Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.06.2013, Az. XII ZB 39/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 4904

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Gegenstand

Kindesunterhalt: Eintritt des volljährig gewordenen Kindes in das Verfahren im Wege des gewillkürten Beteiligtenwechsels; unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit bei Bezug von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende


Leitsatz

1. Endet die gesetzliche Verfahrensstandschaft eines Elternteils nach § 1629 Abs. 3 BGB mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, so kann das Kind als Antragsteller in das Verfahren nur im Wege des gewillkürten Beteiligtenwechsels eintreten (teilweise Aufgabe der Senatsurteile vom 23. Februar 1983, IVb ZR 359/81, FamRZ 1983, 474 und vom 30. Januar 1985, IVb ZR 70/83, FamRZ 1985, 471). Dieser ist nicht von der Zustimmung des Antragsgegners abhängig.

2. Durch die sozialrechtliche Berücksichtigung titulierter Unterhaltspflichten bei einem Antrag des Unterhaltspflichtigen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhöht sich dessen unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Familiensenats in [X.] des [X.] vom 22. Dezember 2010 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

A.

1

Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt für die [X.] ab November 2009.

2

Die Mutter der Antragstellerin und ursprüngliche Antragstellerin ist die geschiedene Ehefrau des [X.]s. Die im September 1994 geborene Antragstellerin ist deren aus der Ehe hervorgegangene Tochter.

3

Der 1953 geborene [X.] ist gelernter Maler und Lackierer. Er war als solcher aber nie berufstätig, sondern übte Tätigkeiten auf verschiedenen anderen Berufsfeldern aus (u.a. als [X.]soldat, Verkäufer, im [X.] und - bis 2002 - als selbständiger Versicherungsvertreter, später projektweise als Mitarbeiter bei einem Jobcenter). Spätestens seit November 2009 ist er arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem [X.] Die [X.]en streiten darüber, ob dem [X.] wegen Verstoßes gegen seine Erwerbsobliegenheit ein fiktives Einkommen zuzurechnen ist oder ob er für den Unterhalt deswegen hinreichend leistungsfähig ist, weil er die geforderten Beträge - bei Titulierung des Unterhalts - im Rahmen einer Nebentätigkeit auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende anrechnungsfrei hinzuverdienen könne.

4

Das Amtsgericht hat den [X.] antragsgemäß zum Unterhalt verpflichtet. Das [X.] hat auf die Beschwerde des [X.]s den [X.] abgewiesen. Dagegen hat die ursprüngliche Antragstellerin die zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt. Die während des [X.] volljährig gewordene Antragstellerin ist anstelle ihrer Mutter in das Verfahren eingetreten. Sie verfolgt das Unterhaltsbegehren weiter.

B.

5

Rechtsbeschwerde und [X.] sind zulässig, haben aber in der Sache keinen Erfolg.

[X.].

6

Der Antrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist in wirksamer Weise anstelle ihrer Mutter in das Verfahren eingetreten. Die auf Seiten der ursprünglichen Antragstellerin bestehende [X.] nach § 1629 Abs. 3 Satz 1 [X.] bestand zwar über die Scheidung hinaus zunächst noch fort (Senatsurteil [X.], 211 = FamRZ 1990, 283, 284). Sie ist aber mit Eintritt der Volljährigkeit der Antragstellerin entfallen, was auch wegen des Unterhalts für die Vergangenheit gilt (Senatsurteil vom 23. Februar 1983 - [X.] - FamRZ 1983, 474, 475). [X.] ist die Antragstellerin in zulässiger Weise anstelle ihrer Mutter in das Verfahren eingetreten.

