X.] und dem Angeklag-ten erhobenen Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschriften des [X.] vom 7.
November 2012 keinen Erfolg. [X.]ie sind
jedenfalls unbegründet.
Zu den [X.] der [X.]taatsanwaltschaft, der Nebenkläger und des Ange-klagten, das [X.] habe die in den Beweisanträgen der [X.]taatsanwalt-schaft vom
12.
Oktober 2011 enthaltenen [X.] über die Anga-ben des Zeugen E.

B.

, die dieser in den später ausgesetzten Haupt-
verhandlungen am 8.
Juni 2011 und 24.
August 2011 gemacht habe, nicht ge-mäß §
244 Abs.
3 [X.]atz
2 [X.]tPO als wahr unterstellen dürfen, bemerkt der [X.]enat ergänzend zu den Ausführungen des [X.]:
Der Umstand, dass das [X.] die behaupteten Angaben des Zeu-gen E.

B.

, die dieser gegenüber den als Zeugen benannten [X.]n in
den beiden vorangegangenen und später ausgesetzten Hauptverhandlungen gemacht haben soll, als wahr unterstellt hat, gibt keinen Anlass zu der [X.], das [X.] habe [X.]inn und Zweck der Beweisanträge unzulässig [X.] oder umgedeutet. Denn die Beweisanträge der [X.]taatsanwaltschaft [X.] die Tatsachenbehauptung, dass der Zeuge B.

bestimmte inhalt-
liche Äußerungen gemacht hat. Es ging der [X.]taatsanwaltschaft allein um die Tatsache des Bekundens und nicht um die objektive Richtigkeit des Inhalts der 9
10
11
-
9
-
Aussage (vgl. [X.], Urteil vom 14.
März 1990

3
[X.]tR
109/89, [X.]R [X.]tPO §
244 Abs.
3 [X.]atz
2 Wahrunterstellung 20).
Es ist unschädlich, dass das [X.] die als wahr unterstellten [X.] des Zeugen E.

B.

in den Urteilsgründen als unerheblich angese-
hen hat (UA [X.].
31). Zwar dürfen nur erhebliche Tatsachen, die zu Gunsten des Angeklagten wirken und zu seiner Entlastung behauptet werden, als wahr un-terstellt werden ([X.], [X.]tPO, 6.
Aufl., §
244 Rn.
185). Da Beweisthema und damit Gegenstand der
Wahrunterstellung jedoch

wie bereits ausgeführt

nicht die unmittelbar beweiserheblichen Tatsachen (tätlicher Angriff auf den Zeugen [X.]

, wechselseitige Faustschläge, Angeklagter nicht im Besitz eines
Messers), sondern die hierzu gemachten Angaben des Zeugen B.

betra-
fen, war die Kammer nicht gehalten, davon auszugehen, das tatsächliche [X.] habe diesen Bekundungen entsprochen. Die Bewertung und Einstel-lung der Aussageinhalte in das Beweisgefüge war vielmehr [X.]ache der [X.]traf-kammer ([X.],
Urteil vom 20.
April 1993

1
[X.]tR
886/92, [X.]R [X.]tPO §
244 Abs.
3 [X.]atz
2 Wahrunterstellung
25). Im Hinblick auf die sonstige Beweislage, insbesondere die Einlassung des Angeklagten, der den tödlichen Messerstich eingeräumt hat, sowie die glaubhaften Aussagen der Zeugen Ki.

und
D.

, musste die [X.]trafkammer aus den als wahr unterstellten Angaben
des Zeugen B.

nicht die von der Antragstellerin bzw. dem Angeklagten
an-
gestrebten [X.]chlussfolgerungen ziehen (vgl. [X.], Urteil vom 24.
Januar 2006

5
[X.]tR
410/05, [X.]R [X.]tPO §
244 Abs.
3 [X.]atz
2 Wahrunterstellung
37; [X.], [X.]tPO, 55.
Aufl., §
244 Rn.
71a). Der Tatrichter braucht den Angeklag-ten in der Regel nicht vom Wechsel der Bewertung einer Beweisbehauptung zu unterrichten, wenn eine als wahr unterstellte [X.] sich nach dem Er-gebnis der Urteilsberatung als bedeutungslos erweist. Umstände, die eine Aus-nahme von dieser Regel gebieten können, liegen nicht vor (vgl. [X.], Urteil 12
-
10
-
vom 14.
März 1990

3
[X.]tR
109/89, [X.]R [X.]tPO §
244 Abs.
3 [X.]atz
2 Wahr-unterstellung
20).
III.
Zur [X.]achrüge der [X.]taatsanwaltschaft und der Nebenkläger
1.
Die Beweiswürdigung, auf welche die Überzeugung der [X.]trafkammer gründet, es sei lediglich ein [X.], nicht aber ein

auch nur be-dingter

Tötungsvorsatz festzustellen, weist nach den Maßstäben sachlich-rechtlicher Prüfung durch das Revisionsgericht keinen durchgreifenden Rechts-fehler auf.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges
als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der [X.] zumindest abfindet. Da die [X.]chuldformen des beding-ten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng [X.], müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens-
als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (st. Rspr., vgl. [X.], Urteile vom 28.
Januar 2010

