Bundessozialgericht, Urteil vom 23.05.2013, Az. B 4 AS 67/11 R

4. Senat | REWIS RS 2013, 5559

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Hilfebedürftigkeit - Berücksichtigung des Einkommens des Stiefelternteils zugunsten der nicht leiblichen minderjährigen Kinder in der Bedarfsgemeinschaft - Verfassungsmäßigkeit - Nichtvorliegen einer besonderen finanziellen Härte


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des [X.] vom 16. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Nach einem Teilvergleich vor dem [X.] ist noch streitig, ob die Klägerin für den Monat Juli 2007 Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] II hat.

2

Die 1994 geborene Klägerin lebte im streitigen Zeitraum mit ihrer Mutter sowie deren Ehemann, [X.], in einem gemeinsamen Haushalt. Die Eheleute haben keine gemeinsamen Kinder. Der Ehemann überwies seinem nicht im gemeinsamen Haushalt wohnenden [X.] - ohne Vorhandensein eines Unterhaltstitels - im Juli 2007 Unterhalt in Höhe von 200 [X.]. Der Klägerin zahlte er ein Taschengeld in Höhe von 50 [X.]. Deren leiblicher Vater war aufgrund eines entsprechenden Titels zur Zahlung von Unterhalt in Höhe von 337 [X.] monatlich verpflichtet, jedoch nicht leistungsfähig. Die Mutter der Klägerin erhielt für diese das Kindergeld in Höhe von 154 [X.] und hatte ein Nettoeinkommen von 303,28 [X.]. Ihr Ehemann erzielte im Juli 2007 ein Nettoeinkommen von 2351,98 [X.]; am [X.] wurde ihm zudem Einkommensteuer in Höhe von 3312,68 [X.] erstattet. Die Kosten für die gemeinsame Mietwohnung trug er vollständig allein.

3

Bei Beantragung von [X.] II-Leistungen für die Klägerin am 5.7.2007 gab ihre Mutter an, sie lebe mit ihrem Ehemann sowie ihrer Tochter in einem gemeinsamen Haushalt. Bei ihr und der Tochter seien keine Spar- und Bankguthaben vorhanden. Der Beklagte lehnte [X.] II-Leistungen für die Klägerin ab (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 21.11.2007). Zur Begründung führte er aus, die Klägerin sei nicht hilfebedürftig. Einem Gesamtbedarf der aus der Klägerin, ihrer Mutter und dem Stiefvater bestehenden Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1163,69 [X.] stehe ein anzurechnendes bereinigtes Einkommen in Höhe von 2127,82 [X.] gegenüber.