7

1. Wie dem Wegfall der [X.] bei Eintritt der Volljährigkeit des Kindes im Verfahren Rechnung zu tragen ist, ist umstritten. Nach der früheren Rechtsprechung des Senats trat - in Anlehnung an den Eintritt des Gemeinschuldners anstelle des Konkursverwalters nach Beendigung des Konkursverfahrens - ein [X.]wechsel kraft Gesetzes ein, durch den das unterhaltsberechtigte Kind ohne weitere prozessuale Erklärungen an die Stelle des Elternteils treten sollte (Senatsurteile vom 23. Februar 1983 - [X.] - FamRZ 1983, 474, 475 und vom 30. Januar 1985 - [X.] - FamRZ 1985, 471, 473). Dagegen ist der Senat in einer neueren Entscheidung - bei Einlegung der Revision durch das volljährig gewordene Kind - davon ausgegangen, dass das Kind ein Recht hat, in den Prozess einzutreten, welches durch Erklärung geltend zu machen ist (Senatsurteil [X.], 211 = FamRZ 1990, 283, 284). Auch im Schrifttum ist in Zweifel gezogen worden, dass sich der [X.]wechsel schon kraft Gesetzes vollzieht ([X.]/[X.]/[X.] Familienrecht 5. Aufl. § 1629 Rn. 12; [X.]/[X.]/[X.]. § 1629 Rn. 51.1 mwN; [X.]/Streicher Handbuch des Scheidungsrechts 6. Aufl. [X.] Rn. 568; Eschenbruch/[X.] Aufl. [X.]. 5 Rn. 64 f.).

8

Der Senat hält an seiner eingangs genannten früheren Rechtsprechung nicht fest. Aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Prozess- bzw. [X.] nach § 1629 Abs. 3 [X.] folgt vielmehr, dass es der freien Entscheidung des volljährig gewordenen Kindes überlassen bleiben muss, ob es sich am Verfahren beteiligt und dieses fortsetzt. Dass das Kind einerseits die Möglichkeit hat, dem Verfahren beizutreten, es andererseits hierzu aber auch nicht gezwungen werden darf, lässt sich nur durch einen gewillkürten Kläger- bzw. [X.] sicherstellen. Entsprechend war in den genannten, vom Senat entschiedenen Fällen (Senatsurteile vom 23. Februar 1983 - [X.] - FamRZ 1983, 474, 475 und vom 30. Januar 1985 - [X.] - FamRZ 1985, 471, 473) das Verfahren jeweils vom volljährig gewordenen Kind fortgesetzt worden.

9

Die als zwingend ausgestaltete Regelung in § 1629 Abs. 3 Satz 1 [X.] lässt die Geltendmachung des Unterhalts nur im eigenen Namen des sorgeberechtigten Elternteils zu und verfolgt den Zweck, das Kind aus dem Streit der Eltern herauszuhalten (BT-Drucks. 10/4514 S. 23; [X.]/Peschel-Gutzeit [X.] [2007] § 1629 Rn. 44 mwN). Dem widerspräche es, wenn das Kind mit Eintritt seiner Volljährigkeit ohne Rücksicht auf seinen Willen zur [X.] bzw. zum Beteiligten des Verfahrens würde. Sollte das Kind sich etwa entschließen, das Verfahren nicht weiterzuführen, müsste es den [X.] mit der Kostenfolge nach §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 269 Abs. 3 ZPO zurücknehmen. Eine einseitige Erledigungserklärung wäre mangels eines erledigenden Ereignisses unbegründet. Aber auch eine übereinstimmende Erledigungserklärung wäre für das Kind mit einem Kostenrisiko verbunden. Dagegen kann der ehemalige [X.]er den Antrag - abgesehen von einer etwaigen Antragsumstellung auf einen (in seiner Person entstandenen) familienrechtlichen Ausgleichsanspruch - notfalls einseitig für erledigt erklären, weil mit der Verfahrensführungsbefugnis eine Zulässigkeitsvoraussetzung nachträglich entfallen ist (vgl. [X.]/[X.]/[X.] Familienrecht 5. Aufl. § 1629 Rn. 12; [X.]/[X.]/[X.]. § 1629 Rn. 51.1 sowie Senatsurteil vom 26. April 1989 - [X.]Vb ZR 42/88 - FamRZ 1989, 850).

Durch einen hier allein möglichen gewillkürten [X.] wird demnach nicht nur der Verfahrensherrschaft des (ursprünglichen) Antragstellers Rechnung getragen, sondern vor allem auch dem Umstand, dass das Kind nicht ohne seinen Willen Beteiligter des Verfahrens werden darf und aus dem Streit der Eltern herausgehalten werden soll.

