Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.10.2018, Az. VIII ZR 212/17

8. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 2773

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VERSPÄTUNG/PRÄKLUSION BERUFUNG

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Gegenstand

Berufungsverfahren im Streit um eine Kaufpreiszahlung für ein Wohnmobil: Berücksichtigung eines erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeübten Gestaltungsrechts des Widerrufs bei Verbraucherverträgen und des erstmaligen Vortrags zu den tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Gestaltungsrechts


Leitsatz

1. Der Vortrag einer Partei, dass ein Gestaltungsrecht erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeübt worden ist (hier: Widerruf gemäß §§ 312b, 312g, 355 f. BGB), ist in der Berufungsinstanz grundsätzlich unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen. Hierauf ist ohne Einfluss, ob die Erklärung des Gestaltungsrechts als solche von der Gegenseite bestritten wird oder (was der Regel entsprechen dürfte) zwischen den Parteien unstreitig ist.

2. Wenn eine Partei zulässigerweise erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung von einem Gestaltungsrecht Gebrauch macht, begründet es keine Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO, dass sie zu den (weiteren) tatbestandlichen Voraussetzungen des betreffenden Gestaltungsrechts erstmals in der Berufungsinstanz vorträgt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 28. Zivilsenats des [X.] vom 21. September 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte erwarb am 16. Januar 2015 ein von der Klägerin, einer Händlerin, zuvor als "integriertes Neufahrzeug" im [X.] zum Verkauf angebotenes Wohnmobil [X.] 841 L zum Preis von insgesamt 177.900 €. Der Kaufpreis war in Höhe von 71.500 € in bar - worauf der Beklagte 1.000 € anzahlte - sowie in Höhe des Restbetrags durch die Inzahlungnahme des Wohnmobils [X.] des Beklagten zu entrichten. Am Folgetag, also noch vor Übergabe der genannten Fahrzeuge, erlitt das Wohnmobil [X.] des Beklagten einen Unfall ([X.]). Die Klägerin verweigerte daraufhin die Inzahlungnahme des unfallbeschädigten Wohnmobils des Beklagten.

2

Das [X.] hat der auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des [X.] in Höhe von 176.900 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wohnmobils [X.], sowie auf Feststellung von dessen Annahmeverzug gerichteten Klage stattgegeben. Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils erklärte der Beklagte erstmals mit an die Klägerin gerichtetem Schreiben vom 29. September 2015 den Widerruf des streitgegenständlichen Kaufvertrags, da er diesen als Verbraucher außerhalb der Geschäftsräume der Klägerin geschlossen habe, und hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag, weil das Wohnmobil [X.] - wie er erst jetzt erfahren habe - bereits am 7. Oktober 2013 an einen Vertragshändler ausgeliefert worden war und damit - entgegen den getroffenen Vereinbarungen - kein Neufahrzeug mehr gewesen sei. Auf die Berufung des Beklagten, mit der er außerdem widerklagend die Rückzahlung der bereits geleisteten 1.000 € beantragt hat, hat das [X.] die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Abweisung der Widerklage.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

5

Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung des (Rest-)Kaufpreises für das Wohnmobil [X.] aus § 433 Abs. 2 [X.], Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, nicht (mehr) zu, da der Beklagte sich wirksam von dem über das Wohnmobil geschlossenen Kaufvertrag gelöst habe. Aufgrund dessen komme es - anders als noch in erster Instanz - nicht mehr darauf an, ob der Beklagte nach dem mit dem Altfahrzeug erlittenen Verkehrsunfall noch berechtigt gewesen sei, einen Teil des vereinbarten Kaufpreises durch die Inzahlunggabe dieses Fahrzeugs zu erbringen (§ 364 [X.]).