4

Das [X.] hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des [X.] vom [X.] zurückgewiesen (Beschluss vom 16.2.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin habe im Juli 2007 schon deshalb keinen Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 [X.] II, weil weder bei ihrer Mutter noch bei ihr selbst Hilfebedürftigkeit iS von § 9 [X.] II vorgelegen habe. Angesichts des Einkommens des [X.] sei offenkundig, dass jedweder grundsicherungsrechtliche Leistungsbedarf ausgeschlossen sei. Soweit die Klägerin die Berücksichtigung von Einkommen ihres Stiefvater für unzulässig halte, weil § 9 Abs 2 S 2 [X.] II verfassungswidrig sei, folge der Senat dem nicht. Er schließe sich vielmehr der Entscheidung des B[X.] vom 13.11.2008 ([X.] [X.]/08 R) an. Jedenfalls bezogen auf minderjährige Kinder sei es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums davon ausgehe, dass für Kinder in der Situation der Klägerin ausreichende und vorrangige eigene Mittel durch das Zusammenleben mit dem leistungsfähigen Partner ihres Elternteils zur Verfügung stünden und deshalb die Gewährung staatlicher Hilfe zu ihrer Existenzsicherung nicht erforderlich sei. Der Gesetzgeber gehe bei Stiefkindern in zulässiger Weise davon aus, dass der Elternteil innerhalb einer Gemeinschaft, in der er gleichberechtigt mit dem Partner "aus einem Topf" wirtschafte und mit ihm über die Ausgaben entscheide, die Belange des Kindes in erster Linie durch Naturalunterhalt ausreichend schützen und so seiner Pflicht zur elterlichen Sorge nachkommen werde. Auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG werde nicht verletzt; ausreichendes Differenzierungskriterium sei, dass der Gesetzgeber nur solche Gemeinschaften erfasse, in denen die Bindungen der Partner so eng seien, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden könne. Schließlich verstoße die Regelung auch nicht gegen Art 6 GG. Unbeschadet des Umstandes, dass die Mutter der Klägerin und ihr Ehemann nicht Beteiligte des vorliegenden Verfahrens seien, erschwere § 9 Abs 2 S 2 [X.] II weder die Eingehung einer Ehe (welche die Mutter der Klägerin bereits vor Antragstellung geschlossen habe) noch die Bildung von Familien. Der Vorrang von Unterhaltspflichten gegenüber eigenen Kindern sei durch § 11 Abs 2 S 1 Nr 7 [X.] II gewahrt.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, durch die in § 7 Abs 3 [X.] II und § 9 Abs 2 S 2 [X.] II normierte Zusammenfassung mit ihrem Stiefvater in eine Bedarfsgemeinschaft und durch die Anrechnungsvorschrift werde sie in ihren Rechten aus Art 2 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG verletzt. Ihr Stiefvater habe nicht damit rechnen müssen, eines Tages in Anspruch genommen zu werden und sich nach Wegfall des [X.] lediglich zur Zahlung eines Taschengeldes bereit erklärt. Die Aufnahme in den Haushalt des [X.] begründe keine konkludente vertragliche Vereinbarung zur Zahlung von Unterhalt. Aus dem Zusammenspiel mit anderen Regelungsbereichen werde deutlich, dass der Gesetzgeber die Widersprüchlichkeiten, die sich aus § 9 Abs 2 S 2 [X.] II ergäben und dessen weitreichende Konsequenzen nicht bedacht habe. Während der originär Unterhaltsverpflichtete sein Einkommen um berufsbedingte Aufwendungen, Beiträge zur sekundären Altersvorsorge, ehebedingte und andere Verbindlichkeiten bereinigen könne und Unterhalt nur aus dem verbleibenden Einkommen unter Berücksichtigung eines Selbstbehalts von (aktuell) 950 [X.] zahlen müsse, würden bei der Berechnung nach dem [X.] II weder Verbindlichkeiten noch nicht titulierte Unterhaltsverpflichtungen des [X.] berücksichtigt. Die sich aus § 9 Abs 2 [X.] II ergebende Einstandspflicht werde auch bei den Pfändungsfreigrenzen nach § 850d Abs 1 S 2 ZPO nicht berücksichtigt. Zudem sei die vom Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG bei der Ausgestaltung von [X.] gebotene Normenklarheit verletzt, weil die Anrechnungsvorschrift des § 9 Abs 2 S 2 [X.] II dem Kind keinen durchgreifenden, das Existenzminimum sichernden Anspruch gegen den Stiefvater verschaffe. Zwar habe der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.] nur § 9 Abs 2 S 2 [X.] II geändert, nicht jedoch auch § 9 Abs 5 [X.] II um den Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erweitert. Nach der Neufassung des § 9 Abs 2 S 2 [X.] II könne die Vorschrift verfassungskonform daher nur so ausgelegt werden, dass die unwiderlegbare Unterstützungsvermutung erst bei einem den Freibetrag des § 9 Abs 5 [X.] II iVm § 1 Abs 2 Alg II-V übersteigenden Einkommen einsetze. Nach der Rechtsprechung des [X.] dürfe der [X.] leiblicher Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern die Selbstbehaltsgrenze des doppelten Sozialhilferegelsatzes nicht überschreiten. Andernfalls werde deren Handlungsfreiheit verletzt ([X.] Beschluss vom [X.], 1 BvR 1509/97). Ein sachlicher Grund, Stiefeltern schlechter als gesteigert Unterhaltspflichtige zu stellen, sei nicht gegeben.

6

Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des [X.] vom 16. Februar 2011 und das Urteil des [X.] vom 19. März 2009 sowie den Bescheid vom 20. August 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21. November 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat Juli 2007 zu zahlen.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin in dem hier streitigen Monat Juli 2007 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] hat.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2007, mit dem der Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die [X.] ab Antragstellung am [X.] abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin zu Recht mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG und begehrt - nach einem Teilvergleich vor dem [X.] - beschränkt auf den Monat Juli 2007 Leistungen dem Grunde nach (§ 130 SGG).

