Bundessozialgericht, Urteil vom 12.01.2010, Az. B 2 U 5/08 R

2. Senat | REWIS RS 2010, 10581

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Hinterbliebenenrente - Versicherungsfall - Berufskrankheit - Wie-Berufskrankheit - maßgeblicher Zeitpunkt: neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft - kein Versicherungsfall einer neuen "Gesamt-BK" - Synkanzerogenese - wesentliche Teilursache - Verursachungswahrscheinlichkeit - Bronchialkarzinom - arbeitsbedingte Exposition: Chromat - Nickeloxid - ionisierende Strahlung - Schweißer


Leitsatz

Wirken auf einen Versicherten die Arbeitsstoffe mehrerer Listen-Berufskrankheiten ein, die im Zusammenwirken eine Krebserkrankung verursachen können (Synkanzerogenese), darf aus diesen Listen-Berufskrankheiten nicht eine neue Gesamt-Berufskrankheit gebildet werden; vielmehr ist zu prüfen, ob die Einwirkungen einer Listen-Berufskrankheit für das Entstehen der Erkrankung eine wesentliche Teilursache waren.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Zahlung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Sie ist die Witwe des am [X.] an einem Bronchialkarzinom des rechten Lungenlappens verstorbenen Versicherten. Dieser war von August 1958 bis 31.12.1994 als Schweißer bei einem Werftunternehmer, der Mitglied der Beklagten ist, in [X.] beschäftigt. Zur [X.] gehörte ein Kniekissen, in das [X.] eingenäht war. Er schweißte mit hochlegiertem Chrom-/Nickel-Stahl, unlegiertem Stahl und Aluminium. Als Schweißverfahren kamen mit jeweils zu einem Drittel das [X.], das Lichtbogenhandschweißen mittels Stabelektrode und das Metall-Aktiv-Gas-Schweißen mit [X.] zur Anwendung, eingesetzt wurden thoriumhaltige Zündelektroden und "[X.]".

3

Der Versicherte teilte der Beklagten unter dem 23.12.1999 mit, bei ihm sei im Oktober 1999 ein [X.] festgestellt worden. Er habe zeitlebens nicht geraucht und bringe die Erkrankung mit seiner Arbeit als Schweißer in Verbindung. Die Beklagte forderte noch im Juli 2000 von dem behandelnden Hausarzt des Versicherten [X.] eine Benachrichtigung für den Fall der Verschlechterung des Gesundheitszustands des Versicherten an. Am [X.] ist der Versicherte an dem [X.] verstorben. Am [X.] erhielt die Beklagte die Nachricht, der Versicherte sei ohne vorherige Sektion eingeäschert worden. Die Beklagte lehnte die "Gewährung von [X.]" im Hinblick auf die Berufskrankheiten ([X.]) 1103, 4104 und 4109 an die Klägerin ab (Bescheid vom 23.1.2001, Widerspruchsbescheid vom 1.6.2001).

4

Die Klägerin hat bei dem Sozialgericht ([X.]) [X.] Klage erhoben ([X.]). Während des Verfahrens hat die Beklagte die Feststellung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente auch im Blick auf eine inzwischen geprüfte [X.] 2402 abgelehnt (Bescheid vom 7.12.2001, Widerspruchsbescheid vom [X.]). Die auch hiergegen erhobene Klage ([X.]) hat das [X.] mit dem schon anhängigen Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klagen abgewiesen (Urteil vom [X.]).

5

Das [X.] (L[X.]) hat das Urteil des [X.] sowie die angefochtenen Ablehnungsentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung der Lungenkrebserkrankung des Versicherten als [X.] 1103, [X.] 4109 und [X.] 2402 ab [X.] Hinterbliebenenrente zu zahlen. Hingegen hat es die Berufung zurückgewiesen, soweit die Verurteilung zur Zahlung von Hinterbliebenenrente aufgrund einer [X.] 4104 begehrt wurde (Urteil vom 13.9.2007). Die Klägerin habe Anspruch auf Hinterbliebenenrente, da der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten sei. Zwar liege keine der genannten Listen-[X.] monokausal vor, es sei aber anzunehmen, dass die Einwirkungen von [X.], [X.], ionisierender Strahlung und Asbest im Sinne einer Synkanzerogenese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Bronchialkarzinom beim Versicherten verursacht hätten und er infolge der anerkannten [X.] verstorben sei.

