Bundessozialgericht, Urteil vom 13.02.2013, Az. B 2 U 33/11 R

2. Senat | REWIS RS 2013, 8230

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Wie-Berufskrankheit - Eintritt des Versicherungsfalls - erstmaliges Vorliegen neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft - Berufskrankheitenreife - erstmaliges Vorliegen genereller Geeignetheit - chronisch obstruktive Bronchitis - Lungenemphysem - Empfehlung des Sachverständigenbeirats beim BMAS - Bergmann


Leitsatz

Eine Wie-BK ist zu dem Zeitpunkt eingetreten, an dem erstmals neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Vorliegen der generellen Voraussetzungen der Aufnahme einer Berufskrankheit in die Anlage 1 der BKV vorgelegen haben.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 30. September 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen einer gemäß § 551 Abs 2 [X.] von der Beklagten anerkannten Wie-Berufskrankheit (Wie-[X.]) bereits für die [X.] bis zum 13.9.1993 zusteht.

2

Die Klägerin ist Witwe und Sonderrechtsnachfolgerin des im Jahre 1921 geborenen und am [X.] verstorbenen Versicherten. Dieser war von 1944 bis 1949 im [X.] Steinkohlebergbau und von 1950 bis 1967 bei verschiedenen [X.] Bergbaugesellschaften ua als [X.] unter Tage tätig. Die [X.], deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, leitete im Januar 1996 ein Feststellungsverfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit ([X.]) gemäß § 551 Abs 2 [X.] alter Fassung (chronische Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau) ein. Mit interner "Anerkennungsverfügung" erkannte sie eine "entschädigungspflichtige Erkrankung nach § 551 Abs 2 [X.] ([X.])" an und ging von einer MdE von [X.] sowie einem Rentenbeginn am [X.] aus. Sie informierte den Versicherten über die Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 1000 DM (Schreiben vom 4.12.1996) und zahlte weitere Rentenvorschüsse.

3

Mit Bescheid vom 28.10.1997 lehnte die [X.] sodann jedoch einen Anspruch auf Entschädigung nach § 551 Abs 2 [X.] mit der Begründung ab, nunmehr liege der Entwurf des [X.] und [X.] zur Neuordnung der Berufskrankheitenverordnung ([X.]V) vor. Danach solle künftig die chronisch obstruktive Bronchitis oder das Emphysem als [X.] in die Anlage zur [X.]V aufgenommen werden. Bei der Entscheidung nach § 551 Abs 2 [X.] sei der Entwurf einer neuen Änderungsverordnung zur [X.]V mit Aufnahme einer [X.] 4111 in die [X.]-Liste im Vorgriff zu berücksichtigen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3.12.1997 zurück.

4

Die dagegen vom Versicherten am 12.12.1997 erhobene Klage ist von der Klägerin nach zweimaligem Ruhen des Verfahrens, der Entscheidung des [X.] vom 23.6.2005 (1 BvR 235/00) und dem Tod des Versicherten als Sonderrechtsnachfolgerin fortgeführt worden. Mit Bescheid vom 28.10.2005 hat die [X.] der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin eine Teilrente nach einer MdE von [X.] ab dem [X.] bewilligt und den Bescheid vom 28.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.12.1997 gemäß § 44 Abs 1 [X.]B X teilweise zurückgenommen. Als [X.]punkt des Versicherungsfalls gelte der 23.1.1986. [X.] beginne am [X.], weil zu diesem [X.]punkt die neuen Erkenntnisse hinsichtlich der beruflichen Ursache dieser Krankheit vorgelegen hätten. Nach Beiziehung weiterer Arztbefunde hat die Beklagte der Klägerin mit weiterem Bescheid vom 31.3.2006 Rente nach einer MdE von [X.] für die [X.] vom [X.] bis [X.] bewilligt.

5

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr sei aus der Versicherung ihres am [X.] verstorbenen Ehegatten wegen der anerkannten Wie-[X.] eine Rente nach einer MdE von [X.] bereits ab dem [X.] zu zahlen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2008).