2. Die Antragstellerin hat mit Zustimmung ihrer Mutter den Eintritt in das Verfahren erklärt. Da der [X.] allein im Wegfall der Verfahrensführungsbefugnis begründet liegt und nicht mit einer Änderung des Streitstoffs verbunden ist, bedurfte es keiner Zustimmung des [X.]s (vgl. Senatsurteil [X.], 211 = FamRZ 1990, 283, 284; Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 - X[X.][X.] ZR 89/10 - [X.], 1489 Rn. 11; vgl. auch [X.], 132 = NJW 1993, 3072). [X.]m Gegensatz zum [X.]wechsel bei [X.] (vgl. Senatsurteil vom 29. August 2012 - X[X.][X.] ZR 154/09 - [X.], 1793 Rn. 15) ist der [X.] nicht - wie gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO - kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung an die Zustimmung des [X.] gebunden (vgl. [X.], 132 = NJW 1993, 3072). Der [X.] ist dementsprechend auch noch in der [X.] zulässig (vgl. Senatsurteil [X.], 211 = FamRZ 1990, 283, 284; Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 - X[X.][X.] ZR 89/10 - [X.], 1489 Rn. 11; [X.]/[X.]/[X.] ZPO 34. Aufl. § 50 Vorbem. Rn. 24).

[X.][X.].

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Nach Auffassung des [X.]s ist der [X.] zur Zahlung von Kindesunterhalt auch nach den Anforderungen der gesteigerten Unterhaltspflicht gemäß § 1603 Abs. 2 [X.] nicht leistungsfähig, denn er könne ohne Gefährdung seines eigenen Selbstbehalts von 900 € bzw. (ab Januar 2011) 950 € keine Beträge für den Kindesunterhalt erübrigen. Der [X.] könne erst bei einem Bruttoeinkommen von 1.265 € (Stundenlohn von 7,30 €) bzw. 1.355 € (7,83 €) den ersten Euro an Unterhalt zahlen. Ein solches Einkommen könne er, ohne dass es auf seine gesundheitlichen Beschwerden ankomme, nicht erzielen. Aufgrund seiner bisherigen Erwerbsvita seien für ihn Ganztagsstellen, bei denen auch nur 7,30 € erzielt werden könnten, verschlossen. Der [X.] sei beruflich gestrandet, aus welchen Gründen auch immer. Er sei in so vielen verschiedenen Berufen tätig gewesen, dass er nirgendwo eine wirkliche Qualifikation habe erwerben können. Auch nach dem von ihm gewonnenen persönlichen Eindruck sei es unwahrscheinlich, dass er noch eine nennenswerte Chance auf dem Arbeitsmarkt für Vollzeitstellen habe. Er werde auf Dauer unverschuldet arbeitslos sein.

Das bedeute aber nicht, dass er deshalb als leistungsfähig anzusehen sei, weil er gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.] (aF) soviel hinzuverdienen könne, dass er den Mindestunterhalt für sein Kind sichern könne. Die Bestimmung lasse es zwar zu, dass titulierte Unterhaltspflichten vom Einkommen abzuziehen seien. Dies gelte aber nicht für in einem laufenden Verfahren noch zu erstellende, sondern lediglich für bei Eintritt der Arbeitslosigkeit schon vorhandene Titel. [X.]n den Gesetzesmaterialien zum Sozialgesetzbuch [X.][X.] lasse sich keine Stütze für das Gegenteil finden. Die Annahme eines fiktiven Einkommens in Höhe des [X.] würde vielmehr zu dem absurden Ergebnis führen, dass der Unterhaltspflichtige sich im [X.]nteresse des Kindes auf keinen Fall um einen Arbeitsplatz bemühen dürfe, der ihm ein Einkommen oberhalb des titulierten Unterhalts ermögliche, er also arbeitslos bleiben müsse. Der "unterhaltsrechtlichen Bedarfsdeckung" komme der Vorrang gegenüber öffentlich-rechtlichen Regelungen dieser Art zu. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.] (aF) erhöhe die Leistungsfähigkeit nicht und dürfe dem Unterhaltspflichtigen auch nicht die Möglichkeit einer Abänderungsklage verschließen.

2. Das hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

a) Die vom [X.] getroffene Feststellung, dass der [X.] kein Einkommen erzielen kann, das ihm die Zahlung von Kindesunterhalt ermöglicht, bewegt sich noch im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung.

aa) Nach § 1603 Abs. 1 [X.] ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 [X.] ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Darin liegt eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht. Aus diesen Vorschriften und aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden (Senatsurteile BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 29 und vom 3. Dezember 2008 - X[X.][X.] ZR 182/06 - [X.], 314 Rn. 20; [X.]/[X.] Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 2 Rn. 366 ff.).