2. a) Die Klägerin hatte im Juli 2007 jedoch keinen Anspruch auf [X.]-Leistungen. Nach § 7 Abs 1 S 1 [X.] aF erhalten Leistungen nach dem [X.] Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben ([X.]), erwerbsfähig ([X.]) und hilfebedürftig ([X.]) sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der [X.] haben ([X.]). Die Klägerin erfüllte nach den Feststellungen des [X.] zwar die in Abs 1 S 1 [X.], 2 und 4 genannten Voraussetzungen. Einer Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 [X.] [X.] iVm § 9 Abs 1 und 2 [X.] stand aber entgegen, dass sie ihren Bedarf aus dem zu berücksichtigenden Einkommen des [X.] decken konnte.

b) Als nicht erwerbsfähige Angehörige hatte die Klägerin Anspruch auf die Regelleistung bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres in Höhe von [X.] der Regelleistung eines Alleinstehenden (§ 28 Abs 1 S 2 [X.] [X.]). Dies entsprach im streitigen [X.]raum einem Betrag von 208 [X.]. Das [X.] hat keine Ausführungen zur Höhe des Bedarfs der Klägerin für Kosten der Unterkunft und Heizung gemacht, sondern festgestellt, dass der Stiefvater die Kosten für Unterkunft und Heizung allein getragen habe. Ausgehend von den Berechnungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 21.11.2007, auf die das [X.] aber an anderer Stelle Bezug genommen hat, könnte allenfalls der auf die Klägerin entfallende Kopfanteil der festgestellten Unterkunftskosten in Höhe von 110,56 [X.] (1/3 von 331,69 [X.]) zu berücksichtigen sein (vgl zum sog "Kopfteilprinzip" nur BSG Urteil vom 23.11.2006 - B 11b [X.] - [X.], 265 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]). Hiervon ist das für die Klägerin gezahlte Kindergeld (154 [X.] ohne Abzug einer [X.]; vgl hierzu BSG [X.] 4-4200 § 11 [X.]9 Rd[X.]9) abzusetzen (vgl § 11 Abs 1 S 1 und § 11 Abs 1 S 3 [X.]), sodass bei ihr - auch unter Berücksichtigung eines fraglichen Anteils für Kosten der Unterkunft und Heizung - ein nicht gedeckter Bedarf in Höhe von allenfalls 164,56 [X.] verblieb.

c) Den so ermittelten Bedarf konnte die Klägerin nicht durch eigenes Einkommen oder Vermögen decken. Vermögen iS von § 12 [X.] ist bei ihr nicht vorhanden. Sie gehörte aber einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach § 7 Abs 3 [X.] [X.] (in der ab 1.7.2006 geltenden Fassung des [X.] zur Änderung des [X.] vom 24.3.2006 - [X.]) an, die nach näherer Maßgabe des § 9 [X.] mit der Berücksichtigung des Einkommens des [X.] verbunden war. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs 3 [X.] die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (§ 7 Abs 3 [X.] [X.]), als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte (§ 7 Abs 3 [X.] Buchst a [X.]) und die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit diese Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können (§ 7 Abs 3 [X.] [X.]). Nach § 9 Abs 2 S 2 [X.] idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.] ([X.] 1706) sind bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit von unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen. Es war bei der Mutter der Klägerin nur ein geringes Einkommen und bei [X.] kein Vermögen vorhanden.

d) Unabhängig von einer etwaigen Vermögensberücksichtigung des [X.] und der ihm im Juli 2007 zugeflossenen Einkommensteuererstattung in Höhe von 3312,68 [X.] war der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1070,25 [X.] (KdU in Höhe von 331,69 [X.], Regelleistung für die Mutter und den Stiefvater in Höhe von 624 [X.], restlicher Bedarf für die Klägerin in Höhe von 164,56 [X.]) schon durch das um die Abzüge nach dem [X.] bereinigte Einkommen des [X.] der Klägerin in Höhe von 1811,20 [X.] und deren Mutter in Höhe von 162,62 [X.] vollständig gedeckt.

