Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2023, Az. XIII ZB 75/20

13. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 2939

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Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 21. September 2020 wird auf Kosten der Person des Vertrauens des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 5. Juli 2016 aus [X.] in das [X.] ein. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das [X.] mit Beschluss vom 12. Oktober 2018 Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten an. Am 10. Januar 2019 verlängerte das [X.] auf Antrag der beteiligten Behörde die Haft bis zum 1. Februar 2019. Mit Schreiben vom 29. Januar 2019 schloss sich der vom Betroffenen als Person seines Vertrauens benannte [X.] (im Folgenden: Vertrauensperson) der dagegen am selben Tag eingelegten Beschwerde des Betroffenen an und beantragte, hilfsweise, die Haft aufzuheben sowie im Fall einer Haftentlassung das Verfahren als Feststellungsverfahren fortzusetzen. Das Amtsgericht hat nach Abschiebung des Betroffenen am 30. Januar 2019 den auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichteten Antrag der Vertrauensperson am 18. Februar 2019 zurückgewiesen. Die dagegen am 31. Juli 2020 eingelegte Beschwerde hat das [X.] als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Vertrauensperson die Aufhebung dieses Beschlusses und Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist, hilfsweise Zurückverweisung.

2

II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Beschwerde sei nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG verfristet. Der Beschluss des Amtsgerichts sei am 18. Februar 2019 erlassen worden. Maßgeblich für den Lauf der Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG sei, dass die schriftliche Bekanntgabe an den bereits förmlich beteiligten Rechtsmittelführer unterblieben sei. Zugunsten der Vertrauensperson sei von ihrem Vortrag auszugehen, dass sie der Beschluss entgegen dem in der Akte enthaltenen Sendebericht am 18. Februar 2019 nicht erreicht habe. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien jedoch nicht gegeben. Die Vertrauensperson habe erst mit Schreiben vom 26. Juli 2020 und damit knapp eineinhalb Jahre nach ihrem Feststellungsantrag vom 29. Januar 2019 nach dem Stand der Sache gefragt. Die Vertrauensperson sei rechtskundig und führe viele Beschwerden. Ihr sei deshalb bewusst gewesen, dass [X.] laufen. Auch der Umstand, dass die Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts eine zu kurze zweiwöchige Frist genannt habe, begründe keine Wiedereinsetzung. Es fehle an der Kausalität zwischen der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung und der verspäteten Einlegung der Beschwerde.

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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

5

a) Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass die am 31. Juli 2020 eingelegte Beschwerde verfristet war. Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde innerhalb einer Frist von einem Monat einzulegen.

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aa) Im [X.] ist allerdings davon auszugehen, dass der Lauf der Monatsfrist nicht bereits durch die Übermittlung des Beschlusses per Telefax am 18. Februar 2019 an die Vertrauensperson gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG in Gang gesetzt wurde.

7

(1) Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist ein anfechtbarer Beschluss demjenigen zuzustellen, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht. Danach musste eine förmliche Zustellung des Beschlusses vom 30. September 2019 an die Vertrauensperson erfolgen, weil er mit der Beschwerde nach § 58 FamFG anfechtbar war und dem erklärten Willen der Vertrauensperson widersprach.

8

(2) Das Unterbleiben einer gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderlichen Zustellung führt zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe, weshalb nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG die Beschwerdefrist nicht zu laufen beginnt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. Mai 2015 - [X.] 491/14, [X.], 1374 Rn. 7; vom 24. Oktober 2018 - [X.] 188/18, [X.] 2019, 48 Rn. 11). Es kommt zwar in Betracht, dass der Zustellungsmangel gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 FamFG, § 189 Alt. 1 ZPO geheilt wurde. Da das [X.] nicht festgestellt hat, dass das Schriftstück bereits am 18. Februar 2019 derart in den Machtbereich der Vertrauensperson gelangt ist, dass sie es behalten konnte und Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dessen Inhalt hatte (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Oktober 2020 - [X.] 167/20, NJW-RR 2021, 193 Rn. 9), kann hiervon im [X.] jedoch nicht ausgegangen werden.

