Bundessozialgericht, Urteil vom 17.05.2011, Az. B 2 U 19/10 R

2. Senat | REWIS RS 2011, 6603

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Gegenstand

(Gesetzliche Unfallversicherung - Entschädigung wegen einer Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4111 - Stichtagsregelung - Inkrafttreten - maßgeblicher Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls - keine Rückwirkung gem § 6 Abs 3 S 2 BKV hinsichtlich der Rechtsfolge "Versicherungsfall" - Umfang der Zahlungsansprüche gem § 6 Abs 6 S 2 BKV - Erkrankungsfall vor dem 1.1.1993 - Verletztenrente - rückwirkende Leistungserbringung ab dem 1.1.2005)


Leitsatz

1.Der Versicherungsfall einer Listen-Berufskrankheit (BK) kann nicht vor dem Zeitpunkt eintreten, zu dem ihre Aufnahme in die Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) in Kraft getreten ist.

2. § 6 Abs 6 S 2 BKV gewährt Zahlungsansprüche in dem Umfang, als wäre der Versicherungsfall der in § 6 Abs 1 bis 5 BKV genannten BKen bereits vor der jeweiligen Aufnahme in die BK-Liste eingetreten.

3. Bei der zum 1.7.2009 eingeführten BK Nr 4111 aufgrund einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung ist die Verletztenrente unter Berücksichtigung von Zeiten ab 1.1.2005 zu zahlen.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 30. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist der Umfang des Rechts auf eine Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach [X.] 4111 (im Folgenden: [X.] 4111) der Anlage (ab [X.]) zur [X.] ([X.]V) streitig.

2

Der Kläger war im Bergbau vorwiegend als Maschinenhauer tätig. Auf eine ärztliche Anzeige über den Verdacht des Vorliegens einer [X.] 4111 vom 26.10.1998 lehnte die Beklagte die Feststellung und Entschädigung dieser [X.] ab, weil der Versicherungsfall entgegen § 6 Abs 1 [X.]V (idF vom 31.10.1997 , [X.]) nicht nach dem 31.12.1992 eingetreten sei (Bescheid vom 23.9.1999, Widerspruchsbescheid vom [X.]). Der Kläger hat hiergegen Klage zum [X.] Gelsenkirchen erhoben.

3

Durch Art 1 [X.] 2 Buchst d iVm Art 2 der [X.] zur Änderung der [X.]V vom 11.6.2009 (2. [X.]V-ÄndV; [X.] 1273) wurde zum [X.] § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V eingefügt. Danach waren, falls alle sonstigen Voraussetzungen der [X.] 4111 vorlagen, auch bereits vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen als [X.] 4111 anzuerkennen, sofern sie einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt wurden. Die Beklagte stellte daraufhin während des Klageverfahrens das Recht auf eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von [X.] fest. Sie räumte Zahlungsansprüche für Zeiten ab 1.1.2005 ein und teilte mit, dass als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der 17.2.1983 "gilt" (Bescheid vom 25.9.2009).

4

Das [X.] hat die Klagen, im Wesentlichen auf Verurteilung zur Zahlung der Verletztenrente bereits für Zeiten ab 26.10.1998 gerichtet, abgewiesen (Urteil vom [X.]). Nach § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V könnten Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor dem Jahr erbracht werden, in dem der Antrag gestellt worden sei. Dieser Antrag hätte wirksam nicht vor dem [X.] gestellt werden können, da erst zu diesem Zeitpunkt durch die 2. [X.]V-ÄndV die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung als [X.] 4111 ermöglicht worden sei.