6

Mit der Berufung hat die Klägerin weiterhin geltend gemacht, es sei nicht entscheidungserheblich, zu welchem [X.]punkt in der medizinischen Wissenschaft die neuen Erkenntnisse vorgelegen hätten, die zur Aufnahme der [X.] 4111 geführt hätten. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspreche es der Funktion des § 551 Abs 2 [X.] als einer "Öffnungsklausel", auf den Erkenntnisstand bei Beginn der Erkrankung abzustellen. Dies hätte in vielen Fällen zur Folge, dass eine Entschädigung gerade der Erkrankungen, die Anlass zur Erweiterung der [X.]-Liste gegeben hätten, nicht möglich wäre.

7

Im Verhandlungstermin am 30.9.2011 haben die Beteiligten vor dem L[X.] sodann einen Teilvergleich geschlossen, wonach die Beklagte der Klägerin Rente nach einer MdE von [X.] wegen der anerkannten Wie-[X.] für den [X.]raum auch vom [X.] bis 31.8.1994 gewährt.

8

Das L[X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, mit der diese noch beantragt hatte, die Beklagte unter "teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 28.10.2005 und 31.3.2006 zu verurteilen, ihr (…) Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 vom Hundert vom [X.] bis zum 13.09.1993 (…) zu gewähren" (Urteil vom 30.9.2011). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Versicherungsfall der Wie-[X.] trete zu dem [X.]punkt ein, zu dem alle Voraussetzungen des hier anzuwendenden § 551 Abs 2 [X.] objektiv gegeben seien. Demnach liege dieser erst dann vor, wenn neben den - hier unstreitigen - Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden [X.] in die Liste der [X.]'en nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt seien. Die Feststellung des Versicherungsfalls der Wie-[X.] komme erst mit dem Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Betracht. Insbesondere lasse sich auch unter Berücksichtigung des § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V aus der Neuregelung des § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V kein durchgreifendes Argument für einen früheren Beginn der Rente herleiten. Leistungen würden demnach auch bei einer anerkannten [X.] 4111 rückwirkend grundsätzlich längstens für einen [X.]raum von bis zu vier Jahren erbracht.

9

Die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gemäß § 551 Abs 2 [X.] hätten erst für die [X.] ab dem [X.] vorgelegen. Denn zu diesem [X.]punkt habe der Entwurf der wissenschaftlichen Begründung der Sektion "Berufskrankheiten" für die Aufnahme der [X.] 4111 in die Anlage zur [X.]V vorgelegen und sei (am [X.]) erstmals in diesem Gremium dezidiert beraten worden. Zuvor habe es lediglich - zum Teil aus dem Ausland stammende - Veröffentlichungen in der Literatur mit Hinweisen auf einen Kausalzusammenhang zwischen dem Entstehen einer chronischen obstruktiven Bronchitis bzw eines Emphysems und der Einwirkung von Feinstaub bei versicherter Tätigkeit von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau gegeben. Dies allein vermöge das Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 [X.] nicht zu begründen. Der Beschluss über die Aufnahme von Beratungen sei nach einer Mitteilung des [X.] vom 10.4.2006 zwar bereits im Januar 1993 gefasst worden. Die Bestätigung der so genannten "generellen Geeignetheit", dh der grundsätzlichen Eignung von Feinstaub im Steinkohlebergbau, eine chronische Bronchitis bzw ein Emphysem zu verursachen, sei demnach erst im September 1993 erfolgt. Mit der auf den Auswertungen der von Prof. Dr. P. und Prof. Dr. B. geleiteten Arbeitsgruppen beruhenden Feststellung dieser "generellen Geeignetheit" in der Sitzung der Sektion "Berufskrankheiten" am [X.] hätten die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 [X.] vorgelegen. Sie hätten sich zu diesem [X.]punkt zur [X.]-Reife verdichtet. Wenn die Klägerin darauf verweise, maßgebliche Daten hätten in [X.] bereits im Jahre 1988 vorgelegen, so seien diese [X.] Daten gemeinsam mit anderen, erst noch aus der Literatur zusammenzustellenden Befunden zum Zwecke einer abschließenden Bewertung durch das hierfür vorgesehene Gremium zunächst zu kompilieren und so einer umfassenden Überprüfung gerade mit Blick auf die bergbaulichen Verhältnisse in [X.] erst zugänglich zu machen gewesen.

Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft lägen (erstmals) in dem [X.]punkt vor, in dem sie in einer zur Beratung und wissenschaftlichen Gesamtbewertung durch das maßgebende Gremium geeigneten Form diesem Gremium erstmals vorgelegen hätten und lediglich noch Details einer einzuführenden [X.] zu klären gewesen seien. Dieser [X.]punkt sei bei der [X.] 4111 der [X.] gewesen. Ab diesem [X.]punkt seien lediglich noch Beratungen über die Möglichkeit und den Inhalt einer kumulativen Staubdosis erforderlich gewesen, nach deren Abschluss sei dann im April 1995 der Beschluss der wissenschaftlichen Empfehlung erfolgt. Das lediglich noch zur Beratung und späteren normativen Festlegung verbliebene notwendige Ausmaß der schädigenden Einwirkung nach zeitlichem Umfang und [X.] sei hingegen ohne wesentliche Bedeutung für die Frage des [X.]punkts des Vorliegens neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 [X.].

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 551 Abs 2 [X.]. Der Versicherungsfall einer "Wie-[X.]" trete gemäß § 551 Abs 3 Satz 2 [X.] mit dem Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung oder des Beginns der MdE ein (Hinweis auf B[X.] vom [X.] - B 2 U 43/98 R). Dies sei hier nach den Feststellungen des L[X.] am 23.1.1986 der Fall gewesen. Jedenfalls ab dem [X.] habe eine MdE von [X.] vorgelegen. Für die Anerkennung einer Wie-[X.] iS des § 551 Abs 2 [X.] müssten sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht im [X.]punkt der Erkrankung des Versicherten zur [X.]-Reife verdichtet haben. Es genüge, dass die [X.]-Reife im [X.]punkt der Entscheidung über den Anspruch auf eine Leistung eingetreten sei. Die erstmalige verbindliche Entscheidung der Beklagten über den Anspruch sei am 28.10.1997 erfolgt. Nach dem L[X.] hätten die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bereits ab dem [X.] vorgelegen, sodass die Entscheidung der Beklagten mithin vier Jahre nach dem Vorliegen dieser Erkenntnisse erfolgt sei. Die Beklagte habe daher die Entscheidung über die Zahlung der Verletztenrente in rechtswidriger Weise verzögert. Das L[X.] habe insoweit die Rechtsprechung des [X.] nicht angewandt (Hinweis auf [X.] vom 23.6.2005 - 1 BvR 235/00). Schließlich bestimme § 6 Abs 2 Satz 2 [X.]V, dass der Anspruch für vier Jahre rückwirkend begründet sei. Nach der Rechtsprechung des B[X.] (Hinweis auf B[X.] vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R) sei diese Vorschrift auch auf den Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankung auch ohne Antrag bekannt werde.

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des [X.] vom 30.9.2011 und das Urteil des [X.] vom 10.9.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Regelung über den Rentenbeginn in den Bescheiden vom 28.10.2005 und 31.3.2006 zu verurteilen, ihr für den [X.]raum vom [X.] bis 13.9.1993 eine Verletztenrente als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes nach einer MdE von [X.] zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil. Der Versicherungsfall einer Wie-[X.] liege erst dann vor, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden [X.] in die Liste der [X.]'en nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt seien. Dies sei hier frühestens am [X.] der Fall gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der [X.]lägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass für den Zeitraum vom [X.] bis zum [X.] ein Rechtsanspruch des Versicherten auf Anerkennung einer Wie-[X.] nicht bestand, den die [X.]lägerin als Rechtsnachfolgerin geltend machen könnte. Insofern hat die Beklagte zu Recht ihre Aufhebung der ursprünglichen Bescheide aus dem Jahre 1997 gemäß § 44 [X.] auf den Zeitraum ab dem [X.] beschränkt. Diese Bescheide enthalten zugleich eine negative Regelung über einen früheren Rentenbeginn und sind gemäß § [X.] zum Gegenstand des ursprünglichen Rechtsstreits des Versicherten gegen die Beklagte geworden.

