Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2010, Az. II ZR 135/09

II. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5933

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS [X.]/09 vom 14. Juni 2010 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja BGB §§ 133 B, [X.], 705, 738; GG Art. 103 Abs. 1 Der Anspruch einer [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) wird in entscheidungserheblicher Weise verletzt, wenn das Gericht seiner Entschei-dung den "Normalfall" einer vergleichbaren Fallkonstellation (hier: Ausscheiden aus einer Freiberuflerpraxis) zugrunde legt, statt den vorgetragenen Inhalt des [X.] der [X.]en zur Kenntnis zu nehmen, der - im Wege der gebotenen Auslegung zu berücksichtigende - Anhaltspunkte dafür bietet, dass die [X.]en eine abweichende Form der Auseinandersetzung (hier: Zulässigkeit einer geringfügigen Patientenmitnahme bei Einhaltung eines Wettbewerbsverbots unter betragsmäßiger Begrenzung des Auseinandersetzungsguthabens) vereinbart haben. [X.], Beschluss vom 14. Juni 2010 - [X.]/09 - [X.] - 2 - Der II. Zivilsenat des [X.] hat am 14. Juni 2010 durch [X.] und [X.], [X.], [X.] und [X.] beschlossen: Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 20. Mai 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an den 16. Zivilsenat des [X.] zurückverwiesen. Streitwert: 20.445,66 • Gründe: Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist begründet und führt gemäß §§ 544 Abs. 7, 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Kostenpunkt und, soweit zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an ei-nen anderen [X.]at des [X.]. 1 Das Berufungsgericht hat, indem es der Klage lediglich im Umfang von 15.344,77 • nebst Zinsen stattgegeben hat, den Anspruch des [X.] auf [X.] - 3 - währung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) mehrfach in entscheidungs-erheblicher Weise verletzt. 3 1. Fehlerhaft und unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ergangen ist das Berufungsurteil - selbst wenn man die Auslegung der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages durch das Berufungsgericht (wie nicht, siehe nachfol-gend 2.) für richtig halten wollte - soweit es den Auseinandersetzungsanspruch des [X.] gegen die Beklagten zu 1 und 2 und den Anspruch des [X.] gegen die Beklagte zu 1 auf Karenzentschädigung jeweils um 1/3 wegen [X.] in diesem Umfang "[X.]" Patienten gekürzt hat. Die Beklagten selbst haben in erster Instanz mehrfach (siehe nur [X.], 26) vorgetragen, der Kläger habe in den Jahren von 2001 bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens regelmäßig 2.464 Patienten in Behandlung gehabt. [X.] hiervon hat das [X.] ([X.] 6) ausgeführt, der Umstand, dass der Kläger 1/3 seiner alten Patienten in seiner neuen Praxis weiterbehandle, könne seinem Abfindungsanspruch nicht entgegenstehen. Zusätzlich hat das [X.] übergangen, dass ausweislich [X.] 1 der von den Beklagten vorge-legten Patientenliste die zahnärztliche Gemeinschaftspraxis der [X.]en zum Zeitpunkt des Ausscheidens des [X.] über 6.572 Patienten verfügte. Da zwi-schen den [X.]en unstreitig ist, dass der Kläger 841 Patienten aus diesem Praxisstamm übernommen hat, hat der Kläger, anders als das Berufungsgericht meint, nicht 1/3 des Patientenstamms der Gemeinschaftspraxis sondern nur ca. 1/8 "mitgenommen". 4 Vom Rechtsstandpunkt des [X.] aus wäre daher bei ord-nungsgemäßer Zurkenntnisnahme des Vortrags des [X.] allenfalls eine Kür-zung seiner Ansprüche um 1/8 gerechtfertigt gewesen. 5 - 4 - 6 2. Aber bereits die Annahme des [X.], hier sei eine Kür-zung des Auseinandersetzungsanspruchs des [X.] im Umfang der [X.] Patienten vorzunehmen, beruht auf einem entscheidungserhebli-chen Verstoß des [X.] gegen Art. 103 Abs. 1 GG. a) Die Auslegung eines Vertrages ist zwar grundsätzlich Sache des [X.] und - revisionsrechtlich - nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungsgesetze verletzt oder wesentlichen Auslegungsstoff außer [X.] hat (st. Rspr., siehe nur [X.].Urt. v. 8. November 2004 - [X.], [X.], 82, 83; v. 7. März 2005 - [X.], [X.], 1068, 1069). Geht das Gericht bei der Auslegung vertraglicher Bestimmungen auf [X.] des Vortrags einer [X.] nicht ein, lässt sich daraus schließen, dass es diesen Vortrag unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommen hat. Dies rechtfertigt im [X.] die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsge-richt (siehe nur [X.].Beschl. v. 9. Februar 2009 - [X.], [X.], 1154 [X.]. 4; v. 20. Oktober 2008 - [X.], [X.], 2311 [X.]. 4). 7 b) So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat die sich nach dem Vor-trag des [X.] aufdrängende Auslegung der Regelungen des [X.] überhaupt nicht vorgenommen, sondern sich zur Begründung seiner Entscheidung lediglich auf den "Normalfall" der Auseinandersetzung einer Frei-beruflerpraxis gestützt. 