5

Mit der Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 6 Abs 6 [X.]V. Die Vierjahresregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V gelte wegen des Sachzusammenhangs mit § 6 Abs 6 Satz 1 [X.]V lediglich im Falle bindender Bescheide oder rechtskräftiger Entscheidungen. Davon gehe auch das [X.] in einer Stellungnahme vom [X.] aus. Bei einem generellen Leistungsausschluss für Zeiten vor dem 1.1.2005 ginge die zum [X.] eingeführte Regelung des § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V über die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung als [X.] 4111 für viele Versicherte und Hinterbliebene ins Leere.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 30. Juli 2010 sowie die Regelung über Zahlungsansprüche aus dem Recht auf Verletztenrente im Bescheid der Beklagten vom 23. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2000 sowie des [X.] vom 25. September 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente unter Berücksichtigung auch der Zeiten vom 26. Oktober 1998 bis zum 31. Dezember 2004 zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V entspreche § 44 Abs 4 [X.]B X. Auf diese Vorschrift werde bereits im Entwurf der [X.]V vom 29.8.1997 ([X.]) hingewiesen. Eine Differenzierung nach abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Verfahren hätte die Verordnungsgeberin eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet. Das [X.] hat die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Regelung der Beklagten über die Zahlungsansprüche des [X.] im Bescheid vom 23.9.1999 in der Gestalt des [X.] und des Änderungsbescheides vom 25.9.2009 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten. Ein Zahlungsanspruch unter Berücksichtigung auch von [X.]en vor dem 1.1.2005 steht ihm nicht zu.

Der geltend gemachte Anspruch beurteilt sich nach den Vorschriften des [X.]B VII, denn der Versicherungsfall der [X.] ist nicht vor dem Inkrafttreten des [X.]B VII am [X.] eingetreten (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom [X.], [X.] 1254, § 212 [X.]B VII). Nach § 56 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um [X.] gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Anspruch auf Feststellung (sog Anerkennung) eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 iVm §§ 8 oder 9 [X.]B VII (bis zum 31.12.1996: §§ 548, 550, 551 RVO) und den aufgrund eines Versicherungsfalls ggf unter weiteren Voraussetzungen entstehenden Ansprüchen auf bestimmte Leistungen (vgl B[X.] vom 30.10.2007 - B 2 U 12/06 R - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 4302 [X.] Rd[X.]9 und vom [X.] - Juris Rd[X.]9). Der Versicherungsfall einer [X.] setzt voraus, dass die Verordnungsgeberin die Krankheit als [X.] in einem in [X.] getretenen Tatbestand der [X.]V bezeichnet hat und sämtliche Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt sind (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] 4-2700 § 9 [X.] Rd[X.]2). Das war beim Kläger nicht schon am 17.2.1983, weder aufgrund eines feststellenden Verwaltungsakts (dazu 1.) noch kraft normativer Regelung (dazu 2.), oder am 1.12.1997 (dazu 3.), sondern erst seit dem [X.] der Fall (dazu 4.). Die Verletztenrente ist daher nach § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII ab [X.], wegen der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V allerdings auch unter Berücksichtigung von [X.]en ab 1.1.2005 zu zahlen (dazu 5.).

1. [X.] vom 25.9.2009 enthält keine feststellende Regelung iS des § 31 Satz 1 [X.]B X über einen am 17.2.1983 eingetretenen Versicherungsfall der [X.]. Den rechtlichen Inhalt eines Verwaltungsaktes hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "[X.]" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen [X.]n (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (B[X.] vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - B[X.]E 100, 1 = [X.] 4-3250 § 33 [X.], jeweils Rd[X.]1 mwN). Gemessen daran ist die Formulierung, als "[X.]punkt des Versicherungsfalls gilt der 17.02.1983", nur ein Hinweis darauf, dass seit diesem Tag die eine rentenberechtigende MdE bedingende Erkrankung vorliegt. Unabhängig davon, dass der Versicherungsfall nur fiktiv angenommen worden ist ("gilt"), wird hierzu unter Ziffer 5 der Erläuterungen zum Bescheid vom 25.9.2009 ausgeführt, dass bei [X.]en für Leistungen als [X.]punkt des Versicherungsfalls der Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, sofern dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der rentenberechtigenden MdE gilt. Zudem hat die Beklagte unter Ziffer 4 dieser Erläuterungen darauf hingewiesen, dass eine bereits vor dem [X.] eingetretene und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt gewordene Erkrankung erst "ab dem 01.07.2009" als [X.] anzuerkennen ist. Damit hat die Beklagte gerade nicht erklärt, dass bereits am 17.2.1983 sämtliche Voraussetzungen der [X.] infolge einer vor dem [X.] eingetretenen Erkrankung erfüllt gewesen wären.