Der Versicherungsfall der Wie-[X.] tritt zu dem Zeitpunkt ein, zu dem tatsächlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die arbeitsbedingte Verursachung einer bestimmten Erkrankung sich zur sog [X.] verdichtet haben (sogleich unter 1.). Es ist weder aus tatsächlichen Gründen (hierzu unter 2.) geboten, hinsichtlich der [X.] 4111 der Anlage 1 zur [X.]V von einem früheren Zeitpunkt des Versicherungsfalls als dem vom [X.] festgelegten [X.] auszugehen, noch ist es aus Rechtsgründen geboten, den Zeitpunkt des Versicherungsfalls weiter vorzuverlegen (hierzu unter 3.).

1. Maßgebliche Rechtsgrundlage für das Handeln der Beklagten ist hier noch § 551 Abs 2 [X.], der nach der Übergangsregelung des § 212 [X.] weiterhin einschlägig ist, weil der Versicherungsfall in jedem Falle vor Inkrafttreten des [X.] am [X.] eingetreten ist. Nach § 551 Abs 2 [X.] sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine [X.]rankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung (gemeint ist die [X.]V) bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine [X.] entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 551 Abs 1 [X.] vorliegen. Wie der [X.] in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl zuletzt [X.] vom [X.] - [X.] U 13/09 R - [X.] 4-2700 § 9 [X.] Rd[X.] zu § 9 Abs 2 [X.]), ergeben sich für die Feststellung des Vorliegens einer Wie-[X.] die folgenden Tatbestandsmerkmale: (1.) das [X.] der Voraussetzungen für eine in der [X.]V bezeichnete [X.]rankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten [X.]rankheit als [X.] nach § 551 Abs 1 Satz 2 [X.] bzw § 9 Abs 1 Satz 2 [X.], (3.) nach neuen Erkenntnissen (§ 551 Abs 2 [X.]) bzw nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (§ 9 Abs 2 [X.]) sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser [X.]rankheit als Wie-[X.] im Einzelfall bei dem Versicherten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.]s enthält diese Vorschrift keine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte [X.]rankheit als "Wie-[X.]" anzuerkennen wäre (vgl nur [X.] vom [X.] - 2 [X.] 53/76 - [X.], 90 = [X.] 2200 § 551 [X.]; [X.] - [X.], 250 = [X.] 3-2200 § 551 [X.]).

Da nach den insoweit bindenden Feststellungen des [X.] die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs 2 [X.] (jetzt: § 9 Abs 2 [X.]) vorliegen, war hier nur noch streitig, zu welchem Zeitpunkt die "neuen Erkenntnisse" im Sinne dieser Norm gegeben waren. Denn erst in diesem Zeitpunkt bestand ein Anspruch des Versicherten auf Anerkennung einer Wie-[X.]. Nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls kann dieser auch vorliegen (vgl [X.] vom 2.12.2008 - [X.] [X.]N 1/08 U R - [X.], 121 = [X.] 4-2700 § 9 [X.], Rd[X.] 16). Der Versicherungsfall der Wie-[X.] setzt aber voraus, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt neue Erkenntnisse der Wissenschaft über [X.]ausalzusammenhänge vorliegen. Erst in diesem Zeitpunkt entstehen auch mögliche Leistungsansprüche aus dem Versicherungsfall der Wie-[X.] (vgl [X.] in [X.] ua, Gesetzliche Unfallversicherung ([X.]) - [X.]ommentar, § 9 Rd[X.] 325b; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 9 Rd[X.] 42). Allerdings müssen diese [X.]enntnisse nicht bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der Erkrankung vorgelegen haben, der hier, wovon auch die Beteiligten ausgehen, am [X.] lag. Der [X.] hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssten sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die [X.]-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei ([X.] - [X.], 250, 253 = [X.] 3-2200 § 551 [X.] S 22; [X.] vom [X.] - [X.] U 16/01 R - Juris Rd[X.] 17). Hieraus folgt aber noch nicht - was die [X.]lägerin offenbar meint -, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Versicherungsfalls der Wie-[X.] (hier der Zeitpunkt des Vorliegens neuer Erkenntnisse) gleichsam rückwirkend für den Zeitpunkt des Eintritts der [X.]rankheit fingiert werden könnten. Auch aus der Regelung des § 551 Abs 3 Satz 2 [X.] (jetzt: § 9 Abs 5 [X.]) folgt nichts anderes (s im Einzelnen noch unter 3 b).

2. Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass jedenfalls vor dem [X.] die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten Wie-[X.] nicht vorgelegen haben. Nach den von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) lagen jedenfalls an diesem [X.] beim [X.] die beiden Literaturstudien von B. et al bzw P. et al vor und hat der Sachverständigenbeirat grundsätzlich die Anerkennung einer neuen Listen-[X.] 4111 gefordert. Zu diskutieren sei bis zur endgültigen Empfehlung vom [X.] lediglich das geforderte Ausmaß der schädigenden Einwirkung gewesen. Es kann dahinstehen, ob dem beizutreten ist oder ob nicht der [X.] als maßgeblicher Zeitpunkt der [X.] zu gelten hat, was der [X.] bereits entschieden hat. In seinem Urteil vom 2.12.2008 ([X.] [X.]N 1/08 U R - [X.], 121 = [X.] 4-2700 § 9 [X.], Rd[X.] 15) hat er klargestellt, dass angesichts der Tatsache, dass die obstruktive Bronchitis und das Lungenemphysem im Jahr 1995 noch nicht in der [X.]V bezeichnet worden waren (vgl die damals geltende [X.] vom [X.], [X.] 721 idF der [X.] vom 18.12.1992, [X.] 2343), die generellen Voraussetzungen für die Bezeichnung dieser Erkrankungen als Listen-[X.] erst mit der Anerkennungsempfehlung des [X.] vom [X.] vorlagen (vgl Bekanntmachung des [X.] vom 1.8.1995, [X.] 1995 Heft 10, [X.] ff).

Es kann dahinstehen, ob hieran angesichts der umfangreichen Ermittlungen des [X.] zum Ablauf der Beratungen im Sachverständigenbeirat festzuhalten und ob der vom [X.] festgesetzte Zeitpunkt der [X.] ([X.]) bei der chronischen obstruktiven Bronchitis und dem Emphysem von Bergleuten vorzugswürdig wäre. Denn die Beklagte hat diesen Zeitpunkt in dem vor dem [X.] geschlossenen Vergleich selbst zugrunde gelegt und lediglich die [X.]lägerin führt das Rechtsmittel der Revision. Allerdings wird beiläufig darauf hingewiesen, dass der jeweilige Zeitpunkt der förmlichen Empfehlung des Sachverständigenbeirats (hier der [X.]) zweifelsohne den Vorteil einer rechtssicheren Handhabung in sich trägt. Das Vorgehen des [X.] hat im Einzelfall den Nachteil, dass ohne eine dokumentierte förmliche Beschlussfassung in dem Gremium jeweils im Einzelfall (ggf unter Heranziehung der beteiligten Sachverständigen als Zeugen) zu ermitteln ist, wann ein (an welchen [X.]riterien auch immer festzumachender) [X.]onsens in dem Sachverständigenbeirat festgestellt werden kann.

3. Es ist kein weiterer Rechtsgrund ersichtlich, den Eintritt des Versicherungsfalls auf einen früheren Zeitpunkt festzulegen.