8 aa) Richtig ist zwar, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Se-nats eine Freiberuflerpraxis vorrangig durch Realteilung in Form der Mitnahme von Patienten auseinandergesetzt wird bzw. dass dieses Vorgehen sachgerecht ist (siehe dazu nur [X.].Urt. v. 6. Dezember 1993 - [X.], [X.], 378 ff.; v. 6. März 1995 - [X.], [X.], 833 ff.). Allerdings ist auch eine 9 - 5 - abweichende Vereinbarung, bei der die [X.]en den "Mitnahme"-Vorteil des [X.] bewusst in Kauf genommen haben, grundsätzlich in den durch § 138 BGB gezogenen Grenzen möglich (siehe hierzu [X.], DStR 1995, 857). [X.]) Das Berufungsgericht hat den Vortrag des [X.], dass die [X.]en hier im Gesellschaftsvertrag eine derartige abweichende Regelung getroffen haben, nicht zur Kenntnis genommen. 10 Die [X.]en hatten, wie das [X.] zutreffend erkannt hatte, im Gesellschaftsvertrag drei verschiedene Szenarien im Zusammenhang mit den möglichen Konsequenzen des Ausscheidens eines Partners geregelt: Entweder verließ der ausscheidende Partner (hier: der Kläger) den Planungsbereich und ermöglichte damit eine Neuzulassung, dann erhielt er den von einem Sachver-ständigen zu ermittelnden vollen Ausgleich des ideellen Wertes seines [X.]. Blieb er im Planungsbereich, so hatte er das zeitlich und räumlich [X.] Wettbewerbsverbot aus Nr. 7 des Gesellschaftsvertrages einzuhalten und erhielt einen der Höhe nach festgelegten Betrag. Aus Nr. 6 des [X.] ergab sich das dritte Szenario: Sollte aus kassenzahnärztli-chen Gründen ([X.]) keine oder nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit bestehen, den ideellen Wert des ausscheidenden Partners wirt-schaftlich zu nutzen, sollte der Kläger bei Einhaltung der [X.] lediglich 50.000,00 DM, mithin die Hälfte des ansonsten vereinbarten Betrags erhalten. Hierzu hat der Kläger stets vorgetragen, dass der Betrag von 100.000,00 DM, der letztlich seinem "Eintrittspreis" in den ersten Jahren seiner Praxiszugehörigkeit entsprochen hat, ungeschmälert dann gezahlt werden soll-te, wenn er das Konkurrenzverbot in Nr. 7 des Vertrages einhält, was er unstrei-tig getan hat. Das Berufungsgericht hat weiter nicht zur Kenntnis genommen, dass es sich bei dem Betrag von 100.000,00 DM um einen ganz erheblich [X.] - 6 - deckelten Abfindungsbetrag für den good will gehandelt hat, wie der Kläger, von dem Beklagten unwidersprochen, stets vorgetragen hat. Danach hätte der un-geschmälerte Anteil des [X.] am good will an sich im Minimum ca. 142.600,00 • (= 278.900,00 DM) betragen. c) Der Gehörsverstoß des [X.] ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es dann, wenn es, wie das [X.], den Vortrag zu den abgestuften Regelungen im Gesellschaftsvertrag zur Kenntnis genommen hätte, zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die [X.]-en den Abfindungsanspruch des [X.] lediglich an die Einhaltung des Kon-kurrenzverbotes und nicht zusätzlich an das Unterbleiben der Mitnahme von Patienten geknüpft haben. Angesichts der sehr geringen räumlichen Begren-zung des Wettbewerbsverbots war eine gewisse Patientenmitnahme nahezu unausweichlich. Diesem Risiko konnte durch die Begrenzung des [X.] auf die Höhe des "Eintrittspreises" Rechnung getragen werden. 12 3. Unabhängig davon, dass auch der Karenzentschädigungsanspruch bei zutreffender Zurkenntnisnahme des vorgetragenen Sachverhalts allenfalls um 1/8 hätte gekürzt werden dürfen (s.o. 1.), hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs zusätzlich dadurch verletzt, dass es dessen Vortrag zu dem Hintergrund der Vereinbarung der Karenzentschädigung, die Ausgleich für das Erfordernis des Aufbaus einer neuen Praxis unter Einhaltung des Wettbewerbsverbots sein soll-te, nicht zur Kenntnis genommen hat. 13 Auch dieser Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei vollständiger Erfassung des Vortrags des [X.] zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass eine Kür-zung der Karenzentschädigung nur dann gerechtfertigt wäre, wenn der Kläger in grobem Maße gegen den Sinn der [X.] verstoßen hätte, was 14 - 7 - etwa dann der Fall wäre, wenn er bewusst und zielstrebig um sämtliche Patien-ten der Gemeinschaftspraxis geworben und einen ganz erheblichen Anteil der Patienten an sich gezogen hätte. [X.] Caliebe Reichart Drescher

Löffler Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 28.07.2008 - 1 O 80/07 - [X.], Entscheidung vom 20.05.2009 - 9 U 137/08 -

Meta

II ZR 135/09

14.06.2010

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2010, Az. II ZR 135/09 (REWIS RS 2010, 5933)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5933

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