3
[X.]tR
533/09,
N[X.]tZ-RR 2010, 144, 145; vom 20.
[X.]eptember 2012

3
[X.]tR
158/12). Bei äu-ßerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne durch diese
zu Tode kommen und

weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt

auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein [X.]chluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des [X.] auf bedingten Tötungsvor-13
14
15
-
11
-
satz grundsätzlich möglich. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objekti-ven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in welche vor allem die objek-tive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des [X.], [X.] psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind ([X.], Urteile vom 23.
Februar 2012

4
[X.]tR
608/11, N[X.]tZ 2012, 443, 444; vom 22.
März 2012

4
[X.]tR
558/11, [X.], 1524, 1525
f.; vom 20.
[X.]eptember 2012

3
[X.]tR
158/12). Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlung kann aus dem Wissen um einen möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des [X.] ergebenden Besonderheiten [X.] werden, dass auch das

selbständig neben dem Wissenselement stehende

voluntative Vorsatzelement gegeben ist ([X.], Urteile vom 17.
De-zember 2009

4
[X.]tR
424/09, N[X.]tZ 2010, 571, 572; vom 28.
Januar 2010

3
[X.]tR
533/09, N[X.]tZ-RR 2010, 144).
2.
Den sich daraus ergebenden Anforderungen entspricht das angefoch-tene Urteil.
a)
Das [X.] hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen ob-jektiven und subjektiven Tatumstände vorgenommen und dabei insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Verletzungshandlung (Messerstich in den Herz-bereich), den [X.] (spontane, unüberlegte Tat im Rahmen eines un-übersichtlichen, dynamischen Geschehens) und die psychische Verfassung des Angeklagten (angeheizte [X.]timmung, nicht alkoholisiert, voll schuldfähig) umfas-send bedacht (UA
[X.].
38

44). Bei seiner Bewertung der [X.] hat es sich nicht mit allgemeinen, formelhaften Wendungen begnügt; vielmehr hat es seine Überzeugung, der Vorsatz des Angeklagten habe sich nur auf die 16
17
-
12
-
Verwirklichung des Tatbestandes der gefährlichen Körperverletzung bezogen, mit auf den konkreten Fall abgestellten Erwägungen begründet.
b)
Dass das [X.] sich keine Überzeugung davon verschaffen konnte, der Angeklagte habe gezielt auf den [X.] des [X.] einge-stochen, ist das Ergebnis einer vollständigen, das Revisionsgericht bindenden
etheit des [X.]tichs sein kann (UA
[X.].
40). Da das genaue
Kampfgeschehen trotz Vernehmung zahl-reicher Zeugen auf Grund der eingeschränkten [X.]ichtverhältnisse, der festge-stellten Bewegungsdynamik und der Unübersichtlichkeit der [X.] hinsichtlich der genauen Körperhaltung des [X.] und des Angeklag-ten, des exakten Ablaufs der [X.]tichbewegung und der [X.] der Tatausführung nicht weiter aufklärbar war, fehlen wesentliche Anknüp-fungspunkte für die Annahme einer Zielgerichtetheit des dem Geschädigten beigebrachten tödlichen Herzstiches, zumal aus der Länge des [X.]tichkanals

wie das sachverständig beratene [X.] näher ausgeführt hat

nicht Beschlüsse vom 25.
[X.]eptember 2001

4
[X.]tR
353/01; vom 22.
Februar 2006

5
[X.]tR
583/05). Die [X.]chlussfolgerungen des Tatrichters brauchen nicht zwin-gend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Das ist hier der Fall. Der [X.]enat ist zu einer abweichenden Würdigung nicht befugt.
c)
Die sorgfältige Beweiswürdigung durch die [X.]trafkammer begründet nicht die Besorgnis, das Tatgericht habe zu hohe Anforderungen an seine für eine Verurteilung wegen Totschlags notwendige Überzeugung gestellt. Das [X.] hat gesehen, dass auch bei einem nicht gezielten [X.]tich in den Brustbereich bedingter Tötungsvorsatz gegeben sein kann (vgl. [X.], Urteil 18
19
-
13
-
vom 17.
Dezember 2009