        

a) Offenbar leitet die [X.]lägerin aus der bereits erwähnten Rechtsprechung des [X.]s, dass die neuen (wissenschaftlichen) Erkenntnisse jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen (aaO; vgl auch [X.] - [X.], 250, 253 = [X.] 3-2200 § 551 [X.] S 22), ab, dass dieser Erkenntnisstand sodann auf den Beginn des Verwaltungsverfahrens bzw den Eintritt der Erkrankung zurückwirke (insofern nicht nachvollziehbar ist allerdings der Hinweis auf [X.] vom [X.] - [X.] U 43/98 R - [X.] 3-2200 § 551 [X.]). Das [X.] hat hingegen mit dem Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung lediglich sicherstellen wollen, dass insofern nicht zu Lasten der Versicherten auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Erkrankung abzustellen ist, sodass nachträgliche Erkenntnisse (nach Beginn des Verwaltungsverfahrens) noch zu Gunsten der jeweiligen [X.]läger wirken können. Dies ändert freilich nichts daran, dass (erst) nachträglich ein bestimmter Zeitpunkt feststellbar sein muss, an dem sich die Erkenntnisse der Wissenschaft zur [X.] verdichtet haben. So hat der [X.] in seinem Urteil vom 14.11.1996 (2 [X.] 9/96 - [X.], 250, 253 = [X.] 3-2200 § 551 [X.] S 22) ausgeführt:

"Das in § 551 Abs 2 [X.] versicherte Risiko realisiert sich erst zu dem Zeitpunkt, in dem entsprechende 'neue Erkenntnisse' gesichert vorliegen. Würde man, wie die Revision meint, auf den Erkenntnisstand der Erkrankung - im Fall des [X.]lägers damit auf das [X.] - abstellen, so bedeutete dies in vielen Fällen, dass eine Entschädigung gerade der Erkrankungen, die Anlass zur Entwicklung des neuen [X.] gegeben haben, nicht möglich wäre. Dies hätte ein der Funktion des § 551 Abs 2 [X.] als 'Öffnungsklausel' widersprechendes Ergebnis zur Folge [X.] in [X.] aaO § 37 Rd[X.] 24 unter Hinweis auf § 9 Abs 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts in der gesetzlichen Unfallversicherung in das [X.] inzwischen Gesetz vom 7. August 1996 - Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - [X.] 1254). Der Rechtsprechung des [X.] zum Umfang der Rückwirkungsvorschriften in Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO zur [X.]VO vom 18. Dezember 1992 in Bezug auf § 551 Abs 2 [X.] hätte es - wie auch das [X.] zutreffend ausgeführt hat - nicht bedurft, wenn darin die Rechtsauffassung vertreten worden wäre, die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse hätten zumindest im Zeitpunkt der Erkrankung vorliegen müssen. Diese Rechtsstreitigkeiten waren in tatsächlicher Hinsicht sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass die neuen medizinischen Erkenntnisse zu den [X.]en [X.]n 2108 und 2109 ([X.] Urteile vom 25. August 1994 - 2 [X.] 42/93 - [X.]E 75, 51 ff sowie Urteil vom 19. Januar 1995 - 2 [X.] 14/94 - [X.] 1995, 1331) und zur [X.] [X.] 4104 ([X.] Urteile vom 19. Januar 1995 - 2 [X.] 13/94 - [X.] 1995, 972 sowie 2 [X.] 20/94 - [X.] 1995, 1141) erst nach Inkrafttreten der 1. ÄndVO vom 22. März 1988 ([X.] 400) zum 1. April 1988 gesichert vorlagen, während die Versicherten bereits vorher erkrankt und - soweit die Entschädigung von Wirbelsäulenerkrankungen umstritten waren - aus dem Berufsleben ausgeschieden waren."

