Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2010, Az. II ZR 135/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5930

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Gegenstand

Rechtliches Gehör: Nichtberücksichtigung des Vortrags einer Partei bei der Auslegung eines Gesellschaftsvertrages


Leitsatz

Der Anspruch einer Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) wird in entscheidungserheblicher Weise verletzt, wenn das Gericht seiner Entscheidung den "Normalfall" einer vergleichbaren Fallkonstellation (hier: Ausscheiden aus einer Freiberuflerpraxis) zugrunde legt, statt den vorgetragenen Inhalt des Gesellschaftsvertrages der Parteien zur Kenntnis zu nehmen, der - im Wege der gebotenen Auslegung zu berücksichtigende - Anhaltspunkte dafür bietet, dass die Parteien eine abweichende Form der Auseinandersetzung (hier: Zulässigkeit einer geringfügigen Patientenmitnahme bei Einhaltung eines Wettbewerbsverbots unter betragsmäßiger Begrenzung des Auseinandersetzungsguthabens) vereinbart haben .

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 20. Mai 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 16. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Streitwert: 20.445,66 €

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist begründet und führt gemäß §§ 544 Abs. 7, 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Kostenpunkt und, soweit zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen [X.]at des Berufungsgerichts.

2

Das Berufungsgericht hat, indem es der Klage lediglich im Umfang von 15.344,77 € nebst Zinsen stattgegeben hat, den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) mehrfach in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

3

1. Fehlerhaft und unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ergangen ist das Berufungsurteil - selbst wenn man die Auslegung der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages durch das Berufungsgericht (wie nicht, siehe nachfolgend 2.) für richtig halten wollte - soweit es den Auseinandersetzungsanspruch des [X.] gegen die Beklagten zu 1 und 2 und den Anspruch des [X.] gegen die Beklagte zu 1 auf Karenzentschädigung jeweils um 1/3 wegen angeblich in diesem Umfang "[X.]" Patienten gekürzt hat.

4

Die Beklagten selbst haben in erster Instanz mehrfach (siehe nur [X.], 26) vorgetragen, der Kläger habe in den Jahren von 2001 bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens regelmäßig 2.464 Patienten in Behandlung gehabt. Ausgehend hiervon hat das [X.] ([X.] 6) ausgeführt, der Umstand, dass der Kläger 1/3seiner alten Patienten in seiner neuen Praxis weiterbehandle, könne seinem Abfindungsanspruch nicht entgegenstehen. Zusätzlich hat das Berufungsgericht übergangen, dass ausweislich [X.] 1 der von den Beklagten vorgelegten [X.] die zahnärztliche Gemeinschaftspraxis der [X.]en zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers über 6.572 Patienten verfügte. Da zwischen den [X.]en unstreitig ist, dass der Kläger 841 Patienten aus diesem Praxisstamm übernommen hat, hat der Kläger, anders als das Berufungsgericht meint, nicht 1/3 des Patientenstamms der Gemeinschaftspraxis sondern nur ca. 1/8 "mitgenommen".

5

Vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus wäre daher bei ordnungsgemäßer Zurkenntnisnahme des Vortrags des [X.] allenfalls eine Kürzung seiner Ansprüche um 1/8 gerechtfertigt gewesen.

6

2. Aber bereits die Annahme des Berufungsgerichts, hier sei eine Kürzung des Auseinandersetzungsanspruchs des [X.] im Umfang der mitgenommenen Patienten vorzunehmen, beruht auf einem entscheidungserheblichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

7

a) Die Auslegung eines Vertrages ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und - revisionsrechtlich - nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungsgesetze verletzt oder wesentlichen Auslegungsstoff außer Acht gelassen hat (st. Rspr., siehe nur [X.].Urt. v. 8. November 2004 - [X.], [X.], 82, 83; v. 7. März 2005 - [X.], [X.], 1068, 1069). Geht das Gericht bei der Auslegung vertraglicher Bestimmungen auf [X.] des Vortrags einer [X.] nicht ein, lässt sich daraus schließen, dass es diesen Vortrag unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommen hat. Dies rechtfertigt im [X.] die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (siehe nur [X.].Beschl. v. 9. Februar 2009 - [X.], [X.], 1154 [X.]. 4; v. 20. Oktober 2008 - [X.], [X.], 2311 [X.]. 4).

8

b) So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat die sich nach dem Vortrag des [X.] aufdrängende Auslegung der Regelungen des Gesellschaftsvertrags überhaupt nicht vorgenommen, sondern sich zur Begründung seiner Entscheidung lediglich auf den "Normalfall" der Auseinandersetzung einer Freiberuflerpraxis gestützt.