6

Die Beklagte hat die vom L[X.] zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 9 Abs 1 und 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch ([X.]B VII). Die schädigenden Einwirkungen durch [X.], [X.], ionisierende Strahlen sowie Asbest stellten keine [X.] dar. Lediglich für das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen ([X.]) sei eine Dosis-Wirkungs-Beziehung festgelegt. Zwar gebe es Hinweise in der medizinischen Wissenschaft, dass auch das Zusammenwirken anderer Stoffe karzinogene Wirkung habe. Welche Stoffe im Einzelnen mit welcher Dosis eingewirkt haben müssten, damit sie im Zusammenwirken einen Lungenkrebs hervorrufen könnten, sei wissenschaftlich aber noch nicht geklärt. Auch wenn das [X.] (B[X.]) im Urteil vom [X.]([X.] U 9/05 R) die Einwirkungen der [X.] 2108 und 2110 zusammengefasst habe, könne dies nicht auf den Fall des Zusammenwirkens von vier Arbeitsstoffen übertragen werden. Im Übrigen habe das L[X.] die Berufung hinsichtlich der [X.] 4104 zurückgewiesen, aber die Einwirkungen durch Asbest in die Berechnung des Risikos des Versicherten einbezogen.

7

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen [X.]s vom 13. September 2007 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 24. Februar 2003 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des [X.] und Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>).

Das Urteil des [X.] verletzt Bundesrecht, soweit es das Urteil des [X.] und die ablehnenden Entscheidungen in den Bescheiden der Beklagten vom 23.1.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.6.2001 sowie vom 7.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] aufgehoben und die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin ab [X.] Hinterbliebenenrente aufgrund einer Gesamtbetrachtung der [X.] 1103, 4109 und 2402 zu zahlen. Ob die Klägerin aufgrund einer der [X.] 1103, 4109 oder 2402 oder mehrerer von diesen einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat, kann der [X.] nicht abschließend entscheiden, da das [X.] hierzu die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat.

1. Nach § 63 Abs 1 [X.]B VII haben Hinterbliebene ua Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 [X.]B VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und [X.]. Beim Versicherten konnten als Versicherungsfall nur [X.] vorgelegen haben.

Bei [X.] ist nach § 9 [X.]B VII zwischen "Listen-[X.]" und "Wie-[X.]" zu unterscheiden. Eine [X.] nach § 9 Abs 1 [X.]B VII setzt voraus, dass die Krankheit als [X.] in einem Tatbestand der [X.] ([X.]V) erfasst ist und diesen erfüllt. Hingegen ist eine Wie-[X.] nach § 9 Abs 2 [X.]B VII als Versicherungsfall anzuerkennen, wenn die Krankheit nicht in der [X.]V bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt, aber nach neuen Erkenntnissen der Wissenschaft die Voraussetzungen für ihre Bezeichnung als [X.] in der Anlage zur [X.]V durch den Verordnungsgeber gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII vorliegen. Das Gesetz definiert für die [X.] also zwei Arten von Versicherungsfällen (B[X.] vom [X.] - B 8 KN 1/00 U R - B[X.]E 88, 226 = [X.]-2700 § 63 [X.] 1 - juris Rd[X.] 15; B[X.] vom 2.12.2008 - [X.] KN 2/07 U R - juris Rd[X.] 15) . Jeder dieser Versicherungsfälle kann iS des § 63 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII zum Tod des Versicherten führen und Leistungen an Hinterbliebene auslösen.