2. Der Versicherungsfall der [X.] lag auch nicht kraft normativer Bestimmungen mit dem Eintritt der Erkrankung am 17.2.1983 vor. Nach der zu diesem [X.]punkt geltenden Vorschrift des § 551 Abs 1 Satz 2 [X.] § 1 der [X.] vom [X.] ([X.]VO; [X.] 721) sind [X.]en nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als [X.]en bezeichnet ([X.]). In der Anlage zur [X.]VO war die [X.] indes nicht enthalten. Die Erkrankung "Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m³) x Jahre]" ist erst mit Wirkung zum 1.12.1997 (§ 8 Abs 1 [X.]V) als [X.] in die Anlage der [X.]V vom 31.10.1997 ([X.] 2623) aufgenommen worden.

3. Allerdings war der Versicherungsfall der [X.] auch nicht mit dem Inkrafttreten der [X.]V am 1.12.1997 nach der § 551 Abs 1 Satz 2 RVO entsprechenden Nachfolgeregelung des § 9 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII iVm § 1 [X.]V und der Anlage hierzu eingetreten. Allein mit dem Vorliegen der seit 17.2.1983 bestehenden Erkrankung am 1.12.1997 war, auch wenn sie infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 [X.]B VII begründenden Tätigkeit verursacht wurde, der Tatbestand der [X.] noch nicht erfüllt. Er setzte außerdem voraus, dass die Erkrankung nach dem 31.12.1992 aufgetreten war. Das ergibt sich aus § 6 Abs 1 [X.]V aF, wonach eine am 1.12.1997 bestehende Krankheit nach [X.] 4111 nur dann auf Antrag als [X.] anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall "nach dem 31. Dezember 1992" eingetreten ist. Der Versicherungsfall der [X.] hing zu Beginn seiner Einführung davon ab, dass zu dem genannten Stichtag der Betroffene noch nicht erkrankt war. Neben der Erkrankung an sich war daher auch ihr Auftreten nach dem 31.12.1992 Tatbestandsvoraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls. Der Kläger war indes bereits am 17.2.1983 erkrankt.

Dass trotz der Einführung der [X.] zum 1.12.1997 in § 6 Abs 1 [X.]V aF und in § 6 Abs 3 Satz 1 [X.]V nF vom "Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992" die Rede ist, steht dem nicht entgegen. Die Verordnungsgeberin hat den Begriff des Versicherungsfalls nicht in seiner gemäß § 7 Abs 1 [X.]B VII gesetzlichen Bedeutung, sondern untechnisch und gleichbedeutend mit "Erkrankung" verwendet. Der Versicherungsfall einer [X.] kann erst dann eintreten, wenn die [X.] durch ihre in [X.] gesetzte Aufnahme in die Anlage zur [X.]V überhaupt rechtlich existent ist. Die [X.] ist aber erst mit Wirkung zum 1.12.1997 in die Anlage zur [X.]V aufgenommen worden, so dass ein davor eingetretener Versicherungsfall ausscheidet. Den ungenauen Wortgebrauch hat die Verordnungsgeberin in dem zum [X.] eingeführten § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V vermieden. Danach ist die Anerkennung der [X.] für den Fall vorgesehen, dass die "Erkrankung" bereits vor dem [X.] eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt geworden ist. Auch unter dem "Versicherungsfall" iS des § 6 Abs 1 [X.]V aF und des § 6 Abs 3 Satz 1 [X.]V nF ist also der "[X.]" zu verstehen.

4. Der Versicherungsfall der [X.] ist beim Kläger am [X.] eingetreten. Erst zu diesem [X.]punkt ist deren Anerkennung für vor dem [X.] eingetretene Erkrankungen eröffnet worden. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für die Feststellung eines Versicherungsfalls vor, tritt der Versicherungsfall frühestens zu dem [X.]punkt ein, zu dem die Bundesregierung als Verordnungsgeberin aufgrund ihrer Ermächtigung in § 9 Abs 1 [X.]B VII mit Zustimmung des Bundesrates den [X.]-Tatbestand eingeführt hat.

Die Regelung des § 6 Abs 1 [X.]V aF ist zum 1.10.2002 in § 6 Abs 2 [X.]V (Art 1 [X.] Buchst a und b und Art 2 der Verordnung zur Änderung der [X.]V vom [X.] <[X.] 3541>) und zum [X.] in § 6 Abs 3 Satz 1 [X.]V (Art 1 [X.] Buchst a, b und d sowie Art 2 der 2. [X.]V-ÄndV) fortgeführt worden. Nach § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V ist abweichend von § 6 Abs 3 Satz 1 [X.]V eine Erkrankung nach [X.] 4111 auch dann als [X.] anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem [X.] eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt geworden ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Von der 1983 beim Kläger aufgetretenen Erkrankung hat die Beklagte 1998 Kenntnis erlangt.