b) Auch die Regelung des § 551 Abs 3 Satz 2 [X.] ist entgegen der Rechtsansicht der Revision für die Bestimmung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls nicht einschlägig. Wie der [X.] bereits mehrfach entschieden hat, enthält diese Norm lediglich eine Regelung über und für den Leistungsfall (grundlegend [X.] vom 27.7.1989 - 2 [X.] 54/88 - [X.] 2200 § 551 [X.] 35; bestätigt ua [X.] vom 10.8.1999 - [X.] U 20/98 R - [X.] 3-2200 § 571 [X.] 4 S 15). § 551 Abs 3 Satz 2 [X.] (jetzt: § 9 Abs 5 [X.]) und enthält eine Regelung über den Versicherungsfall lediglich, soweit dieser für Regelungen des Leistungsrechts, wie etwa die Bestimmung des Jahresarbeitsverdienstes etc, von Bedeutung ist (so explizit der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom [X.] vom 24.8.1995, BT-Drucks 13/2204, [X.] zu § 9 Abs 5 [X.]; vgl auch [X.], [X.], 4. Aufl 2009, § 9 Rd[X.] 34). § 551 Abs 3 Satz 2 [X.] enthält nach dieser Rechtsprechung (aaO) eine eigenständige Bestimmung für den Leistungsfall, für den ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist. Die Beklagte hat gerade einen solchen in dem Bescheid vom 31.3.2006 auch vorgenommen, indem sie ausführte, dass für die Leistungen auf den [X.] abgestellt werde (instruktiv zu diesem [X.] in jurisP[X.]-[X.], § 9 Rd[X.] 130 f). Allein für den Leistungsfall und nicht auch für den Versicherungsfall ist der Beginn der [X.]rankheit im Sinne des [X.]rankenversicherungsrechts maßgebend (vgl [X.] vom 27.7.1989 - 2 [X.] 54/88 - [X.] 2200 § 551 [X.] 35 S 70).

c) Auch aus der von der [X.]lägerin angeführten Entscheidung des [X.]s zur Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 6 Satz 2 [X.]V vom 17.5.2011 ([X.] U 19/10 R - [X.] 4-5671 § 6 [X.] 5) kann nichts dafür abgeleitet werden, dass der Versicherungsfall hier vor dem [X.] eingetreten sein könnte. Der [X.] hat in dieser Entscheidung lediglich Ausführungen dazu gemacht, wann der Versicherungsfall einer Listen-[X.] eintritt, und klargestellt, dass dies nicht vor dem Zeitpunkt sein kann, zu dem ihre Aufnahme in die Anlage zur [X.]V in [X.] getreten ist. Weiterhin hat der [X.] dort nur klargestellt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V (idF vom 11.6.2009, [X.] 1273 mWv [X.]) lediglich darauf abzielt, entgegen dem früheren Recht ab dem [X.] die Anerkennung einer vor dem [X.] aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der [X.] 4111 zu eröffnen, ohne den Zeitpunkt der Einführung der [X.] 4111 zum 1.12.1997 oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum [X.] in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der [X.] 4111, sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem [X.] liegenden Erkrankungen als [X.] 4111 sollte eingeräumt werden, ansonsten hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 [X.]V hinsichtlich der Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls bedurft.

Mithin hätte die Revision hier nur Erfolg haben können, wenn sie dargelegt hätte, dass bereits vor dem [X.] neue, gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft zur chronischen obstruktiven Bronchitis bzw zum Emphysem von Bergleuten vorgelegen haben, die die Entscheidung des [X.], den Zeitpunkt des Versicherungsfalls gemäß § 551 Abs 2 [X.] auf den [X.] festzulegen, in Frage hätten stellen können. Solches trägt die Revision aber gerade nicht vor.

Die [X.]ostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Meta

B 2 U 33/11 R

13.02.2013

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Duisburg, 10. September 2008, Az: S 4 KN 113/05 U, Urteil

§ 551 Abs 2 RVO, § 551 Abs 3 S 2 RVO, § 9 Abs 1 S 2 SGB 7, § 9 Abs 2 SGB 7, § 9 Abs 5 SGB 7, § 6 Abs 6 BKV, Anl 1 Nr 4111 BKV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 13.02.2013, Az. B 2 U 33/11 R (REWIS RS 2013, 8230)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8230

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