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente wegen eines Todes des Versicherten infolge des Versicherungsfalls einer [X.] 4104, weil dieser nicht vorgelegen hat (a). Es hat auch nicht der Versicherungsfall einer Art "Gesamt-[X.]" aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombination von mehreren Listen-[X.] (b) oder der Versicherungsfall einer Wie-[X.] vorgelegen (c). Ob der Versicherte an den Folgen des Versicherungsfalls einer [X.] 1103 oder 4109 oder 2402 (§ 9 Abs 1 [X.]B VII iVm der Anlage 1 zur [X.]V) verstorben ist (d), kann der [X.] nicht abschließend entscheiden, weshalb das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist.

a) Aus § 9 Abs 1 [X.]B VII lassen sich für eine [X.] im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oä auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; vgl B[X.] vom [X.] - [X.] U 9/08 R - B[X.]E 103, 59 = [X.]-2700 § 9 [X.] 14) .

Von den in der Anlage zur [X.]V bezeichneten Listen-[X.] kommt im Falle des Versicherten, der als Schweißer gearbeitet hat, berufsbedingt den Stoffen [X.], [X.], ionisierender Strahlung und Asbest ausgesetzt war und an einem Lungentumor verstorben ist, ein Versicherungsfall nach folgenden [X.]-Tatbeständen in Betracht:

[X.] 1103:

Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen

[X.] 2402:

Erkrankungen durch ionisierende Strahlen

[X.] 4104:

Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs
- in Verbindung mit [X.]lungenerkrankung (Asbestose) oder
- in Verbindung mit durch [X.] verursachter Erkrankung der [X.] oder
- bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 [X.]

[X.] 4109:

Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen

Die [X.] [X.] 4104 scheidet schon deswegen aus, weil bei dem Versicherten weder das Bild einer Asbestose noch einer durch [X.] verursachten Erkrankung der [X.] noch eine Einwirkung von 25 Asbestfaserjahren vorgelegen hat (zu den anderen Listen-[X.] unten d).

b) Entgegen der Auffassung des [X.] ist der Versicherte nicht infolge eines Versicherungsfalls einer Art "Gesamt-[X.]" aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombination der Listen-[X.] 1103, 4109 und 2402 verstorben.

Zwar ist der Klägerin darin zu folgen, dass das [X.] nicht nur die [X.] 1103 und 4109, sondern - ausweislich des Tenors - auch die [X.] 2402 bejaht hat. Die Beklagte hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Art und Weise, wie das [X.] die Verursachungswahrscheinlichkeit gemeinsam für die [X.] 1103, 2402 und 4109 errechnet hat, zu beanstanden ist.

Es widerspricht dem Bundesrecht, wenn die Verwaltung oder die Gerichte Tatbestände mehrerer Listen-[X.] zu einer neuen Gesamt-[X.] verbinden. Zur Bezeichnung einer neuen (Listen-)[X.] ist nur die Bundesregierung als Verordnungsgeberin - mit Zustimmung des Bundesrates - ermächtigt (§ 9 Abs 1 [X.]B VII) und neben diesem Listenprinzip gibt es nur die sog Öffnungsklausel unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 9 Abs 2 [X.]B VII.

Indem der Verordnungsgeber mit Wirkung zum [X.] durch Art 1 [X.] 3 Buchst d der 2. Verordnung zur Änderung der [X.]V vom 11.6.2009 ([X.], 1273) einen [X.]-Tatbestand geschaffen hat, der nun eine Erkrankung nach schädigenden Einwirkungen zweier synkanzerogen wirkender Stoffe als Versicherungsfall bezeichnet ([X.] 4114: Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die eine Verursachungswahrscheinlichkeit von [X.] nach Anlage 2 der [X.]V begründet), wird deutlich, dass er durchaus auch die berufsbedingte Verursachung einer Erkrankung durch das Zusammenwirken verschiedener gefährdender Stoffe als [X.] bezeichnen kann.