3. Die zu einer Einkommensanrechnung führenden [X.]-Vorschriften sind - entgegen dem Vorbringen der Klägerin - nicht schon wegen eines Verstoßes gegen das aus Art 20 Abs 3 GG folgende Bestimmtheitsgebot, etwa eines Widerspruchs des § 9 Abs 2 S 2 [X.] zur sonstigen Rechtsordnung, unanwendbar. Das Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit soll den Betroffenen ermöglichen, die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelungen zu erkennen und ihr Verhalten danach einzurichten ([X.] 87, 234, 263 = [X.] 3-4100 § 137 [X.]). Es muss aber nicht von vornherein jeder Zweifel über den Inhalt der Regelungen ausgeschlossen sein; ausreichend ist es, wenn deren Inhalt mit den üblichen Auslegungsmethoden konkret erschlossen werden kann ([X.] Beschluss vom [X.] - 2 BvL 9/08 ua; [X.] 131, 88,118 f juris Rd[X.] 91). Dies ist hier der Fall.

Soweit die Klägerin vorträgt, dass die Annahme einer Unterstützungsvermutung nicht mit einem durchsetzbaren Anspruch des [X.] gegen den Stiefvater auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage korrespondiere, behauptet sie ein unklares Zusammenwirken von Unterhaltsrecht und Sozialrecht bzw den notwendigen Gleichklang dieser Rechtsbereiche. Dies gilt auch für ihren Vortrag, es verstoße gegen Art 3 GG, dass ein minderjähriges Kind in einer Bedarfsgemeinschaft keinen durchsetzbaren Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums habe, während ein leibliches Kind seinen Unterhaltsanspruch auf zivilrechtlichem Weg durchsetzen könne. Die Annahme von [X.], Einspar- und [X.] bei Leistungen zum steuerfinanzierten Existenzminimum muss jedoch nicht mit gesetzlichen Unterhaltsansprüchen übereinstimmen. Der Gesetzgeber darf im Sozialrecht schon deshalb andere Anknüpfungspunkte wählen als im Familienrecht, weil unterschiedliche Sachverhalte betroffen sind. Im Familienrecht findet ein Barunterhaltsanspruch zwischen gerade nicht zusammenlebenden Angehörigen seine Rechtfertigung in der familienrechtlichen Beziehung zwischen Unterhaltsschuldner und Unterhaltsgläubiger, die eine besondere Verantwortung für den Bedürftigen begründet (vgl [X.] [X.] 108, 52, 72; [X.] 103, 89, 107; [X.] 99, 216, 231). Dagegen wird im [X.] mit den Rechtsfiguren der Bedarfs- und [X.] vorrangig an ein tatsächliches Zusammenleben der betreffenden Personen im Sinne einer "Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft" angeknüpft, die wiederum durch verwandtschaftliche Rechtsbeziehungen gestaltet sein kann.

Auch der von der Klägerin gerügte Normwiderspruch zwischen § 9 Abs 2 S 2 [X.] und § 9 Abs 5 [X.] liegt nicht vor, weil sich eine vermeintliche Konkurrenz zwischen den beiden Einkommensberücksichtigungsvorschriften durch Auslegung auflöst. § 9 Abs 2 S 2 [X.] regelt schon nach seinem Wortlaut die zwingende Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen der dort genannten Personen innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft. § 9 Abs 5 [X.] ist nachrangig und erst anwendbar, wenn keine Bedarfsgemeinschaft, sondern lediglich eine [X.] zwischen Verwandten und Verschwägerten besteht (vgl zur historischen Entwicklung der Vorschriften näher [X.], 76 ff = [X.] 4-4200 § 9 [X.] 7, Rd[X.]7). Zwar wäre - vor dem Hintergrund der von dem Gesetzgeber zur Neuregelung des § 9 Abs 2 S 2 [X.] durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegebenen Begründung, dass eine Schlechterstellung verheirateter Partner gegenüber Partnern einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft vermieden werden solle (BT-Drucks 16/1410 [X.]) - auch eine Regelung möglich gewesen, in welcher eine Einkommens- und Vermögensberücksichtigung bei nicht gemeinsamen Kindern in einer eheähnlichen [X.] und eine Ehe ausdrücklich nur in dem von § 9 Abs 5 [X.] vorgesehenen schonenderen Umfang erfolgt. Diesen Weg ist der Gesetzgeber aber nicht gegangen.