§ 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V ist indes am [X.] in [X.] getreten (Art 2 der 2. [X.]V-ÄndV) und entfaltet daher erst ab diesem Tag Rechtswirkungen. Erst das Inkrafttreten einer Rechtsnorm gemäß Art 82 Abs 2 Satz 1 und 2 GG führt zur Wirksamkeit der Geltungsanordnung (vgl hierzu B[X.] vom [X.] - [X.] 4-2700 § 63 [X.] 5 Rd[X.]). § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V knüpft zwar an vor dem [X.] eingetretene Erkrankungen iS einer tatbestandlichen Rückanknüpfung (vgl hierzu [X.] vom [X.] - [X.]E 72, 200, 242 f) an, enthält aber keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, weil sein Inkrafttreten nicht auf einen [X.]punkt vor seiner Verkündung festgelegt wurde. Die mit "Rückwirkung" überschriebene Übergangsbestimmung regelt lediglich ab ihrem Inkrafttreten am [X.] eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Sachverhalte iS der [X.], die vor ihrem Inkrafttreten eingetreten sind (vgl B[X.] vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - B[X.]E 102, 121 = [X.] 4-2700 § 9 [X.]2, jeweils Rd[X.]). Dadurch, dass § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V die Anerkennung der [X.] unabhängig vom [X.]punkt der rechtzeitig bekannt gewordenen Erkrankung ermöglicht, misst sich die Norm in zeitlicher Hinsicht keine Geltung bereits vor dem [X.] oder sogar vor dem 1.12.1997, dem Tag des Inkrafttretens der [X.]V, zu. Vielmehr macht sie das nach ihrer Verkündung liegende Eintreten von Rechtsfolgen (Versicherungsfall [X.]) auch von Gegebenheiten aus der [X.] vor ihrer Verkündung abhängig.

Aus dem Entwurf der Bundesregierung zur 2. [X.]V-ÄndV ergibt sich nichts anderes. Darin wird ausgeführt, dass die zeitliche Begrenzung der rückwirkenden Anerkennung bereits bestehender Erkrankungsfälle bei der [X.] nicht sachgerecht sei (vgl [X.] zu [X.] Buchst d). Indem von der "rückwirkenden Anerkennung" die Rede ist, wird nicht schon der in der [X.]V nicht erklärte [X.] verdeutlicht, dass die Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls der [X.] wegen einer vor dem [X.] aufgetretenen Erkrankung bereits vor dem [X.] eintreten soll. § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V zielt darauf ab, entgegen dem früheren Recht ab dem [X.] die Anerkennung einer vor dem [X.] aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der [X.] zu eröffnen, ohne den [X.]punkt der Einführung der [X.] zum 1.12.1997 oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum [X.] in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der [X.], sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem [X.] liegenden Erkrankungen als [X.] sollte eingeräumt werden. Hätte die Bundesregierung bei einer vor dem [X.] aufgetretenen Erkrankung den Versicherungsfall der [X.] bereits vor dem [X.] einführen wollen, hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V bedurft.

5. Wegen des am [X.] eingetretenen Versicherungsfalls der [X.] sind Zahlungsansprüche für [X.]en vor dem 1.1.2005 ausgeschlossen.

Die Verletztenrente wird gemäß § 72 Abs 1 [X.]B VII von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet ([X.]) oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist ([X.]). Danach ist die Verletztenrente dem Kläger mangels Anspruchs auf Verletztengeld ab [X.] zu zahlen. Allerdings sind aufgrund der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V bereits [X.]en ab 1.1.2005 zu berücksichtigen.