6

Allerdings sei es dem [X.] verwehrt, die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises bereits unter Berufung auf den erstmals mit Schriftsatz vom 29. September 2015 erklärten Widerruf (§ 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1, §§ 355 ff. [X.]) zu verweigern, da sein hierzu gehaltener Vortrag gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen sei. Zwar sei die Tatsache, dass der Beklagte nach Einlegung der Berufung gegen das angefochtene Urteil rechtzeitig den Widerruf seiner zum Kaufvertrag führenden Willenserklärung(en) ausgesprochen habe, für sich genommen unstreitig und habe deshalb auch im [X.] Berücksichtigung zu finden. Die Umstände, die der Beklagte zur Begründung des Widerrufsrechts herangezogen habe - insbesondere betreffend sein Handeln als Verbraucher, den Ort und den [X.]punkt des Vertragsschlusses sowie die fehlende Widerrufsbelehrung - seien hingegen überwiegend von der Klägerin bestritten worden, so dass er sich auf diese nur dann hätte berufen können, wenn er Anhaltspunkte vorgetragen hätte, die ihre Zulassung nach der hier allein in Betracht kommenden Regelung in § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO hätten rechtfertigen können. Daran fehle es jedoch, denn dem [X.] sei es aufgrund vollständiger Tatsachenkenntnis ohne weiteres möglich gewesen, bereits in erster Instanz den auf die §§ 312b, 312g, 355 [X.] gestützten Widerruf zu erklären. Dass dies unterblieben sei, beruhe auf einer Verletzung der dem [X.] obliegenden Prozessförderungspflicht.

7

Nicht präkludiert gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 [X.] sei der Beklagte hingegen mit seinem Sachvortrag zur Begründung des vertraglichen Rücktrittsrechts, da er durch Vorlage von Schreiben belegt habe, dass er erstmals im September 2015 und damit erst nach der Entscheidung des [X.] in Erfahrung gebracht habe, dass das Wohnmobil [X.] kein Neufahrzeug sei. Der Rücktritt sei auch wirksam. Denn nach den insoweit - mangels Übergabe des Fahrzeugs - einschlägigen Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts in § 326 Abs. 5, §§ 275, 323 [X.] weise das Wohnmobil [X.] einen erheblichen und nicht zu behebenden Mangel auf, da es entgegen der (stillschweigenden) Vereinbarung der [X.]en im [X.]punkt des Kaufvertragsschlusses im Januar 2015 kein Neufahrzeug (mehr) gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des [X.] sei ein Kraftfahrzeug nur dann ([X.], wenn unter anderem zwischen Herstellung und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate lägen. Hier aber sei das Wohnmobil bereits am 7. Oktober 2013 an einen Händler ausgeliefert worden; gekauft habe der Beklagte es erst rund 15 Monate später. Ob das Wohnmobil außerdem auch deshalb nicht mehr als Neufahrzeug anzusehen sei, weil - was streitig ist - im Jahr 2014 ein Modellwechsel erfolgt sei oder weil die Klägerin mit dem Fahrzeug zuvor bereits eine nicht unerhebliche Fahrtstrecke absolviert habe, bedürfe insofern keiner Entscheidung.

8

Auf die Erfüllung des Kaufvertrags habe die Klägerin keinen Anspruch mehr. Infolge des wirksamen Rücktritts des [X.] habe dieser die ihm angebotene Abnahme des Wohnmobils [X.] verweigern dürfen. Die Klägerin sei im Übrigen verpflichtet, im Rahmen der Rückabwicklung des Kaufvertrags die von dem [X.] geleistete Anzahlung in Höhe von 1.000 € zurückzuerstatten.

II.

9

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung des restlichen Kaufpreises (§ 433 Abs. 2 [X.]) nicht verneint und der von dem [X.] widerklagend geltend gemachte Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung (§ 346 Abs. 1 [X.]) nicht bejaht werden, auch wenn es sich - wie das Berufungsgericht in der Sache zutreffend angenommen hat - bei dem von der Klägerin angebotenen Wohnmobil nicht um das nach dem Kaufvertrag geschuldete Neufahrzeug handelte.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Pflicht des [X.] zur Zahlung des Kaufpreises nicht bereits dadurch entfallen, dass dieser durch seine Erklärung im Schreiben vom 29. September 2015 wirksam vom streitgegenständlichen Kaufvertrag zurückgetreten ist (§§ 323, 346 ff. [X.]). Denn weder hatte der Beklagte der Klägerin zuvor eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gesetzt (§ 323 Abs. 1 [X.]), noch war eine solche vorliegend - jedenfalls auf Grundlage der bisherigen Feststellungen - gemäß § 326 Abs. 5 [X.] entbehrlich.

a) Noch ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Beklagte dem Kläger ein nach dem [X.] "Neufahrzeug" (bislang) nicht angeboten hat. Denn wie das Berufungsgericht - von der Revision unangegriffen - festgestellt hat, war das streitgegenständliche Wohnmobil bei Kaufvertragsabschluss am 16. Januar 2015 bereits über 15 Monate alt und damit nach der einschlägigen [X.]srechtsprechung, die auch auf den Kauf von [X.] Anwendung findet, entgegen der von den [X.]en getroffenen Vereinbarung nicht mehr "neu".