4. a) Die zur Anwendung kommenden Vorschriften verstoßen für den hier zu entscheidenden Fall eines [X.] und unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des [X.] nicht gegen den Anspruch der Klägerin auf ein verfassungsmäßig gesichertes Existenzminimum aus Art 1 iVm Art 20 GG.

Der Senat folgt insofern der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG, der in seinen Urteilen vom 13.11.2008 ([X.] [X.]/08 R - [X.], 76 ff = [X.] 4-4200 § 9 [X.] 7 zur Berücksichtigung des Einkommens eines Partners der Mutter bei einem minderjährigen Kind) und vom 14.3.2012 ([X.] AS 17/11 R - [X.], 204 ff = [X.] 4-4200 § 9 [X.]0 zur Berücksichtigung des Einkommens des [X.] bei einem volljährigen Kind) davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber mit einem Zusammenleben von Personen bei Vorliegen der besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen der verschiedenen Formen von Bedarfsgemeinschaften auch jenseits von gesetzlichen Unterhaltsansprüchen [X.] und [X.] verbinden dürfe. Bei Vorliegen bestimmter familiär geprägter Lebensumstände könne er typisierend Haushaltseinsparungen und Unterstützungsleistungen innerhalb dieser [X.]en unterstellen, die die Gewährung staatlicher Hilfe nicht oder nur in eingeschränktem Umfang gerechtfertigt erscheinen ließen. Vor dem Hintergrund der staatlichen Verpflichtung aus Art 1 iVm Art 20 GG bedürfe es aber einer besonderen Rechtfertigung, weshalb typisierend von so engen Bindungen ausgegangen werden könne, dass von den Mitgliedern dieser [X.] ein Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden könne. Eine entsprechende gesetzgeberische Typisierung müsse in den Lebensumständen der (ansonsten ggf) hilfebedürftigen Personen im Einzelfall ihren Niederschlag finden ([X.], 204 ff = [X.] 4-4200 § 9 [X.]0, Rd[X.]3).

b) Bei einem minderjährigen Kind, das - wie hier - in einer Stiefkindfamilie lebt, reicht das durch die Ehe zwischen dem Elternteil und dem Stiefelternteil vermittelte rechtliche Band als ausreichende Grundlage für die typisierende Annahme des Gesetzgebers, dass die gesteigerte Elternverantwortung des einen Ehepartners gegenüber seinem minderjährigen Kind und das Wissen des Stiefelternteils um diesen Umstand von vornherein Grundlage des Zusammenlebens der Partner und der Gestaltung der Ehe ([X.] bezogen auf die Verteilung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit) sein werde. Für die Berücksichtigung des Partnereinkommen beim Kind ist daher nicht gesondert zu ermitteln und jeweils im Einzelfall festzustellen, ob und ggf in welchem Umfang im Verhältnis des Ehepartners zu dem Kind ein "Einstandswille" iS des § 7 Abs 3 [X.] Buchst c [X.] besteht ([X.], 204 ff = [X.] 4-4200 § 9 [X.]0, Rd[X.]4; [X.], 76 = [X.] 4-4200 § 9 [X.] 7, Rd[X.]0).

Der Gesetzgeber bewegt sich im Rahmen seines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums, wenn er mit dem Eingehen einer dauerhaften Bindung im Sinne einer Ehe typisierte Unterstützungs- und Einstehensvermutungen gegenüber dem Ehepartner und dessen Kindern verbindet. Bezogen auf Eheleute hat der Senat bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt, dass der Grundgedanke dieser Form der Bedarfsgemeinschaft auf der Annahme beruht, dass in dieser [X.] alle Mitglieder füreinander Verantwortung, auch im finanziellen Sinne, übernähmen. Erst nachrangig, wenn die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ihren Bedarf nicht gemeinsam decken könnten, seien Grundsicherungsleistungen zu gewähren ([X.] 105, 291 = [X.] 4-4200 § 7 [X.]6, Rd[X.]4 ff; BSG [X.] 4-4200 § 9 [X.] 5 Rd[X.]9). Hieran anknüpfend besteht die Typisierung des § 9 Abs 2 S 2 [X.] darin, dass von der bestehenden Bereitschaft des Einkommensbeziehers, für seinen (Ehe)Partner wirtschaftlich zu sorgen und dessen Lebensunterhalt bei Bedürftigkeit zu sichern, darauf geschlossen wird, dass sich diese [X.] auch auf dessen Kind erstreckt und auch die tatsächlichen Lebensumstände des Kindes hierdurch beeinflusst sind, etwa durch das gemeinsame Wirtschaften (Einkauf von Lebensmitteln, Zubereitung von Mahlzeiten), die gemeinsame Beschaffung und Nutzung von Haushaltsgeräten und Möbeln sowie auch eine zT gemeinsame Freizeitgestaltung.

