Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.05.2018, Az. 1 StR 123/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 9062

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:160518B1STR123.18.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 [X.]/18

vom
16. Mai
2018
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Mordes u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des Beschwerde-führers
und des [X.]

zu 3. auf dessen
Antrag

am 16.
Mai
2018
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO
sowie entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. Oktober 2017
a)
im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Bedrohung verurteilt ist,
b)
im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall [X.] (Tat zum Nachteil des

[X.]

) und über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkam-mer des [X.]s zurückverwiesen.
3.
Die weitergehende Revision
wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.] sowie Bedrohung zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Revision des Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, erzielt den aus der [X.]
-
3
-
schlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes hat keinen Bestand.
a) Nach den Feststellungen des [X.]s fuhren der Angeklagte, der Geschädigte [X.]

sowie weitere Personen am frühen Morgen des 25.
Dezem-.

B.

nach Kr.

am [X.]. Während der Fahrt musste sich der Angeklagte im Taxi zweimal übergeben. Aufgrund dessen war eine Diskussion mit dem Taxifahrer, dem Zeugen Ü.

, der sich zunächst weigerte weiter zu fahren, über die Übernahme der Kosten für die Reinigung des Fahrzeugs ent-standen und der Angeklagte hatte dem Taxifahrer ein Klappmesser mit einer acht bis zehn cm langen Klinge an den Hals gehalten und diesen bedroht. Vor einem Halt in Kr.

kam es erneut zu einem Streit über die [X.] und der Zeuge Be.

verlangte, dass sich alle Fahrzeuginsassen an den Kosten beteiligen sollten, was der Geschädigte [X.]

ablehnte. Nachdem der Angeklagte und der Geschädigte [X.]

bei dem Halt in Kr.

ausge-stiegen waren, versetzte der Angeklagte dem Geschädigten [X.]

,
als beide neben der Beifahrertür des Taxis standen, aus Wut über dessen Weigerung, sich an den Reinigungskosten zu beteiligen, ohne Vorwarnung zwei Faust-schläge gegen das Kinn. Im unmittelbaren [X.] daran stach er mit dem Klappmesser

wiederum ohne Vorwarnung und ohne etwas zu sagen

mit des Halses des Geschädigten [X.]

, um sich an diesem abzureagieren. Durch die zwei Faustschläge erlitt der Geschädigte [X.]

zwei

4 cm und 1,5 cm lange

[X.], zudem wurde ihm kurz schwarz vor Augen; durch den Stich mit dem Messer erlitt er eine ca. 2,5
cm lange, nicht konkret lebensgefährliche, mindestens 2 cm tiefe Schnitt-wunde an der linken [X.].
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Für den Zeugen [X.]

kamen nach den Feststellungen des [X.]s nicht nur die beiden Faustschläge, sondern auch die Messerattacke

unter anderem
wegen der zur Tatzeit aufgrund der Dunkelheit eingeschränkten Sichtverhältnisse

vollkommen überraschend, weswegen er sich dem [X.] des Angeklagten entsprechend gegen den Messerangriff nicht zu verteidigen oder zu fliehen vermochte. Der Geschädigte nahm erst nach dem Messerangriff
das Messer in der Hand des Angeklagten wahr; zu diesem Zeitpunkt hatte er allerdings noch nicht realisiert, dass der Angeklagte es bereits gegen ihn einge-setzt und ihn verletzt hatte, und rannte sofort panisch in [X.].
b) Das [X.] hat sowohl einen bedingten Tötungsvorsatz bei der Messerattacke als auch die Arg-
und Wehrlosigkeit des Geschädigten [X.]

in diesem Zeitpunkt angenommen. Es hat jedenfalls
das für das Mordmerkmal der Heimtücke erforderliche [X.] des Angeklagten nicht aus-reichend belegt.
In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des [X.] nicht nur voraus, dass der Täter
die Arg-
und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers [X.] zur Tatbegehung ausnutzt ([X.], Urteil vom 24. September 2014

2 [X.], [X.], 214, 215). Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke be-gründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st.
Rspr.;
vgl. nur [X.], Urteil vom 14. Juni 2017

2 StR 10/17 Rn. 10, [X.], 278, 279 mwN).
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5
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Das [X.] kann bereits dem objektiven Bild des [X.] entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter

wie bei Schüssen in den Rücken des Opfers

auf der Hand liegt ([X.], Beschluss vom 30. Juli 2013

2 StR 5/13, [X.], 709, 710; Urteil vom 15.
November 2017

5 StR 338/17 Rn. 15, [X.], 45, 47). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des [X.], die [X.] in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer
realistisch wahrzunehmen und einzu-schätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt ([X.], Urteile vom 27. Februar 2008