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s enthält der Verkauf eines Neuwagens durch einen Kraftfahrzeughändler auch eine mit dem Vertragsschluss konkludent getroffene Vereinbarung der [X.]en dahin, dass das verkaufte Fahrzeug die Beschaffenheit "fabrikneu" aufweist (vgl. nur [X.]surteile vom 16. Juli 2003 - [X.], NJW 2003, 2824 unter [X.]; vom 15. Oktober 2003 - [X.], NJW 2004, 160 unter II 3 [jeweils zu § 459 Abs. 2 [X.] aF]; vom 15. September 2010 - [X.], NJW 2010, 3710 Rn. 14; vom 6. Februar 2013 - [X.], NJW 2013, 1365 Rn. 10; vom 29. Juni 2016 - [X.], NJW 2016, 3015 Rn. 44 f.; jeweils mwN). Ein unbenutztes Kraftfahrzeug erfüllt diese Eigenschaft jedoch regelmäßig nur dann, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch eine längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate liegen ([X.]surteil vom 29. Juni 2016 - [X.], aaO Rn. 44 mwN).

Maßgeblich für die vom [X.] vorgenommene Beschränkung der Standzeit eines Neuwagens auf zwölf Monate vor dessen Verkauf ist dabei die Erwägung, dass eine lange Standdauer für einen Neuwagenkäufer einen wertmindernden Faktor darstellt. Jedes Fahrzeug unterliegt einem Alterungsprozess, der mit dem Verlassen des Herstellungsbetriebs einsetzt. Grundsätzlich verschlechtert sich der Zustand des Fahrzeugs durch [X.]ablauf aufgrund von Materialermüdung, Oxidation und anderen physikalischen Veränderungen. Selbst eine Aufbewahrung unter optimalen Bedingungen vermag dies nur zu verlangsamen, aber nicht zu verhindern ([X.]surteile vom 15. Oktober 2003 - [X.], aaO; vom 7. Juni 2006 - [X.], [X.], 2694 Rn. 11 [zum Jahreswagen]; vom 29. Juni 2016 - [X.], aaO; jeweils mwN).

bb) Die von der Revision angegriffene Beurteilung des Berufungsgerichts, diese Rechtsprechung des [X.]s sei - hier namentlich in Bezug auf die maximale Standzeit von zwölf Monaten - nicht nur auf Pkw, sondern gleichermaßen auf Wohnmobile anwendbar, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

(1) Zwar mag bei [X.], insbesondere bei - wie hier - solchen der Luxusklasse, angesichts der Art ihrer Verwendung mit längeren Standzeiten als bei Pkw bis zum Verkauf zu rechnen sein. Hiervon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Zu Recht hat es jedoch darauf abgestellt, dass auch der Käufer eines solchen Neufahrzeugs berechtigterweise erwarten darf, dass dieses zwischen Herstellung und Kauf nicht mehr als ein Jahr lang unbenutzt gestanden hat und deshalb nicht wesentlich älter ist, als die Bezeichnung "fabrikneu" erwarten lässt (vgl. [X.]surteil vom 15. September 2010 - [X.], aaO Rn. 20). Da auch Wohnmobile Kraftfahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung sind, die üblicherweise im Straßenverkehr genutzt werden und für diese Nutzung auch vorgesehen sind, gibt es für einen Käufer eines als Neufahrzeug gekennzeichneten Wohnmobils keinen Grund, eine längere Standzeit zu erwarten. Auch ein Wohnmobil unterliegt, genauso wie jedes andere Kraftfahrzeug, einem Alterungsprozess und einer Verschlechterung des Zustands des Fahrzeugs durch infolge des [X.]ablaufs eintretende Materialermüdung, Oxidation und andere physikalische Veränderungen.