Auch die steuerrechtlichen Regelungen gehen davon aus, dass sich die durch eine Eheschließung vermittelte Bindung auch auf die nicht gemeinsamen Kinder und deren Lebensverhältnisse auswirkt, indem bei der Freistellung des steuerlichen Existenzminimums auch für nicht gemeinsame Kinder Vergünstigungen vorgesehen sind. § 32 Abs 6 S 6 EStG bestimmt, dass bei einer Verletzung der Barunterhaltspflicht des einen Elternteils - wie hier bei dem leiblichen Vater der Klägerin gegeben - auf Antrag des Betreuungsunterhalt leistenden Elternteils, also hier der Mutter der Klägerin, die Kinderfreibeträge des anderen Elternteils auch ohne dessen Zustimmung auf den betreuenden Elternteil zu übertragen sind. Im [X.] ist eine "Kettenübertragung" dergestalt möglich, dass der nach § 32 Abs 6 S 6 EStG den weiteren Kinderfreibetrag empfangene (betreuende) Elternteil nunmehr seinerseits die gesamten Freibeträge auf den Stiefelternteil übertragen kann (vgl hierzu im Einzelnen Loschelder in [X.], EStG, 31. Aufl 2012, § 32 Rd[X.] 96 f). Insofern regelt § 32 Abs 6 S 10 EStG, dass die den Eltern zustehenden steuerrechtlichen Kinderfreibeträge auf Antrag auch auf den Stiefelternteil übertragen werden, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat oder dieser einer Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind unterliegt. Mit dem Begriff der "Haushaltsaufnahme" hat der Gesetzgeber auch im Steuerrecht ausdrücklich an die tatsächlichen Lebensverhältnisse und damit verbundene [X.] angeknüpft.

5. Es liegen hier - insbesondere unter Berücksichtigung des Einkommens des [X.] - keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Existenzminimum der Klägerin nicht mehr gedeckt war.

Bezogen auf die Konstellation der nicht gemeinsamen minderjährigen Kinder in eheähnlichen [X.]en hat der 14. Senat bereits hervorgehoben, dass eine Bedarfsgemeinschaft bei eheähnlichen [X.]en ein Zusammenleben voraussetze, das von dem wechselseitigen Willen getragen sei, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (§ 7 Abs 3 [X.]a [X.]). In [X.] eröffnet dies bei eheähnlichen Partnerschaften ggf einen Vortrag des leiblichen Elternteils, dass die angenommene Möglichkeit der Versorgung des Kindes aus dem in der Bedarfsgemeinschaft tatsächlich vorhandenen Einkommen und Vermögen des eheähnlichen Partners nicht oder nicht in der angenommenen Höhe existiert, weil es an einem entsprechenden Unterstützungswillen gegenüber den eigenen Verpflichtungen - gerade in der zentralen Verantwortung als Elternteil - mangele. Zwar existieren diese tatrichterlichen Auslegungsspielräume bei [X.] mit minderjährigen Kindern nicht, weil eine Bedarfsgemeinschaft bereits besteht, wenn die Ehepartner nicht dauernd getrennt leben (§ 7 Abs 3 [X.] Buchst a [X.]; vgl auch [X.] in [X.] 2013, 238, 239). Dies ist jedoch wegen der typischerweise engeren Bindung von Eheleuten noch vertretbar, solange für Fallgestaltungen von besonderen finanziellen Härten Ausnahmen möglich sind.