2 [X.], [X.], 510, 511;
vom 31. Juli 2014

4 [X.], [X.], 30, 31 mwN
und
vom 15.
November 2017

5
StR 338/17 Rn. 15, [X.], 45, 47). Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg-
und Wehrlosig-keit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des [X.] ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das [X.] fehlte ([X.], Urteil vom 15.
November 2017

5 StR 338/17 Rn.
15, [X.], 45, 47).
Vorliegend hat das [X.] aus dem objektiven Geschehensablauf darauf geschlossen, dass der Angeklagte sich die Arg-
und Wehrlosigkeit des Geschädigten [X.]

zunutze machen wollte. Maßgebliche Bedeutung hat es dabei dem Überraschtsein des Geschädigten [X.]

sowohl von den
zwei Faustschlägen als auch von der unmittelbar folgenden Messerattacke und den aufgrund der Dunkelheit eingeschränkten Sichtverhältnissen beigemessen. An-gesichts der Feststellungen, dass dem mit Tötungsvorsatz ausgeführten
Messerstich zwei mit [X.] ausgeführte Faustschläge un-mittelbar vorausgingen, ist vorliegend das objektive Bild des Geschehens

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ders als etwa bei Schüssen in den Rücken eines Opfers

nicht derart eindeu-tig, dass allein daraus auf ein [X.] beim Angeklagten im maßgeblichen Zeitpunkt der Messerattacke geschlossen werden könnte.
Hinzu kommt, dass der Angeklagte wegen des kurz zuvor erfolgten Messereinsatzes
gegen den Taxifahrer Ü.

davon ausgehen konnte, dass sein Messer und [X.] Bereitschaft dieses einzusetzen dem Geschädigten [X.]

gegenwärtig [X.].
Dies gilt besonders auch vor dem Hintergrund, dass das [X.] zu-gleich eine affektive Erregung sowie eine Alkoholisierung des Angeklagten, der eine nicht vollkommen unerhebliche Menge hochprozentigen Alkohols konsu-miert hatte, und die Spontaneität der Tatbegehung festgestellt hat ([X.], 36), und damit allesamt Umstände, die nach dem zuvor Ausgeführten gegen ein [X.] sprechen können. Zudem ist angesichts des ra-schen Tatgeschehens und der zuvor genannten Gesichtspunkte nicht nachvoll-ziehbar belegt, dass das Vorgehen des Angeklagten einem [X.] entspro-chen habe ([X.], 36 f.) und der Tatort von diesem gewählt worden sei ([X.]).
c) Der Senat schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, auf deren Grundlage eine Verurteilung wegen eines versuchten [X.] erfolgen kann. Jedoch sind die Voraussetzungen eines versuchten [X.] nach §§
212, 22, 23 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt. Mit Blick darauf war der Schuldspruch entsprechend §
354 Abs. 1 StPO zu ändern. §
265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht erfolgreicher
als [X.] hätte verteidigen können.
2. [X.] entzieht der Einzelstrafe wegen der
tateinheitlich begangenen Straftaten zum Nachteil des Zeugen [X.]

und der Gesamtstrafe die Grundlage. Die dem zugrunde liegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. 9
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Der Senat kann ausschließen, dass die Einzelstrafe von neun Monaten Frei-heitsstrafe im Fall [X.] der Urteilsgründe (Bedrohung zum Nachteil des Zeugen Ü.

) von dem aufgezeigten Rechtsfehler beeinflusst ist.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat daraufhin, dass ge-gen die strafschärfende Berücksichtigung einer besonders rechtsfeindlichen Gesinnung im Hinblick darauf, dass der Angeklagte den Zeugen H.

veran-lasst habe, massiv zu versuchen, die Zeugen F.

und [X.]

einzuschüchtern und von einer Aussage bei der Polizei abzuhalten, im Rahmen der Strafzumes-sung Bedenken bestehen, da eine solche Veranlassung durch den Angeklag-ten nicht festgestellt ist (siehe [X.], 42).
Raum Jäger

Cirener

Radtke Hohoff
11

Meta

1 StR 123/18

16.05.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.05.2018, Az. 1 StR 123/18 (REWIS RS 2018, 9062)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9062

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