(2) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe bei seiner rechtlichen Beurteilung die offenkundigen Tatsachen (§ 291 ZPO) nicht berücksichtigt, dass es dem Käufer eines Wohnmobils (anders als dem Käufer eines Pkw) im Regelfall weniger auf die Fahreigenschaften als vielmehr auf den gebotenen Wohnkomfort ankomme, und dass Wohnmobile eine erheblich höhere Laufleistung als Pkw hätten, womit zwangsläufig eine längere Nutzungsdauer und "Lebenserwartung" verbunden sei. Denn zum einen liegt es auf der Hand, dass ein Wohnmobil nicht nur zur Wohnnutzung, sondern vornehmlich zum Reisen konzipiert und gebaut ist. Zum anderen änderten diese Behauptungen nichts daran, dass ein als Neufahrzeug verkauftes Wohnmobil, das zwischen Herstellung und Kauf mehr als ein Jahr unbenutzt gestanden hat, berechtigterweise vom Käufer nicht mehr als "neu" angesehen wird.

(3) Anders als die Revision meint, steht einer Gleichbehandlung von [X.] und Personenkraftwagen hinsichtlich der maßgeblichen Kriterien, was ein Käufer bei der vereinbarten Beschaffenheit eines Kraftfahrzeugs als "Neufahrzeug" erwarten darf, schließlich auch nicht das [X.]surteil vom 15. September 2010 ([X.], aaO) entgegen. Hierin hatte der [X.] entschieden, dass allein eine geringe Laufleistung nicht ausschließt, dass ein als "Vorführwagen" verkauftes Fahrzeug (Wohnmobil) zuvor schon längere [X.] als solches genutzt worden ist, da die Nutzung als Vorführwagen nicht nur darin besteht, mit dem Fahrzeug kurze Probefahrten durchzuführen, sondern auch darin, das Fahrzeug von Interessenten lediglich besichtigen zu lassen, ohne dass es zu Probefahrten kommt. Dabei hatte der [X.] die Annahme des Berufungsgerichts als rechtsfehlerfrei angesehen, dass dieser Besichtigungsaspekt gerade bei [X.] gegenüber dem Probefahren - anders als bei einem Pkw - besonders im Vordergrund stehe ([X.]surteil vom 15. September 2010 - [X.], aaO Rn. 26). Hinsichtlich der vorliegend maßgeblichen Beurteilung eines Wohnmobils als "neu" ist daraus hingegen nichts abzuleiten.

b) Dennoch lässt sich aufgrund der bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Beklagte mit seiner Erklärung (§ 349 [X.]) im Schreiben vom 29. September 2015 wirksam vom streitgegenständlichen Kaufvertrag zurückgetreten ist. Denn dies setzt nach § 323 Abs. 1 [X.] grundsätzlich voraus, dass der Gläubiger dem Schuldner zunächst erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, was vorliegend indes weder behauptet noch festgestellt ist.

aa) Das Berufungsgericht hat eine solche Fristsetzung als gemäß § 326 Abs. 5, § 275 [X.] entbehrlich erachtet, weil das Wohnmobil [X.] mit dem "nicht behebbaren" Mangel der fehlenden Neuwageneigenschaft behaftet sei. Dabei ist es offenbar von der Annahme ausgegangen, die kaufvertragliche Pflicht der Klägerin zur Übergabe und Eigentumsverschaffung (§ 433 Abs. 1 Satz 1 [X.]) hätte sich auf das zum [X.]punkt des Vertragsabschlusses bei dieser vorhandene Exemplar - bei dem sich eine fehlende Neuwageneigenschaft tatsächlich nicht mehr beseitigen ließe - beschränkt.