9

bb) Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dem Erlass des angefochtenen Beschlusses am 18. Februar 2019 zu laufen begann.

(1) Die Fünf-Monats-Frist läuft immer, wenn die Zustellung an den - bereits förmlich - Beteiligten (aus welchen Gründen auch immer) unterblieben ist (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 2015 - [X.] 572/13, [X.], 1006 Rn. 24 ff.). Dies gilt insbesondere auch in Fällen fehlerhafter Zustellung. Die Auffangfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG soll der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit für die Beteiligten dienen, wenn eine Bekanntgabe der Entscheidung an einen erstinstanzlich Beteiligten innerhalb dieses Zeitraums nicht gelingt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 23. Juni 2008, BT-Drucks. 16/9733, [X.]). Würde man den Anwendungsbereich der Vorschrift demgegenüber auf Fälle beschränken, in denen die Bekanntgabe überhaupt nicht erreicht werden konnte, träte bei einer nur fehlerhaften Bekanntgabe zu keinem Zeitpunkt die formelle Rechtskraft ein. Dies wäre mit dem Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Juli 2013 - [X.] 411/12, [X.] 2013, 232 Rn. 17 ff.).

(2) Da der angegriffene Beschluss nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.] am 18. Februar 2019 an die Geschäftsstelle übergeben und damit nach § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG erlassen worden ist, gilt er gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG nach Ablauf von fünf Monaten am 18. Juli 2019 als bekannt gegeben. Die einmonatige Beschwerdefrist begann mit Ablauf dieses Tages und endete am 18. August 2019. Die erst am 31. Juli 2020 eingegangene Beschwerde der Vertrauensperson war daher verfristet.

b) Im Ergebnis zu Recht hat das Beschwerdegericht auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 17 FamFG abgelehnt.

aa) Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass das Wiedereinsetzungsbegehren statthaft ist. Zwar findet eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht statt, weil durch die Vorschrift nur die Bekanntgabe einer gerichtlichen Entscheidung fingiert wird und es sich nicht um eine Rechtsmittelfrist handelt. Dies schließt jedoch die Wiedereinsetzung gegen die versäumte Beschwerdefrist nicht aus, wenn die Rechtsmittelfrist schuldlos versäumt wurde (vgl. [X.], [X.] 2013, 232 Rn. 21).

bb) Die Vertrauensperson hat im Beschwerdeverfahren jedoch keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Zwar braucht ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht ausdrücklich erklärt zu werden; es kann auch konkludent in einem Schriftsatz enthalten sein (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. Januar 2006 - [X.], [X.], 1518 Rn. 13; vom 16. Januar 2018 - [X.]/17, NJW 2018, 1022 Rn. 17, zu § 233 ZPO). Dazu ist aber erforderlich, dass der Rechtsmittelführer zumindest eine Versäumung der Begründungsfrist für möglich hält und vorsorglich Ausführungen zu [X.] macht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 5. Juni 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1206 Rn. 8; vom 16. Januar 2018 - [X.]/17, NJW 2018, 1022 Rn. 17). Daran fehlt es. Der Beschwerdeführer hat mit seinem an das [X.] gerichteten Schriftsatz vom 31. Juli 2020 lediglich Beschwerde eingelegt. Nach Abgabe an das [X.] hat er mit Schriftsatz vom 17. September 2020 deutlich gemacht, dass er von der Rechtzeitigkeit der Beschwerde ausgeht. Trotz des Hinweises des [X.]s vom 16. September 2020 hat er nicht erkennen lassen, dass er eine Versäumung der Frist in Betracht zog.

cc) Die Wiedereinsetzung war auch nicht von Amts wegen zu gewähren.