In dem Urteil vom 27.6.2006 ([X.] U 9/05 R - [X.]-2700 § 9 [X.] 8) zum Verhältnis der [X.] 2108 und 2110 hat der [X.] "nicht eine aus den Tatbeständen der [X.] 2108 und 2110 zusammengesetzte neue [X.] gebildet, sondern dem Umstand Rechnung getragen, dass in Bezug auf die Wirbelsäulenerkrankung die Tatbestandsvoraussetzungen beider [X.] (nebeneinander) vorliegen" (Rd[X.] 18). Soweit [X.] in seiner Anmerkung zu dem Urteil ([X.]b 2007, 562 f) von einer "Verklammerung" des [X.]-Geschehens schreibt, ändert dies nichts an der getrennten Betrachtung beider [X.] durch den [X.]. [X.] ist jedoch, dass bei einem Versicherten, der an einer Krankheit leidet, die Gegenstand mehrerer [X.] ist, wenn er zudem Einwirkungen ausgesetzt war, die von jeder dieser [X.] erfasst werden, schon nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu prüfen ist, ob die Einwirkungen die in der [X.] bezeichnete Erkrankung verursacht haben. Diese Einwirkungen können nicht isoliert gesehen werden, sondern sind sich wechselseitig beeinflussende konkurrierende Ursachen (vgl nur B[X.] vom 9.5.2006 - [X.] U 1/05 R - B[X.]E 96, 196 = [X.]-2700 § 8 [X.] 17, jeweils Rd[X.] 16) . Ob der Tod des Versicherten in diesem Sinne wesentlich durch die Einwirkungen nach einer der möglichen [X.] [X.] 1103, 2402, 4109 verursacht wurde, hat das [X.] jedoch nicht geprüft (siehe nachfolgend d).

c) Der Versicherte ist auch nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-[X.] (§ 9 Abs 2 [X.]B VII) verstorben.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der [X.] nicht gehindert, über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente wegen einer Wie-[X.] zu entscheiden (aa). Zum maßgeblichen Zeitpunkt ([X.]) hat beim Versicherten der Versicherungsfall einer Wie-[X.] nicht vorgelegen ([X.]), denn die Voraussetzungen für die Bezeichnung der Erkrankung Lungenkrebs infolge der gemeinsamen Einwirkungen von [X.], [X.], ionisierender Strahlung und [X.] in der Anlage zur [X.]V als [X.] waren nicht gegeben.

aa) Der von der Klägerin bestimmte Streitgegenstand umfasst das Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Witwenrente unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit den Ablehnungsentscheidungen in ihren Bescheiden verneint.

Die Beklagte verweist zu Unrecht auf die Rechtslage, die gilt, wenn ein Versicherter selbst die Feststellung eines Versicherungsfalls einer [X.] durch die Verwaltung begehrt oder Versicherungsansprüche gegen sie erhebt. Dabei bilden jede Listen- und jede Wie-[X.] jeweils einen eigenständigen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den der zuständige Träger einen feststellenden Verwaltungsakt (positiver oder negativer Art) zu erlassen hat. Die Feststellung des [X.], eine [X.] liege vor oder nicht vor, kann sich wegen der völlig verschiedenen Voraussetzungen der Listen-[X.] in der Anlage zur [X.]V untereinander und den dazu und untereinander ebenfalls völlig unterschiedlichen Voraussetzungen der eventuell zu prüfenden Wie-[X.] nach § 9 Abs 2 [X.]B VII immer nur auf einzelne Listen- oder Wie-[X.] beziehen. Daher kann der Versicherte eine Anfechtungsklage nur gegen einen Verwaltungsakt erheben, mit dem der Versicherungsträger die Feststellung einer bestimmten [X.] oder Wie-[X.] (oder mehrerer solcher Versicherungsfälle) abgelehnt hat (vgl B[X.] vom 2.12.2008 - [X.] KN 3/07 U R - [X.]-2700 § 9 [X.] 13 Rd[X.] 12; B[X.] vom 2.12.2008 - [X.] KN 2/07 U R - juris Rd[X.] 15 f) .