Dies beruht allerdings auf einem grundlegenden rechtlichen Fehlverständnis. Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass es sich beim Kauf eines Neufahrzeugs regelmäßig - ohne anderslautende Vereinbarung der Vertragsparteien - um eine [X.] (§ 243 Abs. 1 [X.]) handelt. Dementsprechend ist der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform davon ausgegangen, dass der Schuldner unter derartigen Umständen vertraglich eine Beschaffungspflicht übernimmt (vgl. BT-Drucks. 14/6040, [X.], 230). Dies war auch vorliegend der Fall. Nach dem zwischen den [X.]en geschlossenen Kaufvertrag war die Klägerin verpflichtet, dem [X.] ein zum [X.]punkt des Vertragsabschlusses fabrikneues Wohnmobil [X.] Carver 841 L zu verschaffen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Leistungspflicht der Klägerin nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien auf das zu dieser [X.] bei ihr vorhandene und von dem [X.] besichtigte Exemplar beschränken sollte, sind nicht erkennbar. Etwas anderes ergibt sich namentlich auch nicht daraus, dass die Vertragsparteien vorliegend bestimmte Um- und Einbauten (Anhängerkupplung, Austausch der Gasanlage) vereinbarten. Schließlich wurde die [X.] nicht dadurch zur [X.] (§ 243 Abs. 2 [X.]), dass die Klägerin dem [X.] dieses (nicht vertragsgemäße) Fahrzeug als Leistung angeboten hat (vgl. [X.]surteil vom 9. Juni 1999 - [X.], [X.], 36, 38 ff.; [X.]/[X.], [X.], 77. Aufl., § 243 Rn. 6).

bb) Ob der Klägerin die Lieferung des vertraglich geschuldeten Neufahrzeugs aus anderen Gründen unmöglich (§ 275 [X.]) und eine Fristsetzung des [X.] deshalb entbehrlich war (§ 326 Abs. 5 [X.]), lässt sich ohne weitere Feststellungen indes nicht beurteilen.

2. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

Zwar war der Beklagte - wie die Revisionserwiderung mit Recht rügt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit seinem Vorbringen zum Widerruf gemäß §§ 312b, 312g, 355 f. [X.] nicht deshalb nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen, weil er den Widerruf nicht schon in erster Instanz erklärt hatte. Aufgrund der bisherigen Feststellungen lässt sich aber nicht beurteilen, ob dem [X.] das behauptete Widerrufsrecht auch in materiell-rechtlicher Hinsicht zustand.

a) Die - vom Berufungsgericht bejahte - Frage, ob § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO einer [X.] abverlangt, ein ihr materiell-rechtlich zustehendes Gestaltungsrecht bis zum Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung auszuüben, wenn sie nicht Gefahr laufen will, mit dem diesem Gestaltungsrecht zugrunde liegenden Tatsachenvorbringen prozessrechtlich ausgeschlossen zu werden, ist höchstrichterlich nicht abschließend entschieden; der [X.] hat sich bislang mit ihr nur im Wege eines obiter dictum befasst oder sie ausdrücklich offen gelassen (vgl. [X.], Urteil vom 10. März 2011 - [X.], [X.], 993 Rn. 18; Beschlüsse vom 30. Juni 2010 - [X.], [X.], 414 Rn. 10; vom 17. Mai 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 110 Rn. 14). Der [X.] entscheidet die Frage nunmehr dahin, dass sie grundsätzlich zu verneinen ist.

aa) Der Vortrag einer [X.], dass ein Gestaltungsrecht erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeübt worden ist - vorliegend durch die Erklärung des Widerrufs gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2 [X.] - ist grundsätzlich unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen. Denn die prozessrechtliche Präklusionsvorschrift in § 531 Abs. 2 ZPO soll die [X.]en lediglich dazu anhalten, zu einem bereits vorliegenden und rechtlich relevanten Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen (vgl. BT-Drucks. 14/4722, [X.]). Sie verfolgt hingegen nicht den Zweck, auf eine (beschleunigte) Veränderung der materiellen Rechtslage hinzuwirken.

Aus diesem Grund hat der [X.] bereits entschieden, dass eine nach der letzten mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug erstellte Schlussrechnung im [X.] ebenfalls nicht auf Grundlage der § 529 Abs. 1, § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt bleiben kann ([X.], Urteile vom 9. Oktober 2003 - [X.], NJW-RR 2004, 167 unter [X.] b [zu § 527 Abs. 1 ZPO aF]; vom 6. Oktober 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1687 unter 2 [X.]). Dieselben Erwägungen gelten aber auch für die einer [X.] nach materiellem Recht zustehenden Gestaltungsrechte (wie das vorliegend vom [X.] behauptete Widerrufsrecht). Deren wesentlicher Zweck ist es, dem Berechtigten die Entscheidung zu überlassen, in welchem Umfang und zu welchem [X.]punkt er von diesen innerhalb der insoweit vom Gesetz vorgesehenen Frist und der ihm insoweit verliehenen Gestaltungsbefugnisse Gebrauch machen möchte.