Für die Annahme einer - bereits vom 14. Senat in seinen Entscheidungen thematisierten - besonderen finanziellen Härte liegen aber auch hier keine Anhaltspunkte vor (vgl hierzu [X.], 76 ff = [X.] 4-4200 § 9 [X.] 7, Rd[X.]4; [X.], 204 ff = [X.] 4-4200 § 9 [X.]0, Rd[X.]6). Ein solcher Härtefall kann [X.] durch besondere wirtschaftlich erdrückende finanzielle Beeinträchtigungen begründet werden, die im Einzelfall die im [X.] vorausgesetzte Unterstützung in Frage stellen und - auch wegen der möglichen Gefährdung des Existenzminimums des nicht gemeinsamen Kindes - nicht mehr hinnehmbar erscheinen (vgl aber [X.] zur einfachrechtlichen Lösung des [X.] zwischen vollstreckungsrechtlichem Schuldnerschutz nach §§ 850 ff ZPO und den Einstandspflichten nach dem [X.]: [X.], 76 ff = [X.] 4-4200 § 9 [X.] 7, Rd[X.]4; zur Berechnung des Kostenbeitrags eines Vaters nach § 92 Abs 5 [X.] VIII, der nach § 9 Abs 2 S 2 [X.] für seine Stiefkinder einstehen muss: [X.] vom [X.], [X.], 2010, 291).

Dem Stiefvater verblieb ein Betrag deutlich über dem Existenzminimum. Auf der Grundlage der Berechnungen im Widerspruchsbescheid vom 21.11.2007, auf die sich das Berufungsgericht in seinen Entscheidungsgründen bezogen hat, wurde von dem durchschnittlichen Nettoeinkommen des [X.] in Höhe von 2321,20 [X.] die Pauschale für Beiträge zu öffentlichen und privaten Versicherungen, Altersvorsorgebeiträge und mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben in Höhe von 100 [X.] abgesetzt, ohne dass insofern höhere Ausgaben des [X.] behauptet oder nachgewiesen wurden (§ 11 Abs 2 S 3 [X.]). Unter Berücksichtigung des [X.] nach § 30 [X.] in Höhe von 310 [X.] und nach Abzug des nicht titulierten [X.] für den [X.] ergab sich ein Nettoeinkommen in Höhe von 1811,20 [X.].

Nach Absetzung des (ergänzenden) existenzsichernden Bedarfs der Mutter der Klägerin in Höhe von 259,61 [X.] (422,23 [X.] abzüglich eigenem Erwerbseinkommen von 162,62 [X.]) und demjenigen der Klägerin in Höhe von 164,56 [X.] verblieb ein Betrag in Höhe von 1387,03 [X.]. Der im [X.] geltend gemachte "doppelte Sozialhilfesatz" verblieb ihm demnach (im Jahre 2007 betrug die doppelte Regelleistung 694 [X.] zzgl der anteiligen KdU in Höhe von 110 [X.] = 804 [X.]). Nach der [X.] Tabelle (Stand 1.7.2007) betrug der notwendige Eigenbedarf gegenüber einem minderjährigen unverheirateten Kind beim erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen monatlich 900 [X.] (inkl bis zu 360 [X.] für KdU). Der angemessene Eigenbedarf gegenüber volljährigen Kindern lag in der Einkommensstufe des [X.] bei 1200 [X.]. Auch wenn die Einstandspflicht aufgrund von Unterhaltsverpflichtungen anderen Kriterien als die Einstandsvermutungen nach dem [X.] folgt, verblieb dem Stiefvater der Klägerin hier deutlich mehr als das eigene Existenzminimum.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 4 AS 67/11 R

23.05.2013

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Gelsenkirchen, 19. März 2009, Az: S 22 AS 281/07, Urteil

§ 9 Abs 2 S 2 SGB 2 vom 20.07.2006, § 7 Abs 3 Nr 2 SGB 2, § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2, § 7 Abs 3 Nr 4 SGB 2 vom 24.03.2006, § 9 Abs 5 SGB 2, § 32 Abs 6 EStG, Art 1 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.05.2013, Az. B 4 AS 67/11 R (REWIS RS 2013, 5559)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5559

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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