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte, in die auch mögliche Nebenverdienste einzubeziehen sind, setzt neben den nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen eine reale Beschäftigungschance des Unterhaltspflichtigen voraus (Senatsurteile BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 30 f. und vom 3. Dezember 2008 - X[X.][X.] ZR 182/06 - [X.], 314 Rn. 28). Schließlich darf dem Unterhaltspflichtigen auch bei einem Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit nur ein Einkommen zugerechnet werden, welches von ihm realistischerweise zu erzielen ist ([X.] FamRZ 2010, 793).

bb) Die angefochtene Entscheidung genügt diesen Maßstäben.

Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der [X.] im Verlauf seiner wechselvollen Erwerbsbiografie keine Qualifikation erwerben konnte, die es ihm heute ermöglichen würde, eine Vollzeitstelle zu erlangen. Dafür hat es die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder aufgezeigt, in denen der [X.] beschäftigt war und auch dem Umstand Rechnung getragen, dass es ihm zuletzt (seit 2002) auf wechselnden Arbeitsstellen nicht mehr gelungen ist, eine Erwerbstätigkeit nachhaltig zu sichern. Auch soweit die Rechtsbeschwerde beanstandet, gerade die Vielseitigkeit der Tätigkeiten eröffne dem [X.] eine reale Beschäftigungschance, bleibt die Würdigung des [X.]s nach den Maßstäben des [X.] noch vertretbar. Da das [X.] nicht zuletzt das Alter des [X.]s und den persönlichen Eindruck, den es von ihm gewonnen hat, in die Würdigung einbezogen hat, verstößt seine tatrichterliche Würdigung weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2008 - X[X.][X.] ZR 126/06 - [X.], 2104 Rn. 20).

b) Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht auch von der Zurechnung eines (fiktiven) Einkommens abgesehen, das dem [X.] neben seinem Leistungsbezug gemäß dem Sozialgesetzbuch [X.][X.] anrechnungsfrei zu belassen wäre.

aa) Allerdings schließt der Bezug eines ([X.] neben einer bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung für sich genommen noch nicht aus, dass das (Erwerbs-)Einkommen für den Unterhalt zur Verfügung stehen kann. Vielmehr kann der Unterhaltspflichtige unter Umständen auch dann unterhaltsrechtlich leistungsfähig sein, wenn er seinen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt aus Sozialleistungen bestreiten und ein den Selbstbehalt übersteigendes Nebeneinkommen für den Unterhalt einsetzen kann (vgl. [X.]/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 111 ff. mwN).

Davon ist im vorliegenden Fall aber nicht auszugehen. Zwar hat das [X.] keine Feststellungen dazu getroffen, dass es dem insoweit darlegungs- und beweisbelasteten [X.] nicht möglich sei, eine Geringverdienertätigkeit auszuüben (vgl. auch Senatsurteil vom 18. Januar 2012 - X[X.][X.] ZR 178/09 - [X.], 517), durch die er neben der Grundsicherung für Arbeitsuchende ein nach § 11 b Abs. 2, 3 SGB [X.][X.] (zuvor §§ 11 Abs. 2, 30 SGB [X.][X.] idF bis 31. Dezember 2010) teilweise [X.] Einkommen erzielen könnte. [X.] hat die Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt, dass dem [X.] bei Zurechnung eines (fiktiven) Einkommens mehr als der sogenannte notwendige Selbstbehalt nach der [X.] Tabelle und den Leitlinien der [X.]e (in diesem Fall [X.] zwischen Erwerbstätigen- und Nichterwerbstätigenselbstbehalt) zur Verfügung stünde, so dass er für den Unterhalt teilweise leistungsfähig sein könnte.

bb) Zutreffend hat das [X.] die Leistungsfähigkeit des [X.]s auch nicht aus einer möglichen Titulierung des Kindesunterhalts hergeleitet.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.] in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung (im Folgenden: § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.] aF; nunmehr § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.]) sind vom Einkommen eines Antragstellers der Grundsicherung für Arbeitsuchende Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag abzusetzen. Diese Regelung betrifft die Einkommensermittlung für Leistungsberechtigte der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie knüpft an den Grundsatz an, dass die Sozialleistungsbedürftigkeit einer Person sich an den ihr zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln orientiert (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 20).