Jedem Gestaltungsrecht ist es immanent, dass es - gegebenenfalls in vom materiellen Recht gesetzten zeitlichen Grenzen der Ausübung - allein vom Willen des Berechtigten abhängt, mithin in dessen Belieben steht, wann die von der Ausübung des Rechts ausgelöste Rechtsfolge eintreten soll. Weil dem so ist, kann es eine Rechtfertigung für eine prozessrechtliche Beschränkung einer materiell-rechtlich wirksamen Gestaltungsbefugnis im Wege des § 531 Abs. 2 ZPO nicht geben. Denn die Normen des Prozessrechts sollen dazu dienen, das materielle Recht zu verwirklichen und nicht dessen Durchsetzung vermeidbar zu behindern (vgl. [X.], Urteile vom 1. Dezember 1997 - [X.], NJW-RR 1998, 1005 unter [X.]; vom 2. Juli 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 371 unter [X.] a; vom 2. Dezember 2015 - [X.], NJW 2016, 708 Rn. 10; vom 21. März 2018 - [X.], [X.], 373 Rn. 32 [zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt]).

Dementsprechend ist auch ein erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeübtes Gestaltungsrecht auf entsprechenden [X.]vortrag bei der Entscheidung des Berufungsgerichts grundsätzlich zu berücksichtigen. Ausgehend von den dargelegten Erwägungen gilt dies unabhängig davon, ob die Erklärung des Gestaltungsrechts als solche von der Gegenseite bestritten wird oder - was der Regel entsprechen dürfte und auch vorliegend der Fall war - zwischen den [X.]en unstreitig ist, und damit gemäß § 529 Abs. 1 ZPO vom Berufungsgericht seiner Entscheidung ohnehin zugrunde zu legen ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 18. November 2004 - [X.], [X.]Z 161, 138, 141; vom 20. Mai 2009 - [X.], [X.], 2532 Rn. 15; Beschlüsse vom 23. Juni 2008 - [X.], [X.]Z 177, 212 Rn. 10; vom 27. Oktober 2015 - [X.], [X.], 98 Rn. 11; jeweils mwN).

bb) Auch die Rechtsprechung des [X.] betreffend den Einwendungsausschluss bei der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 Abs. 2 ZPO gebietet kein anderes Ergebnis. Hiernach ist zwar für den Ausschluss der Geltendmachung von gesetzlichen Gestaltungsrechten nach § 767 Abs. 2 ZPO nicht auf den [X.]punkt ihrer Ausübung, sondern auf den [X.]punkt ihres Entstehens und der Befugnis zu ihrer Ausübung abzustellen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 8. Mai 2014 - [X.], [X.]Z 201, 121 Rn. 17 [zur Aufrechnung]; vom 16. November 2005 - [X.], NJW-RR 2006, 229 Rn. 14 [zur Kündigung]; jeweils mwN). Aus dieser Rechtsprechung lässt sich jedoch für die hier in Frage stehende Problematik, ob ein erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeübtes Gestaltungsrecht bei der Entscheidung des Berufungsgerichts zu berücksichtigen ist, nichts ableiten. Zum einen unterfällt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - die Geltendmachung eines solchen Rechts, wie ausgeführt, von vornherein bereits nicht dem Anwendungsbereich der prozessrechtlichen Präklusionsvorschrift in § 531 Abs. 2 ZPO. Zum anderen unterscheiden sich die Regelungsbereiche der Präklusionsvorschriften des § 531 Abs. 2 ZPO einerseits und des § 767 Abs. 2 ZPO andererseits bereits grundlegend dadurch, dass sich ein Schuldner mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen ein bereits rechtskräftiges Urteil wendet, während § 531 ZPO die Zulassung von Angriffs- und Verteidigungsvorbringen innerhalb des erst auf Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung gerichteten Verfahrens betrifft.