§ 6 Abs 1 bis 5 [X.]V regelt die Anerkennung von [X.]en, die im Rahmen der Neufassung der [X.]V oder einer Änderungs-Verordnung zur [X.]V oder [X.]VO neu in die Anlage (1) aufgenommen oder bezeichnet worden sind. Diese neuen [X.]en sind auch dann festzustellen, wenn die Erkrankungen in der Vergangenheit eingetreten sind. Soweit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer [X.] nach § 6 Abs 1 bis 5 [X.]V erfüllt sind, stehen einer solchen Feststellung gemäß § 6 Abs 6 Satz 1 [X.]V bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen nicht entgegen. Während diese, hier mangels bestands- oder rechtskräftiger Ablehnung der [X.] nicht einschlägige Vorschrift allein die Anerkennung eines Versicherungsfalls betrifft, indem sie frühere bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen für nicht mehr rechtswirksam erklärt, legt § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V den Umfang des erst aufgrund der Inkraftsetzung des neuen [X.]-Tatbestandes entstandenen Leistungsanspruchs fest. Danach werden Leistungen rückwirkend längstens für einen [X.]raum bis zu vier Jahren ab Beginn des Jahres erbracht, in dem der Antrag gestellt worden ist. Diese Vorschrift regelt nicht den durch Parlamentsgesetz in § 72 [X.]B VII bestimmten Rentenbeginn, dessen Modifikation der Verordnungsgeberin ohne gesetzliche Ermächtigung verwehrt ist. Sie räumt vielmehr Zahlungsansprüche in dem Umfang ein, als wäre der Versicherungsfall bereits vor dem Tag seiner rechtswirksamen Aufnahme in die [X.]-Liste, frühestens vier Jahre vor Beginn des Jahres der Antragstellung eingetreten.

Im Falle der [X.] iS des § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V werden Versicherte - und hier der Kläger - aufgrund des § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V so gestellt, als wäre der Versicherungsfall bereits am 31.12.2004 und ein Leistungsanspruch am 1.1.2005 entstanden. Der in der letztgenannten Bestimmung geregelte Vierjahreszeitraum ist zwar vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem ein Antrag gestellt worden ist. Da § 6 Abs 6 [X.]V nicht nur für einen speziellen [X.]-Tatbestand, sondern für sämtliche Fallgestaltungen des § 6 Abs 1 bis 5 [X.]V gilt, ist unter dem "Antrag" iS des § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V nur ein, aber auch jeder Antrag iS des § 6 Abs 1 bis 5 [X.]V zu verstehen, mit dem eine durch diese Vorschriften eingeführte Begünstigung durch Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs einer bestimmten [X.] auf vor deren Inkrafttreten eingetretene Sachverhalte geltend gemacht wird. Ein solcher Antrag des [X.] ist vom [X.] zwar nicht festgestellt worden. Die Vorschrift des § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V ist aber auch auf den in § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V geregelten Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem [X.] eingetretene Erkrankung (bis zum 31.12.2009) auch ohne Antrag bekannt wird. Denn anders als die Regelungen in § 6 Abs 1, 2, 3 Satz 1, 4 und 5 [X.]V, die sämtlich einen Antrag auf Anerkennung der jeweils genannten [X.] voraussetzen, lässt § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V das rechtzeitige Bekanntwerden genügen. Dass sich § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V nach dem [X.]n der Verordnungsgeberin nicht auf die Fallgestaltung des § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V erstrecken sollte, hat sie weder in der [X.]V noch im Entwurf zur 2. [X.]V-ÄndV ([X.]) verdeutlicht. Da die [X.] iS des § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V allerdings rechtswirksam erst zum [X.] eingeführt worden ist, ist bei der Bemessung der Verletztenrente nur der zurückliegende [X.]raum bis 1.1.2005 zu berücksichtigen.

Zu einer anderen Beurteilung führt nicht die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des [X.] vom 14.6.2010. Dessen Einschätzung, an die der Senat nicht gebunden ist, verkennt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V nicht rückwirkend, sondern am [X.] in [X.] getreten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 2 U 19/10 R

17.05.2011

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Gelsenkirchen, 30. Juli 2010, Az: S 7 KN 302/09 U WA, Urteil

§ 7 Abs 1 SGB 7, § 9 Abs 1 SGB 7, § 56 Abs 1 S 1 SGB 7, § 72 Abs 1 Nr 2 SGB 7, § 6 Abs 1 BKV vom 31.10.1997, § 6 Abs 3 S 1 BKV vom 11.06.2009, § 6 Abs 3 S 2 BKV vom 11.06.2009, § 6 Abs 6 S 2 BKV vom 11.06.2009, Anl 1 Nr 4111 BKV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.05.2011, Az. B 2 U 19/10 R (REWIS RS 2011, 6603)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6603

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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