Anders ist die Rechtslage bei Hinterbliebenen, die ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegen den Träger geltend machen. Nach § 63 Abs 1 [X.]B VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts (§§ 64 bis 71 [X.]B VII) , dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall, zB eine bestimmte [X.] oder Wie-[X.] habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall (Arbeitsunfall, [X.], Wie-[X.]) vorgelegen, der seinen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht. Hingegen ist er schon mangels einer gesetzlichen Ermächtigung nicht befugt, einen feststellenden Verwaltungsakt darüber zu erlassen, ob der Versicherte einen Versicherungsfall erlitten hatte. Es gibt auch keine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Hinterbliebenen auf eine isolierte Vorabentscheidung des Trägers über das frühere Vorliegen eines Versicherungsfalles beim Versicherten. Hierfür besteht im Übrigen auch kein Bedürfnis, weil nach dem Tod des Versicherten der Eintritt weiterer Versicherungsfälle, deren Folgen voneinander abzugrenzen sein könnten, ausgeschlossen ist. Auch hier hat die Beklagte zwar mehrfach im Blick auf verschiedene Sachverhalte, aber jeweils nur einheitlich festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Witwenrente habe.

[X.]) Für die Entscheidung, ob der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls verstorben ist, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Versicherte verstorben ist.

Der [X.] hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die [X.]-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei (B[X.] vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - B[X.]E 79, 250, 253; B[X.] vom [X.] - [X.] U 16/01 R - juris Rd[X.] 17) .

Dies ist aber auf die Rechte der Hinterbliebenen eines Versicherten nicht übertragbar, weil sie aus dessen letzter Rechtsstellung abgeleitet sind. Gemäß § 63 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII muss der Tod des Versicherten "infolge eines Versicherungsfalls eingetreten" sein. Der Todestag des Versicherten ist der späteste Zeitpunkt, an dem er einen Versicherungsfall erlitten haben kann.

[X.]) Der Versicherte ist am [X.] nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-[X.] verstorben.

Nach § 9 Abs 2 [X.]B VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der [X.]V bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit (Wie-[X.]) als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII erfüllt sind. Diese "Öffnungsklausel" des § 9 Abs 2 [X.]B VII soll nur die Regelungslücken in der [X.]V schließen, die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der [X.]V ergeben. Die Regelung ist aber keine allgemeine Härteklausel, für deren Anwendung es genügen würde, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der [X.]-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl B[X.] vom 30.1.1986 - 2 RU 80/84 - B[X.]E 59, 295 = [X.] 2200 § 551 [X.] 27) . Vielmehr soll die Anerkennung einer Wie-[X.] nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden [X.] in die Liste der [X.] (vgl § 9 Abs 1 Satz 2 [X.]B VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f) .

Der Versicherungsfall einer Wie-[X.] ist eingetreten, wenn neben den Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden [X.] in die Liste der [X.] nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt sind. Der Versicherungsfall der Wie-[X.] lässt sich zwar nachträglich feststellen, er ist aber objektiv zu dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 [X.]B VII gegeben sind (vgl noch zu § 551 Abs 1 Satz 2 RVO: B[X.] vom 2.12.2008 - [X.] KN 1/08 U R - [X.]-2700 § 9 [X.] 12 Rd[X.] 23) . Im vorliegenden Fall kommt es also entscheidend darauf an, ob es spätestes am [X.] wissenschaftliche Erkenntnisse gab, nach denen die Erkrankung Lungenkrebs, wenn sie durch die Einwirkungen von [X.], [X.], Asbest und ionisierender Strahlung gemeinsam verursacht worden ist, in die Liste der [X.] aufzunehmen war. Dies ist indes nach den Feststellungen des [X.], das eine Auskunft des [X.] eingeholt hat, nicht der Fall (vgl im Übrigen: [X.], [X.] 2008, 326; Ergebnisse des Fachgesprächs "Synkanzerogenese" in der [X.] am [X.], [X.] 01-06, [X.]; [X.], [X.] - ein Beitrag zur Klärung der Synkanzerogenese - fordert vor der [X.] der [X.] am 27.1.2009 die Einrichtung epidemiologischer Datenbanken zur Beurteilung der synkanzerogenen Wirkung von Stoffen wie Asbest, [X.], Chrom und Nickel; http: www.igf-[X.]g.de/schlema6/tag2/Brüning_[X.].pdf ; [X.], [X.], [X.], [X.], Berufliche Chrom- Exposition und Lungenkrebsrisiko, [X.], August 2008, [X.]) .