cc) Ob in besonderen Ausnahmefällen (etwa unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs) etwas anderes gelten kann, bedarf keiner Entscheidung, da hier jegliche Anhaltspunkte für eine derartige Konstellation fehlen.

b) Demgegenüber ist das streitige Vorbringen des [X.] zum Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des von ihm geltend gemachten Widerrufs nach §§ 312b, 312g, 355 f. [X.] - betreffend sein Handeln als Verbraucher sowie Ort und [X.]punkt des Vertragsschlusses - in der Berufungsinstanz unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zu berücksichtigen.

aa) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nur zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der [X.] beruhte. Nach der Rechtsprechung des [X.] liegt eine Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vor, wenn die [X.] gegen ihre Prozessförderungspflicht verstoßen hat, aufgrund derer sie zu konzentrierter Verfahrensführung gehalten ist und insbesondere Vorbringen nicht aus prozesstaktischen Erwägungen bis zur zweiten Instanz zurückhalten darf (vgl. [X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 341 Rn. 17; Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - [X.], NJW-RR 2011, 211 Rn. 28; vom 30. Oktober 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 85 Rn. 9; außerdem [X.], NJW 2005, 1768, 1769; jeweils mwN). Jede [X.] hat schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande ist ([X.], Urteile vom 19. März 2004 - [X.], [X.]Z 158, 295, 303; vom 18. Oktober 2005 - [X.], [X.], 152 Rn. 15; jeweils mwN).

bb) [X.] im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO kommt jedoch von vornherein nicht in Betracht, wenn eine [X.] - wie hier - zulässigerweise (siehe dazu bereits unter [X.] a) erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung von einem Gestaltungsrecht Gebrauch macht und dementsprechend auch erstmals in der Berufungsinstanz zu den (weiteren) tatbestandlichen Voraussetzungen des betreffenden Gestaltungsrechts vorträgt.

Zwar mag die Annahme des Berufungsgerichts zutreffen, dem [X.] sei - die Richtigkeit seines neuen Vortrags unterstellt - bereits in erster Instanz bekannt gewesen, dass der Vertrag nicht in den Geschäftsräumen der Klägerin geschlossen und er nicht auf ein vermeintlich bestehendes Widerrufsrecht hingewiesen worden war. Aber genauso wie eine Nachlässigkeit stets zu verneinen ist, soweit das in Frage stehende neue Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung entstanden ist (vgl. BT-Drucks. 14/4722, [X.]; [X.], Beschluss vom 17. Mai 2011 - [X.], aaO Rn. 12 mwN), kann es einer [X.] auch nicht als Verstoß gegen ihre Prozessförderungspflicht angelastet werden, dass sie in erster Instanz zu einem bis dahin noch gar nicht ausgeübten Gestaltungsrecht nicht näher vorgetragen hat (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1687 unter 2 b cc).

c) Zur Beurteilung der Frage, ob der Beklagte seine auf den Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung auch in materiell-rechtlicher Hinsicht wirksam widerrufen hat, fehlen aber ebenfalls weitere Feststellungen, die das Berufungsgericht - vor dem Hintergrund seiner Rechtsauffassung allerdings folgerichtig - bislang noch nicht getroffen hat.

III.

Nach alledem kann das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da sie aus den ausgeführten Gründen nicht zur Endentscheidung reif ist, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Dr. Milger     

        

Dr. Hessel     

        

     Dr. Fetzer

        

Dr. Bünger     

        

Ri[X.] Dr. Schmidt ist
wegen Urlaubs an der
Unterschrift verhindert.

        
                          

[X.], 15.10.2018

        
                          

Dr. Milger

        

Meta

VIII ZR 212/17

17.10.2018

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 21. September 2017, Az: I-28 U 170/15

§ 531 Abs 2 S 1 Nr 3 ZPO, § 312b BGB, § 312g BGB, § 355 BGB, §§ 355ff BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.10.2018, Az. VIII ZR 212/17 (REWIS RS 2018, 2773)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 117-119 WM2018,2196 NJW 2019, 80 REWIS RS 2018, 2773

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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