9

aa) Richtig ist zwar, dass nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]ats eine Freiberuflerpraxis vorrangig durch Realteilung in Form der Mitnahme von Patienten auseinandergesetzt wird bzw. dass dieses Vorgehen sachgerecht ist (siehe dazu nur [X.].Urt. v. 6. Dezember 1993 - [X.], [X.], 378 ff.; v. 6. März 1995 - [X.], [X.], 833 ff.). Allerdings ist auch eine abweichende Vereinbarung, bei der die [X.]en den "Mitnahme"-Vorteil des [X.] bewusst in Kauf genommen haben, grundsätzlich in den durch § 138 BGB gezogenen Grenzen möglich (siehe hierzu [X.], DStR 1995, 857).

bb) Das Berufungsgericht hat den Vortrag des [X.], dass die [X.]en hier im Gesellschaftsvertrag eine derartige abweichende Regelung getroffen haben, nicht zur Kenntnis genommen.

Die [X.]en hatten, wie das [X.] zutreffend erkannt hatte, im Gesellschaftsvertrag drei verschiedene Szenarien im Zusammenhang mit den möglichen Konsequenzen des Ausscheidens eines Partners geregelt: Entweder verließ der ausscheidende Partner (hier: der Kläger) den Planungsbereich und ermöglichte damit eine Neuzulassung, dann erhielt er den von einem Sachverständigen zu ermittelnden vollen Ausgleich des ideellen Wertes seines Praxisanteils. Blieb er im Planungsbereich, so hatte er das zeitlich und räumlich begrenzte Wettbewerbsverbot aus Nr. 7 des Gesellschaftsvertrages einzuhalten und erhielt einen der Höhe nach festgelegten Betrag. Aus Nr. 6 des Gesellschaftsvertrages ergab sich das dritte Szenario: Sollte aus kassenzahnärztlichen Gründen ([X.]) keine oder nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit bestehen, den ideellen Wert des ausscheidenden Partners wirtschaftlich zu nutzen, sollte der Kläger bei Einhaltung der [X.] lediglich 50.000,00 DM, mithin die Hälfte des ansonsten vereinbarten Betrags erhalten. Hierzu hat der Kläger stets vorgetragen, dass der Betrag von 100.000,00 DM, der letztlich seinem "Eintrittspreis" in den ersten Jahren seiner Praxiszugehörigkeit entsprochen hat, ungeschmälert dann gezahlt werden sollte, wenn er das Konkurrenzverbot in Nr. 7 des Vertrages einhält, was er unstreitig getan hat. Das Berufungsgericht hat weiter nicht zur Kenntnis genommen, dass es sich bei dem Betrag von 100.000,00 DM um einen ganz erheblich gedeckelten Abfindungsbetrag für den good will gehandelt hat, wie der Kläger, von dem Beklagten unwidersprochen, stets vorgetragen hat. Danach hätte der ungeschmälerte Anteil des [X.] am good will an sich im Minimum ca. 142.600,00 € (= 278.900,00 DM) betragen.

c) [X.] ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es dann, wenn es, wie das [X.], den Vortrag zu den abgestuften Regelungen im Gesellschaftsvertrag zur Kenntnis genommen hätte, zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die [X.]en den Abfindungsanspruch des [X.] lediglich an die Einhaltung des Konkurrenzverbotes und nicht zusätzlich an das Unterbleiben der Mitnahme von Patienten geknüpft haben. Angesichts der sehr geringen räumlichen Begrenzung des Wettbewerbsverbots war eine gewisse Patientenmitnahme nahezu unausweichlich. Diesem Risiko konnte durch die Begrenzung des Abfindungsanspruchs auf die Höhe des "Eintrittspreises" Rechnung getragen werden.

3. Unabhängig davon, dass auch der Karenzentschädigungsanspruch bei zutreffender Zurkenntnisnahme des vorgetragenen Sachverhalts allenfalls um 1/8 hätte gekürzt werden dürfen (s.o. 1.), hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs zusätzlich dadurch verletzt, dass es dessen Vortrag zu dem Hintergrund der Vereinbarung der Karenzentschädigung, die Ausgleich für das Erfordernis des Aufbaus einer neuen Praxis unter Einhaltung des Wettbewerbsverbots sein sollte, nicht zur Kenntnis genommen hat.

Auch dieser Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei vollständiger Erfassung des Vortrags des [X.] zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass eine Kürzung der Karenzentschädigung nur dann gerechtfertigt wäre, wenn der Kläger in grobem Maße gegen den Sinn der [X.] verstoßen hätte, was etwa dann der Fall wäre, wenn er bewusst und zielstrebig um sämtliche Patienten der Gemeinschaftspraxis geworben und einen ganz erheblichen Anteil der Patienten an sich gezogen hätte.

[X.]                                   Caliebe                                 Reichart

                    Drescher                                Löffler

Meta

II ZR 135/09

14.06.2010

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 20. Mai 2009, Az: 9 U 137/08, Urteil

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 705 BGB, § 738 BGB, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2010, Az. II ZR 135/09 (REWIS RS 2010, 5930)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5930

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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