d) Ob der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls nach § 9 Abs 1 [X.]B VII iVm [X.] 1103, 2402 oder 4109 der Anlage zur [X.]V, der durch das Miteinwirken des Listenstoffes als wesentliche Teilursache für die Erkrankung des Versicherten verursacht wurde, eingetreten ist, kann der [X.] nicht abschließend entscheiden.

Nach den Feststellungen des [X.] ist der Versicherte berufsbedingt schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen. Allerdings hat das [X.] für jeden der in den angeführten Listen-[X.] bezeichneten Arbeitsstoffe monokausal die haftungsbegründende Kausalität verneint. Keiner der Stoffe hat allein die in der jeweiligen [X.] bezeichnete Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht. Für die [X.] 1103 ist eine Einwirkung in der Größenordnung von 2000 µg/m³ x Jahre erforderlich, einer solchen Dosis ist der Versicherte bei weitem nicht ausgesetzt gewesen. Bei der Einwirkung durch ionisierende Strahlen ([X.] 2402) wird anhand der Einwirkungsdosen ([X.], [X.]) die Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent ermittelt, die beim Versicherten [X.] erreicht hat. Bei der [X.] 4109 ist eine berufliche Einwirkung durch Nickel von 5000 µg/m³ x Jahre erforderlich, die ebenfalls nicht - auch nicht iS des [X.] - erreicht worden ist.

Eine dieser Listen-[X.] liegt aber nicht nur dann vor, wenn die in ihrem Tatbestand genannten Einwirkungen durch einen bestimmten Stoff auf die Gesundheit schon monokausal die dort bestimmten Voraussetzungen erfüllen. Denn selbst wenn diese Einwirkungen bei isolierter Betrachtung nicht die Voraussetzungen an die Einwirkungsdauer, -intensität, -häufigkeit oder -weise erfüllen, können sie dennoch eine wesentliche Teilursache der als [X.] anerkannten Krankheit nach der Theorie der wesentlichen Bedingung sein (vgl zur Prüfung des Versicherungsfalls einer [X.]: B[X.] vom [X.] - [X.] U 33/07 R - B[X.]E 103, 54 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] 3101 [X.] 5; zur Theorie der wesentlichen Bedingung: B[X.] vom 9.5.2006 - [X.] U 1/05 R - B[X.]E 96, 196 = [X.]-2700 § 8 [X.] 17, jeweils Rd[X.] 13 ff) .

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen [X.], nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele ([X.]). Erst wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier Einwirkungen durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Teilursache der Krankheit ist, stellt sich die Frage nach einer rechtlich wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist in diesem zweiten Schritt zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (B[X.] vom 9.5.2006 - [X.] U 1/05 R - B[X.]E 96, 196 = [X.]-2700 § 8 [X.] 17, jeweils Rd[X.] 13 f mwN; B[X.] vom 17.2.2009 - [X.] U 18/07 R - juris Rd[X.] 12) .

Erfüllen die Einwirkungen eines bestimmten Arbeitsstoffs nicht die im [X.]-Tatbestand genannten [X.] - so wie hier der Asbest die 25 Faserjahre nach der [X.] 4104 Alternative 3 (siehe [X.]) -, können sie zwar die anerkannte Krankheit mitverursacht haben, eine Anerkennung dieser [X.] scheidet aber aus, weil die Mindestanforderungen des jeweiligen [X.]-Tatbestandes nicht gegeben sind.