(1) Ist die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nach § 18 Abs. 1 Satz 1 FamFG nachgeholt worden, was hier mangels entsprechender Feststellungen des [X.] zu unterstellen ist, kann gemäß § 18 Abs. 3 Satz 3 FamFG Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Das kommt allerdings nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung innerhalb der [X.] offenkundig sind oder nach einem nach § 28 Abs. 1 FamFG erforderlichen gerichtlichen Hinweis offenkundig geworden wären (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Juni 2014 - [X.], NJW-RR 2015, 628 Rn. 121; vom 16. Januar 2018 - [X.]/17, NJW 2018, 1022 Rn. 19; vom 12. Februar 2020 - [X.], juris Rn. 10, jeweils zu § 236 Abs. 2 ZPO; Burschel/[X.] in [X.] FamFG, [X.]. [1.1.2023], § 18 Rn. 17; [X.] in [X.], 3. Aufl., § 18 Rn. 9). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

(2) Es war nach der Aktenlage nicht offenkundig, dass die Vertrauensperson ohne ihr Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten (§ 17 FamFG). Die Wiedereinsetzung muss binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses beantragt werden (§ 18 Abs. 1 FamFG). Es bedarf daher Angaben zu dem Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, und zu dem Zeitpunkt des Wegfalls dieses Hindernisses ([X.], Beschluss vom 3. Mai 2012 - [X.], [X.], 2445 Rn. 9). In der Beschwerdeschrift vom 31. Juli 2020 wird zwar dargelegt, dass der Beschluss (erst) am 30. Juli 2020 eingegangen sei. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Vertrauensperson von dessen Erlass nicht auf andere Weise zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis erlangt hat.

(3) Es kann auch nicht angenommen werden, dass die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung nach einem ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis des Amtsgerichts auf die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags und die Erforderlichkeit einer geschlossenen Darstellung der tatsächlichen Abläufe (vgl. [X.] [X.], 2445 Rn. 9) offenkundig geworden wären. Dagegen spricht, dass die Vertrauensperson nach dem Hinweis des [X.]s vom 16. September 2020 keinen maßgeblichen Vortrag zu den Abläufen gehalten hat. In der Verfügung vom 16. September 2020 wird auf die Verfristung hingewiesen und ausgeführt, es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum der Beschwerdeführer nicht früher dem Verfahren Fortgang gegeben habe. Die Vertrauensperson hat daraufhin nicht dargelegt, dass sie von dem Erlass des Beschlusses vor dessen Übersendung am 30. Juli 2020 keine anderweitige Kenntnis erlangt hat. Sie hat lediglich mitgeteilt, sie sei der Auffassung, die Frist beginne erst mit Zustellung des Beschlusses.

(4) Die Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründung konnten diesen Mangel nicht mehr heilen. Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben dürfen zwar auch noch nach Fristablauf - auch mit der Rechtsbeschwerde - erläutert oder vervollständigt werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. Oktober 2018 - [X.]/16, NJW-RR 2019, 502 Rn. 7 mwN; vom 15. Juli 2020 - [X.] 138/19, NJW 2020, 3041, Rn. 9). Das gilt jedoch nur, wenn die nachgeschobenen Angaben innerhalb der Antragsfrist zumindest angedeutet worden sind (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Februar 2020 - [X.], juris Rn. 10). Daran fehlt es hier. Die Vertrauensperson hat vor dem Amtsgericht und dem [X.] weder Angaben zu ihrem Telefaxanschluss gemacht, noch dazu, ob sie auf anderem Wege Kenntnis von dem Beschluss erlangt hat. Derartige Angaben hat sie erstmals mit der Rechtsbeschwerdebegründung und ihrer beigefügten eidesstattlichen Versicherung vom 19. Dezember 2020 gemacht. Erst dort hat sie vorgetragen, dass sie erstmals durch das Faxschreiben vom 30. Juli 2020 von dem Beschluss vom 18. Februar 2019 Kenntnis erhalten hat.

3. [X.] beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

  

[X.]     

  

Tolkmitt

  

Picker     

  

Kochendörfer     

  

Meta

XIII ZB 75/20

04.04.2023

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Paderborn, 21. September 2020, Az: 5 T 179/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2023, Az. XIII ZB 75/20 (REWIS RS 2023, 2939)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2939

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