4
[X.]tR
424/09, N[X.]tZ 2010, 571, 572). Die Kammer hat in ihre Beweiserwägungen zu Recht diejenigen Umstände einbezogen, [X.] ein Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz
in Frage stellten (UA
[X.].
43/44). Denn selbst die offen zu Tage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verlet-zungen bedeutet zwar ein gewichtiges Indiz für einen (bedingten) Tötungsvor-satz, stellt aber keinen zwingenden Beweisgrund dar. Da das [X.] sich mit diesem Beweisanzeichen ausführlich auseinandergesetzt hat, ist nicht zu besorgen, es habe diesem Umstand ein zu geringes Gewicht beigemessen (vgl. [X.], Urteil vom 22.
März 2012

4
[X.]tR
558/11, [X.], 1524, 1525).
3.
[X.]oweit die Nebenkläger sich gegen die Höhe der Jugendstrafe [X.], steht dem §
400 Abs.
1 [X.]tPO entgegen. Das Rechtsmittel der Nebenkläger kann nicht dazu führen, die [X.]trafzumessung zu korrigieren ([X.], [X.]tPO, 55.
Aufl., §
400 Rn.
7).
IV.
Zur [X.]achrüge des Angeklagten
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der [X.]achrüge hat einen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler nicht ergeben. Die [X.], mit denen das [X.] zur Verneinung einer erheblich vermin-derten [X.]chuldfähigkeit des Angeklagten gelangt ist, halten revisionsrechtlicher Prüfung stand. Die [X.] hat sich bei der Prüfung der Frage, ob die [X.]chuldfähigkeit auf Grund einer affektbedingten tiefgreifenden Bewusstseins-störung beeinträchtigt war, mit allen maßgeblichen Umständen in einer auf den konkreten Fall bezogenen Gesamtwürdigung auseinandergesetzt.
20
21
22
-
14
-
1.
Die affektive Erregung stellt bei vorsätzlichen Tötungsdelikten, bei de-nen gefühlsmäßige Regungen eine Rolle spielen, eher den Normalfall dar. Ob die affektive Erregung einen solchen Grad erreicht hat, dass sie zu einer tief-greifenden Bewusstseinsstörung und damit zu einem Eingangsmerkmal im [X.]in-ne von §
20 [X.]tGB geführt hat, ist anhand von tat-
und täterbezogenen [X.] zu beurteilen, die als Indizien für und gegen die Annahme
eines schuld-relevanten Affekts sprechen können. Diese Indizien sind dabei im Rahmen
einer umfassenden Gesamtwürdigung zu beurteilen (st.
Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 27.
Februar 2008

2
[X.]tR
603/07, N[X.]tZ 2008, 510, 512; Beschluss vom 7.
August 2012

2
[X.]tR
218/12).
2.
Das sachverständig beratene [X.] hat die wesentlichen Grund-lagen, an die die [X.]chlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen, im Urteil [X.] (UA
[X.].
45/46). Es hat sich diesen nicht lediglich angeschlossen, sondern die gebotene Gesamtwürdigung selbst vorgenommen. Die sorgfältigen Urteils-ausführungen lassen nicht besorgen, dass das [X.] sich nur unvollstän-dig mit den festgestellten Tatsachen auseinandergesetzt und für die Annahme eines schuldrelevanten Affekts möglicherweise sprechende Umstände außer [X.] gelassen hat. Das Gericht hat insbesondere die Gesichtspunkte bedacht, die für einen Affekt sprechen können (Tatablauf ohne besondere vorherige
[X.]icherungstendenzen, Missverhältnis zwischen Tatanstoß und Reaktion des [X.], dass es auch ohne spezifische Partnerbeziehung und Vorgeschichte zu Affektdelikten kommen kann (vgl. [X.]/[X.], Forensische Psychiatrie, 4.
Aufl., [X.].
281). Wenn die [X.] mit Blick auf die Tatvorgeschichte (keine Provokation durch das Tatopfer, von der Gruppe um den Angeklagten ausgehende Aggressionen) und das Tatgeschehen, das nicht durch eine
außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung des Angeklagten ge-23
24
-
15
-
kennzeichnet war, unter zusätzlicher Berücksichtigung des umsichtigen, von [X.]icherungstendenzen begleiteten [X.] (koordinierte, geordnete Flucht mit dem Bruder und Entsorgung des Tatmessers) einen relevanten
(asthenischen) Affekt verneint hat, lässt dies einen Rechtsfehler nicht erkennen.
Für eine Anwendung des §
33 [X.]tGB war schon deshalb kein Raum, weil das [X.] rechtsfehlerfrei festgestellt
hat, dass der Angeklagte sich zu keinem Zeitpunkt in einer Notwehrlage befunden hat (vgl. [X.], Urteil vom 13.
November 2008

5
[X.]tR
384/08, N[X.]tZ-RR 2009, 70, 71).
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
74 [X.] und §
473 Abs.
1 und 2 [X.]tPO.
Mutzbauer
Roggenbuck
Cierniak

Quentin
Reiter
25
26

Meta

4 StR 357/12

28.02.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.02.2013, Az. 4 StR 357/12 (REWIS RS 2013, 7773)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7773

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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