Für die Arbeitsstoffe der hier in Betracht kommenden [X.] 1103, 2402, 4109, deren Bezeichnung keine Dosis enthält, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob der Stoff des jeweiligen [X.]-Tatbestands nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das Entstehen der Erkrankung entfiele. Ist ein Listenstoff in diesem naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ursächlich geworden, ist weiter zu prüfen, ob er eine wesentliche ([X.] für den Eintritt der Erkrankung gesetzt hat. Denn die Theorie der wesentlichen Bedingung verlangt bei der Prüfung, ob eine Einwirkung einen wesentlichen [X.] gesetzt hat, nicht abstrakt eine mindestens gleichwertige Bedeutung für den Erfolg. Vielmehr lässt sie es zu, ihre "Wesentlichkeit" für die festgestellte Erkrankung auch bei einem naturphilosophisch notwendigen Zusammenwirken mehrerer in der Anlage zur [X.]V bezeichneter schädigender Einwirkungen zu bejahen. Dem Zusammenwirken einzelner Mitbedingungen in einer Gruppe, die als Kollektiv für einen Erfolg wesentlich ist, kann so viel Eigenbedeutung zukommen, dass auch dem einzelnen Listenstoff des Einwirkungsgemischs wesentliche Bedeutung für den Erfolg iS eines [X.]-Tatbestands zukommt (vgl B[X.] vom 12.6.1990 - 2 RU 14/90 - juris Rd[X.] 21; [X.] in [X.] 2005, 115) .

3. Auf die Revision der Beklagten ist die Entscheidung des [X.], die § 9 [X.]B VII verletzt, aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das [X.] zurückzuverweisen, damit geklärt werden kann, ob die Einwirkungen durch [X.], [X.] oder ionisierende Strahlung unter Einbeziehung der Einwirkungen von Asbest zusammen oder - wenn nicht alle - ob möglicherweise mehrere dieser Listenstoffe gemeinsam den Lungenkrebs des Versicherten im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht haben. Ist dies anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob die Einwirkungen nach den genannten [X.] [X.] 1103, 2402, 4109 - jede für sich und nicht alle zusammen als Gesamt-[X.] betrachtet - eine rechtlich wesentliche Teilursache für den Eintritt der Lungenerkrankung waren. Ist auch dies zu bejahen, ist entweder ein Versicherungsfall nach [X.] 1103 oder [X.] 2402 oder [X.] 4109 oder aber mehrere Versicherungsfälle dieser Listen-[X.] nebeneinander (nicht kumulativ) gegeben (vgl B[X.] aaO) . Schließlich ist zu prüfen, ob der Tod des Versicherten infolge dieses Versicherungsfalls oder eines dieser Versicherungsfälle eingetreten ist. Hierzu hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sodass der [X.] nicht abschließend entscheiden konnte.

Dagegen steht für die abschließende Entscheidung des [X.] bindend fest, dass bei dem Versicherten keine [X.] 4104, keine Gesamt-[X.] aus einer Kombination der [X.] 1103, 2402, 4109 und keine entsprechende Wie-[X.] vorgelegen hat.

Das [X.] hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Meta

B 2 U 5/08 R

12.01.2010

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Itzehoe, 24. Februar 2003, Az: 4 U 71/01, Urteil

§ 9 Abs 1 S 2 SGB 7, § 9 Abs 2 SGB 7, § 63 Abs 1 SGB 7, § 63 Abs 2 SGB 7, Anl 1 Nr 1103 BKV, Anl 1 Nr 4104 BKV, Anl 1 Nr 4109 BKV, Anl 1 Nr 2402 BKV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 12.01.2010, Az. B 2 U 5/08 R (REWIS RS 2010, 10581)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10581

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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