Daraus ist von Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung die Folgerung gezogen worden, dass den Unterhaltspflichtigen, der leistungsberechtigt für die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist, die unterhaltsrechtliche Obliegenheit treffe, eine Nebentätigkeit auszuüben und zugleich einen Titel errichten zu lassen, damit ihm das diesbezügliche Einkommen zur Unterhaltszahlung verbleibe ([X.], 1297, 1299; FamRZ 2007, 1905, 1906; [X.], 2304, 2306 mwN; NJW 2008, 3366, 3368; [X.] NJW-RR 2010, 221, 222; KG FamRZ 2011, 1302).

Dem folgt der Senat nicht. Vielmehr kann durch die Titulierung des Unterhalts und den dadurch ermöglichten Abzug nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.] aF (§ 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.]) die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht erhöht werden (ebenso [X.], 570, 571 f.; OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 1740, 1741; [X.]/[X.] Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 8 Rn. 197).

Von der Einsetzbarkeit teilweise anrechnungsfreien Einkommens unterscheidet sich die vorliegende Fragestellung dadurch, dass der Unterhalt schon bei der Ermittlung der Sozialleistungsbedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen Berücksichtigung findet. [X.]nsoweit muss also zunächst geklärt werden, welches Einkommen dem Unterhaltspflichtigen nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zur Verfügung steht. Zur Vermeidung eines Zirkelschlusses kann dies nur ohne Berücksichtigung einer wegen des Unterhalts erhöhten Sozialleistung durchgeführt werden.

Dem entsprechen auch die sozialrechtlichen Wertungen. [X.]ndem der Gesetzgeber des Sozialgesetzbuchs [X.][X.] für die Höhe des vom Einkommen abzusetzenden Unterhaltsbetrags an den in einem Unterhaltstitel festgesetzten Unterhaltsanspruch als Obergrenze für die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als Abzugsbetrag anknüpft, unterstellt er lediglich im Sinne einer verwaltungspraktischen Anwendbarkeit der SGB [X.][X.]-Vorschriften zur Einkommensberücksichtigung typisierend, dass ein nach Maßgabe der §§ 1601 ff. [X.] gegebener Unterhaltsanspruch auch in der festgelegten Höhe besteht. Es bedarf daher regelmäßig keiner eigenen Feststellungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder der Sozialgerichte zur Höhe des Unterhaltsanspruchs ([X.], 810 Rn. 16). Damit setzt die sozialgesetzliche Regelung voraus, dass der bestehende Unterhaltstitel nach bürgerlichem Recht ermittelt worden ist und bestimmt zugleich, dass sowohl die zuständigen Behörden als auch die Sozialgerichte die [X.] grundsätzlich nicht zu überprüfen haben. Diese beschränken sich auf die Überprüfung, ob der titulierte Unterhalt tatsächlich gezahlt wird ([X.], 392, 395; [X.], 810 Rn. 13).

Daraus wird deutlich, dass der Unterhalt allein nach den §§ 1601 ff. [X.] zu ermitteln ist, bevor die Sozialleistungsbedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen festgestellt wird. Es ist also nicht zulässig, für die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit den möglichen Bezug von Sozialleistungen unter Berücksichtigung eines nach zivilrechtlichen Kriterien unzutreffend bemessenen oder inzwischen durch die tatsächliche Entwicklung überholten Unterhaltstitels zu ermitteln.

Dieselben Grundsätze gelten im Übrigen auch in [X.] ([X.] FamRZ 2006, 546; [X.] [X.], 1910). Denn auch hier richtet sich die Bestimmung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit nach § 1603 [X.] und ist die unterhaltsrechtliche Bewertung in Bezug auf die Frage, welcher Unterhalt nach § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.] (bzw. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB [X.][X.] aF) abzugsfähig ist, vorrangig.

Dose                            [X.]                            Schilling

                Günter                                       Botur

Meta

XII ZB 39/11

19.06.2013

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 22. Dezember 2010, Az: 2 UF 274/10

§ 1603 Abs 2 S 1 BGB, § 1629 Abs 3 BGB, § 113 Abs 1 S 2 FamFG, § 50 ZPO, § 263 ZPO, § 11 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB 2 vom 09.12.2010, § 11b Abs 1 S 1 Nr 7 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.06.2013, Az. XII ZB 39/11 (REWIS RS 2013, 4904)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4904

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